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Rette sich, wer kann.

Halb betäubt von dem unverhofften Glück seiner plötzlichen Begnadigung war Glaukus von den Dienern der Arena in eine kleine Zelle geführt worden. Er hörte nur mit halbem Ohr auf die Beglückwünschungen der ihn umgebenden Personen, und erst als die Tür aufgerissen wurde und Nydia, von ein paar mitleidigen Männern geführt, hereinstürzte, kehrte sein Bewußtsein ganz und voll zurück. Tränenden Auges blickte er auf das blinde Mädchen, das sich zu seinen Füßen geworfen und jetzt schluchzend in die Worte ausbrach:

»Den Göttern sei Dank – du lebst, ich habe dich gerettet!«

Mit ziemlicher Hast teilte sie ihm ihre Erlebnisse der letzten Tage mit, doch hatte sie kaum ihren Bericht beendet, als die Eruption des Vesuvs begann.

»Der Berg speit Feuer! Die Erde bebt!« schrie es von allen Seiten. Die Diener flohen mit den übrigen und überließen es Glaukus und Nydia sich zu retten, so gut sie konnten.

Nicht sobald war die neue, drohende Gefahr dem Athener zum Bewußtsein gekommen, als sein edles Herz sich Olinths erinnerte. Auch er war durch die Hand der Götter von dem Tiger erlöst: sollte er in der Zelle einem nicht minder schrecklichen Los zur Beute fallen? Nydia bei der Hand fassend, stürzte Glaukus durch die Gänge fort und erreichte den Kerker des Christen, der betend auf den Knien lag.

»Auf, auf! mein Freund!« rief er, »rette dich und flieh! Siehe, die Natur ist eine entsetzenvolle Befreierin!« Er führte den Bestürzten heraus, zeigte ihm die Wolke, die, schwärzer und schwärzer, Regen von Asche und Gestein entladend, herannahte und verwies ihn auf das Geschrei und die lärmende Flucht der Menge.

»O, dies ist Gottes Hand; der Herr sei gelobt!« rief Olinth andächtig.

»Fliehe,« ermahnte Glaukus, »suche deine Brüder; berate dich mit ihnen, wie du entkommen willst. Lebe wohl!«

Olinth gab weder eine Antwort, noch bemerkte er, daß sein Freund sich entfernte. Erhabene Gedanken erfüllten seine ganze Seele, und in begeistertem Herzen frohlockte er über die Barmherzigkeit Gottes, als daß er über die sichtbaren Zeichen seiner Macht gezittert hätte.

Endlich erhob er sich und stürzte fort, kaum wußte er, wohin. Er gelangte zu einem offenen Tore, hinter welchem sich ein von einer flackernden Lampe nur schwach beleuchteter Raum ausdehnte. Drei leblose Gestalten lagen auf dem Boden. Jählings hielt Olinth in seiner Flucht an, denn mitten durch die Schrecken des Spolariums hörte er eine leise Stimme den Namen Christi aussprechen! Er trat in die Totenkammer, und seine Füße wurden von dem Blutstrom benetzt, der langsam von den Leichen über den Sand hinrieselte.

»Wer ruft den Sohn Gottes an?« fragte der Nazarener.

Keine Antwort erfolgte; aber umherblickend gewahrte Olinth einen alten, grauhaarigen Mann, der auf dem Boden kauerte und in seinem Schoß das Haupt eines eben Gestorbenen hielt. Die Züge des Toten waren fest und streng geschlossen vom letzten Schlaf, aber um die Lippen spielte ein wildes Lächeln, nicht das Hoffnungslächeln des Christen, sondern der finstere Hohn des Hasses und Trotzes. Gleichwohl weilte noch auf dem Gesicht die schöne Fülle früher Jugend. Das Haar kräuselte sich dicht und glänzend um die faltenlose Stirn. Über das marmorbleiche Antlitz beugte sich jenes des Greises, dessen heiße Tränen den Schmerz seines Herzens bekundeten, aber er fühlte sie nicht, und als er seine Lippen bewegte und mechanisch das Gebet seines milden, hoffnungsvollen Glaubens aussprach, waren weder sein Herz noch sein Sinn bei den Worten; sie schienen bloß der unwillkürliche Erguß seines erstarrten Gemütes. Sein Sohn war tot, war für ihn gestorben, und das Herz des alten Mannes war gebrochen.

