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Um Tod und Leben.

Die Wolke, die einen so trüben Nebel über den Tag verbreitet hatte, war jetzt zu einer festen, undurchdringlichen Masse verdichtet. Im Verhältnis zu der immer mehr überhandnehmenden Finsternis wurden auch die vom Gipfel des Vesuvs herabzuckenden Blitze intensiver. Der blendende Glanz derselben spielte in allen Regenbogenfarben; jetzt glänzte es blau, wie die azurne Tiefe des südlichen Himmels; – jetzt zuckte es in einem gelblichen, schlangenartigen Grün rastlos hin und her, wie die Windungen eines ungeheueren Gewürms; jetzt erleuchtete es in einem schauerlichen, kaum ertragbaren Rot, das weit und breit aus den Rauchsäulen emporfuhr, die ganze Stadt von Halle zu Halle; dann erstarrte es wieder jählings zu einer krankhaften Blässe, gleichsam dem Gespenst seines eigenen Daseins.

In den Pausen des Aschenregens hörte man unterirdisches Rollen und die seufzenden Wellen der bewegten See; oder wohl auch leiser und nur der Aufmerksamkeit der höchsten Angst vernehmbar, das zischende Geräusch der Luftarten, die durch die Spalten des fernen Berges entwichen. Bisweilen schien die Wolke ihre feste Masse zu brechen und beim Schein des Blitzes seltsam riesige Gestalten von Menschen oder Ungeheuern anzunehmen, die durch das Dunkel hinschritten, gegeneinander anstießen und schnell wieder in dem wirbelnden Abgrund der Finsternis verschwanden, so daß dem Auge und der Einbildungskraft der geängsteten Flüchtlinge die wesenlosen Dünste, wie die Leiber gigantischer Dämonen, – Träger des Schreckens und Todes, – erschienen.

An manchen Orten lag die Asche bereits mehrere Fuß hoch und die siedenden Wasserströme, die der dampfende Hauch des Vulkans herjagte, drangen in die Häuser, sie mit einer erstickenden Atmosphäre erfüllend. An einigen Orten schlugen ungeheuere, auf die Dächer geschleuderte Felsstücke, Massen wirren Getrümmers in die Straßen nieder, das Stunde um Stunde den Weg mehr und mehr versperrte. Mit dem Vorrücken des Tages wurde die Bewegung der Erde fühlbarer; – wo man den Fuß hinsetzte, schien der Boden wegzugleiten und umherzukreisen, und ebensowenig konnte ein Wagen oder eine Sänfte selbst auf dem ebensten Grund aufrecht erhalten werden.

Bisweilen brachen größere Steine, im Niedersturz aneinanderstoßend, in zahllose Stücke und sprühten Feuerfunken aus, die jeden brennbaren Gegenstand in ihrer Nähe entzündeten, so daß die Finsternis um die Stadt her endlich furchtbar erhellt wurde; denn mehrere Häuser und sogar Weingärten waren in Flammen geraten. Um dem durch die Finsternis hervorgerufenen Wirrwarr zu steuern, hatten die Bewohner an öffentlichen Plätzen, wie z. B. den Säulenhallen der Tempel und den Zugängen zum Forum, Reihen von Fackeln ausgestellt, aber diese hielten selten lange an; Regen und Wind löschten sie aus, und die plötzliche Finsternis, welche dem Licht folgte, hatte etwas doppelt Schreckhaftes.

