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Die Stimme des Berges.

»O, teuerste Nydia!« rief Glaukus, nachdem er Iones Brief gelesen, »glückbringendster Bote! Wie soll ich dir danken?«

»Und wenn ich dir die ganze Seligkeit des Himmels und der Erde brächte,« entgegnete das blinde Mädchen, »so würde es doch nur wenig gegen die Fülle von Güte sein, welche du mir hast angedeihen lassen.«

»Sprich nicht so, Kind,« bat Glaukus, »beschäme mich nicht, sondern erzähle mir lieber auf das genaueste, wie Ione dich empfangen und ausgenommen hat.«

Nachdem Nydia seinen Wunsch erfüllt hatte, fuhr er träumerisch fort:

»Ach, Kind, das Leben erhält doch erst seinen wahren Inhalt, wenn man für jemand strebt und kämpft, den man von Herzen lieb hat.«

»Meint der edle Glaukus die schöne Ione?« ergänzte Nydia lächelnd.

»Du hast es erraten, liebe Kleine. Aber du sollst nun auch wissen, daß ich jetzt erst recht bestrebt sein werde, aus dem Kampfe der Geister siegreich hervorzugehen. Der junge Lepidus ist kein geringer Rival, zumal er in seiner geistvollen Schwester Julia eine unterstützende Kraft gefunden. Aber mit Hilfe der Musen und meines Fleißes will ich ihn doch besiegen.«

»Du wirst es,« rief die Blinde begeistert, und indem sie den weiteren Ergüssen ihres brüderlichen Beschützers lauschte, flossen die Stunden rasch dahin, und bereits begann es zu dämmern, als der Grieche sie endlich mit einem zweiten Brief und mit neuen Blumen zu Ione zurücksandte.

Bild: Eugen Hanetzog

Gleich nach ihrem Weggang drang Klodius mit mehreren seiner munteren Gefährten bei ihm ein, um ihn einzuladen, sie nach den verschiedenen Vergnügungsplätzen der lebhaften Stadt zu begleiten. Glaukus war zu selig, um ungefällig zu sein; es drängte ihn, der bedrückenden Überfülle seines Jubels Luft zu machen. Willig nahm er den Vorschlag der Freunde an, und lachend zogen sie die bevölkerten, schimmernden Straßen hinab.

Unterdessen erreichte Nydia zum zweitenmal das Haus Iones, die dasselbe längst verlassen hatte. Gleichgültig fragte sie, wohin die Gebieterin gegangen sei.

Die Antwort erschreckte, ja entsetzte sie.

»In das Haus des Arbaces – des Ägypters?« rief sie. »Unmöglich!«

»Es ist dennoch so, Kleine,« erwiderte Corinna, die ihr zuerst geantwortet. »Der Ägypter ist ihr Vormund.«

»Hat sie ihn schon früher manchmal besucht?« fragte die Blinde zitternd.

»Nie bis jetzt,« entgegnete Corinna. »Aber wie fragst du so sonderbar?«

»Nie bis jetzt,« wiederholte Nydia, und nach einigem Zaudern setzte sie die Blumen, die sie mitgebracht, nieder, rief den Sklaven, der sie begleitet hatte, und verließ das Haus ohne ein weiteres Wort zu sagen.

In geflügelter Hast eilte sie nach dem Hause des Glaukus zurück. Eine entsetzliche Angst war über sie gekommen, zu welcher sie auch volle Ursache hatte. Bei den geheimnisvollen Chören im Isistempel wegen ihrer lieblichen Stimme mitwirkend, war sie – in einem der geheimnisvollen Gänge verborgen, welche nur durch eine Papyruswand von dem Innern des Isistempels getrennt wurden – Zeuge jenes Gesprächs gewesen, das der Ägypter mit Kalenus über seine Absicht mit Ione geführt. Nydia hatte sich vorgenommen gehabt, die junge Dame von den Absichten des Arbaces zu warnen, sobald sie in ihrem Hause Aufnahme gefunden; der böse Zufall war ihr jedoch zuvorgekommen.

Als sie vor dem Hause des Atheners anlangte, erfuhr sie, er sei in Gesellschaft von Freunden ausgegangen. Niemand wisse, wohin. Wahrscheinlich werde er vor Mitternacht nicht zurückkehren.

