Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bis hierher und nicht weiter.

Dreimal war Sallust aus dem Morgenschlaf erwacht, und dreimal hatte er sich bei der Erinnerung, daß sein Freund heute sterben sollte, mit einem tiefen Seufzer aufs neue einer kurzen Vergessenheit hingegeben; denn sein Grundsatz gipfelt darin, den Schmerz zu vermeiden, oder ihn wenigstens vergessen zu suchen.

Endlich unfähig, sein Bewußtsein länger in Schlaf zu senken, erhob er sich aus seiner liegenden Stellung und gewahrte den Lieblingsfreigelassenen, der, wie gewöhnlich, neben dem Bette saß; denn Sallust, der, wie schon bemerkt, den Geschmack eines gebildeten Mannes für die seine Literatur hatte, war gewohnt, sich vor dem Aufstehen mehrere Stunden lang vorlesen zu lassen.

»Nein, keine Bücher heute,« winkte er dem vertrauten Diener ab, »mein Geist weilt heute doch anderswo. Haben die schrecklichen Spiele im Amphitheater schon begonnen?«

»Schon längst,« lautete die Antwort. »Hörtest du die Trompeten und das Gestampfe der Füße nicht?«

»Ach ja, aber den Göttern sei Dank, ich war noch schlaftrunken und durfte mich bloß auf die andere Seite legen, um wieder einzuschlummern.«

»Die Gladiatoren müssen längst in der Arena sein.«

»Die Unglücklichen! Es ist doch niemand von meinen Leuten zu dem Schauspiel gegangen?«

»O nein, deine Befehle waren zu bestimmt.«

»Gut. Ich wollte, der Tag wäre vorüber! Was ist das für ein Brief auf dem Tisch dort?«

»Jenes Schreiben, das du gestern abend erhieltest. Soll ich es jetzt öffnen?«

»Tue es,« nickte Sallust; »es wird meinen Gedanken eine andere Richtung geben. O, der arme Glaukus!«

Der Freigelassene löste den Faden von dem Brief. »Was, Griechisch?« rief er überrascht, »und geschrieben in lateinischen Buchstaben.« Er überflog den Inhalt, und sein Gesicht drückte plötzliche Bewegung aus. »Gute Götter! Was haben wir getan, edler Sallust, daß wir diesem Brief nicht früher Beachtung schenkten. Höre:

»Nydia, die Sklavin, an Sallust, den Freund des Glaukus! Ich bin eine Gefangene im Hause des Arbaces; eile zum Prätor! Bewirke meine Freilassung, und wir können Glaukus vom Löwen erretten! Es ist ein anderer Gefangener in diesen Mauern, dessen Zeugnis den Athener von der gegen ihn vorgebrachten Anklage zu entheben vermag; ein Mensch, der die Tat mit ansah, – der beweisen kann, daß der Verbrecher ein Bösewicht ist, auf welchem bisher kein Verdacht ruhte. Fliege, eile, schnell, schnell! Bring Bewaffnete mit, für den Fall, daß du etwa auf Widerstand stoßen solltest und einen geschickten, klugen Schmied, denn die Kerkertür meines Mitgefangenen ist dicht und stark. Bei deiner rechten Hand, bei deines Vater Asche! verliere keine Minute!«'

»Große Götter!« rief Sallust auffahrend, »und an diesem Tag, ja in dieser Stunde vielleicht stirbt er. Was ist zu tun? Sogleich will ich zum Prätor.«

»Nein, nicht so; der Prätor so gut als der Editor selbst, ist das Geschöpf des Volks; und das Volk will von keinem Aufschub hören, will im Augenblick der gespannten Erwartung nicht leer ausgehen. Überdies würde die Öffentlichkeit eines solchen Schrittes den schlauen Ägypter zu früh warnen. Offenbar hat er sein Interesse dabei, Nydia und ihren Mitgefangenen verborgen zu halten. Nein, zum Glück sind deine Sklaven zu Haus.«