Häufig begegneten einander während des augenblicklichen Scheins solcher Fackeln Haufen von Flüchtlingen, einige nach dem Meere zueilend, andere von dem Meer nach dem Land fliehend. Denn der Ozean hatte sich schnell von dem Gestade zurückgezogen; – eine undurchdringliche Nacht lag über demselben, und auf seine stöhnenden, übereinanderschlagenden Wogen fiel der Sturm der Asch und Steine ohne den Schutz, den auf dem Lande Straßen und Dächer gewährten. Wild, verzerrt, Gespenstern gleich trafen diese Gruppen aufeinander, ohne sich die Zeit zu nehmen, zu sprechen, um Rat zu fragen oder zu geben; denn immer häufiger, wenn auch nicht ohne Unterbrechung, stürzte das Wasser herab, löschte die Lichter aus, welche die totenähnlichen Gesichter der Vorübergehenden einander zeigten, und jagten alle dem nächsten, besten Obdach zu. Die Elemente des gesellschaftlichen Zustandes waren gebrochen. Da und dort sah man bei den flackernden Lichtern einen Dieb an den höchsten Behörden des Gesetzes vorübereilen, taumelnd und keuchend unter der Last seines schnellen Raubes. Kam in der Finsternis die Gattin von dem Gatten, das Kind von den Eltern ab, so war die Hoffnung auf Wiedervereinigung umsonst. Alles stürmte wild und wirr dahin. Nichts von dem vielseitigen, verwickelten Gewebe des gesellschaftlichen Lebens blieb zurück als das Urgesetz der Selbsterhaltung!

Durch diese grauenhafte Umgebung verfolgte der Athener seinen Weg, begleitet von Ione und dem blinden Mädchen. Plötzlich stürzte ein Haufen von mehreren Hunderten, die nach der See zueilten, an ihnen vorüber; Nydia wurde von der Seite des Glaukus weggerissen, während die Menge ihn selbst mit Ione schnell vorwärts drängte, und als das Getümmel vorüber war, blieb Nydia immer noch von ihren Freunden getrennt. Glaukus schrie laut ihren Namen. Keine Antwort. Sie kehrten um: – umsonst; sie vermochten das Kind nicht aufzufinden; – offenbar hatte es der Menschenstrom nach einer ganz anderen Richtung fortgerissen.

So hatten Glaukus und Ione nicht nur eine treue Dienerin, sondern auch ihre Führerin verloren, denn Nydias Blindheit hatte sie gewöhnt, die Krümmungen der Straßen in ewigem Dunkel zu verfolgen, hatte sie das Paar, ohne zu irren, gegen das Ufer des Meeres geführt, von wo aus sie einen Versuch zur Flucht wagen wollten. – Welchen Weg sollten sie jetzt einschlagen? Alles war finster für sie – ein Irrgewinde ohne leitenden Faden. Matt, entmutigt, verstört setzten sie ihren Gang noch eine Zeitlang fort, während die Asche ihnen auf das Haupt fiel, und Steintrümmer funkenschlagend zu ihren Füßen niederstürzten.

»Ach,« flüsterte Ione, »ich kann nicht weiter gehen, meine Füße versinken in der glühenden Asche. Fliehe, Glaukus, fliehe, und überlaß mich meinem Schicksal!«

»Still, teuere Ione,« erwiderte der Athener, »der Tod mit dir ist süßer als das Leben ohne dich! Aber wohin sollen wir uns in diesem Dunkel wenden? Es dünkt mir, als hätten wir nur einen Kreis gemacht und seien wieder auf derselben Stelle angelangt, die wir vor einer Stunde verließen.«

»Götter!« rief Ione erschreckt, »jenes Felsstück hat das Dach neben uns zerschmettert. Der Weg durch die Straßen ist tödlich.«

Bild: Eugen Hanetzog

»Gesegneter Blitz! Sieh Ione, sieh, der Portikus des Fortunatempels ist vor uns. Laß uns hinein, er wird uns gegen die Regengüsse schützen!«

Er faßte Ione in die Arme und erreichte mit Mühe den Tempel. Er trug sie in den entfernteren, besser gedeckten Teil des Portikus und lehnte sich über sie, sie mit dem eigenen Körper gegen Blitz und Aschenregen zu schützen.

»Wer ist da?« fragte die bebende hohle Stimme eines Menschen, der sich vor ihnen in diesen Zufluchtsort gerettet hatte.

Ione wandte sich bei dem Ton um, stieß einen schwachen Schrei aus und verbarg sich aufs neue in Glaukus Armen; der Athener sah nach der Richtung hin, von der die Stimme gekommen und erkannte den Gegenstand ihres Schreckens. Durch die Dunkelheit stierten ihm zwei brennende Augen entgegen; – ein langer Blitz zuckte um den Tempel her, und mit Schauder erkannte Glaukus den Löwen, dem er hatte vorgeworfen werden sollen, still zwischen die Säulen gekauert; hart neben ihm lag eine solche Nachbarschaft nicht ahnend, die riesige Gestalt des Gladiators Niger.

