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Thessalische und ägyptische List.

Nur zu bald merkte die eingeschlossene Nydia, in welche Falle sie gegangen war. Mit aller Macht schlug sie gegen die Tür ihres Gefängnisses, bis der wachthabende Sklave erschrocken herbeieilte und dieselbe öffnete.

»Wo ist dein Herr?« rief ihm die Blinde entgegen.

»Ho, ho, Kleine,« höhnte der Sklave, »kennst du den Arbaces noch nicht genug, um zu wissen, daß sein Wille so viel ist als der des Kaisers; er hat befohlen, daß du hier eingesperrt bleiben sollst, und mich zu deinem Hüter ernannt.«

»O Jupiter,« barmte das Mädchen, »warum bin ich eingekerkert? Wozu kann der große Arbaces ein so unbedeutendes Geschöpf, wie mich, nötig haben?«

»Das weiß ich nicht; es müßte denn sein, deine neue Gebieterin zu bedienen, die heute hierher gebracht wurde.«

»Was, Ione hier?«

»Ja, die Arme! Sie hatte, glaube ich, keine sonderliche Freude daran. Ione ist, wie du weißt, seine Mündel.«

»Willst du mich zu ihr führen?«

»Sie ist krank – verrückt vor Zorn und Ärger. Überdies fehlt mir der Befehl dazu.«

»Aber was kann es schaden, wenn ich Ione sehe?«

»Das weiß ich nicht. Ist es dir aber um Gesellschaft zu tun, so will ich gern mit dir plaudern, Kleine; vielleicht verstehst du dich als Thessalierin aus die Zauberkünste deines Volkes, vermagst am Ende gar wahrzusagen.«

»Ach,« entgegnete Nydia seufzend, »sage du mir lieber, ob es dir möglich ist, mir vielleicht etwas über Glaukus berichten zu können.«

»Je nun, mein Herr ist zu der gerichtlichen Verhandlung über den Athener gegangen; Glaukus wird es büßen müssen.«

»Was büßen?«

»Die Ermordung des Priesters Apäcides.«

»Ach,« rief Nydia, beide Hände gegen die Stirn drückend, »davon hörte ich auch, verstand es aber nicht. Wer wird es aber wagen, ihm ein Haar zu krümmen?«

»Der Löwe, oder vielleicht der Tiger.«

Nydia fuhr auf, als wäre ein Pfeil durch ihr Herz gedrungen. Sie stieß einen durchdringenden Schrei aus und sank zurück. Heiße Tränen füllten alsbald ihre Augen, und all die freundlichen Bemühungen des Sklaven vermochten sie nicht zu trösten. Erst nachdem derselbe das Zimmer verlassen, begann Nydia ruhiger zu werden und über ihre Lage nachzudenken. Zum Glück für sie verschlang der Wunsch nach Flucht jede andere schmerzliche Empfindung, und indem sie die Möglichkeit des Entkommens hin und her erwog, gelangte sie zu Ruhe und Klarheit. Sie faßte den Entschluß, ihren Hüter zu überlisten, da ihr dessen Frage nach ihrer thessalischen Heimat wieder in Erinnerung kam. Als daher am andern Morgen sich ihr Hüter Sofia bei ihr wieder einfand, ging sie sofort an die Ausführung ihres Plans. Sie kam auf die Zauberkünste ihrer Nation zu sprechen und fragte ihn am Schluß, womit sie ihm dienen könne.

»Beim Pollux!« rief er schmunzelnd, »ich möchte wissen, ob ich mir genug ersparen werde, um meine Freiheit zu erkaufen, oder ob sie mir dieser Ägypter vielleicht umsonst gibt. Er hat zuweilen solche großmütige Launen. Gesetzt, dies Glück werde mir zuteil, möchte ich noch erfahren, ob ich wohl die hübsche Taberne unter den Mytropolien bekomme, auf die ich schon lange ein Auge habe.«

»Ja,« erwiderte Nydia verschmitzt, »wenn du auf diese Fragen bestimmte Antwort zu haben wünschest, so gibt es verschiedene Wege, um dich zu befriedigen. Ich glaube aber, der leichteste Weg, deinen Wunsch zu erfüllen, ginge durch den Zauber der Lust!«

»Hoffentlich läuft bei diesen Operationen nichts besonders Schreckliches mit unter?« fragte Sofia zitternd. »Ich liebe die Erscheinungen nicht.«

