Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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IV.

»Du kannst es nicht leugnen, Civilis,« begann Ulemer der Friese, »wir alle leiden seit lange schweres Unrecht von Rom.«

»Deshalb,« entgegnete dieser, »haben wir, nach Beschluß des letzten Alldings, Gesandte an den Imperator geschickt – darunter meinen Bruder – uns zu beklagen. Brinno hat uns viel geschadet durch unvorsichtige Worte, durch Drohungen. Man bezweifelt am Tiber unsere Treue, man besorgt einen Aufstand, man –«

»Man hat ein schlechtes Gewissen!« warf Brinnobrand plötzlich dazwischen mit einem Blick schärfster Einsicht. »Ganz wie Lucretia beim Festmahl! Als ich sie – nach dem Feuertrunk – rasch ansah . . . sie konnte es nicht aushalten.«

»Wie klug er sprechen, denken kann! Nicht?« meinte Brinno und strich mit der Hand über das Gelock des Bruders, der herangetreten war, ihm das Horn vollzuschenken.

»Und deshalb,« rief Ulemer Civilis zu »hast du sogar deinen eigenen älteren Knaben als Geisel nach Rom geschickt – freiwillig!« – »Sehr edel und sehr thöricht,« schalt Brinno. – »Nicht thöricht. Denn ich werde Rom die Treue halten.« – »Immer?« – »Ja immer! Bis Rom – merke wohl, nicht ein Römer, – Rom uns die Treue bricht und die Verträge.« – »Sie sind aber schon gebrochen!« rief Brinno. »Von schlechten Beamten Roms, nicht von Rom! Deshalb ja habe ich – mit meinem Bruder – all' unsere Beschwerden zusammengestellt – viele Rollen hab' ich vollgeschrieben – und sie zusammen mit der Urschrift unserer alten Verträge nach Rom gesandt. Sobald man dort meine Worte gelesen, wird man uns zu unserem Rechte verhelfen.«

»Ich wünschte,« grollte Brinno, »man verwürfe deine Klagen ungelesen. Dann kommen wir doch los von Rom.«

»Und dann, kurzblickender Held, und dann?« sprach Civilis verweisend. »Schau' doch um dich! Blicke doch über den Rhein, auf unsere Vettern da drüben! »Barbaren« nennt der Römer sie mit Recht. Und dann schau' auf uns! Wenn unsere Hallen nicht mehr rohe Bretterhütten, unsere Gefäße nicht mehr aus handgekneteter Erde, unsere Mäntel nicht mehr Wolfsfelle, unsere Waffen nicht mehr weidengeflochtene Schilde und im Feuer gehärtete Stangen sind, wenn unsere Edelinge in der Sprache Roms schreiben . . .«

»Und denken!« unterbrach Brinno, »Ja, leider! Ich aber verwünsche Marmorhalle und goldgriffig Schwert und Falerner. Schaue du um dich hier in dieser Halle: ist's hier nicht wohnlich? Und kein Stück römischer Arbeit siehst du! Denn das sind die Künste, mit welchen sie die Gallier zu dem gemacht haben, was sie sind. Freilich nicht mehr Barbaren! Aber noch viel weniger Römer: ein Gemisch von beiden, von gallischer Eitelkeit und römischer Üppigkeit, aber nicht von römischer Kraft und Zucht. Sollen auch wir ein solch' ekler Brei werden, weder echte Germanen noch echte Römer? Haben sich nicht auch in unser Volk schon eingefressen, wie römische Künste, so römische Ränke? Deine eigene Sippe . . . doch ich schweige! Ich will dich nicht betrüben.«

»Verachte mir die Gallier nicht zu sehr, Brinno,« warnte Ulemer. »Gar volkreich sind ihre weiten Lande. Und feige – wahrlich – sind sie auch nicht! Viel können sie uns helfen, stehen sie zu uns. Sie sollen Großes planen.«