Der Blitz hatte Mensch und Tier einander gegenseitig enthüllt; aber der Instinkt beider war erloschen. Ja, der Löwe kroch näher zu dem Gladiator, wie um einen Gefährten zu haben, und Niger zitterte nicht, wich nicht zurück. Der Umsturz der Natur hatte ihre Schrecken und gewohnten Gesetze vernichtet.

Während jene sich unter diesem schreckhaften Schutzdach befanden, kam eine Gruppe Männer und Frauen mit Fackeln an ihnen vorbei. Sie gehörten zu der Gemeinde der Nazarener; eine erhabene, über allen irdischen Verhältnissen schwebende Gemütsstimmung hatte den natürlichen Schrecken in ihnen zwar nicht zu ersticken vermocht, wohl aber dem Schrecken die Angst benommen. Schon längst nämlich glaubten sie, gemäß einem allgemeinen Irrtum der ersten Christen, der jüngste Tag stehe bevor, und jetzt, meinten sie, sei dieser Tag gekommen.

Die Nazarener zogen langsam vorüber; ihre Fackeln flackerten im Sturm, ihre Stimmen stiegen drohend und furchtbar warnend empor, bis sie sich endlich in den Straßenwindungen verloren hatten; und das Dunkel der Luft, die Stille des Todes sank aufs neue auf den Tempel nieder.

Der heiße Regen hatte aufgehört, und Glaukus ermutigte Ione zum Weitergehen.

Tappend schritten sie vorwärts, und nur in den Momenten, wo die vulkanischen Blitze über den Straßen weilten, waren sie imstande, bei dieser furchtbaren Leuchte ihre Schritte zu beeilen. Allein der Anblick, der sich ihnen dann jedesmal darbot, taugte eben nicht zur Ermutigung oder Erleichterung ihrer Herzen. An einigen Stellen, wo die Asche trocken und unvermischt mit dem siedenden Wasser war, das der Berg in launenhafter Abwechslung ausgeworfen hatte, bedeckte ein bleiches, aussatzartiges Weiß die Oberfläche der Erde; an anderen Orten lagen Kohlen und Steine in hohen Haufen, unter welchen halb versteckt die Glieder zermalmter und zerschmetterter Menschen hervorsahen. Die Seufzer der Sterbenden wurden bald nah, bald fern von wildem Geschrei angsterfüllter Weiber unterbrochen, das in der gänzlichen Finsternis durch das Gefühl der vollendeten Hilflosigkeit und Unsicherheit gegen die umgebenden Gefahren doppelt schauderhaft erschien. Aber durch allen Lärm hindurch drang das Getöse des feuerspeienden Berges, seine ausströmenden Gase, seine Wasserwirbel, und von Zeit zu Zeit das Geheul und Gebrüll eines stärkeren Flammenausbruchs. So oft der Wind über die Straßen hinfegte, führte er Ströme brennenden Staubes und so giftige Dämpfe mit sich, daß für den Augenblick dem Getroffenen Atem und Bewußtsein schwanden, worauf ein heftiger Umlauf des gehemmten Blutes und eine prickelnde, ängstliche Empfindung in jedem Nerv und jeder Fiber des Körpers folgten.

»Glaukus, meine Füße versagen mir den Dienst,« klagte Ione plötzlich, »ich kann nicht mehr weiter.«

»Nur noch für eine kurze Spanne Zeit stähle deinen Mut,« bat Glaukus. »Sieh, dort kommen Fackeln, welche der Sturm selbst nicht auszulöschen vermag. Ihre Träger sind wahrscheinlich Flüchtlinge, die dem Meere zueilen. – Wir wollen uns ihnen beigesellen.«

Wie um beide zu ermuntern, trat plötzlich ein Stillstand ein. Der Sturm ließ jetzt nach, und der Vesuv schien zu ruhen, vielleicht neue Wut zum nächsten Ausbruch sammelnd.

