Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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XII.

Nicht lange blieb sie allein.

Gar bald rauschte der Vorhang zwischen den gelben Säulen des Eingangs: – Sabinus kehrte eilfertig zurück. Er warf noch einen Blick rückwärts in die Vorhalle, dann stürmte er auf Claudia zu und drückte einen leidenschaftlichen Kuß auf ihre Lippen.

Er kam sobald nicht los.

Denn das bisher ganz regungslose Weib erhob nun die beiden vollen Arme, schloß die Hände über seinem Nacken zusammen und hielt ihn so lange, lang umfangen.

»Findest du nicht,« sprach sie mit einem verschleierten Blick, als er sich endlich losgemacht hatte, »dieser stumme Gebrauch deiner Lippen war weiser als all' die vielen Worte, die sie vorhin sprachen?«

»Süßer gewiß. Aber . . .« – »Auch weiser. Meine Küsse bringen dir nicht Gefahr.« – »Wer weiß? – Gutruat . . .« – »Fürchtest du ihn?« – Sabinus fuhr auf: »Ein gallischer Ritter und fürchten!«

»Ja, sei ganz unbesorgt. Er – »Seine Aufgeblasenheit!« – diesen Titel hab' ich mir für ihn ausgesonnen in einer schlaflosen Nacht . . . hält es nicht für möglich, daß man einen Sterblichen oder auch einen Gott dem großen Gutruates von Andematunum vorziehen könnte. Und wenn er je argwöhnisch würde . . .« – »Mein Schwert . . .« rief Sabinus. – »Oh behüte! Keinen Lärm dabei!« Sie lächelte: aber der Buhle fand dies Lächeln unheimlich.

»Ich wußte wohl, du kommst mir zurück,« fuhr sie fort. »Jedoch die sanfte Epponina: – wie entrannst du ihr?« – »Höhne sie nicht!« mahnte er. »Sie ist besser, als wir beide zusammen.« – »Nun, das will nicht gerade viel sagen. Und sie wird ja auch den Lohn für ihre Tugenden finden – nach dem Tod – in jenem Himmel, an welchen der alte Jude zu Athen sie vor mehreren Jahren glauben gelehrt hat.«

»Er war kein Jude, er war ein Christianer. – Auch über den spotte mir nicht! Noch keines Menschen Rede hat mich wie dieses Mannes Wort erschüttert.« – »Zum Glück hielt es nicht lange vor.« – »Ach nein! Ich bin zu leichten Geblütes, zu genußdurstig.« – »Wohl mir! – Denn »Seine Aufgeblasenheit« zum Gemahl und einen traurigen Christianer zum Freunde: – vereisen könnte man dabei. – Aber auch diese deine gallische Staatskunst . . .!« Sie warf schmollend die Lippen auf.

»Ich sah es wohl: du bist nicht für die Sache.« – »Nein! Wahrlich nicht!« – »Warum? Wird es dich nicht beglücken, deinen Freund als Imperator Galliens zu sehn?« – »Durchaus nicht! Denn ich werde den Imperator seltener sehn. Und wird unter dem Diadem ein Kuß süßer?« – »Claudia! Denkst du denn nichts als . . .?« – »Liebe. Ich bin ein Weib.« – »Das schönste in der Welt!« – »Wenigstens in Gallien, sagt man. Also! Genuß schlürfen, soviel das karge Leben, die ach! so kurze Jugendzeit vergönnt: – alles andre ist Thorheit. Denn« – sie zögerte – »denn nach dem Tode gähnt das Nichts! Verwesung – Vernichtung! – Gräßlich!« Sie schauderte zusammen.

»Wie? Und die Seelenwanderung? Deines Gatten heiligste Geheimlehre?« – »Wird Unglaubliches glaublicher, weil ein Schwachkopf daran glaubt?« – »Du solltest ihn nicht schelten,« sprach Sabinus, unangenehm berührt. »Es fällt mir schwer, ihn betrügen. Dürft' ich ihn zum Zweikampf um dich rufen! Wärst du doch seine Witwe! – Noch aber ist er dein Ehgemahl . . . !«

»Warum ist er's?« rief sie, sich plötzlich aufrichtend auf dem Ellbogen, und die schwarzen Augen funkelten gar böse, wie die einer zornigen Schlange. »Weil er mich als zwölfjähriges Kind meinem Vormund abgekauft hat. Nicht aus Liebe, oder doch nur aus Wohlgefallen an meinem knospenden Reiz. O nein! Mein Großvater konnte er ja sein. Nein! Weil eines seiner einfältigen Orakel verkündet hatte: »wer die Tochter des Luctorix umarmt, der wird ganz Gallien beherrschen!«

»Meine Claudia! Und dies Wort – erst jetzt –?«

Unwillig den Kopf schüttelnd, unterbrach sie: »Aber mein Vater hatte zwei Töchter hinterlassen!«

»Lucretia und dich, beide gleich schön!«

»Aber ich bin drittehalb Jahre jünger!« berichtigte sie, rasch einschaltend. »Doch nicht auf Schönheit des Leibes, nicht auf Wert der Seele kam es ihm an: nur auf jenen Spruch! Der Zufall entschied – vergieb, die Götter! Oder noch richtiger: die Hühner!«

»Wie das?«

»Nun, vor unsern Augen ließen sie die dummen Gackertiere den von uns Schwestern hingestreuten Weizen aufpicken: – von meinem fraßen die verfluchten Bestien zuerst und ich ward des alten Druiden Weib. Soll ich ihn lieben?«