»Ja,« lächelte Civilis, »aber sie reden zu viel und zu laut davon, um es zu schaffen. Nein, Ulemer! Von allem, was Brinno gesagt, wiegt am schwersten, was er über die Gallier gesagt hat. Aber gerade dies Geschick – die Knechtung durch Verrömerung – das sollen ja die Verträge von uns abwehren, die heilig beschworenen. – Brinno hat recht: besser bleiben wie die Überrheiner als werden wie die Gallier: die schlechten Nachahmer und zugleich die Sklaven Roms. Gallien aber, o Freund Ulemer, wird nie mehr den Galliern gehören.«

»Was soll daraus werden?«

»Römisch wird es! Oder, wenn die Landnot, der wachsende Mangel an Ackerboden, die Unsrigen über den Rhein drängt, vielleicht einmal germanisch. Wenn wirklich jemals Rom uns unterjochen wollte wie diese Gallier, dann . . .« Er stockte.

»Nun, was dann?« drängte Brinno.

»Dann, bei Arminius, der jetzt aus Walhall auf uns niederschaut!« – sein graues Auge loderte – »dann sollte Rom an mir einen Feind erleben, wie es keinen mehr bekämpft seit jenem Hannibal und eben seit Armin! Aber was ereifre ich mich! Mein Ohm, mein Vater, der Bruder und ich: – das Werk unseres Lebens haben wir gebaut auf Rom und eher fließt der Rhein zu Berg, als daß Rom das Vertrauen täuscht. Bald sind unsere Gesandten zurück und . . .«

Da erscholl von draußen her wüster Lärm.

Man vernahm in der Halle vom Walde her auf der mit Knütteln belegten Straße den Hufschlag mehrerer eilend nahender Rosse. Hier und da klirrte eine Waffe. Jetzt hörte man deutlich rufen – in der Mundart der Bataver –: »Hilfe! Zu Hilfe, Brinno! Hilfe, Brinnobrand!«

Wirt und Gäste ergriffen die an die Wand gelehnten Speere oder rissen die Kurzschwerter aus den Wehrgehängen und stürmten aus der Halle durch den Vorderhof ins Freie hinaus.

Da sahen sie zunächst an dem etwas erhöhten Saum des Waldes zwei römische Reiter auftauchen: – afrikanische Bogenschützen waren's aus Numidien: sie stutzten und hielten die Gäule an, wie sie die Überzahl gewaffneter Männer aus dem Gehöft ihnen entgegeneilen sahen: doch bevor sie Kehrt machten und im Walde verschwanden, schossen sie noch ihre langen Bogen von den Hörnern der Antilope ab auf einen vor ihnen fliehenden Reiter, der in dem niedriger liegenden Vorland jetzt erst in den Gesichtskreis der Helfer trat: der Flüchtling trachtete offenbar, mit letzter Anstrengung seines keuchenden Tieres den Hofzaun zu erreichen.

Beide Schüsse trafen.

Roß und Reiter stürzten wenige Schritte vor dem Thor: je einer der armslangen Rohrpfeile hatte das Pferd durch die Mähne in den Hals, den Reiter zwischen die Schultern getroffen. Die Männer sprangen hinzu und zogen den Wunden unter dem heftig umherschlagenden Hengst hervor.

»Katwald! Wie? Du! Von Römern verfolgt?« fragte Civilis.

»Wer ist es?« forschte der Markomanne.

»Seines Bruders Schildträger,« erwiderte Brinno, während er, von Brinnobrand unterstützt, den Wankenden langsam in den Hof führte.

»Was ist mit meinem Bruder? Meinem Sohn?«

»Tot sind sie beide!« stöhnte der Verwundete. »Dein Bruder hingerichtet, dein Knabe – weh!«

»Bei allen Göttern!« rief Civilis. »Was ist mit Childerich?«

»Er hat sich selbst getötet, scheußlicher Gewalt zu entgehen.«

Da schrie der Vater laut auf, fuhr mit beiden Händen in sein ergrauend Haar und stürzte besinnungslos nieder auf das Antlitz.

 


 


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