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Verratene Pläne.

Wer die frühere Geschichte des Christentums betrachtet, wird einsehen, wie notwendig für dessen Sieg der ungestüme Glaubenseifer war, der, keine Gefahr kennend, seine Verfechter begeisterte und seine Märtyrer aufrecht erhielt. Dasselbe Glaubensfeuer, welches den Christen des Mittelalters zu einem Fanatiker ohne Erbarmen umwandelte, erhob den Christen der ersten Jahrhunderte zu einem Helden ohne Furcht.

Unter diesen glühenden, kühnen, ernsten Naturen war Olinth nicht der am wenigsten Eifrige. Nicht sobald war Apäcides durch die Taufe in den Schoß der Kirche ausgenommen, als der Nazarener ihm die Untunlichkeit, den Dienst und das Gewand seines Priestertums länger beizubehalten, unverweilt zu Gemüt führte. Offenbar konnte er sich nicht als einen Verehrer Gottes bekennen, wenn er auch nur äußerlich fortfuhr, die abgöttischen Altäre der Isis zu bedienen.

Und dies war nicht alles; das erregbare, ungestüme Gemüt Olinths sah dem Apäcides die Mittel in die Hand gegeben, dem getäuschten Volk die Gaukeleien der Isisorakel zu enthüllen. Es schien ihm, der Himmel selbst habe dieses Werkzeug gesandt, um der blindgläubigen Menge die Augen zu öffnen und vielleicht zur Bekehrung einer ganzen Stadt den Weg anzubahnen. So zauderte er nicht, den für den christlichen Glauben begeisterten Apäcides in seinem Eifer zu stacheln.

Als er daher mit dem jungen Isispriester in jenem Hain an dem Ufer des Sarnus wieder zusammentraf, legte er ihm seinen Plan klar vor und schloß mit den Worten:

»Bei der nächsten feierlichen Befragung des Orakels stelle dich an das Gitter, verkünde dem Volke laut den Trug, worin es gehalten wird; fordere es auf, einzutreten und sich mit eigenen Augen von der groben, aber künstlichen Täuschungsmaschinerie zu überzeugen, die du mir beschrieben hast. Fürchte nichts, der Herr, der Daniel schützte, wird auch dein Beschützer sein; wir, die Christengemeinde, werden uns unter der Menge befinden, wir werden die Zurückbebenden vordrängen, und in der ersten Hitze der Entrüstung und Beschämung des Volkes will ich selbst auf diese Altäre den Palmzweig, das Sinnbild des Evangeliums, aufpflanzen, und auf meine Zunge wird der Geist des lebendigen Gottes niedersteigen.«

Glühend und aufgeregt, wie er war, fand Apäcides Gefallen an diesem Vorschlag. Er freute sich, so bald eine Gelegenheit zu finden, seinen neuen Glauben zu betätigen, wobei sich seinen frommeren Gefühlen noch der Grimm über den ihm selbst gespielten Betrug und der Wunsch der Rache zugesellte. Es traf sich, daß in zwei Tagen ein Fest der Isis bevorstand. Dies bot eine günstige Gelegenheit zur Ausführung des Plans. Beide kamen überein, am nächsten Abend am gleichen Ort zusammenzutreffen, um genau die Art und Weise festzustellen, wie am folgenden Tag der Betrug zu enthüllen sei.

Der letzte Teil des Gesprächs der beiden Männer hatte in der Nähe eines kleinen Tempels stattgefunden.

Sobald Olinth und der Priester aus dem Hain verschwunden waren, trat eine düstere, zurückstoßende Gestalt hervor.

»So bin ich dir denn mit einigem Erfolg nachgeschlichen,« murmelte der Horcher, der die Kleidung eines Priesters der Isis trug, vor sich hin. »Schade nur, daß ich nicht den ganzen köstlichen Plan mit anhören konnte, den ihr euch ausgesonnen. Doch weiß ich wenigstens, daß ihr die heiligen Mysterien zu profanieren gedenkt, und daß ihr morgen wieder hier zusammenzutreffen gedenkt, um das Wie und Wann zu verabreden. Möge dann Osiris meine Ohren schärfen, damit ich das Ganze eurer unerhörten Verwegenheit erfahre. Weiß ich erst mehr, soll auch Arbaces von der beabsichtigten Intrige erfahren.«

Mit diesen Worten hüllte sich Kalenus in seinen Mantel und lenkte seine Schritte dem Isistempel zu, wo er fast gleichzeitig mit dem Ägypter anlangte.

Der letztere war von dem Besuch zurückgekehrt, den er in Begleitung Julias der Saga des Vesuvs abgestattet. Die Gegenwart Nydias, welche Diomeds Tochter begleitet, hatte ihn dabei einigermaßen gestört; die Blinde durfte deshalb auch nicht bis zur Höhle mitgehen, sondern mußte die Rückkehr Julias auf halbem Wege erwarten. Der Schweigsamkeit des Blumenmädchens versicherte sich Arbaces dadurch, daß er sie heimlich an ihren Eid mahnte, dessen Furchtbarkeit Nydia stets mit Schrecken erfüllte. Sie verhielt sich auch während der ganzen Zeit stumm, und erst nachdem sich der Ägypter von Julia getrennt und diese zur Sänfte zurückkehrte, brach die Blinde das Stillschweigen, indem sie ziemlich erregt fragte:

»Nun, was für einen Trank hat dir die Saga gegeben?«

»O,« lautete Julias lügenhafter Bescheid, »einen ganz vortrefflichen, der die Kraft besitzt, die Weisheit dessen, der ihn genießt, in ungeahnter Weise zu erhöhen.«

Nydia versank in Gedanken. »Es ist am Tage,« dachte sie bei sich, »die schlaue Julia will ihrem Bruder den Trank geben, damit er statt Glaukus den Preis gewinne. Ich muß das Elixier in meine Hände bekommen.«

Noch befand sich die Sänfte ziemlich weit von Diomeds Hause entfernt, als Nydia vorgab, unwohl zu sein.

