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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Der Ausflug ins Innere des Landes dauerte zehn Tage, und das Ehepaar Brande kehrte erfrischt und erheitert nach Shirani zurück. Der Theetisch auf der Veranda stand bei ihrer Ankunft gedeckt, die Dienerschaft zu ihrem Empfange bereit, und selbst das bisher verschmähte Hündchen begrüßte, frisch gewaschen und mit einer neuen blauen Schleife geschmückt, vom Arme der Aja herab die Herrin. In Haus, Garten und Hühnerhof war alles in bester Ordnung, so daß sogar das scharfe Auge der Hausfrau keinen Fehler zu entdecken vermochte, und bald stellten sich auch Freunde und Bekannte ein, um die Familie zu bewillkommnen. Zuerst erschien Frau Sladen, der Frau Paul in ihrem Rickshaw und Fräulein Valpy auf einem hübschen braunen Pony folgten.

»Wir kommen, um zu hören, was es Neues gibt,« sagte letztere, nachdem sie sich zu einer Tasse Thee und einem delikaten kleinen, heißen Kuchen verholfen hatte.

»Von uns wollen Sie Neuigkeiten hören? Wo sollten wir sie herhaben? Erzählen Sie uns lieber, was hier in Shirani während unsrer Abwesenheit vorgegangen ist,« versetzte Mama Brande, die ihre frühere Lebendigkeit wiedergefunden hatte.

»Gegenwärtig sehen wir mit gespannter Erwartung dem von unsern jungen Herren geplanten Balle entgegen, wozu auch von auswärts eine Menge Gäste kommen.«

»Darunter hoffentlich recht viele junge Herren und flotte Tänzer,« bemerkte Brande, welcher der einzige Mann in der Gesellschaft war.

»Und wissen Sie sonst nichts Neues?« fragte seine unersättliche Ehehälfte weiter.

»Man sagt, daß sich Hauptmann Waring in Simla mit Fräulein Potter verlobt habe. Macht Ihnen diese Nachricht keine Herzschmerzen, Honor?«

»Ja, es thut mir leid um Fräulein Potter,« lautete die ohne Zögern gegebene Antwort.

Onkel Pels Augenglas richtete sich voll Aufmerksamkeit auf seine Nichte.

»Ferner ist Sir Gloster zurückgekehrt,« fuhr Fräulein Valpy fort.

Jetzt gab auch Tante Sara Zeichen gesteigerter Teilnahme.

»Er ist auf den Gletschern gewesen und schneeblind geworden.«

»Es ist mir, als wäre er noch gar nicht so lange fort,« bemerkte Frau Brande.

»Er reiste gleich nach dem Hungerpicknick,« sagte Honor.

»Und er hat sich wieder in Shirani niedergelassen?« fragte die alte Dame weiter.

»Ja, Frau Langrishe hat ihn in ihr Haus genommen.«

»Frau Langrishe? Na, die hat sich ja noch nie mit so etwas befaßt!« rief Frau Brande. »Und außerdem hat sie ja gar keinen Platz.«

»O, den hat sie geschafft. Sie hat Sir Gloster ins Ankleidezimmer des Majors einquartiert und diesen ins Klubhaus geschickt.«

»Na, da hört doch alles auf!« rief die alte Dame mit halb erstickter Stimme.

»Da haben Sie die Macht des guten Beispiels, das Sie selbst geben!« rief die Erzählerin lachend.

»Die Macht des guten Beispiels? Man sagte da wohl besser, die Macht von Rang, Stand und Reichtum! Aber wie geht es Mark Jervis? Haben Sie nichts von ihm gesehen und gehört?«

»O, ja! Er ist heute mit zwei von den roten Husaren zu einer Schnitzeljagd ausgeritten, wird sich aber sicherlich bald einstellen, um Ihnen guten Tag zu sagen,« versetzte Milly Sladen. »Er ist in das Ballkomitee gewählt und entwickelt dabei große Energie. Sehen Sie, da kommt er schon,« setzte die Sprecherin hinzu, als Jervis in diesem Augenblicke mit noch zwei andern jungen Männern in kurzem Galopp herankam.