»Ich verstehe dich,« unterbach ihn Sallust, »bewaffne die Sklaven sogleich. Die Straßen sind leer. Wir selbst wollen nach dem Haus des Arbaces eilen und die Gefangenen befreien. Schnell! schnell! Holla! Davus daher! Meinen Mantel und meine Sandalen, Papyrus und Rohr! Ich will an den Prätor schreiben und ihn bitten, die Bestrafung des Glaukus noch aufzuschieben, indem wir binnen einer Stunde seine Unschuld beweisen können. – So, so; auf solche Art wird es gehen. – Davus, eile mit diesem Brief zum Prätor im Amphitheater. Sorge, daß er in seine eigenen Hände kommt. Und jetzt fort. O ihr Götter, steht mir bei!«

Damit stürmte der gutmütige Epikuräer von dannen, ununterbrochen an den armen Glaukus denkend, der mit Olinth in einer dunkeln, engen Zelle verweilte, welche für die zur Arena verdammten Verbrecher bestimmt war.

Wohl zeigte das Antlitz beider eine auffallende Blässe, allein ihre Stirnen waren kühn und unerschrocken; ihre Glieder zitterten nicht, ihre Lippen waren zusammengedrückt und fest. Die Religion des einen, der Stolz des andern, das Bewußtsein der Unschuld in beiden und vielleicht die Stütze, die jeder in der Anwesenheit des andern fand, erhoben sie zu Helden.

»Hörst du das Geschrei? Sie jauchzen über Menschenblut!« sagte Olinth.

»Ich höre es, das Herz bebt mir, aber das Bewußtsein eines guten Gewissens verleiht mir Stärke.« Er horchte plötzlich auf und fügte dann hinzu: »Hörst du, wie sie einen schweren Leichnam durch den Gang schleppen? So wie er, werden bald auch wir Staub sein.«

»O Himmel! O Christus! Schon sehe ich euch!« rief der glühende Olinth mit erhobenen Händen. »Ich zittere nicht; – ich freue mich, daß mein Kerker bald zerbrochen sein wird.«

Glaukus neigte schweigend sein Haupt. Er fühlte den Unterschied zwischen seinem Mut und dem seines Mitgefangenen. Der Heide bebte nicht, aber der Christ jauchzte.

Knarrend öffnete sich die Tür, und der Glanz von Speeren schimmerte an den Wänden.

»Glaukus von Athen, deine Zeit ist gekommen,« sprach eine laute, helle Stimme; »der Löwe wartet deiner.«

»Ich bin bereit,« erwiderte der Athener. »Bruder und Leidensgefährte, noch eine letzte Umarmung! Segne mich und lebe wohl!«

Der Christ öffnete die Arme; – er drückte den jungen Heiden an die Brust; – küßte ihm die Stirn und Wange, – schluchzte laut auf.

»O hätt' ich dich bekehren können, so würde ich nicht weinen. O, daß ich zu dir sagen könnte: Wir beide werden heute abend miteinander im Paradiese sein.«

»Vielleicht ist dies dennoch der Fall,« entgegnete Glaukus mit bebender Stimme. »Diejenigen, welche der Tod trennt, können sich jenseits des Grabes treffen. Erde, schöne, geliebte Erde, lebe wohl für ewig! Würdiger Centurio, ich bin fertig.«

Er riß sich aus der Umarmung des Nazareners los, und als er hinaus in die Luft kam, drückte ihr Hauch, der heiß und trocken war, obwohl die Sonne nicht schien, schwer auf ihn ein. Sein von den Wirkungen des tödlichen Trankes noch nicht erholter Körper schauderte und wankte. Die Soldaten mußten ihn stützen.

»Mut,« sprach einer, »du bist jung, rüstig, gut gebaut. Man gibt dir eine Waffe; verzweifle nicht; vielleicht trägst du noch den Sieg davon.«

Glaukus gab keine Antwort; aber beschämt über seine Schwäche, gewann er durch eine verzweifelte, krampfhafte Aufraffung die Festigkeit seiner Nerven wieder. Mit zierlicher Fassung nahm er den Stilus aus der Hand des Centurio entgegen, und festen Schrittes betrat er die Arena. Und als jetzt der Grieche die Augen von Tausenden und Abertausenden auf sich gerichtet sah, fühlte er sich nicht länger einen Sterblichen. Alle Anzeichen von Furcht, alle Furcht selbst war hinweg. Eine stolze Röte verbreitete sich über die blassen Züge; – er richtete sich zu der ganzen Höhe seiner herrlichen Gestalt empor. In der elastischen Schönheit seiner Glieder, in der stolzen Verachtung der unbezähmten Seele, schien er ein lebendiges Abbild des Heldensinnes seines Heimatlandes, zugleich ein Heros und ein Gott!