»Fürchte nichts; du wirst nichts sehen, sondern hörst an dem Wallen des Wassers, ob dein Wunsch in Erfüllung geht, oder nicht. Sorge dann zunächst dafür, daß, sobald der Abendstern aufgegangen, das Gartentor ein wenig offen stehe, damit der Geist sich zum Eintritt angelockt fühle, und setze als Zeichen der Gastfreundschaft Früchte und Wasser neben das Tor. Drei Stunden nach der Dämmerung stelle dich dann mit einem Becher des kältesten, frischesten Wassers bei mir ein, und du sollst alles erfahren, wie mich's meine thessalische Mutter gelehrt hat. Aber vergiß die Gartentür nicht – darauf kommt alles an; sie muß, wenn du zu mir kommst, bereits seit drei Stunden offen stehen.

»Verlaß dich auf mich,« erwiderte der arglose Sofia.

»Hast du nichts über die gerichtlichen Verhandlungen vernommen?« fragte Nydia mit bebender Stimme.

»O, die Anwälte sind noch stets an der Arbeit! – das ist ein Gerede! – Die Sitzung dauert bis morgen,« versetzte Sofia, die Unterhaltung abbrechend, da er draußen seinen Namen rufen hörte.

Die listige Nydia hatte zu ihrer beabsichtigten Flucht den Abend gewählt, welcher für ihren Plan sich jedenfalls besser eignete als der helle Tag. Der abergläubische Sofia führte glücklich ihre Anordnungen aus, und als daher nach Anbruch der Dämmerung der Isispriester Kalenus in dem Garten des Ägypters erschien, fand er die Pforte geöffnet und dicht daneben Opfergaben von Früchten und Wein. Der Eintretende, mit Gedanken eigner Art beschäftigt, übersah beides. Er schritt nach dem Peristyl, in dessen dämmerigem Lampenschein er mit dem Ägypter zusammentraf.

»Suchst du mich?« fragte ihn Arbaces mit ziemlich verlegenem Tone.

»Ja, weiser Arbaces. Wollen wir in dein Zimmer treten?«

»Gehen wir in dem Garten auf und ab; wir sind dort ebenso allein.«

»Von Herzen gern,« erwiderte der Priester; und die beiden Genossen wandelten langsam nach einer der Terrassen, die, von Marmorvasen und schlummernden Blumen eingefaßt, den Garten durchschnitten.

»Ist das Schicksal des Atheners entschieden?« unterbrach Kalenus das herrschende Stillschweigen.

»Ja, morgen wird sein Todesurteil ausgesprochen. Der Senat gibt nicht nach, sondern will des Totschlägers Leben.«

»Totschläger!« wiederholte Kalenus langsam und bedeutungsvoll und heftete, nachdem er gesprochen, die Augen fest auf Arbaces. »Es ist gut, daß du ihn dieses Verbrechens anklagst; aber niemand weiß besser als du, daß er unschuldig ist.«

»Erkläre dich,« erwiderte Arbaces kalt, denn er hatte sich für diese Gefahr, die er im stillen vorausgeahnt, gewappnet.

»Arbaces,« versetzte Kalenus und dämpfte seine Stimme zum Geflüster. »Ich war in dem heiligen Hain, gedeckt durch den Tempel und das ihn umgebende Gebüsch. Ich hörte alles, ich sah, wie deine Waffe dem Apäcides ins Herz fuhr; ich tadle die Tat nicht, – sie bereitete einem Feinde und Abtrünnigen den Untergang.«

»Du bist also Zeuge des Auftritts gewesen?« versetzte Arbaces trocken. »Das dachte ich mir. Warst du allein?«

»Allein,« erwiderte Kalenus, erstaunt über die Ruhe des Ägypters.

»Und weshalb warst du zu dieser Stunde hinter dem Tempel versteckt?«

»Weil ich eine Unterredung des Apäcides mit dem Nazarener angehört hatte; – weil ich wußte, daß er an diesem Orte mit dem fanatischen Olinth wieder Zusammenkommen wollte, um den Plan zu besprechen, wie sie die heiligen Mysterien unserer Göttin dem Volke enthüllen könnten. – Ich war da, ihnen aus die Spur zu kommen, um ihnen dadurch entgegenzuarbeiten.«

»Hast du eines Menschen Ohr anvertraut, was du gesehen?«

»Nein, das Geheimnis ist in meiner Brust verschlossen.«

»Was selbst dein Vetter Burbo vermutet nichts davon? Bekenne die Wahrheit.«

»Bei den Göttern –«

»Still, wir kennen einander; was sind die Götter für uns?«

»Nun denn, bei der Furcht vor deiner Rache, nein.«

»Und warum hast du dieses Geheimnis bis jetzt vor mir verborgen?«

»Weil –« stammelte Kalenus verlegen und errötend.