»Nein, mich!« rief er hitzig. »Denn ich – ich fühl' es! – bin berufen ganz Gallien zu beherrschen! Aber warum hör' ich heute zum erstenmal . . . – warum teiltest du mir jenes Orakel nicht längst schon mit?«

»Es war nicht nötig. Ich gefiel dir auch ohne das. Und sollte ich dir verkünden, was deine Eitelkeit . . . Nicht? Nun sagen wir: deinen Ehrgeiz oder deine Vaterlandsliebe – 's ist all' dasselbe! – noch früher in diese Empörung getrieben hätte? Nun bist du doch einmal darin,« – seufzte sie – »nun magst du auch um jenes Wort wissen.« – »Du verbürgst mir den Sieg!« – »Durchaus nicht! Und wenn auch! – Dieser Handel wird dich viel von mir fern halten. Und das,« – sie sprach es langsam, eindringlich, wie warnend – »das ist – vielleicht – nicht klug von dir gethan.« Sie schwieg nachdenklich: die dunkeln Augen blickten an ihm vorüber, wie suchend in die Zukunft.

Er bemerkte das nicht: seine Gedanken waren ganz von dem Orakel erfüllt. »Ah,« rief er, »du willst es ja doch! Du willst mich glänzen, herrschen sehen.« – »Gar nicht. Ich sagt' es doch schon! Ich will nur eins.« – »Und das ist?« – »Fühlen, daß ich dich unwiderstehlich berausche,« flüsterte sie heiß. »Das will ich. Gar nichts sonst. – Zudem,« schloß sie langsam, »zudem glaub' ich nicht an Orakel und Götterzeichen.«

»Wie? Auch nicht an die heiligen Hühner?«

Claudia lachte, daß die weißen Zähne glänzten: »An die?« – »Ja freilich! Sie werden doch eifrig fressen, meinen Sieg zu verkünden?« – »Wenn du's durchaus haben willst, werden sie fressen. Aber ich warne nochmals. Du wirst die Krone nicht gewinnen. Und Claudia wirst du darüber verlieren.«

»Warum nicht siegen?«

»Ihr seid diesen Römern nicht gewachsen.«

»Ich! Selbst ein Römer! Cäsars Blut!«

»Und hättet ihr die Legionen wirklich aus dem Lande gedrängt, – meint ihr, die Germanen werden es euch lassen?« – »Diese Barbaren!« – »Sind sehr stark. – Auch schön sind sie. – Meine Schwester« – sie sprach wieder nachdenklich – »hatte ganz recht« – »Worin! was meinst du?« – »Jener junge Bataver – er war schön wie ein Apoll: – aber nicht wie der Gutruats! – Wie einer von Marmor, den ich einst in Rom gesehen!« Sie schloß die Augen, die Erinnerung in sich schlürfend.

»Weißt du, was Tutor von jenem Abenteuer sagte? »Schade, daß der Barbar lieber verrückt als verliebt wurde!« Aber rede: wie meintest du das mit den heiligen Hühnern? Du sprachst so zuversichtlich: »sie werden fressen.«

»Sie werden!« erwiderte Claudia, gelangweilt.

»Woher kannst du das wissen? Du, die nicht an Vorzeichen glaubt . . .« – »Wie soll ich an Vorzeichen glauben, wenn ich sie mache?« – »Claudia! Die Hühner des Gottes . . . Kannst du sie zwingen?« – »Nein! Aber meine Hühner. – Höre! Sieben ganz weiße Hennen hat Gott Grannus: ebenmäßig werden sie gefüttert, Tag aus Tag ein, so daß nur des Gottes Wille besonderen Hunger oder besondere Ablehnung des Futters bewirken kann – nicht? Richtig! Nun hat aber Claudia – zufällig! – auch sieben Hennen: auch – zufällig! – ganz weiße. Sie sind verborgen an einem Ort, wohin sich der Fuß des Gottähnlichen nie verirrt. Naht nun der Tag der Befragung heran – ich weiß ihn ja immer lange voraus! – und will ich ein günstig Vorzeichen, laß ich meine lieben Tierlein hungern, daß sie verzweifeln möchten; andernfalls laß ich sie mit Gewalt stopfen von einem jungen Tempelsklaven, dem Wächter der gottseligen Hühner, der mir viel heißer ergeben ist als dem Gott – und dessen Oberpriester. Er vertauscht das heilige Federvieh mit dem meinen und, soll es gut gehn, frißt es alsbald, daß allen Frommen Galliens das Herz im Leibe lacht. Einmal hat sich eine solche befiederte Prophetissa dabei zu Tode prophezeit – das heißt: gefressen! – Du siehst, dein Sieg – oder wenigstens dessen Weissagung! – liegt in dieser Hand.« Sie reichte ihm die wohlgepflegten, weißen, weichen Finger. Er starrte mit leisem Grauen auf das Weib. »Claudia,« stammelte er, »du bist . . .«

»Unheimlich? Nicht wahr?« lächelte sie.

»Ja, aber meine Schicksalsgöttin!« Er beugte sich nieder und küßte ihre Hand.

»Gut, daß du's einsiehst. Vergiß es nie! – Aber horch! – Hörst du die ehernen Becken dröhnen? Gutruates ruft sein Haus zum Nachtgebet: dabei darf ich nicht fehlen. Geh. Ich werde für dich beten. Und – für den Magen meiner Hühner.«

 


 


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