Das Gemurmel des Hasses und Abscheus über sein Verbrechen, das bei seinem Eintritt ertönt war, erstarb im Stillschweigen unwillkürlicher Bewunderung und halb mitleidiger Ehrfurcht; und mit einem schnellen, krampfhaften Seufzer, der aus der ganzen Menschenmasse, als wäre sie ein einziges Herz, hervorzudringen schien, wandte sich der Blick der Zuschauer auf ein dunkles, ungestaltetes Ding mitten in der Arena. Es war der vergitterte Käfig des Löwen.

»Wie warm es ist,« seuszte Fulvia, »und doch scheint keine Sonne. Hätten doch die einfältigen Arbeiter das Loch in dem Sommerzelt zugemacht!«

»Ja, es ist wirklich warm. Mir wird ganz übel,« entgegnete Pansas Frau, deren Gleichmut ebenfalls angesichts des Kampfes, der jetzt stattfinden sollte, wich.

Der Löwe war vierundzwanzig Stunden lang ohne Nahrung gelassen worden, und das Tier hatte den ganzen Morgen über eine seltsame Unruhe und Unbehaglichkeit gezeigt, welche der Wärter dem quälenden Hunger zuschrieb. Allein sein Benehmen schien mehr auf Furcht als auf Wut zu deuten; sein Gebrüll war peinlich und wie ein Angstschrei gewesen. Jetzt lag der Löwe regungslos und stumm mit weit geöffneten Nüstern in seinem Käfig.

Die Lippe des Editors zitterte, und seine Wange ward bleich, ängstlich und zögernd blickte er umher; allein die Menge ward ungeduldig. Langsam gab er das Zeichen; der hinter dem Käfig befindliche Wärter schob das Gitter behutsam auf die Seite, und mit einem mächtigen, freudigen Gebrüll der Erlösung stürzte der Löwe heraus. Hastig zog sich der Wärter durch den verwahrten Gang, der nach der Arena führte, zurück und schied von dem Herrn der Wüste und seinem Opfer.

Glaukus hatte sich in die festeste Stellung gegen den erwarteten Anlauf des Tieres ausgelegt; die kleine, funkelnde Waffe hoch in der Hand, in der schwachen Hoffnung, daß vielleicht ein gut geführter Stoß – denn er wußte, daß er nur Zeit zu einem habe – durch das Auge in das Gehirn seines grimmigen Feindes dringen werde.

Aber zum unaussprechlichen Erstaunen aller schien der Löwe nicht einmal die Gegenwart des Verbrechers wahrzunehmen. Schon im ersten Moment seiner Befreiung hielt er plötzlich an, erhob sich mit halbem Leib und schnaubte die obere Luft mit ängstlichem Gestöhn; dann sprang er plötzlich vorwärts, aber nicht gegen den Athener. Halb eilig, halb zögernd kreiste er rund um die Arena her und wandte den gewaltigen Kopf mit verstörtem Blick nach allen Seiten, als spüre er nur einen Ausweg zur Flucht aus; mehrmals suchte er über die Brüstung zu springen, die ihn von den Zuschauern trennte und stieß, als ihm dies mißlang, eher ein Schreckensgeheul als seinen furchtbaren, königlichen Ruf aus. Er gab kein Zeichen von Zorn oder Hunger; der Schweif, statt die mächtigen Seiten zu peitschen, schleppte auf dem Sand dahin, und obwohl er das Auge bisweilen dem Glaukus zuwandte, rollte es doch wieder begierdelos von ihm weg. Endlich, wie des Versuchs zur Flucht müde, kroch er murrend in seinen Käfig und legte sich aufs neue zur Ruhe nieder.

Das erste Staunen der Versammlung über die Apathie des Löwen verwandelte sich bald in Verdruß über seine Feigheit, und bereits ging das Mitleid mit Glaukus in Ärger über das Fehlschlagen der eigenen Hoffnungen unter.

