Franz Dingelstedt
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
Franz Dingelstedt

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XXI

              Die Thore offen! Im Schilderhaus
Wird's gleich ein »Wer da?« schreien;
Ein Schritt, ein Tritt – und ich bin hinaus,
In der Welt, im Weiten, im Freien!

Wer hält mich denn am Aermel fest,
Was beizt mich im Auge wie Zwiebeln?
Warum fesselt mich denn dieses alte Nest
Mit seinen Thürmen und Giebeln?

Gewöhnung! O allmächtiger Trieb,
Wer mag sich deiner erwehren?
Dem Sklaven wird seine Kette lieb,
Soll er sie zum Ersten entbehren.

Und Mariandel, die gute, ehrliche Haut!
Wie wird sie's grämen und schmerzen,
Wenn sie morgen früh ans dem Fenster schaut,
Mich erwartend mit treuem Herzen!

Es gilt ihr nicht um meine Person,
Daran ist wenig gelegen;
Ihr ist's nur um das Geschwätz und den Hohn,
Nur der anderen Leute wegen.

So tröste dich Gott! Ich kann nicht zurück,
Es mahnt die Stunde zu eilen;
Doch find' ich draußen ein ordentlich' Glück,
Mit der Alten müßt' ich's theilen.

Dort steigt der Mond im Osten auf,
Ein willkommener Weggeleiter;
Mit Silber bestreut er meinen Lauf,
Wie hell die Straße, wie heiter!

Ein Posthorn klingt aus fernem Thal
Und verschwimmt im blauen Aether –
Leb' wohl, leb' wohl viel' tausend Mal,
Du heilige Stadt meiner Väter!

Ich küsse dein Thor im Mondenlicht,
Auf den Boden fall' ich nieder;
Dein Sohn entflieht – O frag' ihn nicht:
Wie kommst du und wannen wieder?


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