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Das Kampfspiel der Gladiatoren.

Nydia, beruhigt durch den Bericht, den ihr Sofia bei seiner Zurückkunft abgelegt, und zufrieden, daß ihr Brief in Sallusts Händen sei, gab sich noch einmal der Hoffnung hin. Gewiß verlor Sallust keine Zeit, sich zum Prätor zu begeben, zu dem Ägypter zu kommen, sie zu befreien, den Kerker des Kalenus zu erbrechen. Noch in der Nacht konnte Glaukus frei werden! – Aber die Nacht verging, der Morgen brach an; sie vernahm nichts als eilende Schritte der Sklaven in der Halle und im Peristyl und Worte, die nur von Zubereitungen für das Schauspiel sprachen. Allgemach tönte die befehlende Stimme des Arbaces in ihr Ohr; – einzelne Töne einer lustigen Musik erklangen; der lange Zug bewegte sich nach dem Amphitheater, um die Augen an dem Todesschmerz des Atheners zu werden.

Langsam und mit vieler Feierlichkeit schritt die Prozession des Ägypters dahin, bis endlich an dem Ort, wo alle, die in Sänften oder zu Wagen ankamen, absteigen mußten, Arbaces sein Vehikel verließ und sich dem für die angeseheneren Zuschauer bestimmten Eingang nahte. Seine Sklaven, die sich dem geringeren Volk anschlossen, wurden von den Aufsehern gegen Abgabe ihrer Einlaßzeichen in die Popularia – Sitze für das Volk – gewiesen. Von der Stelle, wo Arbaces saß, überflog sein Auge die wimmelnde, ungeduldige Menge, welche das ungeheuere Theater füllte.

Auf der obersten Reihe, jedoch gesondert von den männlichen Zuschauern, saßen die Frauen, deren geputzte Kleider das Bild eines prächtigen Blumenbeetes boten. Auf den niederen Reihen um die Arena her saßen die vornehmen und reichen Zuschauer; – die öffentlichen Behörden und die Angehörigen des Senats und Ritterstandes. Die Zugänge, durch welche man von den beiden Endpunkten der eiförmigen Arena vermittels eines rechts und links hinlaufenden Korridors zu jenen Sitzen gelangte, bildeten auch den Eingang für die Kämpfer. Starkes Pfahlwerk vor diesen Zugängen schützte die Zuschauer vor jedem Angriff der Tiere und beschränkte diese auf die ihnen zugewiesenen Opfer. In der am Rand der Arena hinlaufenden Brustwehr, von welcher sofort die Sitze stufenweise aufstiegen, waren ringsumher gladiatorische Inschriften und Freskogemälde angebracht, die sich auf die Unterhaltung, wozu der Platz diente, bezogen. Durch das ganze Gebäude liefen unsichtbare Röhren, aus welchen bei vorgeschrittener Hitze Schauer von kühlendem, wohlriechendem Wasser auf die Zuschauer ausgesprengt werden konnten. Noch waren die Werkleute damit beschäftigt, das große Sommerzelt (Valaria) über das Ganze zu befestigen. Infolge einer Ungeschicklichkeit der Arbeiter, oder eines Fehlers in der Maschinerie, war das Gezelt heute nicht so gut wie gewöhnlich aufgeschlagen. Im Hintergrund blieb sogar eine Öffnung sichtbar, weil ein Teil der Valaria seine Vereinigung mit der entgegengesetzten Seite hartnäckig verweigerte.

Die Menge begann zu murren. Der Ädil Pansa, auf dessen Kosten das Schauspiel gegeben ward, blickte äußerst verdrießlich drein und schwur bittere Rache dem Aufseher der Bauten.

Plötzlich hörte das Gesumme auf, die Arbeiter verließen ihr Werk, die Menge war zum Stillschweigen gebracht, die Öffnung vergessen, – denn unter lautem, kriegerischem Trompetengeschmetter zogen die Gladiatoren in feierlicher Ordnung in die Arena. Langsam und bedächtig umschritten sie den eiförmigen Raum, um den Zuschauern ebensowohl volle Gelegenheit zur Bewunderung, als zum Abschluß solcher Wetten zu geben, die etwa noch jetzt die Aufregung des Augenblicks veranlassen mochte.