»Was ist das? Nimm den Stachel, treib ihn heraus und schließe dann die Tür des Käfigs.«

Indem sich der Wärter mit einiger Furcht und noch größerer Verwunderung anschickte, dem Befehl nachzukommen, vernahm man ein lautes Geschrei am Eingang der Arena; es war eine Verwirrung, ein Durcheinander, – scheltende Stimmen ließen sich plötzlich vernehmen und wurden durch die Antwort ebenso schnell zur Ruhe gebracht. Aller Augen wandten sich, erstaunt über die Unterbrechung, dem Ort des Getümmels zu; die Menge machte Platz, und plötzlich erschien Sallust vor den Sitzen der Senatoren mit aufgelöstem Haar, atemlos und erhitzt. Hastig warf er den Blick in der Arena umher. »Weg mit dem Athener,« rief er; »schnell! Er ist unschuldig! Nehmt Arbaces, den Ägypter fest! Dieser ist der Mörder des Apäcides!«

»Rasest du, Sallust?« fragte der Prätor, sich von seinem Sitz erhebend; »was soll dieses Wüten?«

»Weg mit dem Athener! Schnell, oder sein Blut komme auf dein Haupt! Zögere nicht, Prätor, oder du hast es mit deinem eigenen Leben beim Kaiser zu verantworten. Ich bringe den Augenzeugen vom Tode des Priesters Apäcides. Platz da! – zurück! – ausgewichen! – Bewohner Pompejis, heftet eure Augen auf Arbaces – dort sitzt er! Platz da, Platz für den Priester Kalenus!«

Bild: Eugen Hanetzog

Blaß, abgemagert, dem Hungertode kaum entrissen, mit eingefallenem Gesicht, die gewaltige Gestalt zum Gerippe abgezehrt, wurde Kalenus in die nämliche Sitzreihe getragen, in welcher Arbaces saß. Seine Befreier hatten ihm nur wenig Nahrung gegeben, aber die Hauptkräftigung für seine schwachen Glieder war der Durst nach Rache.

»Der Priester Kalenus!« ries das Volk; ist er es? Nein, es ist ein Gespenst.«

»Es ist der Priester Kalenus,« sprach der Prätor ernst. »Was hast du zu sagen?«

»Arbaces, der Ägypter, ist der Mörder des Apäcides, des Priesters der Isis; meine Augen sahen ihn den Todesstreich führen. Aus dem Kerker, in den er mich gestürzt, – aus der Nacht und dem Schrecken des Hungertodes haben mich die Götter gerettet, um seinen Frevel zu verkünden! Gebt den Athener los, er ist unschuldig!«

»Darum also hat ihn der Löwe verschont; – ein Wunder! Ein Wunder!« rief Pansa.

»Ein Wunder, ein Wunder!« jauchzte das Volk. »Weg mit dem Athener – werft Arbaces dem Löwen vor

»Soldaten,« befahl der Prätor, »entfernt den Angeklagten Glaukus, – entfernt, aber bewacht ihn noch. Die Götter häufen ihre Wunder auf diesen Tag.«

Als der Prätor das Wort der Befreiung aussprach, erhob sich eine weibliche, kindliche Stimme in lautem Freudenruf. Mit elektrischer Kraft drang sie durch das Herz der Versammlung, – sie war rührend, – sie war heilig, diese Kinderstimme, und das Volk hallte sie in mitfühlendem Glückwunsch zurück.

»Still,« sprach ernst der Prätor. »Kalenus, Priester der Isis, du klagst den Arbaces des Mordes an Apäcides an?«

»Ja.«

»Du sahest die Tat?«

»Prätor, mit diesen meinen Augen.«

»Genug für jetzt, das Nähere muß bis zur gelegeneren Zeit aufgespart bleiben. Arbaces von Ägypten, du hörst die Anklage wider dich, – du hast noch nicht gesprochen! – Was hast du zu erwidern?«

Die Augen der Menge hafteten schon längst auf Arbaces, aber doch erst, seit die Betroffenheit, die er bei der ersten Beschuldigung Sallusts und der Erscheinung des Kalenus gezeigt, wieder gewichen war. – Bei dem Rufe: »Werft Arbaces dem Löwen vor!« hatte er allerdings gezittert, und das dunkle Braun seiner Wangen war blässer geworden; aber schnell hatte er seine Würde und Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Stolz erwiderte er den Zornblick zahlloser Augen um ihn her, und als er nunmehr auf die Frage des Prätors antwortete, geschah es in jenem eigentümlich ruhigen, befehlenden Ton, der seine Rede stets bezeichnete.