Schnell schritten die Fackelträger vor.

»Wir nähern uns der See,« sprach mit ruhiger Stimme ein Mann an ihrer Spitze; »Freiheit und Reichtum jedem Sklaven, der diesen Tag überlebt! Mut, ich sage euch, die Götter selbst haben mir euere Errettung zugesagt; – vorwärts!«

Rot und fest leuchteten die Fackeln in die Augen des Atheners und der sich an ihn schmiegenden Ione.

Verschiedene Sklaven trugen schwerbeladene Körbe und Kisten; vor ihnen ragte, ein blankes Schwert in der Hand, die hohe Gestalt des Arbaces empor.

»Bei meinen Vätern,« rief der Ägypter; »das Schicksal lächelt mir. Hinweg Grieche; ich fordere mein Mündel Ione.«

»Verräter und Mörder!« rief Glaukus und blickte seinem Feinde fest in die Augen. »Die Nemesis hat dich meiner Rache zugeführt! Ein gerechtes Opfer für die Schatten des Hades, der jetzt auf der Erde losgelassen scheint. Nähere Dich, berühre nur die Hand Iones, und deine Waffe soll sein wie ein Schilfrohr; – Glied um Glied will ich dich zerreißen!«

Noch sprach er, als der Ort, wo sie standen, jählings von einem starken bläulichen Glanz erleuchtet wurde. Hell und riesig durch das Dunkel, das ihn wie die Wände der Hölle umgab, stieg vom Berg eine riesige Glutsäule empor. Der untere Teil des Berges aber hüllte sich dagegen noch immer in Finsternis, die Stelle ausgenommen, über welche schlängelnd und unregelmäßig Ströme geschmolzener Lava hinflossen. Dunkelrot in der tiefen Nacht ihrer Ufer rieselten sie langsam daher, wie es schien, gerade auf die unglückliche Stadt zu. Über dem breitesten erhob sich ein zerrissener, ungeheuerer Bogen, aus welchem, wie aus dem Schlund der Hölle, die Quellen des plötzlichen Phlegethon ausströmten.

Die Sklaven schrien laut auf und verbargen niederkauernd ihr Gesicht. Der Ägypter selbst stand wie an den Boden angewurzelt; die Glut leuchtete auf seine Herrschermiene und sein juwelenschimmerndes Gewand.

Hinter ihm erhob sich eine schlanke Säule, welche die eherne Statue des Augustus trug, und das Kaiserbild schien in eine Flammengestalt verwandelt.

Den linken Arm um Ione geschlungen, den rechten drohend erhoben, und den Stilus, der seine Waffe in der Arena gewesen, in fester Hand haltend, – die Stirn gefurcht, die Lippen geöffnet, den ganzen Zorn des Menschenherzens wie durch einen Zauber auf seine Züge gebannt, stand Glaukus dem Ägypter gegenüber.

Vor sich hinflüsternd, wandte Arbaces seine Augen von dem Berge ab; sie fielen auf die Gestalt des Glaukus. Er hielt einen Moment an.

»Warum?« sprach er, »soll ich zaudern? Herbei Sklaven! – Athener, widerstehe mir, und dein Blut komme auf dein eigenes Haupt!«

Dabei tat er einen Schritt vorwärts. In demselben Augenblick erbebte der Boden unter ihm derart, daß alles schwankte. Durch die ganze Stadt dröhnte ein gleichzeitiges Gekrach vom Niedersturz der Dächer und Pfeiler. – Ein Blitz, wie von dem Metall angelockt, verweilte einen Augenblick über dem Kaiserbild und zersplitterte dann Erz und Säule! Zertrümmert stürzte sie nieder; lang tönte der Widerhall in der Straße nach, und das feste Pflaster spaltete sich, wo sie hinschmetterte.