»Medon,« sprach Olinth mitleidig; »stehe auf und fliehe! Gott naht auf den Schwingen des Sturmwindes! Das neue Gomorrha hat sein Schicksal erreicht! Fliehe, ehe dich das Feuer verzehrt!«

»Er war immer so voll von Leben,« barmte der arme Alte, »er kann nicht tot sein! Komm daher, lege deine Hand auf sein Herz! – gewiß schlägt es noch.«

»Bruder, die Seele ist entflohen! Wir wollen ihrer in unseren Gebeten gedenken! Du kannst den toten Staub nicht wieder erwecken. Komm, komm! Horch! während ich da spreche, krachen die Mauern! – Horch, das Geschrei der Todesangst! Kein Augenblick ist zu verlieren – komm!«

»Ich höre nichts,« erwiderte Medon, die grauen Locken schüttelnd. »Der arme Junge; seine Liebe zu mir hat ihn getötet!«

»Komm, komm,« drängte Olinth, den verzweifelnden Vater beim Arm fassend; allein Medon riß sich los und rief:

»Wer will den Vater von dem Sohne trennen? Geh du, ich bleibe bei ihm.«

»Ach,« erwiderte der mitleidige Nazarener, »der Tod hat euch ja bereits getrennt?«

Der alte Mann lächelte ruhig. »Nein, nein, nein,« flüsterte er, indem seine Stimme bei jedem Wort leiser ward; »der Tod ist gütiger gewesen.«

Damit sank sein Haupt auf die Brust seines Sohnes, seine Arme ließen von der Umschlingung nach, Olinth faßte seine Hand; – der Puls hatte aufgehört zu schlagen. Die letzten Worte des Vaters waren Worte der Wahrheit: der Tod war gütiger gewesen!

Unterdessen schritten Glaukus und Nydia durch die gefährlichen, schreckensvollen Straßen. Der Athener hatte von seiner Retterin erfahren, daß Ione noch im Hause des Arbaces sei. Dorthin flog er, um sie zu erretten und zu erlösen.

Die wenigen Sklaven, welche der Ägypter zurückgelassen, als er sich in langem Zuge nach dem Amphitheater begeben, hatten nicht vermocht, der bewaffneten Schar Sallusts Widerstand zu leisten, und als nachher der Ausbruch des Vesuvs erfolgte, waren sie betäubt und erschrocken in die innersten Winkel des Hauses geflüchtet. Selbst der lange Äthiopier an der Tür hatte seinen Posten verlassen, und Glaukus, der Nydia vor der Pforte ließ, eilte durch die große Halle, ohne auf jemand zu treffen, von dem er das Zimmer Iones hätte erfahren können. Doch in diesem Augenblick nahm die Finsternis, die den Himmel bedeckte, so rasch zu, daß er seinen Weg nur mit Schwierigkeit zu verfolgen vermochte. Die mit Blumen bekränzten Säulen schienen zu wanken und zu beben, und jede Sekunde hörte er die Asche knisternd in das dachlose Peristyl fallen. Atemlos eilte er weiter und rief den Namen Iones laut aus. Endlich vernahm er am Ende einer Galerie ihre Stimme. Vorwärts stürzen, die Tür sprengen, Ione in die Arme fassen und aus dem Hause eilen, war für ihn das Werk einiger Minuten.

Bei Nydia wieder angelangt, vernahm er Schritte, die sich dem Palast schnell näherten. Bald erkannte er die Stimme des Ägypters, der aus dem Amphitheater zurückkehrte, um seine Reichtümer an sich zu raffen, ehe er sich auf die Flucht begab. Aber so dicht war bereits die raucherfüllte Atmosphäre, daß die Feinde einander selbst in dieser Nähe nicht zu Gesicht bekamen, und Glaukus nur den Umriß der weißen Kleider des Ägypters undeutlich in dem Nebel wahrnahm.