»Weil,« unterbrach ihn Arbaces mit sanftem Lächeln, indem er ihm vertraulich auf die Schulter klopfte, »weil du, mein Kalenus, wünschtest, ich möchte mich in die gerichtlichen Verhandlungen so verflechten und verfangen, daß mir kein Weg zur Rettung offen bliebe, falls du gegen mich aufträtest; ich möchte in diesem Falle des Meineids und der Hinterlist, so gut wie des Totschlags, überwiesen sein. Du teilst mir dein Geheimnis jetzt mit, ehe die Verhandlung noch ganz zu Ende und der Unschuldige verurteilt ist, um mir zu zeigen, welch feines Gewebe der Bosheit dein Wort morgen zerreißen könnte; um mir im letzten Augenblick den Wert deines Stillschweigens desto begreiflicher zu machen; um mir nachzuweisen, daß die Kunst, womit ich den Zorn des Volkes gesteigert, durch deine Aussage auf mein eigenes Haupt zurückfallen und der Rachen des Löwen sich statt für Glaukus für mich öffnen würde. Ist es nicht so?«

»Arbaces,« entgegnete Kalenus, indem ihn die gemeine Keckheit seiner Natur gänzlich verließ, »wahrhaftig, du bist ein Zauberer, du liest aus dem Herzen des Menschen, wie aus einem Buche!«

»Es ist mein Beruf,« antwortete der Ägypter mit einem milden Lächeln. »Wohlan denn, schweige, und wenn alles vorüber ist, will ich dich reich machen.«

»Vergib mir,« erwiderte der Priester, von der Habsucht, seiner Hauptleidenschaft, geleitet, »mit Recht sagtest du vorhin, wir kennen einander. Willst du, daß ich schweige, so mußt du etwas zum voraus als Opfer bezahleu. Soll die Rose, das Sinnbild der Verschwiegenheit, feste Wurzeln schlagen, so begieße sie diese Nacht mit einem Strom Gold.«

»Witzig und poetisch,« erwiderte Arbaces, immer noch in jenem sanften Tone, der seinen gierigen Gefährten beruhigte und kühn machte. »Welche Summe soll ich also dir bezahlen?«

»Dein Leben ist sehr kostbar,« begann der Priester grinsend. »Ich habe gehört, du bewahrest in deiner geheimen Vorratskammer unter den oskischen Säulen, die deine prächtigen Hallen stützen, Haufen von Gold, Vasen und Juwelen, die mit den Schätzen des vergötterten Nero wetteifern könnten. Leicht kannst du von diesen Haufen so viel wegnehmen, um Kalenus zu dem reichsten Priester Pompejis zu machen, ohne daß du gleichwohl den Verlust spürst.«

»Komm, Kalenus,« versetzte Arbaces mit einschmeichelnder Stimme, »du sollst deine Augen am Glanz von unzählbarem Gold und dem Funkeln unschätzbarer Edelsteine werden und schon heute abend Zu deiner Belohnung von den dort aufgespeicherten Reichtümern so viel wegtragen, als du unter deinen Kleidern zu verbergen vermagst. Hast du einmal gesehen, was dein Freund besitzt, so wirst du begreifen, wie töricht es wäre, mit jemand zu brechen, der so viel zu geben vermag. Ist Glaukus nicht mehr, so sollst du dem Gewölbe einen zweiten Besuch abstatten. Spreche ich offen und als Freund?«

»O größter, bester der Menschen!« rief Kalenus, vor Freude beinahe weinend. »Kannst du meine beleidigenden Zweifel an deiner Gerechtigkeit, deiner Großmut also verzeihen?«

»Still; noch eine Krümmung des Wegs, und wir steigen zu den oskischen Bogen hinab …«

Indessen hatte die im Zimmer eingeschlossene Nydia ihren Zauber ausgeführt. Nachdem sie von Sofia erfahren, daß er die Gartenpforte offen gelassen, teilte sie dem Abergläubischen mit, daß nunmehr der Geist jeden Augenblick erscheinen könne.

