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VIII

Zu später Stunde, um elf Uhr, stieg man zur Heimfahrt in die Wagen. Als alles saß, fehlten Nadeschda Fjodorowna und Atschmianow. Sie spielten am anderen Ufer Haschhasch und lachten.

»Schnell, meine Herrschaften!« schrie Samoilenko.

»Man sollte Damen keinen Wein geben,« sagte Herr von Koren leise.

Lajewskij fühlte sich abgespannt durch das Picknick, den Haß des Zoologen und seine eigenen Gedanken. So ging er Nadeschda Fjodorowna entgegen. Und als sie fröhlich und lustig, sie fühlte sich leicht wie eine Feder, außer Atem und lachend seine Hände faßte und ihren Kopf an seine Brust legte, trat er einen Schritt zurück und sagte rauh:

»Du beträgst dich wie eine Kokotte.«

Das kam so roh heraus, daß er sogar Mitleid mit ihr spürte. Sie las auf seinem zornigen, müden Gesicht den Haß und verlor plötzlich ihre gute Laune und sah ein, daß sie maßlos gewesen war und sich gar zu ausgelassen benommen hatte. Eine Traurigkeit kam über sie. Sie fand sich schwerfällig, dick, plump und betrunken und stieg mit Atschmianow in die erstbeste freie Equipage. Lajewskij setzte sich zu Kirillin, der Zoologe zu Samoilenko und der Diakon zu den Damen. Man fuhr ab.

»Ja, so sind diese Schmeißfliegen,« begann Herr von Koren, wickelte sich in seinen Mantel und schloß die Augen. »Hast du gehört, sie will sich nicht mit Käferchen und Würmern beschäftigen, weil das Volk Not leidet. So beurteilen unsereinen alle diese Schmeißfliegen. Ein gemeines, knechtisches, seit zehn Generationen durch Knuten- und Faustschläge verängstigtes Geschlecht; es zittert, beugt sich und verbrennt Weihrauch nur vor der rohen Gewalt; laß aber so eine Schmeißfliege in ein freies Gebiet ein, wo niemand ist, der sie am Kragen packt, so macht sie sich breit und zeigt, was sie kann. Schau nur, wie kühn benimmt sie sich in den Kunstausstellungen, Museen oder Theatern, oder wenn sie über die Wissenschaft urteilt: sie bläst sich auf, bäumt sich, schimpft und kritisiert ... Immer kritisiert sie: das ist ein sehr knechtischer Zug! Höre nur zu: auf die Vertreter der freien Berufe schimpfen sie mehr als auf die Spitzbuben; das kommt daher, daß die Gesellschaft zu dreivierteln aus Knechten besteht, aus solchen Schmeißfliegen wie diese. Nie erlebst du es, daß ein Knecht dir die Hand reicht und sich bei dir aufrichtig dafür bedankt, daß du arbeitest.«

»Ich weiß nicht, was du willst,« sagte Samoilenko gähnend, »das arme Frauchen wollte in seiner Einfalt mit dir über kluge Dinge reden. Du kannst sie aus irgendeiner Ursache nicht leiden, und ihren Genossen auch nicht. Sie ist aber doch eine nette Frau.«

»Ach, hör' auf! Sie ist eine gewöhnliche Maitresse, verdorben und schlecht. Hör' mal, Alexander Dawidowitsch, wenn du einem einfachen Frauenzimmer begegnetest, das mit einem fremden Mann zusammenlebte und nichts täte, sondern immer nur Hi-Hi und Ha-Ha machte, du würdest ihr sagen: geh' hin und arbeite. Warum bist du hier so schüchtern und fürchtest dich, die Wahrheit zu sagen? Nur weil Nadeschda Fjodorowna nicht von einem Matrosen, sondern von einem Staatsbeamten ausgehalten wird?«

»Was soll ich denn mit ihr machen?« sagte Samoilenko wütend. »Ich kann sie doch nicht hauen.«

»Du sollst dem Laster nicht schmeicheln. Wir räsonnieren immer nur hinter dem Rücken darüber, das heißt aber, eine Faust in der Tasche machen. Ich bin Zoologe, oder Soziologe, das ist dasselbe, und du bist Arzt. Die Gesellschaft glaubt uns. Wir sind verpflichtet, sie auf die schreckliche Gefahr hinzuweisen, die für sie und ihre Nachkommen in der Existenz solcher Lebewesen liegt, wie dieser Nadeschda Iwanowna.«

»Fjodorowna,« verbesserte Samoilenko, »aber was soll die Gesellschaft tun?«

»Das ist ihre Sache. Meiner Ansicht nach ist der geradeste und sicherste Weg die Gewalt. Manu militari müßte sie zu ihrem Mann zurückgebracht werden. Und wenn der sie nicht haben will, müßte sie ins Arbeitshaus oder in irgendeine Besserungsanstalt gebracht werden.«

»Uff!« seufzte Samoilenko. Er schwieg eine Weile und fragte dann leise: »Neulich einmal hast du gesagt, solche Leute wie Lajewskij müsse man vertilgen. Nehmen wir mal an, der Staat oder die Gesellschaft beauftragte dich, ihn zu vertilgen, könntest du dich dazu entschließen?«

»Meine Hand würde nicht zittern.«


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