Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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VII.

Kaum war der letzte Ton der schwingenden Saiten verschwebt, da glitt auf der nun niedergelassenen schmalen Leiter den Stamm der Esche herab eine weiße Gestalt.

Eine Jungfrau war's, schlank, hochragend, stolz.

Sie hob das weiße, von dünnen Fäden matten Goldes durchwirkte langfaltige Wollengewand leicht mit der Linken in die Höhe, wie sie über das stark betaute Waldgras dahinschwebte zu der Tränke der Rehe.

So leise sie auftrat, – die wachsamen Tiere merkten den nahenden Schritt: sie hoben wieder die Köpflein von der rinnenden klaren Flut: aber sie schreckten nicht: die meisten blieben ruhig stehen und begannen aufs neue sich zu tränken: die führende Ricke aber und ihr Kälblein trabten der Kommenden entgegen und suchten schnuppernd nach ihrer offenen Rechten: sie hielt ihnen die Handfläche hin und um die Wette leckten die roten Zünglein das eifrig begehrte Salz, das die Hochragende, das Haupt neigend, ihnen darbot.

Nachdem die Tiere des Gewürzes sich gierig erlabt, – auch die übrigen waren allmählich herangekommen und hatten die Spenderin umdrängt – scholl plötzlich aus der Ferne, von der Flußseite her, der schätternde Warnruf des Tannenhähers, des »schwarzen Markwarts«, der gar scharf der Waldmark wartet und mißtrauisch – zum Ärger des Jägers – jeden Nahenden vorverkündet: gleich darauf hastete der scheue Vogel raschen Flügelschlags über die Lichtung hin in das Dickicht des Urwalds.

Sofort, bei dem ersten Häherruf, setzte sich der ganze Sprung Rehe in Bewegung: mit hohen langgestreckten, weitausgreifenden Sätzen flüchteten sie gen Süden, woher sie gekommen. Leicht flogen die Alten über das gespannte Seil hinweg, die Jungen schossen darunter durch: noch nickten und schwankten die obersten Äste der Haselbüsche und schon waren die Raschen weit hinweg, in dem dunkelnden Tiefholz verschwunden. –

Die Jungfrau erhob das Haupt und blickte scharf aus nach Westen, woher der Warnvogel aufgestiegen war. Zwar stand die Sonne hinter ihr: allein der Wiederschein der Strahlen von den weißen Stämmen der Birken und hellrindigen Buchen war so grell, daß er blendete; sie hob daher die linke Hand über die Augen und spähte unverwandt.

Noch währte es geraume Zeit, bis auf dem schmalen Waldsteig, der von dem Gehöft an dem Flusse hierher führte, zwei Männer sichtbar wurden. Sie mußten hintereinander schreiten; der schmale, durch das Dickicht gehauene Pfad bot nicht Raum für zwei, Schulter an Schulter.

Sowie der Vorderste aus dem Gebüsch auf die Lichtung hervorgetreten war, ließ die Einsame befriedigt die Hand sinken und ging dem Nahenden langsam entgegen.

Nun erschien der zweite auf der Waldwiese: einen Augenblick hielt die Jungfrau inne: sie strich mit der Hand über die weiße Stirne: – sie zögerte, aber gleich darauf schritt sie wieder fürbaß, so ruhig wie zuvor; auf einem moosigen Steine, der aus dem Wasser ragte, stieg sie über den Quell auf dessen linkes Ufer.

Jetzt erst traten aus dem dichten Tannicht noch zwei Gestalten, ein ganz junges Mädchen und ein dritter Mann.

Noch vor dem ersten der Nahenden hatte die Jungfrau die Umschnürung erreicht: sie löste die Knoten an einer jungen Erle: langsam glitten die beiden Enden der weißen Schnur zur Erde, den Eingang freigebend.

 


 


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