Felix Dahn
Die Bataver
Felix Dahn

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IX.

Alsbald war die Hochebene von Langres weithin von römischen Kriegern bedeckt: um die Festungsstadt dehnten sich von allen Seiten ihre Zelte. Cerialis scheute jedoch eine langwierige Belagerung, zumal seine Absicht, hier Sabinus und die Hauptmacht der Gallier zu treffen und zu vernichten, nicht erreicht werden konnte. –

Jener hatte den größten Teil seiner Truppen, viele Tausende, – freilich meist ungeschulte, frisch ausgehobene oder freiwillig hinzugeströmte Haufen – in das Land der Sequaner gegen Besançon geführt, diese für den Abfall von dem Kaisertum Gallien zu strafen und zur Unterwerfung zurückzuzwingen. Tutor war mit einer andern Schar gen Norden gezogen, zu Classicus, der, wie es hieß, die Vereinigung mit Civilis anstrebte.

So lag denn Cerialis viel daran, hier bald fertig zu werden, um ebenfalls dem neuen, dem germanischen Kriegsschauplatz sich zuwenden zu können. Einen Stoß in die Luft wollte er aber doch nicht mit diesem Zug auf Langres gemacht haben: er versuchte, ohne Belagerung hier einen Erfolg zu erzielen. Er verlangte eine Unterredung mit den einflußreichsten Häuptern der Stadt. Das war jetzt – nach Entfernung jener beiden Ritter – vor allem der Oberdruide und dessen adlige Verwandtschaft. Gutruat schmeichelte es, dem Römer gegenüber seine Stadt zu vertreten: gern ging er auf den Vorschlag ein und lud den Feldherrn auf den folgenden Mittag zu einer Unterredung vor dem Ostthor der Stadt. Nur beunruhigte es ihn, wie seine Gattin, des Sabinus eifrige Freundin, den Gedanken einer Verständigung mit dem Feind aufnehmen werde.

Zu seinem Erstaunen verharrte sie bei seiner Eröffnung ganz in ihrer unerschütterlichen Ruhe. Sie zuckte die Achseln und schwieg. Angenehm enttäuscht sprach der Priester salbungsvoll: »deine Zustimmung ist mir und den Göttern wohlgefällig.«

»Zustimmung?« fragte sie gedehnt. – »Eine Verständigung kann auch Sabinus frommen.« – »Mir sehr gleichgültig. Er ist fort. Wer weiß, ob er, wann er, wie er wiederkommt.« Mit großen Augen, erfreut, sah Gutruat auf seine Gattin. »Ei,« sprach er zu sich selbst, »ich that ihr doch Unrecht in meinen Gedanken. Neulich bei dem Bacchantinnentanz – Tutor hatte mich längst geneckt – wollte mir scheinen . . . aber nein! Wie könnte sie auch auf der Höhe an meiner Seite eines andern denken.« – »Und für uns,« sprach er laut, »ist es besser, das Äußerste nicht kommen zu lassen. Werden wir gefangen, . . . –«

»So wird mir nicht viel Hartes geschehen,« erwiderte sie lächelnd. »Nur euch, und zwar von Rechts wegen. Ich warnte vor der ganzen Thorheit. Ihr müßt zerrieben werden wie Thon zwischen Stein und Stahl. Ihr seid weder so stark wie die Germanen noch so klug wie die Römer: dich immer ausgenommen, gottgleicher Gemahl.«

Am andern Mittag stand auf dem Walle neben dem Ostthor, lange bevor Gutruat und seine Begleiter durch dasselbe schritten, Claudia in ihrer allerkleidsamsten Gewandung, derselben, die sie an dem Bacchantinnenabend getragen; nur Boadicéa, eine junge Sklavin, begleitete sie. Merksam, mit scharfem Auge blickte sie herunter auf die Ebene vor dem Thor, auf welcher jetzt der Römerfeldherr und dessen waffenglänzendes Gefolg anritten: wie kraftvoll drückte Cerialis den mächtigen Rappen unter den starken Schenkeln zusammen! – Nun sprangen sie von den Rossen.

Cerialis erspähte da oben ein Frauengewand: wie ein Pfeil schoß sofort sein Blick empor: »bei Eros und Anteros!« rief er zu ihr hinauf, »du bist eine Göttin! Oder Lucretias Schwester; aber tausendmal schöner! Grüße bring' ich dir von Lucretia!«

Ohne ein Wort – aber erst nach einem flammenden Blick – trat Claudia zur Seite hinter den Turm neben dem Thore. »Das ist ein Mann. Endlich!« flüsterte sie tief atmend vor sich hin.