»Wenn ich ihn nur nicht zu sehen bekomme,« versetzte der Sklave zitternd. »Diese Herren sollen gar nicht hübsch aussehen, habe ich mir sagen lassen.«

»Sei ohne Sorge,« erwiderte Nydia. »Öffne jetzt ein wenig die Zimmertüre – und jetzt reiche mir die Lampe.«

»Du wirst sie doch nicht auslöschen?« rief der Sklave ängstlich.

»Nein, aber ich muß meinen Zauber über ihren Strahl aussprechen. Es wohnt ein Geist im Feuer. Setze dich.«

Der Sklave gehorchte, und nachdem sich Nydia ein Weilchen schweigend über die Lampe niederbeugte, sang sie leise ein beschwörendes Lied.

Nachdem es zu Ende war, äußerte sie zu Sofia:

»Setze deinen Becher mit Wasser auf den Boden. Jetzt gib mir ein Tuch, ich muß dir Gesicht und Augen verbinden.«

»Hoho,« lachte der Sklave, »das ist doch immer der Brauch bei solchen Zauberkünsten. Nicht so fest; etwas lockerer.«

»So, kannst du sehen?«

»Sehen? Nein, nichts als Dunkelheit.«

»Nun sprich die Fragen, die du an das Gespenst richten willst, mit leiser Stimme dreimal aus. Folgt eine bejahende Antwort, so wirst du das Wasser sieden und wallen hören, ehe der Geist es anhaucht; wird die Frage aber verneint, so bleibt das Wasserganz still.«

»Aber du wirst mir hoffentlich keinen Betrug mit dem Wasser spielen, he?«

»Da du den Becher fest in deinen Händen hältst, so würdest du es ja sogleich merken, wenn ich ihn berührte.«

Zufrieden mit dieser Versicherung, schickte sich der abergläubische Sofia sofort an, die Fragen zu stellen. Nydia wartete jedoch die weitere Entwicklung ihrer Täuschung nicht ab, sondern glitt leise durch die offenstehende Tür, welche sie behutsam zudrückte und von außen verschloß. Flüchtigen Schrittes eilte sie durch das Peristyl nach dem Garten und stand eben im Begriff, mit klopfendem Herzen auf die Gartentür zuzugehen, als sie plötzlich herannahende Schritte vernahm und die Stimme des gefürchteten Ägypters an ihr Ohr schlug. Im Zweifel und Schrecken hielt sie einen Augenblick an; dann besann sie sich, daß es noch einen andern Ausgang gäbe, der sich längs der Kellergewölbe gegen eine Tür hinzog, die sich ebenfalls in den Garten öffnete. Vielleicht stand diese glücklicherweise offen. Bei diesen Gedanken kehrte die Flüchtige rasch um, stieg die kleine Treppe rechter Hand hinab und befand sich bald an der Mündung des Ganges. Ach, die Tür war verschlossen. Noch suchte sie sich über diesen Umstand zu vergewissern, als sie die Stimme des Kalenus und einen Augenblick nachher die leise Erwiderung des Arbaces hinter sich vernahm. Stehen bleiben konnte sie nicht; wahrscheinlich schritten eben beide auf jene Tür zu. Sie eilte vorwärts und fühlte sich auf unbekanntem Boden. Die Luft war dumpf und kalt, was ihr andeutete, daß sie sich im Kellergewölbe befand, wohin der vornehme Hausherr voraussichtlich seine Schritte nicht lenkte. Allein sie täuschte sich; die Stimmen, welche sie kurz zuvor vernommen, näherten sich in beängstigender Weise.

Bild: Eugen Hanetzog

Mit ausgestreckten Armen drang sie immer weiter vor und stieß jetzt häufig auf massive Pfeiler. Klopfenden Herzens setzte sie ihren Weg fort. Die Luft wurde immer dumpfer, dennoch drang die Blinde unaufhaltsam vor, gedrängt durch die nahenden Schritte und das unheimliche Geflüster von Stimmen.

So langte sie endlich am Ende des Raumes an; sie rang verzweifelnd die Hände. Durch die nahenden Menschen wieder aufgeschreckt, eilte sie an der Seite hin und fiel, indem sie gegen einen Strebepfeiler stieß, zu Boden. Trotzdem sie sich ziemlich verletzte, stieß sie dennoch keinen Schrei aus, sondern segnete vielmehr den Zufall, der sie eine Nische finden ließ, in welcher sie sich noch rechtzeitig verbarg.

