Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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II.

In der Nacht des gleichen Tages lagen an einem der vielen Wachtfeuer der Germanen, die Xanten von allen Seiten umschlossen, drei Männer.

Sie wandten dem Rheine den Rücken zu und blickten wachsam auf die dunkeln schweigenden Massen des hohen senkrechten Walles der Römerfeste, die nur drei Pfeilschüsse weit westlich von ihnen drohend in den Nachthimmel emporragten, phantastisch beleuchtet von dem flackernden Glanz der umgebenden Lagerfeuer, je nachdem der wechselnde Wind deren Flammen stärker anfachte und ihren Schein nach Westen warf, sowie von den dunkelrot brennenden Pechfackeln und eisernen Pechkesseln, welche die Römer in ungleichen Zwischenräumen auf der breiten Krone des Walles angebracht hatten. Während es an den andern Wachtfeuern gar laut und fröhlich zuging, rauhe Lieder erklangen und neckende Scherzworte dabei hin und her flogen, auch wohl gelegentlich ein herzhafter Fluch, eine grimme Schelte auf die halsstarrigen Feinde in ihrer noch immer nicht bezwungenen Lagerfeste da drüben, hielten sich die drei Männer ziemlich still; sogar das Auerhorn kreiste nicht häufig, mit welchem sie aus einer mächtigen mit dem spitzen Ende in den sandigen Boden gegrabenen Amphora dunkelroten Wein schöpften.

Nach längerem Schweigen hub einer der drei Männer an: »Nun, Sido, hast du das Sprechen verlernt wie das Singen und Harfen? Da hängt dein Saitenspiel an deinem Zeltpfahl: stumm wie du selbst!« Der Suebe sprach grollend: »Ist diese götterverhaßte Trutzburg da drüben endlich gefallen, Welo, will ich die Saiten zu Wodans Ehren schlagen!« – »Ei, singe und spiele doch auch jetzt schon,« bat Welo. »Etwa mit Brinnobrand im Wechsel- und Wettgesang. Gern möcht' ich euch beide einmal miteinander wetteifern hören im Lied. Und bedenkt – ich – ich allein habe mit meinen Brukterern diesen kostbaren Wein in der römischen Villa erbeutet und gern hab' ich ihn mit euch geteilt. Wohlan, ich heische Gegengabe von euch. Verstände ich zu singen, ich weigerte nicht mein Lied, bäte mich darum ein guter Gesell.«

»Komm, Rotkopf,« erwiderte der Königssohn, »das lassen wir uns nicht vorhalten. Reiche mir die Harfe! So. Und nun gieb acht!«

Er machte ein paar Griffe und hob an:

»Sage mir, guter Gesell,
Was weißt du Wonniges
Auf der weiten Welt?«

Brinnobrand nahm ihm das Saitenspiel ab und antwortete sofort:

»Wonnig wähn' ich
Den lieben Lenz, den lichten,
Wann er wieder erwacht
Nach des Winters Weh:
Voraus ihm schwingt sich
Schwirrend die Schwalbe! –
Aber ein anderes
Wonniges nun weise
Und deute mir du!«

Sido erwiderte, lebhaft die Saiten schlagend:

»Herrlichres hört' ich nimmer erhallen
Als der Harfe hellen
Sausegesang:
Helden hebet sich höher das Herz,
Klingen die Klänge, die klaren,
Vor der Feinde versammeltem Volk
Bei Beginn der blutigen
Schlacht geschlagen
Aus den silbernen Saiten.
Aber ein anderes
Wonniges nun weise
Und deute mir du!«

Brinnobrand nahm ihm eifrig die Harfe ab und nach einigen sanfteren, mehr feierlichen Accorden begann er mit verhaltener Stimme:

»Selber sollst du, Gesell,
Nun richtig raten – als Rätsel –
Das wonnigste Wunder! –
Was schreitet in schimmernder Schöne?
So schwebet der Schwan
Auf wallender Woge,
Breitbrüstigen Bugs!
So winkt aus wallendenem Westengewölk,
Aus dämmerndem Duft
Stolz und still der strahlende Stern!
So fließet und flutet
Aus hallender Harfe
Weicher wonniger Wohlklang!
So wehet der warme Wind,
Wann es lieblich lenzt
Auf der enteist aufatmenden Erde!
So segnend und sieghaft
Aus Nacht und aus Nebel
Sieht die ersehnte Sonne!
So süß senkt sich
Ins offne Ohr,
Ins horchende Herz
Der Frühlingsvögel
Seliger Sang,
Der Amsel edeles Abendlied! –
Sage, Gesell,
Was scheint dir so schön,
Was wähnst du so wonnig
Daß es dies alles
In sich eint:
Schweben des Schwanes,
Strahlen des Sterns,
Hallen der Harfe,
Der Sonne Sieg
Und der Frühlingsvögel
Seligen Sang?
Nun rate mein Rätsel
Und sag' es, Gesell!«

Stürmisch riß Sido die Harfe an sich und antwortete mit rauschenden Klängen:

»Wonniger weiß ich nichts auf der Welt als das Weib!
Denn es schwebt wie der Schwan
    Sein beschwingter Schritt:
Es strahlt wie der Stern
    Sein blitzender Blick:
Es siegt wie die Sonne
    Sein alledeles Antlitz
Und es hebt mir das Herz
    Wie die hallende Harfe
Und der Frühlingsvögel
Liebeslied.«

Der andere fuhr fort:

»Richtig rietest du
Guter Gesell!
Aber nun nenne mir noch . . .«

Da unterbrach Sido:

»Nein! Du nenne mir nun . . .«

Und jetzt sprachen beide, fortgerissen von glühendem Drang, einer dem andern in die Rede fallend, immer heftiger, immer rascher:

Sido: »Der wonnigen Weiber . . .«
Brinnobrand: »Welches weißt du . . .«
Sido: »Unvergleichbar allen andern . . .«
Brinnobrand: »Das höchste, hehrste, holdeste doch?«
Sido: »Ich weiß es wohl!«
Brinnobrand: »Ich kenn' es klar!«
Sido: »Im Herzen heg' ich . . .«
Brinnobrand: »Und berg' ich ihr Bild.«
Sido: »Aber den Namen? Nein!«
Brinnobrand: »In schämiger Scheu . . .«
Sido: »Vor dem weihvollen Weibe . . .«

Und nun schlossen beide:

»Nein den Namen nenne ich nicht.«

Hoch aufatmend hielten sie inne: ihre Wangen glühten, ihre Augen glänzten.

Welo nickte: »das hat mir gut gefallen. Nur allzu gut von beiden! Jetzt weiß ich wieder nicht, was mit der zweiten Amphora, die in meinem Zelte liegt, beginnen. Ich hatte mir vorgenommen, sie dem Sieger zu schenken: – aber ihr seid einander gewachsen.«

»Nicht doch,« sprach der Königssohn. »In der Kraft der Liebe und des Armes weiche ich dem Roten da nicht. Aber im Liede hat er mich – diesmal! – geschlagen. Ich gönn' ihm von Herzen den Ruhm und den Wein: und schenk' ihm – hier – die Harfe dazu, auf der er mich schlug.«

Und er reichte ihm die Harfe hin.

 


 


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