Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV

Der Diakon lachte bei dem geringfügigsten Anlaß so, daß er sich die Seiten hielt und fast umfiel. Er liebte scheinbar nur deshalb mit Menschen zu verkehren, weil sie lächerliche Seiten hatten und man ihnen komische Spitznamen geben konnte. Samoilenko nannte er: die Tarantel, und seinen Burschen: den Enterich, und entzückt war er gewesen, als Herr von Koren einmal Lajewskij und Nadeschda Fjodorowna: die Schmeißfliegen getauft hatte. – Er blickte einem durstig ins Gesicht und hörte zu, ohne mit den Wimpern zu zucken, und man sah wie seine Augen lächelten und sein Gesicht in krampfhafter Spannung des Augenblicks wartete, wo er loslassen und sich vor Lachen schütteln könnte.

»Er ist ein verkommenes und entartetes Subjekt,« fuhr der Zoolog fort, und der Diakon bohrte in der Erwartung einer komischen Wendung seine Augen in Korens Gesicht, »solch eine absolute Null trifft man selten. Am Körper ist er welk, matt und alt, und an Geist steht er nicht über einer dicken Krämersfrau, die weiter nichts tut, als schlingen und trinken, die auf Federn schläft und sich von ihrem Kutscher lieben läßt.«

Der Diakon fing wieder zu lachen an.

»Lachen Sie doch nicht, Diakon,« sagte Herr von Koren, »das wird allmählich albern. – Ich hätte dieser Null überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt,« fuhr er fort, als der Diakon sich ausgelacht hatte, »ich wäre an ihm vorbeigegangen, wenn er nicht so schädlich und gefährlich wäre. Seine Gefährlichkeit liegt besonders darin, daß er Erfolg bei den Frauenzimmern hat und auf solche Weise droht, sich fortzupflanzen und der Welt vielleicht ein Dutzend solche matte, entartete Lajewskijs zu schenken, wie er selbst einer ist. Zweitens ist er hochgradig ansteckend. Vom Whist und Bier hab' ich schon gesprochen. Noch zwei Jahre, und der ganze kaukasische Stand ist davon ergriffen. Sie wissen doch, wie sehr die Masse, besonders die Mittelschicht an die Intelligenz glaubt, an die Universitätsbildung, an vornehme Manieren und an eine literarische Sprache. Was für eine Gemeinheit er auch begeht, alle glauben, daß es schön ist und so sein muß, da er doch ein intelligenter und liberaler Mensch mit akademischer Bildung ist. Zudem ist er ein Pechvogel, ein überflüssiger Mensch, Neurastheniker, ein Opfer der Zeit, folglich ist ihm alles erlaubt. Er ist ein netter Kerl, ein reizender Mensch und so nachsichtlich gegen die menschlichen Schwächen; ist kein Spielverderber, gar nicht stolz, und man kann in seiner Gesellschaft stets trinken, schimpfen oder klatschen ... Die Masse, die in der Religion und in der Moral immer zu Antropomorphismus neigt, liebt ganz besonders solche Götzen, die die gleichen Schwächen haben, wie sie selbst. Urteilen Sie nun selbst, wie groß die Ansteckungsmöglichkeiten sind! Außerdem ist er kein schlechter Komödiant und ein geschickter Heuchler und weiß recht gut, wie man den Stier an den Hörnern packt. Beachten Sie doch nur seine Kunststücke und Redensarten, z. B. sein Verhältnis zur Kultur. Keinen blauen Dunst hat er von Kultur, und doch jammert er: ›Wie sind wir alle von der Kultur verdorben! Wie beneide ich die Wilden, diese Kinder der Natur, die nichts von Zivilisation wissen!‹; Das muß man nämlich so auffassen: vor Zeiten, sehen Sie, war er mit Leib und Seele der Kultur ergeben, hatte ihr gedient, hatte sie durch und durch erfaßt, aber sie hat ihn ermüdet, enttäuscht und betrogen. Er ist nämlich ein zweiter Faust, ein zweiter Tolstoi. Den Schopenhauer oder Spencer behandelt er von oben herab, wie dumme Jungen und klopft sie väterlich auf die Schulter: ›Nun, liebster Spencer?‹; Er hat den Spencer natürlich nicht gelesen, aber wie schön nimmt es sich aus, wenn er mit leichter Ironie von seiner Gnädigen sagt: ›Sie hat den Spencer gelesen!‹; Und alle hören ihm zu, und niemand will einsehen, daß dieser Scharlatan nicht nur kein Recht hat, über Spencer in diesem Tone zu sprechen, sondern auch die Schuhsohle Spencers zu küssen! Die Kultur und alle Autoritäten und fremde Altäre beschimpfen und mit Kot bespritzen, mit verächtlichem Achselzucken von ihnen sprechen, nur um seine eigene Schwäche und geistige Armut zu maskieren, – das kann nur ein eingebildetes, niedriges und gemeines Tier!«

