Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundvierzigstes Kapitel

Es war gegen Mitte August und die Regenzeit vorüber. Shirani legte Gummimäntel und Regenschirme beiseite und sah sich wieder nach Vergnügungen im Freien um.

Zu den neuen Ankömmlingen in der ewig wechselnden Gesellschaft des Ortes gehörte auch Hauptmann Bevis, ein Mann, der überall, wohin er kam, die Rolle des Hechtes im Karpfenteiche spielte und in der Veranstaltung von Festen, Wettrennen, Picknicks und so weiter unermüdlich war. Und diesmal hatte er sich vorgenommen, etwas ganz Besonderes »loszulassen«. Es sollte eine Landpartie werden, aber keine der kleinen, exklusiven Familienpartieen, sondern ein großer Massenausflug nach dem Innern des Landes. Bevis hatte von der verlassenen Station Hawal-Ghât gehört, war, kurz entschlossen, hinübergeritten, hatte das Terrain in Augenschein genommen und kam auf den Flügeln der Begeisterung zurück.

Sein Ausspruch lautete: »Ein köstlicher Ort, den jedermann sehen muß!« Zu diesem Zwecke war es das beste, eine »Hawal-Ghât-Woche« zu veranstalten, und Hauptmann Bevis nahm die Sache mit der gewöhnlichen Energie in die Hand. Noch eine andre Sommerstation wurde zur Teilnahme an dem Unternehmen aufgefordert; man versandte nach allen Orten und Enden Einladungen zu Festspielen aller Art, verabredete Lawn-Tennis- und Tanzpartieen, ernannte Patronatsdamen für die Tanzabende, genug, man traf alle erdenklichen Veranstaltungen, das vergessene, tote Hawal-Ghât zu neuem Leben zu erwecken.

Mehrere der Unternehmer begaben sich hinüber nach dem Ort. Eine ganze Armee von Kulis wurde beschäftigt, die leerstehenden Häuser zu säubern, das Unkraut zu vertilgen, und die noch vorhandenen Gärten in Ordnung zu bringen, dann verloste man die Wohnungen. Bald bedeckten zahlreiche mit Hausgerät beladene Karren den Weg zwischen Shirani und Hawal-Ghât, und bei dem freudigen Eifer, den die eingeborene Dienerschaft allem entgegenbringt, was wie eine Tamasha (eine Lustbarkeit) aussieht, reifte der weitschichtige Plan überraschend schnell seiner Vollendung entgegen.

Ida Langrishe verzichtete als kluge Frau, die sie war, sich durch Subskription an dem Unternehmen zu beteiligen. Sie hatte nur die Absicht, zwei Tage als Gast in Hawal-Ghât zu verweilen, und Lalla sollte der Hut ihrer Freundin Dashwood anvertraut werden. Frau Sladen begleitete selbstverständlich die gute Mama Brande, und ihr, deren Gastfreundschaft allgemein bekannt war, wurde das alte geräumige Kommandanturgebäude zugeteilt, das in einem großen, verwilderten Garten mit ausgedehnter Pfirsichplantage stand. Dies Haus, sowie ein oder zwei andere Bangalos waren übrigens in den letzten zwanzig Jahren, zum großen Verdruß der »persischen Dame«, ein paarmal auf wenige Monate an Familien vermietet gewesen, die hier nichts suchten als Ruhe und gute frische Bergluft und auch sonst nicht viel fanden.

Mama Brande mit ihrem Gefolge kam um einen ganzen Tag früher an, als die übrige Gesellschaft, und fand zu ihrem Erstaunen die Wege ausgebessert, Laternenpfähle aufgerichtet, Petroleumlampen aufgehängt und die alte Estrade für die Musik wieder hergestellt. Diener und Aufwärter waren mit dem ankommenden Hausgerät beschäftigt, klopften Teppiche, sonnten Betten, schlugen Pflöcke für die Ponies ein, Reitknechte und Kulis eilten geschäftig hin und her, und dazwischen galoppierten Sahibs auf und ab, um einige letzte Anordnungen zu treffen, genug, die Uhr der Zeit schien sich für Hawal-Ghât um vierzig Jahre zurückgedreht zu haben.

Mark Jervis beobachtete diese Veränderungen mit sehr geteilten Gefühlen, und auch die »persische Dame« sah die Gruppen lustiger Menschen mit einem Gemisch von Freude und Angst herbeiziehen.

Es war in einer schönen, milden Mondnacht, wie die erste Hälfte des Septembers sie in dieser Gegend so häufig bringt. Die neuen Ankömmlinge hatten einen Ball in dem alten Klubhause veranstaltet, und Mark beobachtete von einem der umliegenden Hügel herab die Scene: die großen Feuer, die erleuchteten Bangalos, die hin und her eilenden Menschen, lauschte den zu ihm heraufschallenden Stimmen, dem Wiehern der Ponies und den fernen Tönen der Musik. War das wirklich Hawal-Ghât, das öde, verlassene Kantonnement, das er so manche Nacht in gespenstigem Schweigen hatte liegen sehen?