Der Athener eilte mit Ione und Nydia vorwärts; allein die Finsternis hatte derart zugenommen, daß sie keinen Schritt weit vor sich sahen.

Neuer Schrecken durchzuckte sie, und der Tod, dem Glaukus für einen Moment entgangen, schien nur seine Gestalt verändert, seine Opfer vermehrt zu haben.

Das gleiche Verderben schwebte aber über allen Bewohnern der Stadt, und die furchtbare Macht des Erdbebens hatte alle Bande der Gesellschaft gelöst und Kerkermeister und Gefangene in gleiche Freiheit gesetzt. Dieselbe Macht überhob auch Kalenus der Wächter, deren Obhut er vom Prätor übergeben wurde. Nicht sobald hatten Dunkelheit und Menschengewühl ihn von seinen Begleitern getrennt, als er mit zitternden Schritten dem Tempel seiner Göttin zueilte. Unterwegs, ehe noch die Finsternis vollkommen geworden, fühlte er sich plötzlich am Gewand gefaßt, und eine Stimme flüsterte in sein Ohr:

»Pst! Kalenus! – Eine arge Stunde!«

»Ja, bei meines Vaters Haupt! Wer bist du? Dein Gesicht ist mit Nacht bedeckt, und deine Stimme ist mir fremd.«

»Du wirst deinen Burbo doch kennen,« erwiderte der stämmige Wirt der Gladiatorenschenke.

»Götter, wie das Dunkel zunimmt!« rief Kalenus bebend. »Ha, wie es bei jenem furchtbaren Berge plötzlich blitzt! Wie die Feuer sich schlängeln; die Hölle ist auf Erden los.«

»Still, glaubst du doch an dergleichen nicht, Kalenus. Jetzt ist die Zeit, unser Glück zu machen. Dein Tempel birgt Gold und kostbare Mummereien. Laß dieselben uns aneignen und mit ihnen nach dem Meere entfliehen. Niemand wird ja über das Rechenschaft fordern, was heute geschieht.«

»Burbo, du hast recht,« rief Kalenus, »folge mir in den Tempel, und wir wollen teilen!«

In der Vorhalle des Tempels waren viele Priester um die Altäre versammelt, betend, weinend, in den Sand geworfen. Kalenus eilte an ihnen vorüber in eine Zelle, in der Wein und Speisen, die Überbleibsel eines Opfermahles, auf einem Tische standen. Er zündete eine Lampe an, und der Speise ansichtig werdend, murmelte er:

»Ein Mensch, der achtundvierzig Stunden gefastet, hat selbst in solchem Augenblick Hunger.« Er fiel bei diesen Worten über die Speisenüberreste her, dieselben gierig verschlingend.

Ungeduldig rief Burbo: »Wirst du endlich genug haben? Dein Gesicht ist schon ganz rot.«

»Man hat nicht jeden Tag ein solches Recht, hungrig zu sein,« entgegnete Kalenus, setzte sogleich aber erschreckt hinzu: »O Jupiter, was für ein Geräusch! Das Zischen von heißem Wasser! Was, kann die Wolke ebensogut regnen als brennen? Sieh doch nach, Burbo.«

Der Isispriester hatte richtig vermutet; der Krater des Vesuvs wirbelte jetzt auch riesenhafte Fontänen kochenden Wassers auf, die, mit der glühenden Asche vermengt, gleich einem siedenden Schlamm auf die Straßen niederfielen. Einer dieser Ströme ergoß sich auf den Tempel der Isis und schlug auf die gebeugten Gestalten der die Opferaltäre umgebenden Priester nieder. Ihr Angst- und Schmerzensgeschrei gestaltete sich zum Ruf des Todes, dem darauf die Stille des Schweigens der Ewigkeit folgte.

Bild: Eugen Hanetzog

Der pechschwarze Strom wälzte sich über das Pflaster, bespritzte den Altar und überzog die getöteten Tempeldiener.

