Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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II.

So lag denn auch der Hof Brinnos, eines Edelings der Kannenefaten, rings von Urwald und von Ursumpf umgeben.

Nur auf Pfeilschußweite von der im Viereck errichteten »Hofwere« – dem mannshohen Zaun von starken eingerammten und durch zähes Weidengeflecht wagrecht verbundenen Eichenpfählen – hatte man den Wald mit Feuer und Axt niedergelegt.

Zu dem auf allen Seiten hinter jener Lichtung ragenden Wald zogen sich bald zitternde Moorstrecken dahin, bald langgedehnte, flußähnliche Lachen, – sonder sichtbaren Ursprung und Abfluß –: bald glitzerten in den nur spärlich die ungeheueren Wipfelkronen der Eichen, Erlen und Ulmen durchbrechenden Sonnenstrahlen kreisrunde Tümpel von unheimlicher Undurchsichtigkeit des tiefschwarzen Moorwassers, das, völlig regungslos, bis in den Kern der Erde hinabzureichen schien.

An den einsamen Edelhof führte nur ein Zugang aus dem Walde – von Südosten – her: ein durch Steine, auch wohl gelegentlich durch Knüttel und Äste mehr angedeuteter als gefestigter Weg, durch das dichte Gestrüpp des Unterholzes gebrochen, nur notdürftig gesichert gegen den heimtückischen Sumpfgrund durch aufgeschütteten Sand, hier und da durch gestampften Lehm: aber gar oft mußte ein weiter Sprung über bebende – »bibbernde« – Moorheide hin gewagt werden, um wieder festen Boden zu gewinnen.

Nordöstlich, hinter dem Hof, zog sich ein schmaler Arm des Rheines hin. Unzählbare Wasservögel jeder Art, vom hohen Reiher mit königlichem Busch bis herab zum winzigen Moorhuhn, standen und schwammen in dem weit über mannshohen undurchdringbar dichten Schilf, in das ein schmaler Durchlaß für den Nachen geschnitten war. In dem Schlamm der Waldsümpfe lagen die Wildeber in Rudeln, oft aufgescheucht vom stampfenden Wisent, der in der trüben zähen Flut Schutz gegen die Sommerhitze und die Stechmücken suchte; auch des Elchhirsches hohe – wie vorzeitliche – Gestalt reckte wohl die breiten Schaufeln aus dem Röhricht. –

Vom Walde her gelangte man durch den mit Gras bewachsenen Hofraum an die Hauptthüre des Hauses: über ihr prangte oder dräute der mächtige, schwarz-zottige Kopf eines Auerstiers, auf dessen beiden ungeheueren Hörnern goldene, silberne, eherne Armreife aufgereiht waren: – erschlagenen Feinden abgestreifte Beute. Darüber war in den Querbalken der Thüre, weithin sichtbar, die Hausmarke eingeschnitten, ein Streithammer: das einen Fuß lange Zeichen, mit Mennig gefärbt, leuchtete grell rot.

Die Thüre führte unmittelbar in den Hauptraum des Gebäudes, die Halle: auch sie bildete, wie das ganze Gehöft, ein Viereck. An jeder Langseite zog sich eine Stellung von sechs Holzpfeilern hin, die, bunt bemalt, das Dach trugen.

Im Hintergrund, in der Mitte, erhob sich auf Stufen ein Gezimmer, mit geschnitzter Geländerbrüstung, der Hochsitz des Hausherrn: über den stattlichen Holzstuhl war ein mächtig Bärenfell gespreitet, daneben stand rechts und links je eine, ebenfalls mit Fellen bedeckte Bank für die vornehmsten Gäste: ein langer schmaler Tisch, reich mit Trinkhörnern und Bechern besetzt, war vor Stuhl und Bänke gerückt. Unterhalb des Hochsitzes, genau in der Mitte des ganzen Raumes, ragte der Herd, zugleich der Altar des Hauses, aufgeschichtet aus mächtigen Steinplatten. Der Rauch suchte sich durch die Luken des Dachgebälks einen Ausweg: aber er fand ihn nicht immer gleich, wie das tiefe Braun und Grauschwarz des verräucherten Gebälkes bezeugte.