»Prätor, diese Anschuldigung ist so toll, daß sie kaum eine Widerlegung verdient. Mein erster Ankläger ist der edle Sallust – der vertrauteste Freund des Glaukus. Mein zweiter ein Priester – ich verehre sein Kleid und seinen Beruf; – aber, Bürger Pompejis, ihr kennt einigermaßen den Charakter des Kalenus: – seine Habsucht und Geldgier dient zum Sprichwort; das Zeugnis eines solchen Menschen kann erkauft werden! Prätor, ich bin unschuldig!«

»Sallust,« fragte der Richter, »wo fandest du den Kalenus?«

»In dem Verließ des Arbaces.«

»Ägypter,« examinierte der Prätor weiter, »du hast also erlaubt, einen Priester der Götter einzukerkern, und warum?«

»Hört mich,« entgegnete Arbaces, ruhig aufstehend, aber mit sichtbarer Bewegung in den Zügen: »Dieser Mensch kam und drohte mir mit der jetzt wirklich vorgebrachten Anklage, falls ich sein Stillschweigen nicht mit der Hälfte meines Vermögens erkaufen wollte. Ich machte Gegenvorstellungen, umsonst. Edler Prätor und ihr, o Bürger, ich war ein Fremder im Lande! Ich wußte mich unschuldig an dem Verbrechen, aber das Zeugnis eines Priesters gegen mich konnte mich gleichwohl ins Verderben stürzen! In meiner Angst und Verlegenheit lockte ich ihn in das Verließ, aus dem er soeben befreit worden ist, unter dem Vorwand, als sei es die Vorratskammer meines Geldes. Dort wollte ich ihn festhalten, bis das Schicksal des wirklichen Verbrechers besiegelt wäre, weil dann seine Drohung von keinem weitern Erfolg sein konnte. Aber ich hatte nichts Übles mit ihm vor. Ich kann einen Mißgriff begangen haben: – Doch wer von euch wird die Billigkeit der Selbsterhaltung nicht anerkennen? War ich schuldig, warum legte dieser Priester sein Zeugnis nicht während der gerichtlichen Verhandlungen ab? In diesem Fall würde ich ihn weder zurückgehalten, noch versteckt haben. Warum brachte er meine Schuld nicht vor, als ich die Schuld des Glaukus vorbrachte? Prätor, das bedarf wohl einer Antwort. Im übrigen berufe ich mich auf eure Gesetze. Ich verlange ihren Schutz. Bringt den Angeklagten und den Ankläger von hier weg. Willig werde ich mich der Entscheidung des gesetzlichen Gerichts fügen, doch hier ist nicht der Ort zur weiteren Unterredung.«

»Er hat recht,« erwiderte der Prätor. »He, Wachen! entfernt den Arbaces und hütet den Kalenus! Sallust, du bleibst uns für deine Anklage verantwortlich. Fahrt jetzt in den Spielen fort!«

»Was?« rief Kalenus und wandte sich gegen das Volk, »soll Isis also verachtet werden? Soll das Blut des Apäcides immer noch um Rache schreien? Soll der Lauf der Gerechtigkeit jetzt stocken, damit sie später erfolglos sei? Soll der Löwe um seine gesetzliche Beute betrogen werden? Ein Gott – ein Gott! Ich fühle, daß ein Gott durch meine Lippen ruft: Vor den Löwen – vor den Löwen mit Arbaces

Der erschöpfte Körper des Priesters vermochte den Sturm seines wilden Grimmes nicht länger zu ertragen; in Krämpfen sank er aus den Boden – der Schaum stand ihm vor dem Mund; – er war wirklich ein Mensch, der eine übernatürliche Macht besessen hatte. Das Volk sah ihn und schauderte.