Die Thessalierin seufzte; sie sank auf einen Stuhl in der Halle und bedeckte das Gesicht mit den Händen, wie um ihre Gedanken zu sammeln. »Es ist keine Zeit zu verlieren,« murmelte sie und fuhr auf.

Sie wandte sich zu dem Sklaven, der sie hergeführt.

»Ist dir bekannt,« sprach sie, »ob Ione etwa einen Verwandten, einen vertrauten Freund in Pompeji hat?«

»Ei, beim Jupiter,« antwortete der Sklave, »wie einfältig du fragst! Jedermann in Pompeji weiß, daß Ione einen Bruder hat, der jung und reich – unter uns gesagt – Narr genug war, ein Isispriester zu werden.«

»Ein Isispriester! O Götter! Sein Name?«

»Apäcides.«

»So weiß ich alles,« flüsterte Nydia. »Bruder und Schwester sollen also Opfer werden. Apäcides! Ja, das war der Name. Ich will zu ihm, ich will ihn warnen.«

Bei diesen Worten sprang sie auf, ergriff den Stab, den treuen Führer ihrer Schritte, und eilte nach dem benachbarten Tempel der Isis. Bis sie unter die Obhut des freundlichen Griechen gekommen war, hatte dieser Stab ausgereicht, das arme, blinde Mädchen von einem Ende Pompejis zum andern zu leiten. Jede Straße in den besuchteren Teilen der Stadt war ihr bekannt, und da die Einwohner eine zarte, halb abergläubische Verehrung gegen Blinde hegten, so hatten die Vorübergehenden ihren schüchternen Schritten stets Platz gemacht. Seit sie sich jedoch unter dem Dach des Glaukus befand, hatte dieser einen Sklaven beauftragt, sie überall zu begleiten. Der arme Teufel, dem diese Weisung zugefallen, ein sehr fetter Bursche, der, nachdem er zweimal die Reise nach Iones Haus gemacht, sich jetzt zu einem dritten Gang verurteilt sah, trabte seufzend hinter ihr her.

Indessen brauchte Nydia seine Hilfe wenig, um ihren Weg zu dem vielbesuchten Isistempel auszufinden; der Raum vor demselben war jetzt leer, und ohne Hindernis gelangte sie bis vor das heilige Gitter.

»Es ist niemand da,« sagte der fette Sklave. »Was oder wen suchst du? Weißt du nicht, daß die Priester nicht in dem Tempel wohnen?«

»Rufe,« erwiderte sie ungeduldig. »Nacht und Tag hat wenigstens ein Priester die Wache an den Altären der Isis.«

Der Sklave rief; – niemand erschien.

»Siehst du niemand?«

»Niemand.«

»Du irrst dich; ich vernehme ein Seufzen; sieh dich noch einmal um.«

Verwundert und murrend spähte der Sklave umher und erblickte endlich vor einem der Altäre eine in Nachdenken versunkene Gestalt.

»Ich sehe jemand,« sprach er, »und nach den weißen Kleidern ist es ein Priester.«

»O Flamme der Isis,« rief Nydia, »Diener der urältesten Gottheit, höre mich!«

»Wer ruft?« fragte eine dumpfe, schwermütige Stimme.

»Jemand, der keine gewöhnliche Nachricht an ein Glied deiner Genossenschaft zu bringen hat; ich komme Orakel zu geben, nicht zu empfangen.«

»Mit wem willst du sprechen? Das ist keine Stunde für dein Anliegen. Geh, störe mich nicht; die Nacht ist den Göttern geweiht, der Tag den Menschen.«

»Mich dünkt, ich kenne diese Stimme; du bist der, den ich suche, obwohl ich dich früher nur einmal sprechen hörte. Bist du nicht Apäcides?«

»Der bin ich,« erwiderte der Priester, indem er von dem Altar aufstand und sich dem Gitter näherte.

»Du bist es? gelobt seien die Götter!« Damit winkte sie dem Sklaven zu und hieß ihn sich zurückziehen.