»O,« rief die Witwe Fulvius Pansas Frau zu, mit der sie von ihrem hohen Sitz herabschaute, »siehst du diesen riesenmäßigen Gladiator? Wie wunderlich er gekleidet ist.«

»Ja,« erwiderte die Gattin des Ädils mit wohlgefälliger Wichtigkeit, denn sie kannte Namen und Eigenschaft jedes Kämpfers, »ein Retiarius oder Netzwerfer; er ist, wie du siehst, nur mit einem dreizackigen Speer und einem Netz bewaffnet und trägt keine Rüstung, sondern bloß eine Binde und die Tunika. Er ist ein starker Mann und wird mit Sporus, jenem vierschrötigen Gladiator mit dem runden Schild und bloßen Schwert, der ebenfalls keine Rüstung trägt, kämpfen; er hat jetzt keinen Helm auf, damit man sein Gesicht sehen kann; wie furchtlos er ist! Fechten wird er aber doch mit geschlossenem Visier.«

»Aber ein Netz und ein Speer sind doch wahrhaftig ärmliche Waffen gegen Schild und Speer.«

»Ein Beweis, wie unschuldig du bist, meine teure Fulvia; gerade der Netzwerfer trägt gewöhnlich den Sieg davon.«

»Aber wer ist jener hübsche Gladiator?«

»Es ist Lydon, ein junger, ungeübter Mensch, der die Verwegenheit hat, es mit einem wegen seiner Körperkräfte berühmten Gladiator, dem Tetraides, aufzunehmen. Sie kämpfen zuerst auf griechische Art mit dem Cestus; nachher legen sie Rüstungen an und versuchen sich mit Schwert und Schild.«

Während dieses Gesprächs waren die ersten Förmlichkeiten des Spiels beendet, und es begann nunmehr ein Scheingefecht mit hölzernen Schwertern zwischen den verschiedenen Kämpfern. Unter diesen wurde die Geschicklichkeit zweier römischen, für diese Gelegenheit gemieteten Fechter besonders bewundert. Nächst ihnen war Lydon der anmutigste Kämpe. Indessen hielt diese Spiegelfechterei nicht über eine Stunde an und erregte keine besondere Teilnahme. Die große Menge der Zuschauer war vielmehr froh, als das Vorspiel endigte und das Interesse sich zum Schrecken steigerte. Die Kämpfer wurden jetzt in die zuvor bestimmten Paare gereiht, ihre Waffen untersucht, und das ernste Spiel des Tages begann in tiefster Stille, die nur durch eine vorausgehende, kriegerische Musik unterbrochen wurde.

»Sieh da, der hübsche Lydon betritt den Schauplatz,« bemerkte die Witwe Fulvius.

Es hatten jetzt sechs Kämpfer die Arena betreten: – Niger mit seinem Netz und Dreizack gegen Sporus mit dem Schild und dem kurzen Schwert; Lydon und Tetraides, mit einem schweren, griechischen Fechthandschuh bewaffnet – und endlich zwei Gladiatoren aus Rom, völlig in Stahl gekleidet und gleichmäßig mit ungeheueren Schildern und spitzigen Schwertern ausgerüstet.

Da der einleitende Kampf zwischen Lydon und Tetraides minder tödlich war als der zwischen den anderen Streitern, so hatten sich jene nicht sobald in der Mitte der Arena aufgestellt, als die übrigen, wie durch gemeinsames Einverständnis, zurückblieben, um zu sehen, wie jener Strauß enden werde, und erst die Ablösung des Cestus durch schärfere Waffen zu erwarten, ehe sie selbst die Feindseligkeiten begannen. Auf ihre Wehre gelehnt, standen sie gesondert voneinander da und sahen einem Schauspiel zu, das, wenn auch nicht blutig genug, um den Beifall des großen Haufens zu haben, immerhin von demselben bewundert wurde, weil es seinem griechischen Ahnenlande entstammte.

Es konnte kaum ein ungleicheres Paar geben, als Lydon und Tetraides es waren. Der letztere, obwohl nicht größer als sein Gegner, erschien beträchtlich stärker. Lydon verband mit dem nervigen, schlanken Körperbau eine seltene Anmut, die durch sein mutiges Antlitz nur noch gehoben ward.

