Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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XXIII.

Allein des Civilis Voraussetzung, Cerialis werde zu gleicher Zeit, an gleichem Ort mit ihm und mit der Seherin verhandeln, sollte nicht zutreffen.

Der Römer hatte allerdings in beiden diese Annahme bestärkt; er hatte beiden für die Zusammenkunft den gleichen Tag bezeichnet und auch den gleichen Ort: – die Brücke über die Nabalia – einen der kleineren Rheinarme. Um Brinnos und anderer Mißtrauen zu beschwichtigen, hatte Cerialis eingewilligt, dieser Brücke in der Mitte die Balkenbeläge über ein Joch abzubrechen, so daß zwar die Stimmen, nicht aber ein Sprung der Verhandelnden von dem Süd- zu dem Nordende der Brücke reichen könne; so ward der Vorschlag der Zusammenkunft von Civilis und von Weleda angenommen.

Der beredete Tag brach an. Von der Südseite her kam Weleda, begleitet von Welo, Sido, Brinnobrand, die ihr Civilis entgegengesandt hatte, sie sicher zu geleiten. Hier, auf der Südseite des Flusses, lagen die Zelte der Römer.

Von der Nordseite der Brücke, vom rechten Ufer her, sollte Civilis, begleitet von seinem Knaben, von Katwald, Brinno, Ulemer, Uffo und einem Häuflein von Batavern kommen: es war ausbedungen, daß Römer und Germanen nicht mehr als je zwanzig Speere stark erscheinen sollten.

Als sich Weleda dem Römerlager näherte, ritt ihrem Zug ein einzelner Tribun entgegen und lud sie ein, mit ihrem Gefolg in den Zelten der Römer zu warten, bis Civilis auf der anderen Seite der Brücke eingetroffen sei: dann solle sie mit den Ihren auf Kähnen zu den Batavern übergeführt werden.

Brinnobrand spornte sein Rotroß an Welos Seite: »Du – du bist ihr Muntwalt: – dir zuerst gebührt's: – Einem fließt die Rede schlecht, wo es Verstand bedarf. Frage jenen Römer noch einmal, – feierlich! – ob sie ganz sicher ist?«

»Du hast Recht, kluger Thor! – Höre, Tribun, bevor wir dir ins Lager folgen, – schwöre nochmal den Eid der Sicherheit.«

Sofort erhob der Römer die Schwurhand: »Bei Jupiter, dem Rächer des Meineids! Cerialis hat geeidet: ›Frei und sicher und unverletzt reitet die Jungfrau wieder aus meinem Lager‹.«

Weleda hatte es gehört und doch – zögernd, schweren Herzens ritt sie mit ihrem Gefolge durch das decumanische Thor unter die gehaßten Feinde. Sie sah wohl, wie die Legionäre neugierig die barbarische Prophetin auf ihrem weißen Roß angafften: aber selbst diese rohen Kriegsknechte wagten kein freches Wort über sie, wie sie, strengen Blicks gerade ausschauend, hoheitsvoll ihres Weges ritt.

Vor dem Feldherrnzelt schwang sie sich aus dem Sattel: die Zeltwache begrüßte sie ehrerbietig, wollte aber ihren Begleitern den Zutritt wehren.

Da griff Brinnobrand in die vorgehaltenen Lanzen: »Wir mit – oder sie nicht!« sprach er.

Auf den Wink des Tribunen ließ der Legionar ihre drei Begleiter in das Zelt folgen; die etwa fünfzehn Bruktrer, welche sie von der Lippe hergebracht, wurden in die nächste Lagergasse gewiesen. In dem reich, ja mit Verschwendung ausgestatteten Raum, der durch eine beiseite geschlagene Oberdecke volles Tageslicht empfing, trat ihr, gefolgt von mehreren seiner Führer, Cerialis in glänzendem Waffenschmuck entgegen.

Er mußte hinauf sehen zu dem herrlichen Weibe: es durchschauerte ihn. – »Ja! Ihresgleichen sah ich nie! Was ist dagegen Claudia! Sehr herb – unerträglich stolz, aber übermenschlich schön. Hei, welche Wonne, diesen Stolz zu brechen! – Warte nur – nach dem Triumph!«

Er reichte ihr die Hand hin; aber mit der Miene einer beleidigten Göttin hob sie ruhig ihre Rechte und legte sie auf den Busen. So tief demütigend die Bewegung war, – der Lüstling wagte keinen zweiten Versuch: er verzagte vor dieser Jungfrau wie ein Knabe.