Das Getöse, die Erschütterung betäubten den Athener eine Zeitlang. Als er sich wieder erholt hatte, erhellte das Licht noch immer den Ort – die Erde wankte und bebte noch immer! Ione lag bewußtlos auf dem Boden; – aber nicht sie sah er jetzt; seine Blicke waren auf ein grauenhaftes Antlitz geheftet, das ohne Rumpf und Glieder aus den Trümmern der zerschmetterten Säule ragte – ein Antlitz voll unaussprechlicher Qual und Verzweiflung.

So starb der große Arbaces, der bisher gewohnt gewesen war, über andere zu triumphieren. Ein erbärmliches Ende für einen Mann, der sich mit seiner Weisheit und seinen Zauberkünsten gebrüstet.

Glaukus wandte sich grauend, von dem Totenantlitz des Ägypters ab, faßte Ione noch einmal in die Arme und floh durch die Straße, die noch immer hell erleuchtet war. Plötzlich aber kam wieder ein dunkler Schatten über die Luft. Instinktartig wandte der Athener das Gesicht dem Berge zu, und siehe, eines der zwei Riesenhörner, in welche sich der Gipfel desselben gespaltet, schwankte bebend hin und her, stürzte dann mit einem Getös, dessen Donner keine Sprache ausdrücken kann, von seinem brennenden Fußgestell und rollte eine Feuerlawine an den Seiten des Abhangs herunter. Im nämlichen Augenblick ergoß sich ein Strom des schwärzesten Rauchs, fort und fort wogend, über Luft, See und Erde.

Ein Aschenregen – und wieder einer – und noch einer – viel dichter als die frühern, goß neue Verheerung über die Straßen aus. Finsternis hüllte wieder alles ein.

Glaukus, dessen kühnes Herz endlich der Verzweiflung Raum gab, sank unter einer Bogenwölbung mit Ione nieder und sah mit Ergebung dem Tod entgegen.

Indessen hatte Nydia, die durch das Gedränge von Glaukus und Ione losgerissen worden war, vergeblich eine Wiedervereinigung mit beiden angestrebt. Ihr Klageruf verlor sich unter dem tausendfachen Geschrei. Immer wieder kehrte sie zu dem Fleck zurück, wo sie voneinander getrennt worden waren. Endlich fiel Nydia die Absicht des Atheners, nach dem Meeresstrande zu fliehen, ein, sie würde demselben mithin am ersten auf diesem Wege wieder begegnen. So half sie sich denn, auf ihren Stab gestützt, den sie immer bei sich führte, mit unglaublicher Gewandtheit durch die Trümmerhaufen, die ihren Weg versperrten, verfolgte Straße auf Straße und nahm, ohne zu irren – so segensreich war jetzt die Gewohnheit an das Dunkel, die für das gewöhnliche Leben ja jammervoll ist – die nächste Richtung nach der Küste.

Das Schicksal schien die Hilflose zu begünstigen, denn die siedenden Wassergüsse berührten sie nicht, und die ungeheueren. Schlackentrümmer zerschmetterten das Pflaster vor und neben ihr, verschonten aber ihre zarte Gestalt. Die lockere Asche, welche aus sie fiel, schüttelte sie mit leichem Beben ab und setzte uneingeschüchtert ihren Weg fort.

Schwach, allen Gefahren ausgesetzt und doch furchtlos, nur von einem einzigen Wunsch ausrecht gehalten, war sie das wahre Bild der wandernden Psyche, – der durch das Tal der Schatten wallenden Hoffnung, – der Seele selbst – einsam, aber getröstet unter den Gefahren und Fallstricken des Lebens.

Indessen wurde ihr Weg fortwährend durch fliehende Menschen erschwert, die bald im Dunkeln dahintappten, bald beim Glanz der Blitze vorüberflohen, und als endlich eine Gruppe von Fackelträgern in vollem Lauf gegen sie anrannte, ward sie endlich heftig niedergeworfen.