»Nimm dich in acht,« brummte Tetraides, der seinem Feind näher und näher auf den Leib rückte.

Lydon antwortete bloß durch einen verächtlichen Blick seines schnellen, wachsamen Auges. Tetraides führte einen Streich; – es war wie der Schlag eines Schmiedes auf den Amboß. Lydon sank plötzlich auf die Knie nieder, – der Streich ging über seinen Kopf weg. Nicht so harmlos war Lydons Erwiderung. Rasch sprang er auf, und wohlgezielt fiel sein Cestus mit voller Gewalt aus die breite Brust seines Antagonisten. Tetraides taumelte, – das Volk jauchzte.

»Die Wette ist verloren,« äußerte Lepidus zu Klodius.

»Bei den Göttern,« brummte der Stutzer, »meine Bildsäulen müssen in die Versteigerung, wenn das der Fall ist. Ich habe nicht weniger als fünfzig Sesterzien aus Tetraides gewettet. Aber sieh, wie er sich wieder aufrafft. Ha, Tetraides! – Ha, Tetraides!«

»Aber auch Lydon verliert das Herz nicht. Beim Pollux, sieh, wie er die Geistesgegenwart behält. Wie geschickt er diesen hammermäßigen Fäusten ausweicht; jetzt entschlüpft er hierhin, jetzt dorthin – dreht sich wie ein Kreisel: – ah, armer Lydon! da hat er wieder eins bekommen.«

»Noch immer drei gegen eins für Tetraides! was meinst du, Lepidus?«

»Meinetwegen – neun Sesterzien gegen drei; sei es drum.«

»Was, schon wieder Lydon? Er hält an, er schnappt nach Luft. Bei den Göttern, er ist drunten! – Nein! – er kommt wieder auf die Beine! Braver Lydon! Tetraides bekommt Mut, – er lacht laut, – er stürzt auf ihn los!«

»Der Tor! Das Glück blendet ihn – er sollte vorsichtiger sein! Lydon hat ein wahres Luchsauge!« murmelte Klodius zwischen den Zähnen.

»He, Klodius! siehst du? Dein Mann taumelt! – noch ein Streich! – er fällt, er fällt.«

»Aber die Erde gibt ihm neues Leben,« rief Klodius. »Schon ist er wieder auf, aber das Blut strömt ihm übers Gesicht herab.«

»Beim Donnerwetter! Lydon gewinnt's. Sieh, wie er auf ihn eindringt. Dieser Schlag auf die Schläfe würde einen Ochsen niedergeschmettert haben, und wirklich schlug er auch den Tetraides nieder. Er fällt aufs neue – er kann sich nicht mehr rühren.«

» Habet, habet!« (Er hat's) schrie das Volk.

» Habet!« wiederholte Pansa! »Führt sie hinaus und gebt ihnen Rüstung und Schwerter.«

»Edler Editor,« erwiderten die Aufseher, »wir fürchten, Tetraides erholt sich nicht sobald wieder; indessen wollen wir es versuchen.«

»Tut es.«

Nach wenigen Minuten kehrten die Diener, die den betäubten, bewußtlosen Gladiator hinausgeschleppt hatten, mit trüber Miene zurück. Sie fürchteten für sein Leben; er war gänzlich außerstande, die Arena wieder zu betreten.

»In diesem Fall,« entgegnete Pansa, »haltet den Lydon als Subditus, und sobald ein Gladiator besiegt ist, möge Lydon seine Stelle dem Sieger gegenüber einnehmen.«

Das Volk jauchzte dem Befehle Beifall zu und versank dann wieder in tiefes Stillschweigen. Laut tönten die Trompeten. Die vier anderen Kämpfer standen einander schlagfertig gegenüber.

Während der Kampf im Amphitheater also begonnen hatte, saß ein Greis in den oberen Reihen, für welchen derselbe ein schmerzliches – ein erdrückendes Interesse bot. Der greise Vater Lydons war, trotz seines christlichen Abscheus gegen diese Spiele, in der Todesangst für den Sohn nicht fähig gewesen, der Versuchung, Zeuge seines Schicksals zu sein, zu widerstehen. Einsam unter einem blutdürstigen Haufen von Unbekannten, dem Auswurf des niederen Volkes, sah und fühlte der alte Mann nichts als die Gestalt, die Gegenwart seines Sohnes! Kein Laut war seinen Lippen entschlüpft, als er ihn zweimal zu Boden fallen sah; nur blässer war er geworden, und seine Glieder hatten gezittert. Aber einen leisen Ruf hatte er ausgestoßen, als er ihn als Sieger erblickte; – ahnungslos des furchtbaren Kampfes, zu welchem dieser Sieg nur das Vorspiel bildete.

