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VII

Kirillin und Atschmianow gingen den Steig hinauf auf den Berg. Atschmianow blieb zurück, und Kirillin trat auf Nadeschda Fjodorowna zu.

»Guten Abend,« sagte er und legte die Hand an die Mütze.

»Guten Abend.«

»Ja,« sagte Kirillin, schaute gen Himmel und dachte nach, »ja –«

Trotz seines majestätischen Uniformmantels und seiner wichtigtuerischen Haltung war er verlegen und verwirrt.

»Was meinen Sie mit diesem: Ja?« fragte Nadeschda Fjodorowna, die merkte, daß sie von Atschmianow beobachtet wurden.

»Also,« sagte der Pristaw langsam, »unsere Liebe ist in der Knospe verdorrt, sozusagen. Wie soll ich das auffassen? Ist das Koketterie von Ihnen, weibliche Diplomatie? Oder –«

»Es war ein Fehltritt. Lassen Sie mich,« sagte Nadeschda Fjodorowna scharf, sah ihn mit Abscheu an und fragte sich unwillig, ob es wirklich einmal eine Zeit gegeben habe, wo dieser Mensch ihr gefallen und nahegestanden hatte.

»So, so,« sagte Kirillin. Eine Weile stand er schweigend und dachte nach, dann fuhr er fort: »Ach was! Warten wir, bis Sie wieder besserer Laune sind. Dann werden Sie mich wohl nicht mehr so dämonisch anschauen – das steht Ihnen übrigens vorzüglich. Adieu!«

Er grüßte militärisch und schlug sich seitwärts in die Büsche. Nach einiger Zeit des Wartens kam Atschmianow unschlüssig heran.

»Ein herrlicher Abend heute,« sagte er mit leichtem armenischen Akzent.

Er war ein hübscher Mensch, kleidete sich modern und mit Geschmack und war bescheiden, wie es einem wohlerzogenen Jüngling ziemt. Aber Nadeschda Fjodorowna mochte ihn nicht, weil sie seinem Vater dreihundert Rubel schuldete. Ihr war es auch nicht lieb, daß zum Picknick ein Mensch geladen war, der »nicht aus unserem Kreise« war.

»Ueberhaupt ist das Picknick sehr gelungen,« sagte er nach kurzem Schweigen.

»Ja,« sagte sie, und als fiele ihr gerade ihre Schuld ein, fuhr sie beiläufig fort: »Ach ja, sagen Sie doch in Ihrem Geschäft, daß Iwan Andrejitsch in den nächsten Tagen hinkommen und die dreihundert Rubel, oder wieviel es ist, bezahlen wird.«

»Ich würde noch dreihundert dazuzahlen, wenn Sie nicht jeden Tag davon sprechen wollten. Das ist so prosaisch.«

Nadeschda Fjodorowna lachte auf. Ihr schoß der lächerliche Gedanke durch den Kopf, daß sie in einem Augenblick ihre Schuld los sein konnte, wenn sie nur wollte und etwas weniger moralisch wäre. Wenn sie z. B. diesem hübschen dummen Jungen den Kopf verdrehen könnte! Und wie komisch, dumm und toll wäre das im Grunde genommen! Sie hatte Lust, ihn erst verliebt zu machen, dann zu rupfen und dann wieder abzuschütteln.

»Darf ich Ihnen einen Rat geben?« sagte Atschmianow schüchtern, »nehmen Sie sich vor Kirillin in acht. Er erzählt überall die furchtbarsten Geschichten über Sie.«

»Es interessiert mich durchaus nicht, zu erfahren, was irgendein Hansnarr von mir erzählt,« sagte Nadeschda Fjodorowna kühl. Sie wurde unruhig, und der lächerliche Gedanke, mit dem jungen, hübschen Atschmianow zu spielen, verlor plötzlich seinen Reiz für sie.

»Gehen wir hinunter,« sagte sie, »wir werden gerufen.«

Unten war die Fischsuppe schon fertig. Sie wurde in die Teller geschöpft und mit der Feierlichkeit gegessen, wie es nur bei Picknicks zu geschehen pflegt. Alle fanden, die Suppe wäre sehr schmackhaft, zu Hause hätte sie nie so gut geschmeckt. Wie bei allen Picknicks üblich, tappten sie in einer Menge Servietten, Päckchen, unnötiger, vom Winde herumgeschobener Butterbrotpapiere herum, verwechselten die Gläser und das Brot, verschütteten den Wein auf den Teppich und die eigenen Knie, verschütteten Salz; um sie herum war es finster, das Feuer brannte nicht mehr so hell, und alle waren zu faul, um aufzustehen und Reisig nachzulegen. Alles trank Wein, selbst Kostja und Katja bekamen ein halbes Glas. Nadeschda Fjodorowna trank ein Glas, dann noch eins. Sie fühlte bald einen leichten Rausch und dachte nicht mehr an Kirillin.

»Ein reizendes Picknick, ein herrlicher Abend,« sagte Lajewskij, den der Wein lustig gemacht hatte, »ich würde aber all dem einen schönen Wintertag vorziehen.«

»Der Geschmack ist verschieden,« bemerkte Herr von Koren.

Lajewskij fühlte sich unbehaglich. Seinen Rücken traf die Hitze des Feuers, sein Gesicht aber und seine Brust – der Haß Herrn von Korens. Dieser Haß eines anständigen, begabten Menschen, der vermutlich einen schwerwiegenden Grund haben mußte, erniedrigte ihn und machte ihn schwach. Er fühlte nicht die Kraft, ihm entgegenzutreten und sagte stotternd:

»Ich liebe die Natur leidenschaftlich, und es tut mir leid, daß ich kein Naturforscher bin. Ich beneide Sie.«

»Na, mir tut es nicht leid, und ich beneide Sie auch nicht,« sagte Nadeschda Fjodorowna, »ich begreife nicht, wie man sich ernsthaft mit Käferchen und Würmern beschäftigen kann, während das Volk Not leidet.«

Lajewskij teilte ihre Ansicht. Er hatte keine blasse Ahnung von der Naturwissenschaft und konnte sich daher nie mit dem autoritativen Ton und dem gelehrten, tiefsinnigen Aussehen der Leute befreunden, die sich mit Ameisenfühlhörnern und Schabenbeinen beschäftigen. Und er ärgerte sich immer, daß diese Leute auf Grund dieser Fühlhörner, Beine und des sogenannten Protoplasmas (das er sich sonderbarerweise an Aussehen etwa einer Auster gleich dachte), Fragen lösen wollten, die Entstehung und Leben der Menschen umfaßten. Aber die Worte Nadeschda Fjodorownas schienen ihm eine Lüge, und er sagte, nur um ihr zu widersprechen:

»Nicht die Würmer sind die Hauptsache, sondern die Schlüsse!«


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