Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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XXVIII.

Wo tief in dem grünen Waldland der Cherusker die Weser durch ein düstres Tannicht zieht, da ragt auf dem rechten Ufer nahe dem Fluß aus der feuchten Niederung ein mäßiger Hügel. Auf seiner Krone ruhen, von Menschenhand geschichtet, ein paar mächtige Steine; Moos und Steinbrech hatten sie schon damals üppig überwachsen; in den obersten war kunstlos ein Kurzschwert geritzt, die alte Waffe der Cherusker. So mochte die Hügelgruft über ein Menschenalter hier gewölbt sein.

Einsam lag das Grab: ringsum tiefe Stille, die feierliche Stille des Urwalds. Weit und breit kein Gehöft, keine Spur von menschlicher Siedelung, von Wiesenmahd oder Feldbau.

Es war Spätherbst; die gelben Blätter fielen langsam von den Erlen und Eschen, die gemischt unter dem Nadelholz standen. Der kalte Nebel spann um die Wipfel der hohen schlanken Tannen, in kleinen weißen Wolken von dem Strom und den sumpfigen Ufern aufsteigend.

Zwei Raben saßen, wie Grabwächter, auf dem obersten Stein. Nun flogen sie auf und strichen langsam, langsam ab, tiefer zu Walde – nach Osten.

Denn von Westen, vom Flusse her, nahten Schritte. Es waren zwei Männer und ein Knabe.

Der eine der Erwachsenen führte an dessen linkem Arm den andern, der nur mit Anstrengung, matt Fuß vor Fuß setzend, vorwärts kam; auf des Knaben Schulter, der zur Rechten schritt, stützte sich der Leidende, als es nun hügelaufwärts ging.

Endlich war die Krone der Anhöhe erreicht.

»Hier ist der Ort,« sprach der Führende; »da ragen die vier Steine.«

»Und sieh, Vater, hier, auf dem obersten, das eingehauene Schwert! Wir haben's doch gefunden: – obwohl du des Gastfreundes Wegweisung ablehntest. Warum? Der Pfad durch den Wald war doch stark verwachsen.«

»Ja, mein Sohn. Leicht und bald verwächst der Weg zu Gräbern: – auch der Herrlichsten! Die Völker sind undankbar. Oder doch: vergeßlich. Es ist verzeihlich. Jedes Geschlecht hat seine eigne Sorge, die Arbeit seiner Tage. Sie nehmen sich nicht oft Zeit, vergangner Größe zu gedenken. – Weshalb ich den Cherusker nicht mitnahm? Weil du allein, mein Sohn, mit dem treuen Katwald vernehmen sollst, was ich dir zu sagen habe an dieser Stätte. Der Ort ist heilig, Knabe. Küsse diesen Stein! Dies ist das Grab Armins.«

Voll Ehrfurcht beugte Merovech das Knie, die blonden Locken fielen auf den grauen Stein. Müde ließ sich Civilis auf der untersten Felsplatte nieder.

»Hier liegt er, der größte Held, von dem unser Volk zu sagen und zu singen weiß. Hier liegt er, den die eignen Stammgenossen meuchlerisch gemordet, weil sie ihre Freiheit schützen wollten vor ihm, wie sie sagten, das heißt: weil sie seine Größe nicht ertrugen. Solang er lebte, haben sie ihm schlecht gehorsamt: manchen Sieg haben sie ihm verdorben durch ihre ›Freiheit‹, ihren Ungehorsam, ihre Zwietracht. Und zuletzt – da haben sie ihn – seine eigenen Cherusker! – hinterrücks beim Versöhnungsschmaus erstochen. Das ist der Dank der Völker, Merovech.«

Er zuckte; er drückte die Linke gegen die Rippen.

»Vater, schmerzt die alte Wunde wieder: – von dem bösen Pfeil?«

»Nicht die, mein Liebling.«

»Herr, du wirst so bleich! Der Gang war doch zu weit. Trink! Ich habe Wein für dich in diesem Lederschlauch.« Civilis wehrte schweigend ab.