»Was,« rief eine Stimme aus der Schar hervor, »ist das nicht das wackere, blinde Mädchen? Beim Bacchus! Die dürfen wir hier nicht sterben lassen. Auf, meine Thessalierin! – So, so – hast du dich nicht verletzt? Komm mit uns, wir eilen nach der Küste.«

»Ah, Sallust, deine Stimme!« rief Nydia erfreut. »Dank sei den Göttern. Hast du Glaukus gesehen?«

»Ich nicht; ohne Zweifel ist er bereits aus der Stadt weg. Die Götter, die ihn von dem Löwen errettet haben, werden ihn auch von dem Feuerberg erretten.«

Während der freundliche Sallust Nydia also ermutigte, zog er sie mit sich gegen die See zu, ohne auf die heißen Bitten zu achten, mit denen sie ihn anflehte, er möchte noch etwas verweilen und den Glaukns aufsuchen. Immer noch fuhr sie im Ton der Verzweiflung fort, den geliebten Namen laut auszurufen, der mitten im Aufruhr der tobenden Elemente ihrem Herzen wie Musik klang.

Die plötzliche Helle, der Ausbruch der Lavaftröme und das Erdbeben trat ein, als Sallust und seine Begleiter eben den geraden Weg von der Stadt nach dem Hafen erreicht hatten. Hier wurden sie durch ein ungeheures Gedränge in ihrem Lauf aufgehalten. Die Mehrzahl der geflüchteten Bewohner trieb sich auf den Feldern außerhalb der Stadtmauern hin und her. Das Meer war weit vom Ufer zurückgewichen, und jene, welche die Flucht dorthin genommen hatten, waren von der Bewegung und dem unnatürlichen Zurückweichen des Elements, sowie von dem Getöse der gewaltigen Steine, die der Berg in die Tiefe schleuderte, so erschreckt, daß sie nach dem Lande umkehrten, welches immer noch einen minder gräßlichen Anblick darbot. So stießen zwei Menschenströme aufeinander, da stets noch neue Scharen aus der Stadt anlangten, um auf dem Meere ihr Heil zu suchen.

»Die Welt muß durch Feuer untergehen,« rief ein alter Mann in einem langen, weiten Gewand, ein Philosoph von der stoischen Schule.

»Ja, die Stunde ist gekommen,« antwortete eine laute Stimme feierlich, aber furchtlos. Die Nächststehenden sahen sich erschreckt um. Die Worte kamen von oben. Es war die Stimme Olinths, der, von seinen christlichen Brüdern umgeben, auf einer jähen Anhöhe stand, auf welcher die alten griechischen Ansiedler dem Apollo einen längst verwitterten und halb verfallenen Tempel erbaut hatten.

Noch während jener sprach, stieg die mächtige Feuersäule aus dem Krater des Vesuvs auf; sie erleuchtete die geängstete, niedergekrümmte atemlose Menge, und nie aus Erden hatten Menschengesichter so gespensterhaft ausgesehen! – Nie war einer Versammlung von Sterblichen die Furchtbarkeit und Majestät des Jenseits so aufgedrückt! – Nie, bis die letzte Posaune ertönt, wird man eine solche Versammlung wiedersehen! Hoch oben ragte die Gestalt Olinths mit dem ausgestreckten Arm. Die Menge erkannte das Gesicht dessen, den sie dem Rachen der wilden Tiere vorgeworfen hatte, und wieder erscholl durch das Schweigen die verkündende Stimme: »Die Stunde ist gekommen!«

Die Christen wiederholten den Ruf, der sich nach allen Seiten hin fortpflanzte.

In diesem Augenblick übertönte ein wildes Geheul die Stimmen der Menschen; ohne zu wissen, wohin, kam der furchtbare Tiger der afrikanischen Wüste in wilden Sprüngen durch die Menge daher und stürzte durch ihre sich teilenden Wogen. Nach ihm das Erdbeben, und wiederum sank Finsternis über die Erde.

Und neue Flüchtlinge langten an. Herren der Schätze, die jetzt nicht mehr dem Arbaces gehörten, gesellten sich dessen Sklaven der Menge bei. Nur eine einzige von ihren Fackeln flackerte noch; sie wurde von Sofia getragen, und bei dem Licht, das aus Nydias Antlitz fiel, erkannte dieser die Thessalierin.

»Was hilft dir nun deine Freiheit, blindes Mädchen?« fragte der Sklave.

