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Fünfunddreißigstes Kapitel

»Holla, Mark, sind Sie wieder da?« rief Clarence Waring und streckte dem Reisegefährten beide Hände entgegen. »Ich bin auch erst heute morgen wieder eingetroffen, komme direkt von Simla. Aber was haben Sie denn? Sie sehen ja miserabel aus!«

»Davon sprechen wir später. Jetzt sagen Sie mir nur erst, wie es Ihnen geht und gegangen ist.«

»Na, nach dem Grundsatze, daß man das Gute bis zuletzt aufheben soll, mag diese Reihenfolge die richtige sein; denn mir ist's schlecht genug ergangen!« rief Waring, indem er den Hut abnahm und sich niedersetzte. »Sie wissen wohl, daß unser Geheimnis jetzt ein öffentliches ist! Der kleine Binks, der schwatzhafte Esel, hat es in ganz Simla herumgebracht. Was hat sich, frage ich, dieser Mensch in unsre Privatangelegenheiten zu mischen?«

»Ich wundere mich nur, daß es nicht schon früher herauskommen ist,« gab Mark zur Antwort.

»Wenn ich's recht bedenke, wundere ich mich eigentlich auch,« sagte der Hauptmann. »Sie waren bei Ihrem Vater, nicht wahr?«

»Ja, ziemlich vierzehn Tage.«

»Und wie fanden Sie ihn?«

»Leider in ziemlich schlechter Verfassung, sehr alt geworden, krank und einsam.«

»Aber doch umgeben von Säcken voll Gold und Edelsteinen. Ich hoffe, Sie haben einen kleinen Vorrat davon in den Taschen mitgebracht?« versetzte Clarence vergnügt.

»Mein Vater verfügt nur über eine Leibrente. Das ganze Vermögen ist, wie auch recht und billig, an die Familie Cardozo zurückgefallen.«

»Na, Sie haben an dem Vermögen Ihres Oheims auch genug,« entgegnete Waring leichthin. »Apropos, ich habe die letzte Strecke Wegs auf Ihrem braunen Pony zurückgelegt und fürchtete schon, ich hätte es zu Schanden geritten; denn die Hitze war groß und ich hatte Eile.«

»Was trieb Sie denn zur Eile? Ist etwa Fräulein Potter hierher zurückgekehrt?«

»Ich wollte, Fräulein Potter wäre, wo der Pfeffer wächst,« lautete die unwirsche Antwort. »Nein, ich beeilte mich, hierher zu kommen, weil ich Sie bitten muß, mir aus der Not zu helfen. Ich bin in einer ganz nichtswürdigen Geldklemme.«

»Hoffentlich reichen die fünfhundert Pfund, die ich zu erheben habe, um Ihre Angelegenheiten zu ordnen?«

»Du lieber Himmel, dazu reichen Hunderte nicht hin, dazu brauche ich Tausende!«

Mark richtete sich aus seiner bis dahin nachlässigen Stellung auf.

»Erklären Sie mir das,« sagte er kurz.

»Ja, was ist da zu erklären? Die alten Kumpane und die alten Plätze waren zu verführerisch. Ich konnte nicht widerstehen und habe im Spiel viel Geld verloren. Einmal standen dreitausend Pfund auf einer Karte. Das ist doch noch der Mühe wert, und so was allein nenne ich Leben. Vierundzwanzig Stunden in Simla sind mir lieber als zehn Jahre in Shirani.«

»Und doch sind Sie wieder nach Shirani zurückgekehrt?«

»Ja, aber nur, um mir aus der Patsche helfen zu lassen,« lautete die offenherzige Antwort.

»Thut mir herzlich leid, lieber Clarence; aber ich bin nicht in der Lage, Ihnen zu dienen. Außer den fünfhundert Pfund, mit denen wir unsre Angelegenheiten hier zu ordnen haben, kann ich Ihnen nichts bieten. Ich habe einen Haufen Rechnungen auf dem Tische vorgefunden.«

»Ach, was schert mich der Bettel hier!« entgegnete Waring mit einer verächtlichen Handbewegung nach dem von Rechnungen bedeckten Tische hin. »Im Augenblicke handelt es sich um ganz andre Dinge. Ich sitze diesmal in einer ganz verwünschten Geschichte, aus der Sie mir durchaus heraushelfen müssen.«

»Das kann ich nicht.«

»Sie müssen!« rief Waring, sich so heftig im Stuhle zurückwerfend, daß dies ehrwürdige alte Möbel in allen Fugen krachte.