Die zwölf Pfeiler und die Brüstung des Hochsitzes waren reich behangen und geschmückt mit Kriegswaffen und Weidgerät, sowie mit Beutestücken aus Kampf und Jagd.

Ein schwüler Sommerabend dunkelte bereits draußen im dichten Urwald: da waren in der Halle fünf Männer versammelt.

Auf dem Hochsitz ragte ein Riese von erheblich mehr als sechs Schuh. Das breite Haupt, den Stiernacken, umhüllte ihm dicht ganz kurzkrauses Haar von leuchtendem Rot: wie lodernd Feuer war's und prächtig anzuschauen. Ein mächtiger Bart von etwas hellerer Farbe reichte dem Hünen über das ebenfalls rote Wollenwams auf die Brust bis an den zwei Hände breiten, mit Eberhauern und runden Goldplatten reichgezierten Wehrgurt von Büffelleder. An den Gurt schlossen sich Kniehosen von stärkstem Segellinnen aus Hanf, oberhalb der Kniee mit Lederriemen gefestigt.

Das war – bis auf die über den Knöcheln kreuzweise geschnürten Bastschuhe – alle Bekleidung des Hausherrn: die Waden zeigten sich nackt, ebenso die gewaltigen Arme, an denen spiralförmig geschlungene Silberreife prangten. In dem Gürtel stak ein wuchtiger, kurz geschafteter Wurfhammer von schwerem, hartem Syenitstein.

Zur Linken des Riesen saßen zwei Männer, ebenfalls in germanischer Tracht, während der Gast auf der rechten Seite, – ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren – unter dem batavischen Kriegsmantel, den ihm auf der linken Schulter eine schöne etruskische Spange zusammenhielt, die römische Tunika trug.

»Das Mahl ist zu Ende,« – hob der im Hochsitz an. »Nun füllt nochmals den Becher und dann, – dann hört mich an. Reiche das Methorn herum, Sido. Wie? Leer? – Wo steckt mein Brüderlein? He, Brinnobrand, langer, was treibst du?«

Da schritt aus einem Verschlag im Hintergrund hervor ein Jüngling, so wunderschön, daß jedes Auge staunen mußte, das ihn zum erstenmal ersah.

Er war, obzwar etwa fünfzehn Jahre jünger denn der Hausherr, noch fast um eines halben Hauptes Länge größer als dieser, so daß er nahezu sieben Fuß maß. Während der ältere etwa vierzigjährige Bruder kraftgedrungene Formen zeigte, war der jüngere schlank, hoch aufgeschossen, der Edeltanne gleich. Das in langen Wellen leuchtende Gelock und der jugendliche Bart leuchteten in viel hellerem, dem Blond sich näherndem Rot. Das edelgebildete Antlitz war mädchenhaft weiß und wie von Rosafarbe behaucht, blendendweiß glänzten der Nacken und die Arme aus dem hellgrünen Gewand: aber der Ausdruck des blauen Auges – mit den so stark erweiterten Sternen – war seltsam: der Blick schien stets weit in die Ferne gerichtet.

Der Jüngling trug auf der Schulter einen mächtigen, fünf Schuh langen Lederschlauch.

»Was schleppst du daher, Brüderlein?« fragte der Hausherr; mitleidig musterte er den vortretenden.

»Wein! – Für Ihn! – Er trinkt nur Wein: – wie Wodan.« Und er winkte mit den treuherzigen kindlichen Augen dem Gast in der römischen Tunika, schwang mit einem Ruck den wuchtigen Schlauch von der Schulter als wär' er ein Spielzeug, und stellte ihn aufrecht; er wollte nun die Verschnürung oben mit seinem Langmesser durchschneiden, allein der Fremde wehrte schweigend ab. Da legte sich der Jüngling ihm zu Füßen auf den Boden und lehnte das Haupt an des Mannes Kniee.

