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Zehn Jahre nach der Zerstörung Pompejis.

Brief des Glaukus an seinen Freund Sallust.

»Glaukus seinem geliebten Sallust Gruß und Gesundheit! – Du forderst mich zu einem Besuch in Rom auf; komm lieber zu mir nach Athen! Ich habe die Kaiserstadt mit ihrem gewaltigen Lärm und hohlem Genuß verschworen! In meinem eigenen Land will ich fortan wohnen. Der Geist unserer Hingeschiedenen Größe ist mir teuerer als das prunkende Leben eures lauten Glücks. Ich bin nicht mehr der, der ich war! Die Ereignisse meines Lebens haben das schäumende Blut der Jugend ernüchtert. Meine Gesundheit hat nie mehr die ganze Federkraft zurückerhalten, die sie besaß, ehe sie die Schmerzen der Vergiftung empfand und in dem dunstigen Kerker eines Verbrechers schmachtete. Mein Gemüt hat nie mehr den dunkeln Schatten des letzten Tages von Pompeji, nie mehr das Grauen und die Verödung, die um jene furchtbaren Trümmer schweben, abgeschüttelt.

»Du sprichst von der anwachsenden Sekte der Christianer in Rom. Sallust, Dir kann ich mein Geheimnis anvertrauen: ich habe viel über diesen Glauben nachgedacht – ich habe ihn angenommen. Nach der Zerstörung Pompejis traf ich noch einmal mit Olinth zusammen, der nur für kurze Zeit gerettet war und bald nachher als ein Märtyrer seines unbezähmbaren Eifers fiel. Er zeigte mir in meiner Errettung von dem Löwen und aus dem Erdbeben die Hand des unbekannten Gottes! – Ich hörte – glaubte – betete an! Auch meine mehr als je geliebte Ione hat sich zu diesem Glauben gewandt – einem Glauben, Sallust, der Licht über diese Welt ausströmt, während er für die nächste, wie eine sinkende Sonne, seine volle Glorie vorbehält. Wir wissen, daß wir der Seele, wie hier dem Leib nach, für ewig miteinander verbunden sind!

»Ione befindet sich an meiner Seite; ihr Blick schweift von dem Papyrus nach einer kleinen Kapelle im Garten, wo unsere Nydia Girlanden für den Altar windet, der morgen, als am Auferstehungstage des Heilands, damit geschmückt werden soll. Die Thessalierin, der wir alles verdanken, ist unsere teuere Schwester; sie sanft durch das Leben zu geleiten, erscheint uns als heiligste Pflicht.

»Wir alle sind glücklich! Diese wenigen Worte bekunden die Zufriedenheit unserer Seele. Und Du, mein Sallust, wie geht es Dir? Wenn Du Dich nach Deinem treuen Freunde sehnst, so komm hierher; sieh unsere Genüsse, unsere Hoffnungen, und Du wirst finden, daß weder in dem Glanz der kaiserlichen Gelage, noch in dem Jubel des vollgedrängten Zirkus, noch auf dem lärmenden Forum, noch im schimmernden Theater, noch in den luxuriösen Bädern Roms jenes Glück zu erlangen ist, welches wir hier in unserem lieben Asyl gefunden.«

*

Fast siebzehn Jahrhunderte waren dahingerollt, ehe die Ausgrabungen der versunkenen Stadt begannen. Aber selbst dann noch traten neue Pausen ein, bis endlich in den Jahren 1808 bis 1816 unter Murat, dem Könige von Neapel, die Erdarbeiten wieder aufgenommen und planmäßig fortgesetzt wurden. Einen ganz besonderen Aufschwung erhielten jedoch die Ausgrabungen unter der Leitung des Archäologen Fiorelli, welcher vom Staat einen jährlichen Beitrag von 60 000 Franken erhält und die Arbeiten systematisch und mit sorglichster Erhaltung alles Gefundenen betreibt. Bis jetzt ist mehr als der dritte Teil der Stadt ans Tageslicht gebracht, darunter gleich von vornherein das Forum samt seinen anliegenden Tempeln, Hallen und Glanzbauten.

Die Einwohner Pompejis scheinen bei der Katastrophe zum größten Teil entkommen zu sein, denn man hat bis jetzt nur gegen sechshundert Gerippe gefunden.

Eine stattliche Zahl von Skeletten wies Diomeds Villa auf, welche mit dem Landhause Ciceros fast gleichzeitig ausgegraben wurde. Auch entdeckte man dort Edelsteine und Gold, Kandelaber und in den Amphoren eingetrockneten Wein. Der durch die Feuchtigkeit zusammengekittete Sand, welcher das ganze Kellergewölbe angefüllt, hatte die Formen der Körper angenommen, und noch jetzt kann der Reisende den Abdruck eines weiblichen Halses wahrnehmen, die letzte Spur der unglücklichen Julia.

Diomed, welcher sich mit seinen Kindern, Sklaven und einigen Nachbarn in das Gewölbe gerettet, war in Begleitung aller nach der Tür gestürzt, hatte dieselbe aber durch die außen gefallenen Schlacken versperrt gefunden, und war beim Versuch, dieselbe zu sprengen, mit den übrigen erstickt.

Die Häuser Sallusts und Pansas, sowie der Tempel der Isis mit den Trugnischen und geheimen Gängen – den Nestern seiner heiliggeglaubten Orakel – sind jetzt gleichfalls den Blicken der Neugierigen bloßgestellt. Aber auch jenen unheimlichen Palast, in welchem der Ägypter Arbaces sein Wesen getrieben, kann der Fremde sehen, und nach wie vor blickt die Sphinx mit ihren steinernen Augen auf ihn herab, unberührt von der vulkanischen Verwüstung und dem dahinrauschenden Strome der Zeit.

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