»Von müssen kann hier überhaupt keine Rede sein,« versetzte der andre ruhig. »Sie sind mir als Berater und Führer hieher mitgegeben worden, und ich habe, seitdem wir das Land betraten, fast nichts zu thun gehabt, als Sie aus Verlegenheiten zu befreien.«

»Das ist ganz richtig, mein weiser, tugendhafter Daniel! Aber ich schwöre Ihnen, daß ich mich, wenn Sie mir aus der jetzigen, schlimmsten Klemme helfen, nie wieder in solche Gefahr stürzen werde. Stellen Sie mir meine Anweisung auf die Kasse Ihres Onkels aus, telegraphieren Sie ihm, daß er seinen Agenten Ordre gibt, uns das Geld sofort zu zahlen, und ich bin gerettet und verpflichte mich hoch und heilig, nie wieder eine Karte anzurühren.«

»Und was dann weiter?«

»Dann belohnen wir den alten Herrn, indem wir ihm eine Freude machen, unsre Sachen zusammenpacken und mit dem nächsten Dampfer nach England zurückkehren. Um Sie sobald als möglich wieder zu haben, würde er ja gern Tausende opfern; denn Sie sind nun einmal sein Augapfel. Indien bekommt mir nicht, ich meine moralisch, und so ist's am besten, mein lieber Junge, wir verkaufen unsre Gewehre und unsre Ponies und gehen auf und davon. Auch für Sie hat das Land seine Gefahren, und je früher Sie H. G. Lebewohl sagen, je besser wird es sein! Was sagen Sie zu meinem Programm?«

»Zuerst habe ich dazu zu bemerken, daß meine Flinten nicht zu verkaufen sind, und ebensowenig meine Ponies, mit einziger Ausnahme etwa des braunen mit den weißen Füßen.«

»Wie, was? Sie wollen doch nicht drei Ponies mit übers Wasser nehmen? Und was wollen Sie drüben in England zum Beispiel mit der Elefantenflinte anfangen?«

»Ich brauche sie vielleicht noch hier, denn ich gehe nicht nach England!«

Der Hauptmann richtete sich mit einem Ruck gerade in die Höhe.

»Reden Sie doch keinen Unsinn,« rief er heftig.

»Es ist kein Unsinn, ich spreche in vollem Ernst. Ich habe die Absicht, bei meinem Vater zu bleiben; es ist das einzig Rechte und Richtige für mich. Er steht allein in der Welt, und sein Kopf ist schwach.«

»Das scheint mir bei seinem Sohne auch der Fall zu sein!« rief Waring und warf seine Cigarre auf die Veranda hinaus. »Halten Sie ihm einen oder zwei Wärter, schaffen Sie eine Drehorgel, oder was er sonst zur Bequemlichkeit oder Unterhaltung braucht, für ihn an; aber machen Sie sich nicht selbst zum Narren. Kehren Sie mit nach England zurück. Denken Sie an Onkel Dan.«

»Ich weiß, daß Onkel Dan mich verstoßen wird; er hat es mir für den Fall, daß ich hier bei meinem Vater bleibe, im voraus angedroht.«

»Sie sind aber nicht der Meinung, daß er Sie dann auch enterben könnte?«

»Gewiß bin ich der Meinung.«

»Ich glaube, Fräulein Gordon hat mit Ihrer verrückten Idee, hier zu bleiben, ebensoviel zu thun, wie Ihr Vater!« rief Clarence dunkelrot vor Erregung. »Was das Mädchen anbetrifft, so müssen Sie sich selbstverständlich losmachen, wir alle sind einmal in solcher Lage gewesen; aber den Onkel und sein Geld werden Sie sich doch um Gottes willen nicht entwischen lassen; Sie, der einzige Mensch, für den er den Beutel zieht.«

»Ich habe ihm bereits geschrieben und ihm meinen Entschluß mitgeteilt.«

»Und ist der Brief schon zur Post?«

Mark nickte.

»Demnach haben Sie Ihre Schiffe hinter sich verbrannt!« rief Waring zornig.

»Ja.«

»Sie waren toll genug, sich mit sechsundzwanzig Jahren lebendig zu begraben, alles aufzugeben ...«

»Was ich aufgebe, weiß ich am besten,« fiel Mark ungeduldig ein. »Ich gehe morgen früh nach Hawal-Ghât zurück, und es hat keinen Zweck, weiter darüber zu reden. Ich bin hier, um meine Angelegenheiten abzuwickeln und meine Diener, mit Ausnahme Mahomeds und seines Sohnes, die mich begleiten werden, abzulohnen. Cardozo bleibt bei meinem Vater, bis ich zurückkomme, was morgen geschehen wird; denn ich verlasse morgen in der Frühe Shirani.«

»Haben Sie denn schon Ihre Abschiedsbesuche gemacht?« fragte Clarence spöttisch mit einer Betonung, die über die Bedeutung der Frage keine Zweifel ließ.

»Nein, noch nicht,« gab Mark zur Antwort, indem er blaß wurde bis an die Lippen.

»Ich hörte im Klub, Sie wären verlobt?«

»Fräulein Gordon ist völlig frei, und was mich selbst anbetrifft, so kann ich Ihnen nur sagen, daß ich niemals heiraten werde,« sagte Mark ernst.