»Auch dafür – Rache!« sagte er zu sich selbst, während er sich wieder sammelte und die drei Begleiter eines kurzen Grußes würdigte.

»Du also bist es, seit jener Kleopatra die größte Feindin Roms!« sprach er mit immer noch staunendem Blicke.

Sie schwieg und sah ihm gerade in die begehrlichen Augen. Und der Besieger Lucretias und Claudias und so vieler andern! – er ertrug ihn nicht, den Ausdruck dieser hohen Reinheit. Er sah zur Seite: er deutete ihren Begleitern nach dem Trinktisch, auf dem ein kostbarer Weinkrug und mehrere Becher standen. So hatte er sich von seiner Verwirrung erholt. Nun begann er aufs neue: »Ich danke dem Zufall, der – durch ein Mißverständnis wohl – ihn noch auf dem andern Ufer fern hält, deinen Freund Civilis. Hei, wer sich solcher Freundin rühmen dürfte!«

»Der müßte eben ein Civilis sein,« fiel Brinnobrand ein.

»Oder – dessen Bezwinger, junger Gigant. Aber – warum antwortest du nicht, Seherin?«

»Du hast noch nichts gesagt,« sprach sie und sah über ihn hinweg.

Gereizt entgegnete er: »O doch! Bist du wirklich des Besiegten Freundin, so rette ihn, indem du ihn gut berätst.«

»Civilis berät sich selbst.«

»Ei, man sagt, du seiest dieses Batavers Egeria. Wohlan, rette ihn, indem du ihm rätst, die Unterwerfung –«

Drohend war das gesprochen worden: – er war einen Schritt näher getreten mit gefurchter Stirn.

Aber der Erfolg war nicht der erwartete: ohne ihm noch einen Blick zu gönnen, wandte sie sich auf der Ferse und schritt zu dem Zelt hinaus; ihre drei Begleiter folgten ihr.

»Feldherr,« mahnte einer der römischen Anführer in dem Zelte, »war das nicht allzu offen, allzu rasch? Freiheit, nicht Unterwerfung hattest du –« – »Warte das Ende ab!« – »Sie schied im Zorn! Sie wird den Bataver im Trotz bestärken.« – Cerialis gab keine Antwort; er machte einige Gänge durch das Zelt. »Glaubst du,« fragte er plötzlich stehen bleibend, »sie hat das Lager jetzt schon hinter sich?« – »Zu Pferd gewiß!« – »So eile. Steig' zu Roß. Du hast Recht. Ich habe mich anders besonnen. Sag' ihr, ich bäte sie, umzukehren. Sie solle nichts mehr von Unterwerfung, nur von voller Freiheit hören.« – »Sie wird sich sträuben.« – »So sag' ihr, – Civilis sei eingetroffen. Er, er selbst verlange sie zu sehen. Er muß ja auch bald da sein, Eile! – Und sage dem Centurio Macer, der vor meinem Zelt die Wache hält, das Wort: ›Die Saat ist reif‹.«

Der Tribun holte auf eilendem Roß den kleinen Zug nahe außerhalb des Lagers ein, er richtete seinen Auftrag eifrig aus.

Aber Weleda ritt weiter: sie hatte gar nicht Zügel gezogen.

Nun rief der Tribun: »Aber höre doch! Nicht nur Cerialis, – Civilis selbst.«

Sie hielt das Pferd an.

Er erkannte seinen Vorteil und fuhr fort: »Civilis läßt dir sagen . . . –«

»So ist er eingetroffen?« fragte Sido.

Ohne ihm zu antworten fuhr der Römer fort: »Soll Civilis dich vergeblich bitten? Er – er selbst wünscht, daß du umkehrst.«

»Thu's nicht, Weleda!« schrie Brinnobrand, wie außer sich, ihr in den Zügel fallend. »Sieh, da fliegt eine Nebelkrähe krächzend aus dem Lager gegen uns! Ein übler Angang! Thu's nicht, Weleda!«

»Hörtest du nicht? Er erwartet mich!« Und mit kräftigem Ruck riß sie das Roß herum und spornte es so eilig gegen das Lager zurück, daß ihr die Männer kaum zu folgen vermochten. Die Gasse vor dem Feldherrnzelt war jetzt von hundert Legionären besetzt: sie hielten die drei Gefolgen der Reiterin wieder an.