Der Tanz hatte begonnen. Durch die offene Thüre konnte man ins Innere des in den heitersten Farben dekorierten Saales sehen, die Musik spielte muntere Lanciers und Polkas, und mehr als hundert geputzte Menschen drehten sich im Kreise, während die Schakale und Hyänen, die gewohnt waren, dort ihre Versammlungen abzuhalten, den Ort unruhig umschweiften. Dann strömten die Tänzer hinaus ins Freie, um sich in der balsamischen Abendluft zu ergehen und zu erfrischen.

Mark erkannte mehrere Personen, darunter auch Honor, die, weiß gekleidet, mit einem jungen Manne auf und ab spazierte, der sie lebhaft gestikulierend unterhielt, ohne zu bemerken, daß sie ihm kaum zuhörte, sondern, was der ungesehene Beobachter deutlich wahrzunehmen vermochte, mit hoch erhobenem Kopfe zerstreut vor sich hin blickte. Da war ferner Lalla Paske von einem wohlbeleibten Manne, natürlich Sir Gloster, begleitet, auf den sie in eifriger Unterhaltung einsprach. Da waren ferner –

Hier bemerkte er plötzlich, daß er nicht der einzige Zuschauer der sich da unten abspielenden Scene war. Gerade unter ihm stand eine Gestalt, die er in ihrer Unbeweglichkeit für einen Baumstumpf gehalten hatte. Jetzt regte sie sich, und er erkannte die »persische Dame«, die mit gierigen Augen auf den unter ihnen liegenden Platz hinabblickte. Auch er machte jetzt eine leichte Bewegung, worauf sie sich hastig umdrehte und dann zu ihm hinaufstieg. Sie standen jetzt auf dem Fuße guter Bekannten zu einander, trafen sich wöchentlich ein- oder zweimal bei den Aussätzigen oder begegneten sich in der Nähe von Hawal-Ghât. Mark hatte nie den Versuch gemacht, in die geheimnisvolle Behausung der Fremden einzudringen, hatte ihr aber oft Blumen, Früchte und Feldhühner geschickt, und sie hatte ihm dafür in noch nie dagewesener Weise ihre Freundschaft geschenkt.

»Gefällt Ihnen das Fest da unten?« fragte er, nachdem sie ihn erreicht hatte. »Der Anblick muß Ihnen ja etwas ganz Neues sein. Sicherlich haben Sie noch nie ein englisches Tanzvergnügen mit angesehen.«

Sie blickte ihn eine Weile wie fragend an; dann sagte sie: »O, doch, aber nur im Traum. Es mag wohl tausend Jahre her sein, daß ich im Traume so etwas sah.«

Mark gab keine Antwort. Die Reden der Perserin waren oft so dunkel. Vielleicht glaubte sie an die Seelenwanderung und spielte auf eine frühere Existenz an.

Nach einigen Minuten begann sie von neuem zu sprechen.

»Aber heute ist für mich ein Glückstag!« flüsterte sie Mark zu. »Sie, das junge Mädchen, ist bei der Gesellschaft. Ich habe sie gesehen, da unten!«

»Ich weiß es,« gab er ebenfalls mit halber Stimme zurück.

»Na, dann, warum suchen Sie das junge, schöne Wesen nicht auf?«

Mark schüttelte nur verneinend mit dem Kopfe.

»Wenn Sie nicht ein Herz von Stein haben, so werde ich hinuntergehen und sie hier heraufholen!« rief die Perserin leidenschaftlich. »Aber nein, nein!« fuhr sie, das Gesicht mit den Händen verhüllend, fort, »nein, ich wage es ja nicht.«

»Unterstützen Sie mein eigenes wahnsinniges Verlangen nicht noch durch Ihr Zureden!« rief Mark. »Zwischen ihr und mir ist alles vorbei. Ihr noch einmal zu begegnen und dann aufs neue zu scheiden, wäre eine nutzlose Qual.«

»Ach, diese Musik, diese Musik!« murmelte die Perserin, die Hände ringend, als von unten herauf ein neuer Walzer ertönte. »Musik thut mir immer so weh und dreht mir, obgleich ich sie liebe, das Herz in der Brust um; denn sie erinnert mich –« Sie war unfähig, den Satz zu vollenden. Ihre Lippen zuckten, ihre großen, dunkeln Augen füllten sich mit Thränen, und sie brach in lautes, verzweifeltes Schluchzen aus.

Dieser wilde Schmerzensausbruch drang bis zu den Ohren eines glücklichen Paares, das seinen Spaziergang etwas weiter ausgedehnt hatte und jetzt unmittelbar unter dem Platze stand, von dem aus die beiden Menschen wie zwei ruhelose Geister auf den Schauplatz heiteren Lebensgenusses hinabschauten.

»Hörten Sie nichts?« fragte die junge Dame unten ihren Begleiter. »Es war mir, als hörte ich gerade über uns eine menschliche Stimme, etwas wie das herzzerreißende Schluchzen einer Frau. Horchen Sie – da ist's wieder!«

»Ich höre nichts. Wenn Sie etwas gehört haben, so war's gewiß das Winseln einer Hyäne,« entgegnete der junge Mann. »Ich gebe Ihnen mein Wort, es war nur eine Hyäne!«


 << zurück weiter >>