Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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XXI.

Mehrere Wochen später stand zu Rom in dem »goldenen Hause«, dem von Nero auf der nach Südwest gewendeten Höhe des Esquilin erbauten Palast in dem marmorgetäfelten Schreibgemach ein hagerer Mann von etwa sechzig Jahren, in vornehmem Gewand, vor einem mit zahlreichen Briefen und Urkunden bedeckten länglichen Tisch von Citrusholz, die Rollen sichtend und ordnend. Starkknochig und muskelkräftig war die Gestalt des noch nicht Greisenhaften und höher als die Römer im Durchschnitt gewachsen, nur der ausdrucksvolle Kopf trug sehr ausgeprägt die römische Eigenart. Kurz von dem runden Schädel – den nur spärlich noch die grauen Haare bedeckten – sprang mächtig vor die hochgewölbte Stirn: die Augen lagen tief in dem Kopf geborgen unter starken langgezogenen Brauen; aus den magern Wangen traten die Backenknochen hervor; die starke, vorspringende Nase, das kräftig gebildete Kinn, der ausdrucksvolle Mund bekundeten Festigkeit: aber die schmalen, meist hart, ja wie mit Anstrengung aufeinander gedrückten Lippen deuteten gleichwie auf vorsichtigste, altgewohnte Zucht und Selbstbeherrschung, so auch auf Herbe, wohl auch auf strenge Härte: – freilich durchaus nicht nur gegen andere; mit tief-ernster Miene nahm er jetzt eine lange Rolle auf und las. An dem offenen, in den Hof des Palastes blickenden, von Säulen getragenen Fenster, stand ein junger Mann von etwa dreißig Jahren, von auffallender Schönheit des Antlitzes und der Gestalt, in reichgeschmückter Kleidung; in kleinkrausen Locken schmiegte sich das hellbraune Haar um den edel gewölbten Kopf; in anmutiger Haltung stützte er leicht den rechten Arm auf die Schulter eines Jünglings von noch nicht zwanzig Jahren, dessen bleiche Züge einen solcher Jugend widerstreitenden Ausdruck widernatürlich verfrühten Ernstes, ja bitteren Schmerzes trugen; die tiefschwarzen Augen schienen nur Düsteres, nur Unheil in der Welt zu sehen; hinter dieser stolzen bedeutenden Stirn wohnte kein heiterer Gedanke mehr; dabei war aber die Haltung des jungen Adeligen durchaus nicht schlaff, sondern vornehm, bestimmt, in sich geschlossen.

»Erkennst du nun, Cornelius, mein Liebling,« begann der ältere der beiden mit wohllautender Stimme leise, um durch das Gespräch den Lesenden an dem Tische nicht zu stören, mit weicher Hand über das kurzgeschorene schwarze Haar des andern streichend, »daß du wieder einmal für dies dir wie mir gleich teure Römerreich Schrecknisse gesehen ohne jeden Grund? Schon glaubtest du den bösen Anschlag gelungen, Zwietracht zu säen zwischen dem besten der Väter . . .«

»Und dem besten der Söhne.«

»Schon glaubtest du, das cäsarische Mißtrauen werde mir Legionen und Kriegsflotten entgegensenden, vielleicht gar Henker! Du sahst mich schon gefangen und – besten Falls! – verbannt von der Gnade des Vaters auf irgend ein ödes Felseneiland. Und siehe da, es genügte, daß ich, sobald ich nur ein dunkles Gerücht vernahm, mein sieghaft Heer, und meine Siege selbst, die verrückten Juden und« – hier dämpfte er noch mehr die Stimme – »sogar Berenike – ohne Abschied! – verließ, hierher flog, allein, waffenlos und plötzlich mich in des Vaters Arme warf mit dem Rufe: »Vater, hier bin ich, dein Empörer!«

»Ja, diesmal gelang es dir, und dem edlen Mut deines Herzens. Aber meine Furcht war nicht grundlos.«

»Wer aber, wer war der heimtückische, niederträchtige Verleumder, der mir des Vaters Herz und den Thron entreißen wollte? Hast du keine Ahnung, Cornelius? Immer stumm, allzu schweigsamer Tacitus?«