»Mein tapferer Junge,« murmelte er und wischte sich die Augen.

»Ist es dein Sohn?« fragte ein stämmiger Bursche zur Rechten des Nazareners. »Er hat wacker gekämpft; sehen wir, wie er sich ferner halten wird. Er muß mit dem ersten, der Sieger wird, fechten. Bitte die Götter, Alter, daß dieser Sieger keiner von den Römern und ebensowenig der Riese Niger sei.«

Medon bedeckte sein Gesicht. Das Spiel bot für den Augenblick nichts Anziehendes für ihn – Lydon befand sich nicht unter den Kämpfern. Doch plötzlich durchzuckte ihn der Gedanke, daß der Kampf nur ein zu großes Anrecht auf seine Aufmerksamkeit habe. Der erste, der fiel, machte ja dem Lydon Platz. Er fuhr auf und lehnte sich mit gespannten Augen und gefalteten Händen hinaus, den Streitern zuzuschauen. Zunächst erregte das Gefecht zwischen Niger und Sporus die allgemeine Teilnahme, denn diese Art von Kampf war wegen des tödlichen Ausgangs, der ihn gewöhnlich begleitete und wegen der großen Kunst, die er von seiten beider Gegner forderte, stets besonders interessant für die Zuschauer.

Die beiden standen in beträchtlicher Entfernung voneinander. Das Visier an dem eigentümlichen Helm von Sporus verbarg dessen Gesicht; dagegen zog Nigers Miene durch ihre zusammengedrängte, wachsame Wildheit aller Blicke nicht ohne einen gewissen Schauder auf sich. So blieben sie eine Weile, jeder den andern scharf ins Auge fassend, stehen, bis Sporus langsam und mit großer Vorsicht vorzuschreiten anfing. Die Spitze seines Schwertes gerade auf die Brust des Feindes gerichtet. Niger zog sich zurück, sein Netz mit der rechten Hand ausbreitend und die kleinen, glänzenden Augen unverwandt auf die Bewegungen des Schwertkämpfers geheftet. Jählings, als ihm Sporus beinahe auf Armeslänge nachgekommen, beugte sich der Retiarius vorwärts und warf das Netz. Eine schnelle Wendung rettete den Gladiator vor der tödlichen Schlinge; er stieß einen gellenden Schrei der Freude und Wut aus und stürzte auf Niger los; aber dieser hatte das Netz bereits wieder eingezogen, über die Schultern geworfen und floh jetzt mit einer Schnelligkeit um die Arena herum, in welcher es ihm der Secutor So genannt, weil es bei dieser Art des Kampfes sein Hanptgeschäft war, den Feind zu verfolgen, sobald er das Netz geworfen hatte, um ihn, ehe er Zeit fand, dasselbe wieder in Ordnung zu bringen, mit dem Schwert zu treffen. umsonst gleich zu tun suchte. Das Volk lachte und jauchzte beim Anblick der erfolglosen Bemühungen, womit der breitschultrige Gladiator den fliehenden Riesen einzuholen suchte; plötzlich aber ward seine Aufmerksamkeit von dem Paare ab und aus die römischen Kämpfer gelenkt.