»Willkommen daheim!« rief er absteigend. »Nein, danke, hineinkommen will ich nicht. Wir sind durch dick und dünn geritten und sind naß und schmutzig.«

»Ach, es ist ja nur die Veranda, kommen Sie immer herauf!« rief Mama Brande in ihrer herzlichen Weise.

»Nun, obgleich man sich in schmutzigen Stiefeln noch unbedeutender vorkommt, als sonst, so sei es darum!« versetzte Jervis, indem er seinem Reitknecht die Zügel zuwarf und die Stufen hinaufstieg.

»Wie hat Ihnen das Land gefallen?« fragte er, sich zu Honor wendend, nachdem er mit dem Herrn und der Herrin des Hauses begrüßende Worte gewechselt hatte.

»Es war eine köstliche Reise.«

»Und hatten Sie diesmal keine Abenteuer zu bestehen, Frau Brande? Gab es keine gefährlichen Büffel?«

»Nein, Gott sei Dank, daß diesmal keine solche Gefahr drohte; denn ich habe noch immer diese Feiglinge von Jampanis im Dienst.«

»Auch Sie, Fräulein Gordon, hatten keine Abenteuer zu bestehen?«

Honor errötete tief und murmelte einige unverständliche Worte, während sie in der Zerstreuung die Theemütze über die Zuckerschale stülpte. Er erinnerte sich später dieses Versehens und verstand nun seine Bedeutung.

»Hier, mein Freund Scrope würde Ihnen sehr dankbar sein für eine Tasse Thee,« fuhr er dann, den Gesprächsgegenstand wechselnd, fort, indem er den Hauptmann auf die breiten Schultern schlug.

»Hat irgend jemand etwas von dem armen Sir Gloster gesehen?« mischte sich hier Fräulein Valpy mit ihrer klaren lauten Stimme ins Gespräch. »Es muß sehr langweilig sein, so den ganzen Tag mit verbundenen Augen zu sitzen.«

»Ich habe ihn gestern besucht und fand ihn heiter und guten Mutes. Er kam mir gar nicht so gelangweilt vor, als Sie sich ihn vorstellen,« entgegnete Scrope.

»Nicht? Nun, Fräulein Paske ist ja eine sehr angenehme kleine Person und hat eine reizende Stimme,« bemerkte Miß Valpy mit einem satirischen Zusammenziehen der Lippen. »Aber sagen Sie, sieht Sir Gloster, mit seinen Pausbacken und der Binde um die Augen, nicht wie eine höchst possierliche Nachahmung des Liebesgottes aus?«

»Das weiß ich nicht, kenne diese Persönlichkeit nicht, glaube überhaupt nicht an ihr Dasein. Wie steht's in dieser Hinsicht mit Ihnen, Jervis?«

»Ich bin zwar kein solcher Ungläubiger, wie Sie, Scrope, kann mich aber auch nicht besinnen, die Ehre dieser Bekanntschaft je gehabt zu haben.«

»Nicht?« versetzte Fräulein Valpy mit einem bedeutungsvollen Seitenblicke. »Na, dann werden Sie jedenfalls nicht mehr lange warten dürfen.« Und in ihren Gedanken setzte sie hinzu: »Was für schöne, ernste Augen er hat, natürlich aber nur für Honor Gordon.«

Fräulein Valpys scharfe Augen und spitze Zunge waren in ganz Shirani bekannt, und so ließ Jervis einen Blick voll kühlster Höflichkeit über sie hinstreifen, als er in gleichgültigstem Tone zur Antwort gab: »Wahrscheinlich haben Sie recht; denn das Sprichwort sagt: Wer warten kann ... und so weiter.«

»Und wie geht es Holdchen, unserm Liebling?« fragte der Hausherr, indem er sich an Hauptmann Scrope wandte. »Ich schmachte förmlich nach Nachrichten über das kleine, liebe Geschöpf.«