»Aber,« fuhr der Treue fort, »weshalb auch so weit wandern? Du bist noch arg wundsiech. Was du dem Knaben warnend sagen wolltest, das konntest du auch an der Lippe sagen und am Rhein!«

»Nein, Katwald, ich mußte an dies Grab. Um meinet- und um des Sohnes willen.« Er erhob sich mit wankenden Knieen: »O hör' es, Armin, der du da oben hoch über jenen Nebelwolken aus Walhall auf mich niederschaust: – hör' es, großer Ohm, wie dein ach! so kleiner Neffe dich um Vergebung anfleht für die Schuld von zwanzig Jahren! Ich selbst habe – mein unselig Beispiel hat mein Volk verrömert: was Wunder, daß sie zuletzt – nach meiner eigenen Thorheit! – zu Rom sich wandten wider mich. Ich verzeih's ihnen.«

»Aber ich nicht, Vater!« rief Merovech zornig, sein schönes Antlitz erglühte, ungestüm warf er das Gelock zurück. »Ich niemals. Die Undankbaren! Die Elenden! Abfallen von ihrem Befreier, von ihrem Helden, der sie von Sieg zu Sieg geführt. Wahrlich, sie sind nicht wert . . .«

»Schweig, Knabe! Nie mehr solch ein Wort!«

»Aber du sprachst ja gerade selbst in bitterem Hohn vom Dank der Völker!«

»Und sind sie undankbar, – was dann? Nicht um des Volkes Dank sollst du deines Volkes Held werden, sondern weil du mußt: – aus Pflicht der Ehre! Sieh, deshalb, deshalb hab' ich dich hierher geführt: – an dieses Grab. Nicht, um dich zu warnen, nein, um dich zu mahnen, um dich heilig, unablösbar, zu verpflichten für dein Volk. Schaue hierher! Hier liegt Armin, so unvergleichlich herrlicher denn dein Vater.

Weißt du, was sein letztes Wort war, als ihm die Seinen, all' Cheruskia verfluchend, den Dolch aus dem Rücken zogen? Weißt du was er sprach, mit brechenden Augen: ›Ich litte alles, – auch Thusneldas Ketten! – und ich thäte doch alles: nochmal! Das Höchste bleibt – mein Volk.‹«

So sprach Armin und starb.

Und so, Merovech, so sollst du denken und leben. Wohl sah ich den Groll, den bittern, in dir aufwachsen in diesen langen Wochen, da du mit Katwald mich gepflegt in dem sumpfigen Versteck. – Da reifte in den langen schlummerlosen, schmerzensreichen Nächten in mir der Gedanke an dieses Grab, an diesen Weg: – an diese heilige Wallfahrt. Und ich bat die Götter, mir nur noch so lang Leben und soviel Kraft wieder zu schenken, daß ich dich hierher führen könne. – Sie wollen, daß ich's vollbringe: – darum haben sie mich erhört. Dank ihnen!

Hier, an diesem Grabe, reiß' ich dir den Groll wider dein Volk mit der letzten Wurzel aus der Brust oder – bei Wodans Speer! – ich töte dich, Knabe! Einen Hasser der Meinen« – hier sprang er auf und griff grimmig an das Schwert – »will ich nicht gezeugt haben! Glaub' es mir, nein, glaube dem großen Ohm: trotz allem und allem: dein höchstes Gut bleibt doch dein Volk, das deine Sprache spricht, das dein Recht und deine Sitte lebt. Reiße dich los von diesem Stamm und du verdorrst so gewiß, wie hier der dürre Ast zu deinen Füßen. Ihm dankst du, was du bist, dein Blut und deine Eigenart. Ihm, deinem Volk allein, sollst du leben! Sonst bist du pflichtlos, ehrlos, marklos, kernlos!

Willst du das, kannst du das, Merovech, mein lieber Sohn? O trotze nicht! Wende nicht das Haupt zur Seite. Es ist deines Vaters letztes Gebot: – sein Todeswunsch! Denn – ich fühl' es – meine Füße werden diesen Weg nicht mehr zurückgehn.« Er ließ sich niedergleiten auf die Felsplatte: Katwald umfaßte ihn stützend.