Ihre Fechtweise war anfangs ziemlich vorsichtiger Art gewesen, doch jetzt begann der Kampf wild und hitzig zu werden. Eumulpus, der ältere Gladiator, hatte seinen Gegner durch einen geschickten Stoß in die Seite verwundet. Das Volk jauchzte, Lepidus ward blaß. Gleich darauf aber schrien Stimmen:

»Ha! Sporus!«

Niger hatte nämlich in seinem Laufe angehalten und sein Netz mehreremal vergeblich geworfen. Diesmal war er nicht mit hinlänglicher Schnelligkeit entflohen, – das Schwert des Sporus hatte eine tiefe Wunde in sein rechtes Bein gestoßen; dadurch an der Flucht gehindert, ward er von dem wilden Schwertkämpfer hart bedrängt. Immer noch gaben ihm indessen sein hoher Wuchs und die Länge seines Armes nicht unbedeutende Vorteile, und den Dreizack der Stirn des Feindes fest entgegenhaltend, wehrte er diesen mehrere Minuten lang glücklich von sich ab. Da suchte Sporus durch schnelle Wendungen seinen Gegner zu umgehen; allein er verlor die Vorsicht und näherte sich dem Riesen, zu sehr den Arm zum Streich erhebend; der Dreizack seines Gegners drang tief in seine Brust. Er sank auf die Knie. Im nächsten Augenblick war das Netz über ihn geworfen; – umsonst kämpfte er gegen dessen Maschen an; wieder und wieder krümmte er sich stumm unter den neuen Stößen des Dreizacks. Durch das Netz floß das rote Blut auf den Sand. – Er senkte die Arme, seine Überwindung anerkennend.

Bild: Eugen Hanetzog

Der siegende Retiarius zog sein Netz zurück und sah, aus seinen Speer gelehnt, zu den Zuschauern hinauf, erwartend, welches Urteil sie fällen würden. Zu gleicher Zeit wälzte der überwundene Gladiator seine umnachteten Blicke im Theater umher. Von Reihe zu Reihe, von Bank zu Bank starrten ihm nur erbarmungslose Augen entgegen.

Der Lärm, das Gesumme hatten aufgehört. Die Stille war furchtbar, denn kein Mitleid lag in ihr; keine Hand – nicht einmal eine weibliche – gab das Zeichen der Gnade und des Lebens. Sporus war in der Arena nie beliebt gewesen, und in den letzten Augenblicken hatte sich das Interesse an dem Kampf dem verwundeten Niger zugewandt. Das Volk war zum Blutdurst erhitzt, das bloße Scheingefecht gewährte ihm keine Unterhaltung mehr; seine Teilnahme an dem Schauspiel hatte sich zum Verlangen nach einem Opfer, zur Lust am Tode, gesteigert.

Der Gladiator fühlte, daß sein Schicksal unwiderruflich sei; er ließ keinen Seufzer, keine Bitte hören. Das Volk gab das Zeichen des Todes! In entschlossener, knirschender Unterwürfigkeit beugte er den Nacken, um den tödlichen Stoß zu empfangen. Da der Speer des Retiarius keine Waffe war, um einen plötzlichen, sichern Tod zu geben, trat eine grauenvolle Gestalt, deren Züge unter dem Helm gänzlich verborgen waren, in die Arena und schwang ein kurzes, scharfes Schwert. Mit langen, abgemessenen Schritten näherte sich dieser furchtbare Henker dem immer noch knienden Gladiator, legte die linke Hand auf seinen gesenkten Helm, setzte die Schärfe der Klinge auf seinen Nacken, wandte sich rings gegen die Versammlung um, ob diese nicht etwa im letzten Moment noch Reue über ihren Beschluß anwandle. Das furchtbare Zeichen blieb dasselbe; hell glänzte der Stahl in der Luft, fiel nieder, und der Gladiator rollte im Sand dahin; seine Glieder zuckten – wurden still – und er war eine Leiche.

Sogleich ward sein Körper durch das Todestor von der Arena weggezogen und in das Solarium geworfen.

Auch das Gefecht zwischen den beiden anderen Kämpfern war jetzt entschieden. Das Schwert des Eumulpus hatte seinem weniger geübten Gegner die Todeswunde beigebracht. Ein neues Opfer wurde der Totenkammer einverleibt.

Eine allgemeine Bewegung ging durch die Zuschauer; das Volk atmete freier, und aus den verborgenen Röhren ergoß sich ein angenehmer Spritzregen über jede Reihe des Amphitheaters. In üppigem Wohlbehagen unterhielten sich die Abgekühlten über die eben gesehene Blutszene. Eumulpus nahm den Helm ab und wischte sich die Stirn; das krause Haar, der kurze Bart, die edeln, römischen Züge und das glänzende schwarze Auge erregten allgemeine Bewunderung. Er war frisch, unverwundet, unermüdet.