»Still!« sprach sie in hastigem Ton. »Höre mich. Du hast eine Schwester.«

»Sprich, sprich, was ist mit ihr?«

»Du kennst die Feste des Jodes. Ein jedes bringt der Isis ein Opfer dar, indem es ihr ein Mädchen als Priesterin zuführt. Würde es dir recht sein, wenn deine Schwester dazu ausersehen wäre und den furchtbaren Eid leisten sollte?«

»Mädchen!« rief Apäcides entsetzt und die Sprecherin gleichzeitig packend, »wenn du deinen Spott mit mir treibst, so zittere. Ich zerreiße dich Glied für Glied.«

»Ich spreche die Wahrheit,« beteuerte Nydia, »und während ich spreche, verweilt Ione bereits in den Hallen des Arbaces. Lebe wohl, ich habe erfüllt, was mir oblag.«

»Halt, halt!« rief der Priester, mit der bleichen Hand über die Stirn fahrend. »Wenn dies wahr ist, was kann zu ihrer Rettung geschehen? Vielleicht läßt man mich nicht ein. Ich kenne nicht alle Irrgänge des verwickelten Gebäudes.«

»Ich will den Sklaven dort fortschicken, sei du mein Führer und Gefährte; ich will dich an die geheime Tür des Hauses bringen; will dir das Einlaßwort zuflüstern. Nimm eine Waffe; sie dürfte nötig sein.«

»Warte einen Augenblick,« erwiderte Apäcides, indem er sich in eine der Seitenzellen des Tempels zurückzog. Nach wenigen Minuten erschien er wieder, in einen großen Mantel gehüllt, eine damals bei allen Ständen übliche Tracht, die seine priesterliche Kleidung verbarg.

»Wehe dir, Arbaces,« rief er zähneknirschend, »wenn du es gewagt, auch meine Schwester ins Unglück zu stürzen! Wehe dir, denn die Götter werden deinen bösen Plan vereiteln, wenigstens die eine Göttin, welche Rache heißt.«

Damit eilte Apäcides, von der schweigenden, lichtlosen Begleiterin gefolgt, durch die einsamen Wege nach dem Hause des Ägypters, welches Ione schon lange zuvor betreten hatte.

Es war ihr dabei ergangen, wie ihrem Bruder, nachdem er an den Sphinxen vorübergeeilt. Ihr, wie ihm, schien etwas Unheimliches und Warnendes in dem stillen, trauernden Antlitz der thebanischen Ungeheuer zu liegen.

Der lange äthiotipische Sklave grinste ihr beim Einlasse zu und deutete durch einen Wink an, weiter zu gehen. Auf halbem Wege in der Halle trat ihr Arbaces selbst entgegen. Obwohl draußen das Tageslicht noch leuchtete, war das Haus doch künstlich verdunkelt, und die Lampen warfen ihr stilles, duftendes Licht über den reichen Boden und auf den mit Elfenbein ausgelegten Plafond.

Der Ägypter führte seinen Gast durch verschiedene Gemächer, auf deren Wänden Gemälde von unschätzbarem Wert angebracht waren; die Lampen beleuchteten Statuen aus der edelsten Zeit Griechenlands. Kostbare Juwelenkästchen füllten die Zwischenräume der Säulen.

In einzelnen Gemächern befanden sich zahlreiche Sklaven, die vor Ione auf die Knie fielen.

»Ich habe oft gehört, daß du reich seiest,« äußerte Ione zu ihrem Begleiter, »aber nie ließ ich mir träumen, daß du eine solche Fülle von Schätzen besitzest.«

»Gold ist der eigentliche Zauberer auf Erden,« bemerkte Arbaces; »es verleiht Göttermacht!«

Der listige Ägypter suchte bei der jungen Neapolitanerin durch seine Reichtümer und feine Beredsamkeit die Lust für den Isisdienst zu erregen.

Als sie in einer mit Weißen, filbergestickten Draperien behangenen Halle standen, klatschte Arbaces in die Hände, und wie durch einen Zauberschlag stieg ein gedeckter und mit Speisen besetzter Tisch aus dem Boden empor, zugleich erhob sich ein Sofa oder Thron mit einem scharlachenen Himmel vor Ione, und im nämlichen Augenblick ertönte hinter den Vorhängen eine unsichtbare, höchst weiche Musik.

Die Neapolitanerin kam aus dem Staunen nicht heraus.

»Es ist bei dir, als ob man in ein Märchenland versetzt sei,« äußerte sie lächelnd.