Da warf sich der Knabe laut aufschreiend vor ihm nieder und umschlang seine Knie und schluchzte: »O Vater! Lieber Vater! Alles! alles, was du willst! Ich fühl' es: du hast Recht.«

Mit feuchten Augen legte der Sieche die zitternde Hand auf den blonden Scheitel. »So ist's gut! So ist's recht, mein Liebling! Schwöre mir denn bei diesem heil'gen Grabe, schwöre mir, abzuthun von dieser Stunde an jeden Groll gegen das arme bethörte Volk der Bataver und es zu lieben und für dies Volk zu leben und zu sterben.«

Und der Knabe sprang auf, legte die rechte Hand auf den obersten Stein, auf das Schwertbild, und sprach fest: »Ich schwöre«: – seine Stimme zitterte nicht mehr.

»Gut: – Armin und Wodan haben es gehört! Aber nun noch eins: – dann ist mein Lebenswerk beschlossen. Einen Rat – mein Vermächtnis! – höre noch! Die Bataver meiner Tage – der Ausgang hat es schmerzlich klar gezeigt! – sie waren noch nicht reif für das, was ich gewollt: die Zucht, der Gehorsam fehlt ihnen wie unsern Vettern hier rechts von dem Rhein. Vielleicht noch lange, lange, lange bleibt es so! Vielleicht muß erst die Not, der drohende Untergang sie Eintracht lehren und Gehorsam. Auch du, mein Knabe, schaust wohl den Tag ihrer Reife noch nicht: – du nicht und viele deiner Enkel! Aber versprich mir, das Gedächtnis, dein Gelöbnis dieser Stunde . . .«

»Nie vergeß ich es!«

»Ich weiß es. Aber das genügt nicht. Deinen Söhnen, deinen Freunden, allen, die es wert sind, vertraue das Geheimnis dieser Stunde und des Civilis letzten Rat. Wir sind zu schwach allein gegen Rom, ja, gegen jede große Gefahr! Solange Gau für Gau, Völkerschaft für Völkerschaft allein für sich nur sorgt, für sich nur kämpft, müssen sie erliegen. Ihr müßt euch zusammenthun! Für Frieden und für Krieg. Die Genossen des eignen Stamms, aber auch die Nachbarn, wie es Berg und Thal und die gemeinsame Abwehr vorzeichnen und verlangen: schließt euch zusammen – zum festen Bund, zum unaufkündbaren – nicht nur, wie bisher, je für Einen Krieg! Dieser Bund der Freiheit wird eure Freiheit schaffen und schützen. Diesen meinen Rat, – pflegt ihn, vertraut ihm, vererbt ihn von Geschlecht zu Geschlecht. Das, mein Sohn, das sollst du mir als zweites schwören. Nein! Nicht wieder bei diesem Grab! Bei – ach! dem einzigen Erbe, das dir dein Vater hinterläßt: – verbrannt liegt – von dem eignen Volk verbrannt! – unser Hof und alle Habe: – sieh hier dies Schwert! Oft hab' ich es zum Sieg geschwungen: – der Mörder deines Bruders fiel durch diese Klinge. – Schwöre mir auf dieses Schwert, du wirst meinen Rat vererben.«

»Ich schwöre, Vater.«

»So nimm es hin: es ist jetzt dein eigen!«

»Aber, Vater, – dieser Bund der Freien und Franken, der Rechts- und Kampfgenossen, – wie soll sein Name sein?«

Civilis schwieg einen Augenblick: »nennt euch die Franken! Euer Name selbst soll euch der Pflicht gemahnen. Aber nennt euch laut, vor der Welt, erst so, wann ihr's geworden seid: frank und frei, stark und stolz! – Und nun, mein Merovech, und du, getreuer Katwald – laßt mich – eine kleine Weile noch – ich fühl's, es währt nicht lange mehr! – allein an dieser Gruft – beim Geist Armins. Und ist's zu Ende – hier – auf freiem Boden! – senkt mich ein, nicht allzuweit – von seinem Grab.«

»O Vater, Vater!«

»Was klagst du? Ich sterb' an blut'ger Wunde: von diesem Grab hinweg, hinauf zu Wodan und Armin, holt mich die Walküre. – Bist du es, die da oben schwebt? Ich warte dein! Komm, Weleda!«

 


 


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