Nach einer Pause verkündete der Editor, daß Lydon der Nachfolger des Erschlagenen und der Gegner des Eumulpus werden solle.

»Willst du,« fügte er hinzu, »den Kampf mit einem so tapfern und geübten Feind ablehnen, so hast du hierzu volle Freiheit. Eumulpus war dir nicht ursprünglich zum Gegner bestimmt. Du weißt am besten, inwieweit du dich mit ihm messen kannst. Unterliegst du, so ist ein ehrenvoller Tod dein Los; siegst du, so will ich den festgesetzten Preis aus meiner eigenen Börse verdoppeln.«

Das Volk jauchzte Beifall. Lydon stand in der Arena; er sah umher; hoch oben erblickte er das bleiche Gesicht, die gespannten Augen seines Vaters. Unentschlossen wandte er sich für einen Moment ab. Nein! Der Sieg mit dem Cestus reichte noch nicht hin; er hatte den Preis noch nicht gewonnen, – noch immer war sein Vater ein Sklave.

»Edler Ädil,« antwortete er mit fester, tiefer Stimme, »ich fürchte mich vor diesem Kampf nicht. Um der Ehre Pompejis fordere ich, daß ein Zögling des längst berühmten Lanista dieser Stadt mit dem Römer fechte.«

Das Volk jauchzte lauter als zuvor.

»Vier auf eins gegen Lydon,« sagte Klodius zu Lepidus.

»Nicht zu zwanzig gegen eins verstände ich mich,« entgegnete Lepidus; »ist doch Eumulpus ein wahrer Achill und dieser arme Kerl ein bloßer Anfänger.«

Eumulpus blickte dem Lydon fest ins Gesicht; er lächelte; aber dem Lächeln folgte ein leiser, kaum hörbarer Seufzer, – ein Hauch mitleidiger Bewegung, welche die Sitte im Augenblick wieder erstickte, wo das Herz sie anerkannte.

Und so standen sie denn bald in vollständiger Rüstung, mit geschlossenem Visier und gezogenem Schwert, die beiden letzten Kämpfer der Arena – ehe Mensch und Tier den Kampf begannen – einander gegenüber.

In diesem Augenblick wurde dem Prätor von einem der Aufseher ein Brief überreicht. Er wickelte die Schnur auf, warf einen Blick auf den Inhalt, und sein Gesicht deutete Verwunderung und Verlegenheit an. Noch einmal las er den Brief, warf ihn dann mit den hingemurmelten Worten: »Pah! Unmöglich! Der Mensch muß schon am Vormittag betrunken sein, daß ihm solcher Unsinn einfallen kann!« – nachlässig auf die Seite und setzte sich wieder gravitätisch zurecht, um den Spielen zuzuschauen.

Die Teilnahme der Zuschauer war zum höchsten Grad gesteigert. Zuerst hatte Eumulpus ihre Gunst gewonnen; Lydons Heldenmut und seine wohlberechnende Anspielung auf die Ehre des pompejanischen Lanista hatte sofort dem letzteren in den Augen des Volks den Vorzug gegeben.

»Heda, Alter,« wurde Medon von seinem Nachbar angeredet, »dein Sohn hat mit einem gewaltigen Gegner zu tun. Aber fürchte nichts, der Editor wird nicht zugeben, daß er umkommt, – und auch das Volk nicht; er hat sich dafür zu gut gehalten. Ha, das war ein tüchtiger Hieb! gut abgewendet! beim Pollux, noch einmal an ihn, Lydon! – sie halten an, um sich zu verschnaufen. Was murmelst du da, Alter?«

»Gebete,« entgegnete Medon mit ruhigerer und hoffnungsvollerer Miene, als er bis jetzt gezeigt.

»Gebete? Possen! Die Zeit, wo die Götter die Menschen wegtrugen, ist vorbei. Ha, Jupiter! welch ein Hieb! Deine Seite, – nimm deine Seite in acht, Lydon!«

Ein krampfhafter Schauder zuckte durch die ganze Versammlung; Von einem mächtigen – mit voller Gewalt auf den Helmkamm geführten Hieb des Eumulpus war Lydon in die Knie gesunken.