»Ich weiß wirklich nicht, Kolja, was du von ihm willst,« sagte Samoilenko, den Zoologen nicht mehr erbost, sondern wie schuldbewußt anblickend. »Er ist ein Mensch wie alle. Natürlich nicht ohne Fehler, aber er steht auf der Höhe der modernen Ideen, dient dem Staate und nützt dem Vaterlande. Vor zehn Jahren war hier als Agent ein altes Männchen angestellt, ein Mensch von ungewöhnlichem Verstand. Und dieser pflegte zu sagen ...«

»Genug, genug,« unterbrach ihn der Zoolog. »Du sagst, daß er dem Staate dient? Aber wie? Gibt es hier seit seiner Ankunft mehr Ordnung im Amte, oder sind die Beamten ehrlicher und höflicher geworden? Im Gegenteil: durch seine Autorität eines intelligenten Menschen und Akademikers hat er ihre Liederlichkeit nur sanktioniert. Pünktlich ist er nur immer am Zwanzigsten, wo er sein Gehalt bekommt. An allen anderen Tagen schlürft er in Morgenschuhen durch seine Zimmer und bemüht sich, ein Gesicht zu machen, als ob er der russischen Regierung einen großen Gefallen damit erwiese, daß er auf dem Kaukasus sitzt. Nein, Alexander Dawidowitsch, tritt für ihn nicht ein. Du bist vom Anfang bis ans Ende nicht aufrichtig. Wenn du ihn wirklich liebtest und für deinen Nächsten hieltest, so wärest du nicht so gleichgültig gegen seine Fehler, sondern hättest dich zu seinem eigenen Besten bemüht, ihn unschädlich zu machen.«

»Was meinst du damit?«

»Ihn unschädlich machen. Da er unverbesserlich ist, gibt es nur ein Mittel, ihn unschädlich zu machen.« Herr von Koren fuhr sich mit dem Zeigefinger um den Hals. »Oder man könnte ihn vielleicht ersäufen,« fuhr er fort, »im Interesse der Menschheit müssen solche Menschen vernichtet werden. Unbedingt.«

»Was redest du denn da?« knurrte Samoilenko, stand auf und starrte erstaunt auf das ruhig kalte Gesicht des Zoologen. »Diakon, was will er eigentlich? – Bist du übergeschnappt?«

»Ich bestehe nicht auf der Todesstrafe,« sagte Herr von Koren, »wenn ihre Schädlichkeit nachgewiesen ist, muß man etwas anderes ausdenken. Wenn man Lajewskij nicht vertilgen kann, muß man ihn isolieren, ihn ins Zuchthaus stecken.«

»Was für ein Wahnsinn!« ächzte Samoilenko erschrocken. »Nimm doch Pfeffer,« schrie er plötzlich mit verzweifeltem Ausdruck, als er bemerkte, daß der Diakon die farcierten Rüben ohne Pfeffer aß. – »Wie kann ein so kluger Mensch solchen Unsinn reden. Unseren Freund, einen so intelligenten Menschen, der sich nichts gefallen zu lassen braucht, ins Zuchthaus stecken!«

»Wenn er sich's nicht gefallen läßt und sich wehrt – muß er Handschellen bekommen.«

Samoilenko konnte überhaupt nichts mehr sagen und gestikulierte nur heftig. Der Diakon sah ihm ins entsetzte, tatsächlich komische Gesicht und fing an zu lachen.

