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XIV

Ich muß jetzt aber zum Whist, ich werde erwartet,« sagte Lajewskij, »ich empfehle mich den Herrschaften.«

»Wart', ich komme mit,« sagte Nadeschda Fjodorowna und nahm seinen Arm.

Sie verabschiedeten sich von der Gesellschaft und gingen. Kirillin verabschiedete sich gleichfalls, sagte, er hätte den gleichen Weg und ging mit ihnen.

›Was geschehen muß, geschieht,‹; dachte Nadeschda Fjodorowna. – ›Meinetwegen.‹;

Ihr schien, als hätten alle schlimmen Erinnerungen sich aus ihrem Kopf befreit und gingen im Dunkel neben ihr her und seufzten schwer, und als kröche sie selbst wie eine Fliege, die in die Tinte gefallen war, mühsam über das Pflaster und färbte Lajewskijs Arm und Seite schwarz. Wenn Kirillin ihr etwas Schlimmes täte, so wäre ja nicht er schuld daran, sondern sie. Es hatte ja doch eine Zeit gegeben, da kein Mann mit ihr so zu sprechen wagte wie Kirillin, und sie selbst hatte diese Zeit zerrissen wie einen Faden und sie unwiederbringlich zerstört. Wer war schuld daran? Trunken gemacht durch ihre Begierden hatte sie einem vollkommen fremden Menschen nur deshalb zugelächelt, weil er stattlich und hochgewachsen war. Nach zwei Zusammenkünften war sie ihn überdrüssig geworden und hatte ihn voll Widerwillen zurückgestoßen. Und, dachte sie jetzt, hat er deswegen nicht das Recht, mit mir umzugehen, wie er will?

»Hier muß ich mich von dir verabschieden,« sagte Lajewskij und blieb stehen, »Ilja Michailytsch wird so freundlich sein, dich zu begleiten.«

Er verbeugte sich vor Kirillin und ging schnell über den Boulevard und durch die Straße zum Hause Scheschkowskijs, dessen Fenster erleuchtet waren; dann hörte man, wie er an der Gittertür rüttelte.

»Ich muß mich mit Ihnen aussprechen,« begann Kirillin. »Ich bin kein dummer Junge, bin kein Atschkassow, oder Latschkassow, Satschkassow ... Ich verlange Ernst!«

Nadeschda Fjodorowna klopfte das Herz. Sie antwortete nicht.

»Den plötzlichen Wechsel in Ihrem Benehmen gegen mich hab' ich mir anfangs mit Koketterie erklärt,« fuhr Kirillin fort, »jetzt sehe ich, es hat tiefere Gründe. Sie wollten einfach mit mir spielen wie mit diesem Armenierjungen, aber ich bin ein anständiger Mensch und verlange, daß man mich anständig behandelt. Also, ich stehe zu Diensten.«

»Ich habe solchen Gram,« sagte Nadeschda Fjodorowna und fing an zu weinen. Um die Tränen nicht zu zeigen, wandte sie sich ab.

»Ich bin auch unwohl, was soll man tun?«

Kirillin schwieg einen Augenblick, dann sagte er langsam und deutlich:

»Ich wiederhole, gnädige Frau, ich wiederhole es, wenn Sie mir heute keine Audienz bewilligen, so mache ich heute noch Skandal.«

»Lassen Sie mich heute,« sagte Nadeschda Fjodorowna, und ihre eigene Stimme dünkte ihr fremd, so kläglich und dünn klang sie.

»Ich muß Ihnen eine Lektion erteilen – entschuldigen Sie meinen unhöflichen Ton. Jawohl, zu meinem lebhaften Bedauern muß ich Ihnen eine Lektion erteilen. Ich fordere zwei Zusammenkünfte: heute und morgen. Uebermorgen sind Sie vollkommen frei und können gehen, wohin und mit wem Sie wollen. Heute und morgen.«

Nadeschda Fjodorowna war an ihrer Gartentür und blieb stehen.