Unterdessen schritten Arbaces und der Priester dem geheimen Gemache zu, dessen Schätze der erstere so gerühmt hatte.

Die niedere Decke der unterirdischen Halle wurde von kurzen, dicken Pfeilern getragen. Die einzige blasse Leuchte in Arbaces Hand warf nur einen unvollkommenen Strahl auf die nackten, rauhen Wände.

Kalenus schauderte, als er umherblickte und die dumpfe, ungesunde Luft einatmete.

»Wohin führt jene dunkle Galerie zur Linken?« fragte er; »sie erscheint in der Finsternis endlos, als ob sie sich nach dem Hades hinzöge.«

»Im Gegenteil, sie führt zum Tageslicht empor,« erwiderte Arbaces leichthin, »wir müssen unsere Schritte nach der rechten Seite lenken.«

Während dies geschah, äußerte Kalenus:

»Der lustige Glaukus wird morgen in kein trockeneres, wohl aber viel engeres Gemach einquartiert werden.«

»Einen desto gewaltigeren Raum wird er in der Arena finden, wenn er gegen den Löwen kämpft,« erwiderte Arbaces gerade in dem Augenblick, als sie an dem Versteck der Thessalierin vorüberkamen. »Wenn ich bedenke, daß ein Wort von dir ihn retten und mich dem grausamen Schicksal überliefern könnte.«

»Dieses Wort soll nie gesprochen werden,« fiel Kalenus rasch ein.

»Recht, du bist ein edler Freund,« gab Arbaces zurück, indem er seinen Arm vertraulich auf des Priesters Schulter legte. »Aber wir sind jetzt am Ziele.«

Das Licht flackerte gegen ein tief in die Mauer gedrücktes und durch viele Platten und Bänder wohlverwahrtes Tor. Arbaces zog einen kleinen Ring aus dem Gürtel, woran drei oder vier kurze, starke Schlüssel hingen. Das gierige Herz des Priesters schlug heftig, als er die rostigen Schlösser knarren hörte, über dem Eintritt zu dem Schatz, den sie hüteten. »Voran, mein Freund,« hob Arbaces an, »ich will die Lampe in die Höhe halten, damit du deine Augen an dem Golde werden kannst.«

Der Ungeduldige ließ sich die Einladung nicht zweimal sagen; schnell überschritt er die Schwelle.

»Das Wort soll nie gesprochen werden,« ertönte jetzt die furchtbare Stimme des Ägypters, welcher die Tür hinter dem Priester abschloß.

Kalenus war mehrere Stufen hinabgestürzt; aber ohne die Schmerzen im Augenblick zu fühlen, sprang er wieder zu der Pforte empor, schlug mit geballter Faust wild dagegen an und schrie im Tone der Angst und Verzweiflung: »O, laß mich wieder hinaus, ich verlange nicht mehr nach deinen Schätzen.«

Arbaces lachte rauh auf. »Verhungere, Elender!« rief er als Antwort, »dein Sterbegewinsel wird nicht einmal ein Echo in diesen weiten Hallen erwecken. Dies sei der Lohn dafür, daß du Arbaces hast verraten wollen. Fahre hin!«

»O, habe Mitleid und Erbarmen! grausamer Bösewicht!« winselte Kalenus.

Der Ägypter wandte der Pforte verächtlich den Rücken und schritt die düsteren Hallen wieder zurück.

Nydia erbebte in ihrem Versteck. Aus den Worten des Isispriesters und des Ägypters hatte sie das furchtbare Schicksal des Glaukus erfahren; aber noch lebte ein Mensch, der ihn retten und den Arbaces seiner gerechten Strafe überantworten konnte, und dieser Mensch befand sich nur wenige Schritte von ihrem Versteck! Sie vernahm sein Geschrei, sein Fluchen und Beten. Er war eingekerkert; aber sie wußte um das Geheimnis seiner Haft. Gelang es ihr, zu entwischen und den Prätor auszusuchen, so war der Gefangene noch zu rechter Zeit ans Tageslicht zu bringen und der Athener zu retten.

Sie lauschte, bis die Schritte des sich entfernenden Arbaces verhallt waren, dann tastete sie sich nach der Tür, hinter welcher Kalenus verzweifeltes Rufen ertönte, brachte sodann ihre Lippen an das Schloß, durch dessen kleine Öffnung sie den Namen des Gefangenen rief.