»Na, na, niemals ist ein langes Wort!« lachte Clarence spöttisch. »Aber lassen Sie uns wieder auf die gemeine Prosa des Lebens zurückkommen. Lassen Sie uns noch einmal von den Rechnungen hier und von den fünfhundert Pfund reden.«

»Sie werden das Geld selbstverständlich bekommen.«

»Könnten Sie denn nicht dem alten Herrn noch zu guter Letzt einige tausend Pfund abknöpfen?« fragte Waring nach längerer Pause. »Für ihn wäre das eine Kleinigkeit und mich würde es retten – vor – vor –«

»Vor was?« fragte der andre ruhig.

»Vor einer Menge von Weitläufigkeiten und allerlei Aerger.«

»Ich kann über die bewußten fünfhundert nicht einen Pfennig von ihm verlangen. Aber er wird Ihnen sicherlich aus der Verlegenheit helfen, wenn Sie sich persönlich an ihn wenden. Wann reisen Sie denn ab?«

»In etwa einer Woche. Aber da läutet die Tischglocke im Klub,« setzte er aufspringend hinzu. »Gehen Sie mit zu Tische?«

»Nein! Bestellen Sie, daß man mir etwas zu essen herüberschickt.«

»Wollen Sie nicht ein Glas Champagner mittrinken? Ich habe eine Flasche Sekt kaltstellen lassen.«

Jervis schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Na, denn nicht! Ich sehe Sie aber natürlich noch, ehe Sie abreisen.«

Und Clarence hielt Wort; hatte er doch noch die Auszahlung einer größeren Geldsumme zu erwarten. Er erschien gegen elf Uhr auffallend aufgeregt und in etwas gezwungen heiterer Stimmung. Sein bisheriger Reisegefährte saß noch, mit allerlei Papieren beschäftigt, am Schreibtische.

»Sie sehen ja aus, als ob Sie Ihr Testament machten!« rief Waring dem jungen Manne mit einem vertraulichen Schlage auf die Schultern zu. »Apropos, ich habe Ihr braunes Pony verkauft, freilich spottbillig, für zweiundfünfzig Rupien.«

»Die uns zur Bezahlung dieser Rechnungen sehr zu statten kommen werden,« bemerkte Mark, auf die vor ihm liegenden Papiere deutend. »Und hier ist die Anweisung auf fünfhundert Pfund,« setzte er hinzu. »Oder soll ich das Geld lieber behalten und unsre Schulden selbst bezahlen? Ich kann das durch die Post besorgen.«

Waring verschlang den Papierstreifen in Marks Hand mit den Blicken. Seine Augen glühten, und seine Stimme klang heiser, als er, hastig danach greifend, zur Antwort gab: »Nein, nein, Sie können sich auf mich verlassen. Ich möchte doch den Kahn führen bis zuletzt.«

»Sie geben mir Ihr Ehrenwort, Waring, daß Sie keinen andern Gebrauch von dem Gelde machen,« fuhr Jervis im Tone kühler Autorität fort.

»Mein Ehrenwort darauf! Ich werde die Anweisung einkassieren, alle Rechnungen bezahlen und Ihnen die Quittungen schicken. Ich hoffe, das wird Sie beruhigen, alter Junge.«

»Selbstverständlich! Aber bitte, ordnen Sie die ganze Geschichte, ohne Aufschub!«

»Ich hörte eben, der alte Gloster und Fräulein Paske hätten sich verlobt,« versetzte Clarence, augenscheinlich bemüht, dem Gespräch eine andre Richtung zu geben.

»So?« entgegnete Mark gleichgültig.

»Und wann wollen Sie morgen früh fort?«

»Ich denke, um sieben Uhr.«

»Dann sage im Ihnen jetzt gute Nacht. Sie sehen sehr müde und angegriffen aus und thun gut, sich auch bald niederzulegen. Morgen früh sehe ich Sie noch.«

Trotz dieses Versprechens stand Mark auf und streckte dem andern stumm die Hand zum Abschied entgegen.

Wie blaß er aussah und wie hager er geworden war! Clarence empfand instinktiv, daß dies ihr letztes Zusammentreffen war, daß sie sich zum letztenmal Auge in Auge gegenüberstanden, und fühlte sich halb erleichtert, halb erfüllte es ihn mit Bedauern. Jervis hatte gewissermaßen sein Gewissen vorgestellt, und das war ihm oft recht unbequem gewesen, aber der junge Mann hatte ihm doch auch aus mancher Verlegenheit geholfen, und die Anweisung auf fünfhundert Pfund, die er, Waring, jetzt in der Westentasche trug, sollte ihn aus einer der schlimmsten Klemmen retten, in der er sich je befunden hatte.

Er wartete, bis Mark in sein Zimmer gegangen war und die Thür hinter sich zugezogen hatte. Dann entfernte er sich leise, um in den Klub und an den Spieltisch zurückzukehren. Erst gegen drei Uhr morgens kam er heim; und als er gegen neun Uhr erwachte und nach seinem Diener und seinem Thee rief, erfuhr er, daß der Chotah-Sahib Der junge Herr. (Anmerk. d. Uebers.), wie die Dienerschaft Jervis nannte, schon lange, lange fort sei.


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