»Lassen Sie mich,« flüsterte sie, zitternd am ganzen Körper, und sah vor sich nichts als seinen weißen Interimsrock, »Sie haben recht, ich bin eine entsetzliche Frau, ich bin schuldig. Aber lassen Sie mich fort, ich bitte Sie,« sie ergriff tastend seine kalte Hand und erzitterte im Gefühl des Ekels, »ich flehe Sie an.«

»Oh weh,« seufzte Kirillin, »oh weh! Es liegt aber nicht in meinem Plan, Sie fortzulassen, und außerdem, gnädige Frau, ich traue den Weibern zu wenig, um –«

»Mir ist so elend zumute ...«

Nadeschda Fjodorowna horchte auf das eintönige Rauschen des Meeres und schaute zum Himmel empor, der mit Sternen besät war, und sie sehnte sich, schnell ein Ende machen mit allem und frei zu werden von der verfluchten Empfindung des Lebens mit seinem Meer, seinen Sternen, seinen Männern und seinem Fieber.

»Nur nicht bei mir zu Hause,« sagte sie kalt, »bringen Sie mich woanders hin.«

»Gehen wir zu Mjuridow. Das ist das Gescheiteste.«

»Wo ist das?«

»Beim alten Wall.«

Sie ging schnell die Straße hinunter und bog dann in ein Seitengäßchen, das zu den Bergen führte. Es war dunkel. Hier und da lagen auf dem Pflaster die bleichen Lichtstreifen erleuchteter Fenster, und sie kam sich wie eine Fliege vor, die bald in die Tinte fiel, bald wieder ans Licht hervorkroch. Kirillin ging hinter ihr. Einmal stolperte er, daß er fast hingefallen wäre, und fing zu lachen an.

›Er ist betrunken,‹; dachte Nadeschda Fjodorowna. – ›Einerlei, einerlei. Meinetwegen.‹;

Atschmianow hatte sich auch bald von der Gesellschaft verabschiedet und war Nadeschda Fjodorowna gefolgt, um sie zu einer Bootfahrt aufzufordern. Er ging an ihr Haus und schaute über den Zaun. Die Fenster waren weit offen, Licht war nirgends.

»Nadeschda Fjodorowna,« rief er.

»Wer ist da?«

»Ist Nadeschda Fjodorowna zu Hause?«

»Nein. Sie ist noch nicht gekommen.«

›Sonderbar, höchst sonderbar!‹; dachte er, und eine starke Unruhe erwachte in ihm. Sie war doch nach Hause gegangen.

Er schlenderte den Boulevard entlang, dann durch die Straße. Dort schaute er bei Scheschkowskij ins Fenster. Lajewskij saß in Hemdärmeln am Tisch und betrachtete aufmerksam seine Karten.

»Sonderbar, sonderbar,« flüsterte Atschmianow und fühlte Scham, als er an Lajewskijs hysterischen Anfall dachte, »wenn sie nicht zu Hause ist, wo ist sie dann?«

Er ging wieder zu Nadeschda Fjodorownas Wohnung und schaute in die dunkeln Fenster.

›Sie betrügt mich,‹; dachte er und erinnerte sich, daß sie ihm heute vormittag bei Bitjugows selbst versprochen hatte, am Abend mit ihm zu Boot zu fahren.

Die Fenster des Hauses, wo Kirillin wohnte, waren dunkel. Sein Bursche saß auf dem Bänkchen vor der Tür und wartete auf die Heimkehr seines Herrn. Atschmianow wurde jetzt alles klar. Er beschloß nach Hause zu gehen und machte sich auf den Weg, befand sich plötzlich aber wieder vor Nadeschda Fjodorownas Wohnung. Dort setzte er sich auf das Bänkchen neben der Tür und nahm den Hut ab. Denn sein Kopf brannte vor Eifersucht.

Die Uhr der Stadtkirche schlug nur zweimal am Tage: zu Mittag und um Mitternacht. Bald nachdem es Mitternacht geschlagen hatte, ertönten eilige Schritte.

»Also morgen abend wieder bei Mjuridow,« hörte Atschmianow und erkannte Kirillins Stimme, »um acht Uhr. Auf Wiedersehen.«

Am Zaun erschien Nadeschda Fjodorowna. Sie bemerkte Atschmianow auf seiner Bank nicht und ging im Schatten an ihm vorbei, öffnete die Gartentür und ließ sie offen, als sie ins Haus ging. In ihrem Zimmer angekommen, machte sie Licht und entkleidete sich schnell, legte sich aber nicht ins Bett, sondern sank vor einem Stuhl auf die Knie, schlang die Arme um die Lehne und preßte ihre Stirn aufs Polster.

Lajewskij kam um drei Uhr früh nach Hause.


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