» Habet! er hat es!« rief eine gellende, weibliche Stimme; »er hat es, Holla!«

Es war die Stimme des Mädchens, das so sehnsüchtig der Tötung eines Verbrechers entgegengesehen hatte.

»Still, Kind!« entgegnete Pansas Frau gestreng, » non habet! – er ist nicht verwundet.«

»Ich wollte, er wäre es; wäre es auch nur, um den alten Sauertopf Medon damit zu ärgern,« flüsterte das junge Mädchen vor sich hin.

Eben jetzt fing Lydon, der sich bisher mit großer Geschicklichkeit und Geistesgegenwart verteidigt hatte, dem kräftigen Angriff des geübten Römers zu weichen an; sein Arm ward müde, sein Auge schwindlig; er atmete schwer und mühsam. Abermals hielten die Kämpfer an, um Luft zu schöpfen.

»Junger Mensch,« sagte Eumulpus mit leiser Stimme, »laß ab, ich will dich leicht verwunden, – dann senke deine Arme; du hast den Editor und das Volk gewonnen, – du wirst mit Ehren losgesprochen werden!«

»Und mein Vater fort und fort ein Sklave bleiben,« seufzte Lydon vor sich hin. »Nein, Tod oder seine Freiheit!«

In diesem Gedanken und im Gefühl, daß seine Kraft der Ausdauer nicht gewachsen sei, folglich alles von einer plötzlichen, verzweifelten Anstrengung abhinge, stürzte er grimmig auf Eumulpus los. Behutsam wich der Römer zurück; – Lydon tat einen zweiten Hieb, – Eumulpus beugte sich zur Seite; das Schwert streifte an seinem Panzer vorbei, und Lydons Brust wurde bloßgestellt; – der Römer stieß den Stahl durch, die Fugen der Rüstung, ohne eine tiefe Wunde beibringen zu wollen; allein Lydon, matt und erschöpft, taumelte vorwärts und fiel gerade in die Spitze. Sie fuhr durch und durch und wieder zum Rücken heraus. Eumulpus zog die Klinge zurück; noch versuchte Lydon das Gleichgewicht wieder zu erhalten, aber die Waffe entsank seinem Griff, unwillkürlich vollendete er den Stoß nach dem Gladiator mit unbewehrter Hand und fiel der Länge nach zu Boden. Wie durch Verabredung machten Editor und Zuschauer das Zeichen der Gnade. Die Diener der Arena näherten sich; sie nahmen dem Besiegten den Helm ab. Noch atmete er; seine Augen rollten grimmig gegen den Feind; die Wildheit, die er in seinem Beruf erworben, starrte aus seinem Blick und brütete auf der bereits von den Schatten des Todes umdunkelten Stirn. Dann wandte er, mit krampfhaftem Gestöhn sich halb emporbäumend, das Gesicht nach oben. Es weilte nicht auf der Miene des Editors oder auf den mitleidsvollen Blicken seiner milden Richter. Er sah sie nicht; ihm war es, als wäre der große Raum leer und öde; nur ein einziges, von Todesschmerz durchzucktes Antlitz erkannte er, nur ein einziger Schrei eines gebrochenen Herzens drang durch das Summen und Rufen der Menge zu seinem Ohr. Die Wildheit schwand aus seinen Augen; ein sanfter, zärtlicher Ausdruck heiliger, aber verzweifelnder Kindesliebe spielte um sie – spielte – floh – verdüsterte sich! Plötzlich jedoch nahm sein Antlitz den Ausdruck wilder Verzweiflung wieder an, und er sank aus die Erde zurück.

»Seht nach ihm!« gebot der Ädil; »er hat seine Pflicht getan!«

Die Diener schleppten ihn in das Spolarium.

»Ein echtes Bild des Ruhms und seines Schicksals!« flüsterte Arbaces vor sich hin, und in seinem über die Menge hinfliegenden Auge lag so viel Hohn und Verachtung, daß jedem, der seinem Blick begegnete, der Atem stockte.

Abermals ergossen sich reiche Düfte durch das Theater; die Diener streuten frischen Sand auf die Arena.

»Bringt den Löwen und Glaukus, den Athener!« rief der Editor.

Und die tiefste Stille der gespanntesten Erwartung lag wie ein wirrer Traum über der Versammlung.

*


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