»Es wird zu eng im Zelt,« erläuterte der Centurio.

»Diese drei Männer gehen mit mir,« befahl die Jungfrau gebieterisch: – der Soldat gab nach.

Einstweilen war der Tribun vorausgeeilt in das Zelt, das Gelingen seines Auftrages zu melden. Nur ein paar Worte raunte ihm Cerialis zu: – der Mann erblaßte. »Nein!« sprach er leise. »Das ist –«

»Notwendig.«

»Aber es ist –«

»Des Imperators Gebot!«

Einen Blick voll Erbarmens warf der Tribun auf die herrliche Mädchengestalt.

»Wo ist Civilis?« fragte Weleda, sich umschauend.

»Gleich – gleich wird er da sein. Ich erwarte ihn – ungeduldiger als selbst du. Einstweilen,« fuhr er langsam, aber sehr laut fort, – »die Saat ist überreif.«

Da traten zehn Legionäre mit dem Centurio in das Zelt. Cerialis riß das Schwert heraus und schrie: »Einstweilen bist du meine Gefangene.« Und er sprang auf den ihm nächsten Germanen zu und stach ihn nieder. Es war Welo.

Noch einmal raffte der sich auf, »Römischer Hund,« schrie er, »so hältst du Wort?«

»Ich hielt es. Einmal ritt sie frei aus dem Lager: – für zweimal hab' ich's nicht versprochen.«

Da sank der Treue wieder um: »Flieh, Weleda!« hauchte er noch und starb.

Im selben Augenblick hatten sich auf die beiden andern mehrere Legionäre geworfen, während Cerialis den rechten Arm der Jungfrau ergriff. Aber er taumelte zurück. Sido riß sich von den vier Armen, die ihn hielten, los, und führte mit dem Langmesser einen solchen Stoß auf des Cerialis Panzer, daß er bis an die Hinterwand des Zeltes zurückflog. Doch gleich darauf durchbohrten den Königssohn drei römische Schwerter. »O Weleda!« stöhnte er und war tot.

Brinnobrand aber schüttelte die drei Feinde von seinen riesenstarken Armen, zog das kurze Beil aus dem Wehrgurt, schlug es dem Centurio Macer durch den Helm in den Schädel, schlug dem Tribunen durch den Schild tief in den Arm, schlug Cerialis die starke norische Schwertklinge in Stücke und riß Weleda glücklich durch die Zeltthür in das Freie hinaus; noch einen Römer hieb er hier zusammen. Weleda war es gelungen, – ihren Mantel ließ sie in der Verfolger Hand – sich jeder Ergreifung zu erwehren.

Da scholl ihnen entgegen lautes Siegesgeschrei: die numidischen Bogenschützen – die mit den schwarzen Helmbüschen – sprengten heran.

»Sieg! Cerialis! Der Überfall gelang.«

»Zwei Giftpfeile trafen.«

»Sterbend stürzte er in den Strom.«

»Civilis ist tot.«

»Ah!« schrie da Weleda und stürzte ohnmächtig auf das Antlitz nieder.

Brinnobrand wollte sie emporreißen: er nahm das Beil in die Linke und hob an ihr mit der Rechten.

Da sprang Cerialis hinzu, schwang ein frisches Schwert und hieb ihm die Rechte am Knöchel haarscharf vom Arm. Sein Blut überströmte ihr weißes Gewand. Er ließ das Beil fallen und zerrte an ihr mit der Linken. Ein Hieb in den Arm lähmte auch diese Hand. Da warf er sich über sie, mit dem Leibe sie zu decken. Nun stach ihm Cerialis das Schwert unter der erhobenen linken Schulter in die Brust. Der Sterbende drückte einen Kuß auf ihren weißen Nacken. »Das Beste vom ganzen Leben war der Tod!« hauchte er und starb.

 


 


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