Der bleiche Jüngling erwiderte nichts: er wies mit dem Finger in den Hof hinab: »Wer ist der böse Bube, der da unten mit seinem spitzen Schreibgriffel ahnungslose Fliegen spießt, die sich an der Wand sonnen?« Der andere beugte sich vor und sah hinab. »Ei, das ist Domitian, mein Bruder.« – »Die Fliegen thaten ihm doch nichts zuleide. – So wenig wie du.« – »Und dennoch haßt er mich, du hast recht. Aber ich will und werde und muß seine Liebe gewinnen. Ich will nicht ablassen mit überströmender Herzenswärme, bis dieses Eis geschmolzen.« Diese Worte, in edler Erregung lauter als die vorhergehenden gesprochen, wurden von dem Alten verstanden; seufzend legte er den Papyrus nieder und trat zu den beiden heran: »Von Domitian – ohne Zweifel! – reden sie, von meiner schwersten Sorge,« sprach er zu sich selbst. Dann begann er laut: »Wie gerne seh' ich, Cornelius, dich mit meinem Titus vertraute Freundschaft pflegen. Ihr ergänzt euch wie Tag und Nacht, könnt einer von dem andern lernen und gewinnen. Des Titus allzu vertrausamer, fröhlich leichter Sinn, der überall nur Sonnenschein erblickt, blind für die Schatten, von des so viel Jüngeren wundersamem Ernst. Und du, Sohn meines armen Freundes, du könntest, du solltest den freudigen Glanz seines Wesens durchleuchten, aufhellen lassen das bei deinen Jahren befremdliche, fast krankhafte Düster deiner Gedanken.«

»Befremdlich, mein hoher Imperator?« erwiderte der Jüngling. »Und du selbst nanntest soeben meinen Vater deinen armen Freund. Du siehst die Trauergewänder, die ich trage! Vom Urgroßvater her all' meine Ahnen haben unschuldig gelitten unter deinen Vorgängern. Tiberius und Claudius: – das will sagen: Messalina, – und Cajus, den sie Caligula nennen, Nero und Otho, sie alle haben meiner Vorfahren Blut vergossen oder deren Güter geraubt. Und Vitellius hat mir nun den Vater gemordet und mich zum Bettler gemacht: du, Gütiger, hast den Sohn des Jugendfreundes gerettet.« – »Ja, daß man euch mißtraute, ist begreiflich; ihr galtet von je für ein unzufrieden Haus. Auch du, mein Lieber, schwärmst, ich weiß es, für den Freistaat.« – »Nein, Imperator. Wohl ist der Freistaat der Verfassungen beste, doch seit dem vergötterten Julius schon giebt es keine Römer mehr, würdig und fähig, eines Freistaats Träger zu sein. Einen Einherrscher müssen sie haben, einen guten oder einen bösen. Aber die bösen sind häufiger.« – »Das wollen die Götter verhüten!« rief Titus lebhaft. – »Die Götter? O mein Freund, ich fürchte, sie denken unser bloß, um uns zu strafen. Und sie strafen Rom, Italien, das Reich unablässig seit dem Tode des Augustus. Oder – wahrer gesagt! – seit dem Tode der Scipionen. Es geht zu Ende: die Geschicke des Reiches drängen zum Abgrund.«

»Noch nicht,« meinte Vespasianus lächelnd, »noch lange nicht. Was meinst du, mein Sohn, zu diesen Ahnungen?«

»Du wirst sie widerlegen, Vater.« – »Und noch glänzender du, mein Liebling,« sprach dieser, die Hand des Sohnes fassend. »Hältst du auch diesen Titus da für einen Bösewicht, du Cassandra Roms in Jünglingsgestalt?« – »Fern sei das Omen,« rief Titus erschrocken. »Cassandra behielt Recht.« Der Jüngling aber sprach: »Titus? Er wird, er ist schon die Liebe und Wonne des Menschengeschlechts. Aber ist er unsterblich? Mir träumte jüngst . . .« er erschauerte. »Nun was?« fragten Vater und Sohn, »Titus war tot und sein Nachfolger ward – nicht ein Sohn.« – »Ich verstehe,« sprach Vespasianus. – »Soll ein Römer freudig in die Zukunft schauen, wenn auf Einen Augustus soviele Scheusale folgen? Wir wurden alt, so mein' ich manchmal: das Blut der Wölfin hält nicht mehr vor. Andere junge Völker blühen auf: Parther, Daken, Germanen!«

»Verstumme, Unheilsunke!« rief Titus lebhaft. »Diese halbnackten Barbaren! Vater, er bat, ich solle sein Gesuch unterstützen, die mit dem Kapitol halbverbrannten Staatsarchive einsehen zu dürfen, die noch geretteten ehernen Tafeln, und die alten Urkunden im Palatium; – aber nein! Wenn dieser junge Freund der Geschichte – mehr als Recht und Weltweisheit zieht sie ihn an! – aus unserer Vergangenheit so schwarze Bilder unserer Zukunft gewinnt, – so muß man ihm das Vergangene verbergen.«

»Du glaubst also selbst,« erwiderte Tacitus, »genau durchforscht führt es zu meinen Schlüssen?«

Bevor Titus erwidern konnte, trat Domitianus in das Gemach, mit übertriebener Unterwürfigkeit vor dem Vater sich beugend, mit übertriebener Herzlichkeit die beiden Freunde begrüßend. Im gleichen Alter wie Tacitus war er zwar dem strahlenden Bruder unähnlich, doch ebenfalls schön von Antlitz und Gestalt: aber die ungekünstelte Bescheidenheit der Haltung, die gemachte Sanftheit der Rede und der falsche Blick der kurzsichtigen Augen erweckten alsbald Mißtrauen gegen diese unheimliche Liebenswürdigkeit.