»Wer bist du? Kannst du mir etwas von Glaukus sagen?«

»O ja, noch vor wenigen Minuten sah ich ihn.«

»Gesegnet sei dein Haupt! Wo?«

»Unter dem Bogen des Forums – tot oder sterbend – im Begriff, den Arbaces einzuholen, der nicht mehr ist.«

Nydia sprach kein Wort; sie stahl sich von Sallusts Seite weg; schweigend schlich sie durch das Gedränge und schlug wieder den Weg nach der Stadt ein. Sie erreichte das Forum und seinen Bogen; sie hielt an und ries den Namen des Glaukus.

Eine schwache Stimme antwortete: »Wer ruft mich? Ist es die Stimme der Schatten? Ich bin bereit.«

»Stehe auf und folge mir,« antwortete die dankbare Thessalierin. »Du sollst gerettet werden.«

Staunend und mit rasch zurückkehrender Hoffnung erhob sich Glaukus; tief bewegt drückte er die Hand des blinden Mädchens und, Ione halb führend, halb tragend, folgte er der treuen Führerin. Mit bewunderungswerter Besonnenheit vermied diese den Pfad, der zu dem eben von ihr verlassenen Menschengewühl führte und suchte die Küste auf einem andern Weg zu gewinnen.

Nach manchem Hemmnis und großer Mühsal erreichten sie die See und kamen zu einer Gruppe Flüchtiger, die, kühner als die übrigen, entschlossen waren, sich lieber jeder Gefahr auszusetzen, als länger in einer solchen Umgebung zu bleiben. Im Dunkel stießen sie in einem großen Fahrzeug vom Ufer ab; als sie sich aber etwas weiter vom Land entfernt hatten, so daß sich ihnen der Berg von einer anderen Seite darstellte, warfen seine Lavaströme einen roten Schimmer über die Gewässer.

Gänzlich erschöpft und abgemattet schlief Ione an der Brust des Atheners ein, und Nydia setzte sich zu seinen Füßen nieder. Die noch immer in der Höhe dahinfliegenden Staub- und Aschenregen fielen in die Fluten und spritzten ihren Schaum über das Verdeck aus. Weit und breit von den Winden fortgeführt, stürzten diese Schauer auf die fernsten Gegenden nieder, schreckten selbst das gebräunte Afrika und wirbelten über den alten Boden Syriens und Ägyptens hin.

Die grausige Nacht näherte sich ihrem Ende. Der Sturm legte sich gänzlich, und der Schaum schwand von dem herrlichen Azur der leuchtenden See. Im Osten nahmen dünne Nebel allgemach die rosigen Farben an, die Boten des Morgens sind. Das Licht begann wieder in seine Herrschaft einzutreten; aber dunkel und fest lagerten sich in der Ferne die zerbrochenen Trümmer der zerstörten Wolke, deren roter Streifen, schwächer und schwächer glühend, die immer noch fortrollenden Feuer des Flammenberges andeuteten. Die weißen Mauern und schimmernden Säulen, welche die lieblichste Küste geschmückt hatten, waren nicht mehr! Traurig und öde standen die Ufer, auf welchen noch wenige Stunden zuvor die Städte Herkulanum und Pompeji emporgeragt hatten. Die Lieblinge des Ozeans waren seiner Umarmung entrissen!

Kein Ruf freudiger Überraschung erhob sich unter den Schiffern bei dem dämmernden Morgenlicht; es war zu allmählich gekommen, und sie zu ermüdet zu einem so plötzlichen Ausbruch des Jubels; aber ein leises Geflüster des Dankes entstieg den Wanderern der langen Nacht. Sie sahen einander an und lächelten, – sie faßten Mut, – sie empfanden wieder, daß es eine Welt um sie her und einen Gott über ihnen gebe! Und im Gefühl, daß das Schlimmste vorüber sei, wandten sich die Abgematteten um und sanken ruhig in Schlaf. Mit dem aufsteigenden Licht des Himmels kam auch eine Stille, deren die Nacht entbehrt hatte – die Milde der Ruhe, und still schwebte die Barke, welcher noch viele andere Fahrzeuge folgten, dem Hafen zu.


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