»Wer da?« fragte Kalenus im Tone des Höffens und Bangens.

»Priester,« erwiderte die Thessalierin, »ich war Zeuge des ganzen Vorganges zwischen dir und dem Ägypter. Es ist möglich, daß ich dich retten kann, doch beantworte mir zuerst folgende Fragen.«

»Sprich, sprich, edles Wesen,« rief der Gefangene zurück, »ich will alles tun, was du von mir forderst.«

»Vermagst du den Athener Glaukus von der tödlichen Anklage zu befreien?«

»Ich kann – ich kann! – Mögen die Furien den schändlichen Ägypter verderben! Hat er mich doch also in die Falle gelockt, um mich verhungern und verfaulen zu lassen!«

»Man klagt den Athener des Mordes an; kannst du die Anklage widerlegen?«

»Ich kann, denn ich war Zeuge der Tat, ich sah Arbaces den Streich führen; ich kann den wahren Mörder überweisen und die Lossprechung des Unschuldigen bewirken. Rache! Rache über den falschen Ägypter, Rache!«

»So harre denn in Geduld und Hoffnung. Ich fühle, daß ich dich befreien werde.«

»Aber sei klug, sei vorsichtig, mein holdes, unbekanntes Wesen. Versuche nichts bei Arbaces; der ist von Marmor. Geh zum Prätor – sag ihm, was du weißt; wirke einen Befehl zur Haussuchung aus; bring Soldaten und kunstverständige Schmiede mit, diese Schlösser sind ausnehmend stark! Die Zeit flieht – ich kann verhungern, wenn du dich nicht beeilst! Geh, geh.«

Die Blinde schlich hinweg nach der entgegengesetzten Wand der Halle, sich daselbst vorwärts tastend, bis sie die Mündung des nach oben führenden Ganges erreicht hatte. Dort ließ sie sich aus einer der obersten Stufen nieder, um den Anbruch der Nacht abzuwarten. Für das Gelingen ihres Planes war es nötig, jedes Zusammentreffen mit irgendeinem Diener des Arbaces zu vermeiden. Sie mußte sich daher in Geduld fassen, bis die Stunde nahte, wo alles in dem großen, weiten Hause zur Ruhe ging. Ihre Gedanken verweilten unablässig bei ihrem edeln Freund und Beschützer Glaukus und seinem verhängnisvollen Schicksal, und nur die Hoffnung, ihn zu retten, erhielt die Ärmste aufrecht.

Endlich nahte der Augenblick, wo sie ihre Flucht fortsetzte. Zitternd wandte sie ihre Schritte dem Peristyl zu, an dessen bekränzten Säulen sie vorbeihuschte. Glücklich erreichte sie die düstern Bäume des Gartens und gleich nachher auch die Pforte desselben. Doch ein namenloser Schreck durchbebte ihren Körper, als sie den Ausgang verschlossen fand.

Irgendein pflichtgetreuer Diener mußte vor dem Schlafengehen noch einmal die Runde gemacht und die offen stehende Pforte bemerkt haben.

Ratlos stand die arme Thessalierin da, als plötzlich hinter einem Gebüsch die Stimme Sofias ertönte, welche rief:

»Ha, Ausreißerin, habe ich dich wieder?« Gleich darauf fühlte sie sich von seinen kräftigen Armen gepackt. Ein Schrei der Verzweiflung entrang sich ihren Lippen, so grell in ihrem Schmerz, daß selbst der rohe Sklave erbebte. Die grausige Wagschale von Leben und Tod, welche in bezug auf des Atheners Schicksal vor dem geistigen Blick der Freundin geschwebt, hatte sich jetzt gesenkt, und der Tod war Sieger geblieben.

»Stopfe der Schreierin den Mund,« rief ein anderer Sklave dem Sofia zu, welcher durch ihn aus seiner Gefangenschaft befreit worden war. »Der schreckliche Lärm wird das ganze Haus in Alarm bringen und Arbaces aus seiner Ruhe stören.«

»Um aller Götter willen,« erwiderte Sofia, »er darf nicht erfahren, daß mich die Thessalierin überlistet hat. Hier ist noch das Tuch, womit mir die junge Hexe den Verstand weggezaubert! – So ist es recht; jetzt bist du auch stumm, nicht nur blind,« fügte er hinzu, indem er der weinenden Nydia den Knebel in den Mund schob.

*


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