»Holdchen fährt fort, sich allen Menschen angenehm zu machen,« lautete die Antwort. »Ihr letzter Geniestreich war, daß sie Frau Turner fragte, wo sie ihr andres Gesicht hätte, denn Frau Glover habe doch gesagt, sie hätte zwei. Wahrhaftig, wenn eine Kollekte gemacht würde, um Holdchen heimzuschicken, ich wäre bereit, mich, trotz meiner Armut, mit einem ansehnlichen Betrage zu beteiligen.«

»Da wir von Kollekten reden, so möchte ich Ihnen mitteilen, daß unsre Sammlung für die arme Witwe und ihre Kinder den besten Fortgang nimmt,« berichtete Frau Paul. »Wir haben schon fast zweitausend Rupien beisammen. Den größten Beitrag leistete ein unbekannter Wohlthäter in Shirani, der anonym fünfzig Rupien in Banknoten einsandte.«

»Warum vermuten Sie denn einen Wohlthäter, könnte es nicht auch eine Wohlthäterin sein?« fragte Fräulein Valpy kampflustig.

»Die Handschrift der Adresse war eine ganz männliche,« entgegnete Frau Paul.

»Und Sie haben niemand in Verdacht, haben keine Ahnung, wer der Geber sein könnte?« fragte Brande.

»Ich habe schon an Sir Gloster gedacht.«

»O, da kann ich versichern, daß Sie im Irrtum sind,« fiel Fräulein Valpy ein. »Das einzige an ihm, was nicht groß ist, ist sein Herz. Viel eher könnte es jemand von den hier Anwesenden sein,« setzte sie hinzu, indem sie ihre lachenden Augen von dem Hausherrn zu Honor, von Honor zu Hauptmann Scrope und von diesem zu Mark schweifen ließ.

Die Augen des letzteren begegneten den ihrigen nicht; er hatte sich zu »Jacko«, dem ehemaligen Freunde Bens, der jetzt Rookwood oft mit seiner Gegenwart beehrte, niedergebeugt, und alles, was sie im Augenblicke von ihm sah, war ein Kopf voll hübsch geschnittenen braunen Haars. Gleich darauf richtete er sich indessen auf, und sein ihren Augen geflissentlich ausweichender Blick verriet die unstreitbarste Verlegenheit.

»Herr Jervis ist der Schuldige!« sagte Fräulein Valpy im Tone ruhiger Ueberzeugung.

Die Behauptung erregte ein kaum unterdrücktes Lächeln im Kreise der Anwesenden. Daß Mark, der allgemein als Warings »armer Verwandter« bekannt war, der großmütige Geber sein sollte, klang wirklich zu komisch. Nein, diesmal hatte Fräulein Valpy, deren Schüsse sonst oft ins Schwarze trafen, weit gefehlt.

Die Unterhaltung wandte sich nun dem bevorstehenden Balle zu, dessen Arrangement in allen Einzelheiten durchgenommen und besprochen wurde.

»Ich sage Ihnen im voraus, daß ich alle Ihre Sofas und Lehnstühle brauchen werde, auch über Ihre große neue Lampe habe ich bereits Verfügung getroffen!« rief Mark dem Ehepaar Brande zu.

Frau Brande strahlte; sie mochte es gern, wenn man sich etwas von ihr borgte. Sie hätte Mark ihr bestes Atlaskleid und ihren stattlichsten Federhut geborgt, wenn sie ihm hätten von Nutzen sein können.

Endlich nahmen die Besucher, wie gewöhnlich, alle gleichzeitig Abschied.

Als Jervis Fräulein Valpy auf ihr Pony hob, ihren Fuß sorgfältig im Bügel befestigte und ihr die Zügel in die Hand gab, begegneten sich ihre Augen.

»Ich danke Ihnen,« sagte die junge Dame einfach; in ihren Gedanken aber setzte sie hinzu: »Zwei deiner Geheimnisse kenne ich nun, mein guter Junge!«


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