»Mein Herr und Gebieter,« begann er, »vergönne, daß, als dein Thürsklave, Domitian dir meldet: draußen harret in verschlossener Sänfte ein Mann, den du zu dieser Stunde hierher befohlen. Er sollte auf den Straßen nicht gesehen werden. Er schickt dir das Zeichen, daß er der Rechte: deinen eigenen Ring. Hier! Ich weilte – zufällig – im Hof und nahm ihn in Empfang.«

»Das heißt,« sprach der Vater bitter, »du hast durch den von dir bestochenen Ostiarius erfahren, daß jemand im geheimen zu mir bestellt sei und mischest nun Neugier und Lüge. Du konntest beides sparen. Es handelt sich um den Mann, den ich nach Gallien schicken will.« Er trat an das Fenster und winkte den zahlreich unten versammelten Sklaven; sofort ward eine verschlossene Sänfte durch den Vorhof in einen innern Raum getragen.

Über Domitians unruhige Züge flammte fliegende Hitze. »Nach Gallien?« rief er. »Oh Imperator! Ich hatte gehofft! . . . Sieh, mein Bruder durfte mit dir über die Juden triumphieren. Ich hatte geglaubt, – nach Gallien, mit irgend einem Legaten, der die plumpe Arbeit thut, – würdest du mich senden, auch mir die Ehren des Triumphes . . .« Aber unwillig fiel ihm Vespasian ins Wort: »Eitler Knabe! Dort gilt's keinen Prinzensieg! Dort gilt es einen Kampf, schwerer, als dein heldenhafter Bruder ihn gegen die tollwütigen Juden geführt hat. Hielte mich nicht in Rom die Sorge für das ganze, – für das im tiefsten Grund erschütterte Reich, nur hier kann ich von Britannien bis Parthien, vom Rhein bis zum Atlas schauen, von dem Kapitol aus, das ich mit frommen Händen wieder aus dem Brandschutt hebe – ich müßte selbst nach Gallien, diese Germanen niederzuschmettern. Da ich hier bleiben muß, schicke ich . . .«

»Wen?« fragte Domitianus gierig. Auch die beiden Freunde sahen gespannt auf den Kaiser.

»Meinen am raschesten fertigen Feldherrn.« – »Cerialis!« riefen alle drei aus einem Munde. – »Den Frechen?« warnte Domitian. »Mir ist, er trachtet selber nach dem Purpur.« – »Cerialis?« wiederholte Tacitus. »Ach, um Gallien! Weh euch, ihr Männer dort!« – »Und noch mehr weh euern Weibern!« lächelte Titus. »Blut und Gold allein sättigen den Verderber Afrikas nicht. Seine Mordgier, seine Habsucht, seine Schlemmerei sind Lämmlein gegen das Ungeheuer seiner Wollust.«

Vespasian furchte die Stirn: »Gallier und Bataver haben die Vernichtung verdient. Ich schicke ihnen den Vernichter.«

»Gut,« sprach Tacitus, »strafe sie, vernichte sie, oh Imperator. Barbaren sind's und Rom darf sie vernichten; denn uns haben nun einmal die Götter die Erde geschenkt: es giebt kein Recht wider Rom. Aber daß du, großer, gerechter, edler Vespasian ein solches Werkzeug brauchen mußt: – das, siehst du, beweist mein Wort von den zum Abgrund rollenden Geschicken des Reiches.« – »Du bist ein kranker Träumer, Tacitus,« grollte der Kaiser; auf einen Wink verließen nun alle drei das Gemach.

In der Säulenhalle vor dem Schreibgemach stießen sie auf eine Menge von Bittstellern, Fragenden, Rechtsuchenden. Die beiden Brüder wurden ehrfurchtsvoll begrüßt, aber während man vor dem so viel jüngern Domitian furchtsam, stumm zur Seite wich, drängte sich alles an Titus heran: man suchte seine Hände zu fassen, man küßte den Saum seiner Toga: lächelnd, mit herzgewinnender Freundlichkeit ließ er es geschehen. Von vielen Seiten ward ihm zugerufen: »Heil dir, du Liebling der Götter!«

Domitianus warf einen stechenden Blick auf den Bruder; hämisch sprach er zu Tacitus: »Diesen Ruf, diesen Namen sollte der holde Dickkopf nicht dulden.« – »Weshalb nicht? Er wird mit Recht so genannt!« – »So? Dann mag er sich vorsehen,« schloß Domitian tückisch. »Es ist ein böses Omen. Wen die Götter lieben, den rufen sie früh zu sich.«

 


 


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