»Der Dienst der Isis erweckt unsere Phantasie,« versetzte Arbaces, »diese Zauberin läßt uns gern den Verkehr mit der Welt missen.«

»Und dennoch kommt die Welt zu euch,« erwiderte Ione.

»Um die Orakelsprüche unserer Göttin zu vernehmen und sie mit Gold zu bezahlen,« bemerkte der Ägypter bedeutungsvoll. »Heil der Priesterin, welche von Isis auserwählt wird, ihre Weisheitssprüche der Menge zu verkündigen!«

Ione wich dem durchdringenden Blick ihres Vormundes aus; sie erhob sich von ihrem Platz und fragte nach ihrem Bruder.

»Du sollst ihn bald sehen,« entgegnete Arbaces, »vorher will ich aber noch von den Wundern mit dir sprechen, die mir, dem Diener der Isis, offenbart worden.«

Ione blickte den Sprecher erwartungsvoll an, welcher fortfuhr:

»Die geheiligte Phantasie unserer Göttin erschließt uns das schattenhafte Reich der Vergangenheit und Zukunft. Ja, wenigen wird sogar vergönnt, nicht nur die abgeschiedenen Geister zu beschwören, sondern auch in den Spiegel der Zukunft zu schauen.«

»Vergönnt Isis dir, das zukünftige Los eines jeden Menschen zu ergründen?« sragte Ione lebhaft.

Der Ägypter bejahte.

»Auch das meinige?«

»Ich kenne bereits das Los deiner Zukunft. Wenn du willst, so sollst du in den Isisspiegel schauen.«

Ione erbebte. Sie dachte an Glaukus, und die Hoffnung, ihr Los mit dem seinen vereint zu sehen, gab ihr den Mut, das Anerbieten ihres Vormundes anzunehmen.

Arbaces ergriff ihre Hand und führte sie durch das Gemach. Wie von Geisterhänden schoben sich die Vorhänge auf die Seite, und die Musik ging in eine laute, freudige Weise über. Die beiden traten durch eine Säulenreihe, zu deren beiden Seiten Fontänen ihr duftendes Wasser emporwarfen, und stiegen auf einer breiten, bequemen Treppe in einen Garten hinab.

»Wohin willst du mich führen, Arbaces?« fragte Ione verwundert.

»Nur dorthin,« erwiderte er, auf ein kleines Gebäude zeigend. »Es ist ein den Schicksalsgöttinnen geweihter Tempel – unser Vorhaben verlangt solch heiligen Boden.«

Sie traten in eine schmale Vorhalle, deren Hintergrund mit einem schwarzen Vorhang verhüllt war. Arbaces erhob denselben, Ione trat ein und fand sich in vollkommener Finsternis.

»Sei unbesorgt,« sprach der Ägypter, »es wird sogleich hell werden.«

Noch während dieser Worte verbreitete sich stufenweise ein sanftes, warmes Licht. Nachdem es die Gegenstände vollständig ins klare gesetzt hatte, erkannte Ione alsbald, daß sie sich in einem schwarzbehangenen Gemach befand, in dessen Mitte ein kleiner Altar stand und vor demselben ein Dreifuß von Erz. An der einen Wand trug ein hohe Granitsäule ein kolossales Haupt von schwärzestem Marmor, das sie an dem Kranze von Weizenähren, welcher die Stirn umgab, als die große, ägyptische Göttin erkannte. Arbaces hatte sich dem Altar genähert, seinen eigenen Kranz auf denselben niedergelegt und schien jetzt eben damit beschäftigt, den Inhalt einer ehernen Vase auf den Dreifuß auszugießen. Sogleich schoß eine blaue, züngelnde Flamme auf; der Ägypter zog sich an Iones Seite zurück, murmelte einige Worte in einer ihr unverständlichen Sprache, und bebend wogte der Vorhang vor dem Altar hin und her; – er teilte sich langsam, und durch die also entstandene Öffnung erblickte Ione eine undeutliche, bleiche Landschaft, die jedoch allmählich klarer und heller wurde; endlich unterschied sie deutlich Bäume, Flüsse, Auen und die ganze Mannigfaltigkeit einer höchst reizenden Gegend. Zuletzt glitt ein dämmeriger Schatten im Vordergrund hin und blieb Ione gegenüber stehen. Langsam begann derselbe Zauber, der auf den übrigen Schauplatz eingewirkt, auch auf dieses Phantom seine Macht auszuüben; er nahm Form und Gestalt an, und siehe da, in Zügen und Bildung erkannte Ione sich selbst.