»Die Knechte,« begann der Hofherr aufs neue, »dürfen nun nicht mehr eintreten und zuhören: – wir bedienen die Hörner selbst. Aber auch nicht horchen dürfen sie an den Thüren.« Er wollte sich erheben, nachzuforschen.

»Bleib! Horchen nicht!« sprach sein Bruder, ohne aufzusehen.

»Ei, der Knecht ist ein Schalk,« warnte der älteste der Gäste mit grauem Haar und friesischem Mantel.

»Können nicht horchen, Ulemer,« schmunzelte der junge Riese.

»Warum nicht, Bruder?« fragte der Hausherr.

»Einer hat sie aneinandergebunden: – Alle zehn! – Mit den Füßen. – Und hat sie draußen auf die Tenne alle nebeneinander hingelegt: den ersten und den letzten angepflockt. Können nicht aufstehen! Sind aber ganz zufrieden: Einer stellte ihnen den vollen Metkrug hin. – Rede nun, Bruder Brinno; Einer will hören. Aber Einer weiß schon, was kommt.« Und er machte die Bewegung des Schlagens, mächtig ausholend mit dem rechten Arm; dann lachte er und streckte die gewaltigen Glieder.

Voll Schmerzes ruhte der Blick des Bruders auf der herrlichen Gestalt: »auch das – auch ihn hat Rom . . . !« grollte er leise. Er atmete tief und begann laut: »Ihr ahnt es wohl, Jagdgefährten, nicht nur um den Bären zu erlegen, hab' ich euch – zum Teil so weit her – in meinen Hof geladen. Es gilt anderem Weidwerk.«

»Der Wölfin gilt's, der reißenden,« rief grimmig der Friese, trank aus dem Wisenthorn und reichte es weiter. »Thu' Bescheid, Sido!«

Der Aufgeforderte war ein schöner Jüngling in Brinnobrands Alter, aber von kürzerem, mehr gedrungenem Wuchs; sein Haar, dunkler als das der anderen Germanen, war gegen den Wirbel hinaufgekämmt und oben zusammengeschnürt in einen auf den Hinterkopf herabfallenden Schopf; sein Wams aus kostbarem dunkelbraunem Otterfell war mit Gold benäht; auch seine Waffen, die an der Wand lehnten, trugen reichere Zier als die der übrigen; neben seinem Schwert hing an dem Pfeiler eine kleine dreieckige Harfe.

»Euch, ihr Friesen und Bataver,« begann Brinno wieder, »brauche ich nicht zu sagen, was ihr, was wir seit drei Menschenaltern für Rom gethan, von Rom erlitten. Aber du, Freund Sido, der du, unseren Gauen fremd, ein Ferngast, zu uns kamst, – du mußt es hören, mußt es daheim erzählen den Deinen. Denn nicht soll man sagen in den Höfen der Markomannen, leichthin, ohne Grund brechen wir hier am rinnenden Rhein Vertrag und Treue. Dir ist des Sanges Gabe verliehen: man rühmt deinen Harfenschlag, Königssohn: wohlan, ein grimmig Haßlied sollst du daheim singen von unsrer Treue und von der Römer Lohn. Und auch du« – hier wandte er sich unmutig zu dem Gast in der Tunika – »ich weiß: du widerstrebst mir noch immer! – auch du sollst, was du zwar genau kennst, beleuchtet sehen vom Blitze meines Zorns vor deinem klugen, aber allzulange grübelnden Auge, Chlogio, Chariovalds Sohn.«

»Meinst du mich?« erwiderte ablehnend der Angeredete, »du weißt doch: ich heiße Claudius Civilis.«

 


 


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