»Mein Kopf schmerzt mich,« klagte sie, »selbst hier in der Sänfte tut mir jeder Schritt der Träger weh. Ich sehne mich nach Ruhe.«

»Bleibe für diese Nacht bei mir,« erwiderte Julia, »denn Iones Haus ist zu weit, und ich möchte um alles in der Welt nicht, daß dir der Dienst, den du mir erwiesen, übel bekäme.«

Nydia widerstrebte, allein ohne Erfolg. Julia entsendete einen Boten zu Ione, um sie über das Ausbleiben ihrer blinden Dienerin zu beruhigen.

»Trink,« äußerte Diomeds Tochter zu der Kleinen, als sie bei der Abendmahlzeit in Julias Zimmer saßen, »der Falerner wird dir gut bekommen.«

Nydia tat ihr Bescheid und sagte dann:

»Du hast den Zaubertrank, – o, bitte, reiche ihn mir einmal. – Wie klein das Fläschchen ist! Welche Farbe hat die Flüssigkeit?«

»Sie ist klar wie Kristall,« erwiderte Julia, indem sie das Zaubermittel zurücknahm. »Du könntest sie von diesem Wasser nicht unterscheiden. Auch versicherte mich die Hexe, der Trank sei geschmacklos. Man könnte ihn in jeden Becher Weins mischen.«

»Und wie ist das Fläschchen verschlossen?« fragte Nydia weiter.

»Bloß durch einen kleinen Stöpsel; – ziehe ihn einmal heraus; – es hat gar keinen Geruch.«

»Erfolgt die Wirkung augenblicklich?«

»In der Regel, zuweilen jedoch schlummert sie einige Stunden.«

»Ach, wie angenehm ist dagegen dieser Geruch,« rief Nydia plötzlich, indem sie eine kleine Flasche vom Tische nahm und sich über deren duftenden Inhalt niederbeugte.

»Meinst du? Die Flasche ist mit Edelsteinen von einigem Wert besetzt. Möchtest du das Kleinod besitzen?«

»Solche Düfte würden allerdings jemand, der nicht zu sehen vermag, am besten an die großmütige Julia erinnern. Wenn die Flasche nicht zu kostbar ist –«

»O, ich habe tausend kostbarere; nimm sie, Kind.«

Nydia verneigte sich dankbar und steckte das Fläschchen in ihr Gewand.

Vom Wein und von der Reaktion ihrer entlasteten Nerven erwärmt, war jetzt Julia voll Leben und Munterkeit. Sie gab auf alle Fragen Bescheid, und als Nydia sich erkundigte, wen sie eigentlich durch die Darreichung des Zaubertrankes geistreich machen wolle, antwortete sie lachend:

»Mich selbst, meine süße Kleine. Es wäre doch gar zu schön, wenn sich auch einmal ein Weib an dem geistigen Kampfe beteiligte und den Sieg davontrüge.«

Sie plauderte noch viel mit Nydia, und erst als die Nacht sich bereits stark dem Morgen näherte, rief sie ihre Sklavinnen und ließ sich entkleiden.

Als die Dienerinnen entlassen waren, äußerte sie zu Nydia:

»Dieser wundersame Trank soll nicht aus meiner Nähe kommen bis zum Augenblick seiner Anwendung. Liege unter meinem Kissen, strahlender Geist, und gib mir glückliche Träume.«

Damit legte sie das Fläschchen unter ihren Pfühl. Nydias Herz schlug heftig.

»Warum trinkst du Wasser, Nydia?« fragte Julia, als sie bemerkte, daß die Blinde die auf einem Tischchen stehende Karaffe vor ihr Lager stellte, das auf einer Art Sofa für sie bereitet worden war. »Bediene dich doch des Weins.«

»Er erhitzt mich,« erwiderte das Mädchen. Nach kurzem Stillschweigen fügte sie hinzu: »Julia, ich muß dich in früher Morgenstunde verlassen – vielleicht noch ehe du wach bist. Ich sage dir daher schon jetzt Lebewohl.«

Julia erwiderte den Gruß, und bald nachher herrschte Dunkelheit und tiefe Ruhe im Zimmer.

Diomeds Tochter schlief fest; Nydia dagegen wachte, und stürmische Gefühle durchzogen ihre Brust. Sie horchte auf den ruhigen Atem Julias, und nachdem sie sich von deren festem Schlaf überzeugt, erhob sie sich leise vom Lager, goß die duftende Flüssigkeit aus dem geschenkten Fläschchen auf den Marmorboden, spülte es mehrmals mit dem neben ihr stehenden Wasser aus, tastete sich vorsichtig nach Julias Bett und zog leise das den Zaubertrank enthaltende Fläschchen unter dem Kopfkissen hervor. Nydia öffnete die Phiole, goß ihren Inhalt in das bereitgehaltene Fläschchen, füllte das entleerte Gefäß mit Wasser und brachte es wieder an seinen früheren Ort. Darauf schlich sie sich vorsichtig zu ihrem Lager zurück und harrte auf das Grauen des Tages. Dann kleidete sie sich rasch an und stahl sich aus dem Zimmer.

*

Bild: Eugen Hanetzog

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