Jetzt schwand die Szene hinter dem Gespenst, und das Innere eines Isistempels trat an ihre Stelle.

Aus einer hohen Pforte erschien ein Zug weiblicher Sklavinnen, welche auf Kissen ein weites Priestergewand und sämtliche Insignien des Isisdienstes trugen. Eine ernste Musik begleitete ihren feierlichen Schritt. Sie umringten das Spiegelbild Iones, bekleideten sie mit dem Priestergewand und schmückten sie mit den Insignien.

»Das ist dein Los,« flüsterte die Stimme des Ägypters der halb erstarrten Ione zu, »du bist bestimmt, eine Priesterin der Isis zu werden.«

Ione fuhr zusammen; der schwarze Vorhang schloß sich über der Phantasmagorie. Die Neapolitanerin wollte fliehen, doch Arbaces hielt sie fest. Dabei fiel aus ihrem Gewand ein Brief zu Boden. Sofort riß Arbaces das Schreiben an sich, welches jenes war, das Ione am Morgen von Glaukus erhalten.

Rasch durchlief Arbaces den Inhalt, dann ballte er den Brief zusammen und rief in drohendem Ton:

»Eher soll der Berg die Stadt begraben, als daß ich meine Einwilligung zu deiner Verbindung mit jenem Athener gebe. Du bist jetzt in meiner Gewalt und bleibst es. Die verlockende Welt siehst du niemals wieder, denn noch in dieser Stunde weihe ich dich zur Priesterin der Isis!«

Eine wilde Verzweiflung erfaßte Ione; mit übernatürlicher Kraft riß sie sich von dem Ägypter los und eilte dem Ausgang zu; aber ihr Verfolger kam ihr zuvor. Sie wendete sich deshalb wieder zurück und suchte hinter dem Altar Schutz. Der Ägypter wollte ihr Nacheilen, aber in demselben Augenblick fühlte er sich von einer starken Faust an der Schulter gepackt. Er wandte sich um und erblickte die blitzenden Augen des Atheners, sowie das blasse, aber drohende Gesicht des Apäcides.

»Ha!« murmelte er, die beiden anstierend, »welche Furie hat euch hierher gesandt?«

»Ate, die Göttin der Rache!« rief Glaukus und griff unverweilt den Ägypter an. Unterdessen hob Apäcides die ohnmächtig gewordene Schwester vom Boden auf und stellte sich mit erhobenem Dolch neben sie. Sein Entschluß, die Waffe in die Brust des Ägypters zu senken, sobald derselbe Sieger gegen Glaukus werden sollte, stand felsenfest.

Beide Gegner hielten sich jetzt eng umschlungen, die Hand eines jeden die Kehle des andern suchend. Beide besaßen eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Stärke; beide waren von unbezähmbarer Wut beseelt. Die Kämpfenden wankten hin und her, drängten sich von einem Ende zum andern, stießen Rufe des Zornes und der Rache aus; jetzt waren sie vor dem Altar, jetzt am Fuß der Säule, wo der Kampf begonnen hatte; sie wichen auseinander, um Atem zu schöpfen; Arbaces lehnte sich an die Säule, Glaukus stand einige Schritte weiter entfernt.

»Heilige Göttin!« rief Arbaces, die Säule umfassend, und erhob den Blick gegen das Bild, das sie trug, »schütze deinen Erwählten, verkünde deinen Zorn gegen diesen Knecht eines aufgeschossenen Glaubens, der mit tempelschänderischer Gewalttat dein Heiligtum entweiht und deinen Diener anfällt.«

Indem er sprach, schienen die stillen, mächtigen Züge der Göttin plötzlich von Leben durchglüht zu werden; hell zuckte durch den schwarzen Marmor, wie durch einen durchsichtigen Schleier, eine rote schimmernde Farbe; um den Kopf spielten und züngelten bläuliche Flämmchen – die Augen wurden wie Bälle brennenden Feuers und schienen in verderbendem, nicht zu ertragendem Zorn auf den Griechen gewandt.