»Brechen wir ab,« sagte der Zoolog, »nur dies eine will ich dir noch sagen, Alexander Dawidowitsch: die Gesellschaft der Urzeit war von solchen Elementen wie Lajewskij durch den Kampf ums Dasein geschützt. Unsere Kultur hat diesen Kampf bedeutend abgeschwächt, da müssen wir selbst für die Vernichtung der Gemeinen und Unnützen Sorge tragen. Denn wenn die Lajewskijs sich vermehren, geht die Zivilisation flöten, und die Menschheit entartet vollständig. Und daran sind wir dann selbst schuld.«

»Wenn man die Leute aufhängen und ertränken soll,« sagte Samoilenko, »so hol' der Teufel deine ganze Kultur und deine ganze Menschheit. Sakrament! Ich will dir nur was sagen: du bist ein sehr gelehrter und sehr kluger Mensch, ein Ruhm deines Vaterlandes. Aber dich haben die Deutschen verdorben, die gottverfluchten Deutschen.«

Seit seiner Rückkehr aus Dorpat, wo er Medizin studiert hatte, sah Samoilenko selten einen Deutschen und las nie ein deutsches Buch, war aber davon fest überzeugt, daß alles Schlechte in Politik und Wissenschaft von den Deutschen stamme. Woher er diese Ansicht hatte, war ihm selbst nicht bekannt. Aber er hielt fest daran.

»Ja, diese Deutschen,« wiederholte er noch einmal, »jetzt aber wollen wir unseren Tee trinken.«

Sie erhoben sich, nahmen die Hüte, gingen in den Garten und setzten sich in den Schatten der blassen Ahorn-, Birn- und Kastanienbäume. Der Zoolog und der Diakon saßen auf der Bank am Tisch und Samoilenko in einem geflochtenen Stuhl mit breiter, geneigter Lehne. Der Bursche brachte Tee, Fruchtsaft und eine Flasche Sirup.

Es war sehr heiß, fünfunddreißig Grad im Schatten. Die Luft war eingeschlafen, unbeweglich, und ein langes Spinnengewebe hing schlaff von der Kastanie bis zum Boden herab und rührte sich nicht.

Der Diakon ergriff eine Gitarre, die beim Tisch auf der Erde lag, stimmte sie und begann leise zu singen: »O wonnevolle Jugendzeit«, hörte aber gleich auf, es war zu heiß. Er wischte den Schweiß von der Stirn und schaute nach oben, in den blauen glühenden Himmel. Samoilenko nickte langsam ein. Die Glut, die Stille und die süße Nachmittagsschläfrigkeit machten ihn schwach und gleichsam trunken. Seine Arme fielen herab, seine Augen wurden klein, sein Kopf sank auf die Brust. Mit gerührten Tränen sah er Herrn von Koren und den Diakon an und flüsterte:

»Die junge Generation – der Stern der Wissenschaft und die Leuchte der Kirche – Pass' mal auf, das langröckige Halleluja wird's noch mal zum Metropoliten bringen – dann muß ich ihm die Hand küssen – Ja, ja – Gott geb' es –«

Bald darauf schnarchte er. Herr von Koren und der Diakon tranken ihren Tee aus und gingen auf die Straße hinaus.

»Gehen Sie wieder an den Hafen Kaulbarsche fangen?« fragte der Zoolog.

»Nein. Bei der Hitze –«

»Kommen Sie zu mir. Sie können einige Sendungen packen und vielleicht etwas abschreiben. Dabei können wir auch besprechen, was Sie tun sollen. Sie müssen arbeiten, Diakon. Das geht nicht so.«

»Was Sie sagen, ist richtig und logisch,« erwiderte der Diakon, »aber eine Entschuldigung meiner Faulheit liegt in meinen augenblicklichen Verhältnissen. Sie wissen ja selbst, daß so eine Unbestimmtheit einen apathisch macht. Der liebe Gott allein mag wissen, ob ich nur vorübergehend oder dauernd hier bin. Ich lebe hier in der Fremde, und zu Hause sitzt meine Frau bei meinem Vater und fühlt sich unbehaglich und langweilt sich. Und mir ist, offen gestanden, vor der Hitze alles Gehirn zerschmolzen.«

»Das ist lauter Blech,« sagte der Zoolog, »an die Hitze kann man sich gewöhnen und an das Leben ohne Frau auch. Man muß nicht so weich gegen sich sein. Der Mensch soll sich in Disziplin nehmen.«


 << zurück weiter >>