»Ein Gott ist's, der den heiligen Mann begeistert,« riefen mehrere Stimmen unter den Zuschauern; vor den Löwen mit dem Ägypter!«

Tausende sprangen jetzt herab und stürmten auf den Ägypter zu. Umsonst befahl der Ädil. Umsonst erhob der Prätor seine Stimme zur Verkündigung des Gesetzes. Das Volk war durch den Anblick des Blutes wild geworden, – es dürstete nach mehr; – sein Aberglaube kam der Grausamkeit zu Hilfe. Aufgeregt, entflammt durch die schon geschlachteten Opfer, vergaß es das Ansehen seiner Behörde. Es war eine jener furchtbaren Zuckungen, welche bei einem ganz unwissenden, halb freien und halb sklavischen Volk natürlich sind, und zu welchen die eigentümliche Verfassung der römischen Provinzen so häufig Anlaß gab. Die Gewalt des Prätors war wie ein Schilf im Wirbelwind; doch hatten sich die Wachen auf seinen Befehl längs der niederen Bänke aufgestellt, wo die vornehmen Stände gesondert von der Menge saßen. Die Herbeigerufenen bildeten nur eine schwache Schutzwehr; – die Wellen des Menschenmeeres hielten einen Augenblick an, aber nur, um Arbaces in den Stand zu setzen, den Moment, wo ihn sein unabweisbares Schicksal erreichen sollte, abzuzählen. Noch blickte er in Verzweiflung und Angst innerhalb der weiten Grenze der ihn anstaunenden Menge, als er plötzlich durch die Öffnung, die in der Valaria gelassen worden, eine seltsame, grauenhafte Erscheinung wahrnahm; – ein listiger Gedanke durchblitzte ihn und gab ihm seinen Mut zurück.

Er streckte die Hand empor; über die hohe Stirn und die königlichen Züge kam ein Ausdruck unaussprechlicher Majestät und Herrschermacht.

»Seht,« rief er mit Donnerstimme, welche das Gebrüll des Volkes zum Schweigen brachte, »seht, wie die Götter den Unschuldigen beschützen! Die Feuer des rächenden Orkus brechen hervor gegen das falsche Zeugnis meiner Ankläger!«

Die Augen der Menge folgten der Bewegung des Ägypters und sahen mit unaussprechlichem Schrecken, daß ein ungeheurer Dampf in Gestalt eines gewaltigen Baumes vom Gipfel des Vesuvs aufstieg; – der Stamm schwarz; die Äste Feuer, dessen Farben jeden Augenblick wechselten; jetzt furchtbar hell, jetzt von dumpfem, erbleichendem Rot, das aufs neue in ein unerträglich blendendes Licht überging! –

Totenstille herrschte ringsum; da wurde sie plötzlich durch das Gebrüll des Löwen unterbrochen, welchem ein schauerliches Echo durch den Tiger folgte.

Die Weiber schrien, die Männer starrten einander stumm an. In diesem Moment fühlten sie die Erde unter ihren Füßen Zittern; die Mauern des Theaters wankten, und in der Entfernung vernahm man das Gekrach stürzender Dächer; noch einen Augenblick, und die Bergwolke schien schwarz und schnell, wie ein Strom, gegen sie hinzurollen; zugleich 'warf sie einen Aschenregen, vermischt mit großen Trümmern brennenden Gesteins aus ihrem Schoß! Über die zermalmten Weingelände, – über die verlassenen Straßen, – über das Amphitheater selbst – weit und breit, mit manchem laut plätschernden Niederwurf auf die bewegte See, – fiel dieser furchtbare Regen!

Nicht länger dachte die Menge an Gerechtigkeit und an Arbaces Verurteilung; Rettung für sich selbst war ihr einziger Gedanke. Jeder wandte sich zur Flucht. Jeder schob und drängte den andern, rücksichtslos über die Gefallenen hinschreitend, – unter Stöhnen, Bitten und plötzlichen Schreckensrufen strömte die Menge durch die zahlreichen Ausgänge. Wohin sollten sie fliehen? Einige eilten heim, sich mit ihrer kostbarsten Habe zu beladen und zu entrinnen, solang es noch Zeit war; andere, den Aschenregen fürchtend, der jetzt rasch, Strom auf Strom, auf die Straßen niederstürzte, drängten sich – unter die Dächer der benachbarten Häuser, Tempel oder Hütten, – um einen Schutz gegen die Schrecken der freien Luft zu gewinnen. Aber schwärzer, größer und dichter breitete sich die Wolke über ihnen aus. Es war eine schauerliche Nacht, die jählings in das Reich des Mittags brach.

*


 << zurück weiter >>