Alsbald ward unten der eine Thorflügel vorsichtig geöffnet: Gutruat in goldstrotzendem Festgewand, umgeben von vielen seiner Priester, und eine Anzahl der Edeln und Ritter der Lingonen schritten heraus auf den freien Platz.

Nach kurzer Begrüßung hob Cerialis an; er sprach kraftvoll, aber ruhig, aus stolzer Überzeugung, nicht zweifelnd am Erfolg jedes seiner Worte, die Augen im Bewußtsein sieghafter Überlegenheit in die Seelen seiner Hörer senkend; nur manchmal flog ein Blick nach oben auf die Wallkrone, von der jene weiße üppige Gestalt, die sich keineswegs ganz hinter dem Turme barg, vielleicht nicht bergen wollte, herableuchtete.

»Ihr edeln Männer von Andematunum,« hob er klangvoll an, »der Schönrednerei habe ich mich nie beflissen: mit den Waffen drückt der Römer seine Gedanken aus. Da aber bei euch das Wort am meisten gilt, nicht die Sache, will ich auch ein paar Worte sagen, die viel notwendiger euch zu hören als mir zu sprechen sind.

Wir sind dereinst nach Gallien gekommen, nicht, um für uns etwas zu suchen, vielmehr angerufen von euren Ahnen, die sich untereinander zerfleischt hatten, bis die einen wider die andern die Germanen über den Rhein zu Hilfe gerufen hatten. Diese waren gar eilfertig gekommen und hatten Freund wie Feind unterjocht. Nun flehtet ihr, wir sollten euch befreien. Wir thaten euch die Liebe, befreiten euch, trieben fast alle Germanen aus dem Land und besetzten den Rhein; nicht wahrlich, um unser unangreifbares Italien zu schützen, nein, auf daß nicht euch ein zweiter Ariovist unterjoche. Ihr aber, was thut ihr heute? Glaubt ihr, Bataver und Überrheiner meinen es heute besser mit euch als weiland Ariovist mit euren Vorfahren?

Immer und immer wieder werden die Germanen über den Rhein in euer Land herein drängen: nicht bloß aus Rauflust, aus Raublust, aus Wanderlust: nein, aus ihren Sümpfen und Waldwüsten wird es sie stets nach diesem so viel bessern Boden ziehen, unter diese mildere Sonne. Jetzt hetzen sie euch zum Kampfe gegen uns. Das schöne Wort »Freiheit« schützen sie dabei vor: – wie von jeher alle gethan, die andere knechten wollten. Gewaltherrschaft und Parteien haben Gallien so lange zerrissen, bis wir Ordnung schufen. Wollt ihr Ordnung haben, müßt ihr Waffendienst leisten und Steuern zahlen: mehr verlangen wir nicht von euch. Wollt ihr sie lieber dem Imperator, der fern am Tiberstrom gebeut, leisten, oder dem Germanen, dem Raufbold, dem Saufbold in der Wolfschur, der sich euch in Garten und Haus, in Keller und Bett legt? Wählt zwischen Rom und den Barbaren! Denn wahrlich, ihr habt keine dritte Wahl. Ihr seid zu geistreich, euch zu vertragen, zu fein, euch selbst zu schützen. Beim Jupiter! Gallien wird germanisch oder es bleibt römisch. Dabei behaltet ihr aber an Freiheit soviel – und mehr! – als ihr irgend vertragen könnt, Bürger von Andematunum, Bundesgenossen, Freunde! Öffnet eure Thore und kehrt zur Freiheit unter dem Schild der Legionen zurück. Wo nicht, so schwöre ich euch beim Genius Vespasians: – nicht ein Stein bleibt auf dem andern im ehemaligen Andematunum. Wählt!« –

Trotz des derben Hohnes, trotz der kaum verhüllten Geringschätzung machten diese Worte starken Eindruck: denn ihre Wahrheit, so bitter sie mundete, war schwer zu bestreiten. Nach kurzer Beratung mit den Seinen erbat sich Gutruat Bedenkzeit.

»Wie viele Stunden?« fragte Cerialis. – »Tage!« erwiderten die Gallier. Sie müßten an Sabinus Boten schicken und dessen Meinung hören.

»Sehr überflüssig. Aber wohlan!« – Er überlegte: eine Belagerung konnte Wochen erheischen. »Wie viele Tage?« – »Sechs.« – »Nicht drei! Zwei Tage gönne ich euch. Für zwei Tage habt ihr von mir nichts zu befürchten.«

Daraufhin ward Waffenstillstand auf zwei Tage versprochen und bei den Göttern Roms und Galliens feierlich beschworen.

 


 


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