Erschreckt und eingeschüchtert von dieser plötzlichen, wunderbaren Antwort auf das Gebet seines Feindes und nicht frei von dem anererbten Aberglauben seines Volkes, erblaßte Glaukus bei der seltsamen, schauerlichen Belebung des Marmors; Arbaces ließ ihm nicht Zeit, sich von der Erschütterung zu erholen. »Stirb, Elender!«

Auf einen so plötzlichen Angriff nicht gefaßt, verlor Glaukus das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Arbaces setzte den Fuß auf die Brust des gefallenen Gegners. Apäcides aber, durch sein Priesteramt wie durch seine Kenntnis von Arbaces Charakter gegen alle wunderhaften Einmischungen mißtrauisch gemacht, hatte den Schrecken seines Gefährten nicht geteilt. Er stürzte vorwärts, und sein Dolch funkelte hoch in der Luft; der wachsame Ägypter packte den niederfahrenden Arm; ein Ruck seiner mächtigen Hand entriß die Waffe dem schwachen Griff des Priesters. Ein ausgeholter Schlag streckte den Jüngling zu Boden. Mit lautem Freudenruf schwang Arbaces das Messer, – da erbebte plötzlich der Boden; – ein mächtigerer Geist als der des Ägypters war gekommen. Der furchtbare Dämon des Erdbebens hatte sich aufgerichtet und verlachte die Zauberei menschlicher List, wie den Grimm menschlichen Zornes. Wie ein Titane, auf welchen Berge getürmt sind, stieg er aus langjährigem Schlaf empor, regte sich auf seinem Lager, und die Höhlen drunten stöhnten und zitterten unter dem Wälzen seiner Glieder. Im Moment der Rache und Übermacht wurde der Mann, der sich einen Halbgott geträumt, zu dem Staub erniedrigt, der er wirklich war. Weithin unter dem Boden lief ein hohles, zusammenstürzendes Getöse – die Vorhänge des Zimmers flatterten, wie vom Wehen eines Sturmes; der Altar wankte – der Dreifuß bebte, und hoch über dem Kampfplatz zitterte und kreiste die Säule; das dunkle Haupt der Göttin taumelte und stürzte von seinem Gestell, eben als der Ägypter sich über sein beabsichtigtes Opfer niederbeugte, traf die Marmormasse den Gebückten zwischen Schulter und Nacken! – Der Schlag streckte ihn jählings, ohne Laut, Bewegung oder Lebenszeichen aus den Boden, – dem Anschein nach von eben der Gottheit zerschmettert, deren Leben er ruchlos nachgeäfft und angefleht hatte!

»Die Erde hat ihre Kinder bewahrt,« rief Glaukus, sich emporraffend. »Gesegnet sei ihre furchtbare Zuckung! Laß uns die Fürsorge der Götter verehren!«

Er half Apäcides aufstehen und wandte dann das Gesicht des Arbaces empor. Der Tod schien ihm sein Siegel aufgedrückt zu haben. Blut strömte aus den Lippen auf die glänzenden Kleider herab; schwer fiel er aus Glaukus Armen zurück, und der rote Strom träufte langsam auf den Marmor hin. Aufs neue bebte die Erde unter ihren Füßen; sie mußten sich aneinander anklammern; die Erschütterung ließ ebenso schnell nach, wie sie gekommen; sie weilten nicht länger und flohen von der unheimlichen Stätte.

Kaum waren sie in den Garten gelangt, als von allen Seiten fliehende, ungeordnete Scharen von Sklaven mit ihnen zusammentrafen, deren festliche, glänzende Gewänder wie ein Spott gegen die furchtbaren Schrecken der Stunde abstachen. Sie schienen die Fremden nicht zu beachten; – sie waren bloß mit ihrer eigenen Angst beschäftigt. Nach einer Ruhe von sechzehn Jahren drohte der brennende, trügerische Boden aufs neue Zerstörung. Sie stießen nur einen Schrei aus: »Ein Erdbeben! Ein Erdbeben!« – Unangehalten eilte das Geschwisterpaar und Glaukus, ohne das Haus zu betreten, eine der Alleen hinab und flohen durch eine offene Pforte, vor welcher Nydia in ängstlicher Erwartung ihrer harrte.

*


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