»Sie sind tot!« rief Burbo, zum erstenmal in Angst, und stürzte in die Zelle zurück, »ich glaubte nicht, daß die Gefahr so nah und so verderblich sei.«

Die beiden Elenden starrten einander an; – man hätte ihre Herzen schlagen hören können. Kalenus, von Natur minder kühn, aber habgierig, faßte sich zuerst wieder.

»Wir müssen ans Werk und dann fort,« flüsterte er, als fürchte er den Ton seiner eigenen Stimme. Er nahte der Schwelle, hielt einen Augenblick still, schritt dann über den heißen Boden und die Leichen seiner toten Brüder auf das Heiligtum zu und rief Burbo, ihm zu folgen; aber dieser wich zögernd zurück.

»Um so besser,« dachte Kalenus, »meine Beute wird nur um so größer sein.« Hastig belud er sich mit den am leichtesten wegzutragenden Schätzen des Tempels und eilte, ohne wieder an seinen Gefährten zu denken, von der heiligen Stätte. Ein plötzlicher Blitz von dem Berg zeigte dem auf der Schwelle stehenden Burbo den fliehenden, schwer beladenen Priester, und er stand eben im Begriff, ihm zu folgen, als ein furchtbarer Aschenregen gerade vor seinen Füßen niederstürzte. Noch einmal bebte die Hünengestalt zurück. Finsternis schloß ihn ein. Der Regen dauerte fort mit blitzartiger Schnelligkeit; hoch und erstickend stieg der Aschenhaufen empor; tödliche Dünste strömten von demselben aus. Der Unglückliche schnappte nach Luft, – in Verzweiflung suchte er abermals zu fliehen. Allein die Asche hatte die Tür versperrt – er schrie laut auf, und sein Fuß fuhr vor der kochenden Masse zurück. Wie sollte er entkommen? Er konnte nicht ins Freie hinausklettern, und wäre er selbst herausgekommen, so vermochte er doch den Schrecken, die draußen wüteten, nicht zu trotzen. Am besten wär's, in der Zelle zu bleiben, die ihn wenigstens gegen die tödliche Luft schützte. Mit knirschenden Zähnen setzte er sich nieder. Allmählich jedoch drang die äußere Atmosphäre erstickend und giftig schwängernd in das Gemach. Er vermochte es nicht länger auszuhalten. Seine umherstierenden Augen fielen auf ein Opferbeil, das ein Priester zurückgelassen hatte. Er ergriff es. Mit der verzweiflungsvollen Kraft seines Riesenarmes suchte er sich einen Weg durch die Mauer zu hauen.

Mittlerweile waren die Straßen bereits menschenleer geworden. Die Mengen hatten sich unter Schutzdächer zerstreut; die Asche fing an, die niedrigeren Gegenden der Stadt anzufüllen; nur selten sah man noch beim Schein der Fackeln dahinhuschende Flüchtlinge; aber gar oft löschte das kochende Wasser und die umherfliegende Asche oder plötzlich sich erhebende Windstöße diese wandernden Lichte, und mit ihnen die letzte Lebenshoffnung derer, die sie trugen.

In der Straße, die nach dem Tor von Herkulanum führte, verfolgte jetzt eben Klodius seinen unsichern, irren Weg. »Erreiche ich das Freie,« dachte er, »so sind ohne Zweifel Fuhrwerke vor dem Tor, und Herkulanum ist nicht weit entfernt. Dank dem Merkur, ich habe wenig zu verlieren, und dieses wenige ist bei mir.«

»Heda, Hilfe, Hilfe!« rief eine klägliche, angstvolle Stimme.

»Ich bin gefallen, – meine Fackel ist aus, – meine Sklaven haben mich verlassen; ich bin Diomed, der reiche Diomed; zehntausend Sesterzien dem, der mir hilft!«

Im nämlichen Augenblick fühlte sich Klodius am Fuß gepackt. »Verderben über dich! – Laß mich los, Narr!« rief der Spieler.

»O, hilf mir auf, gib mir deine Hand.«

»Da – stehe auf.«

»Ist das Klodius? Ich kenne deine Stimme, wohin fliehst du?«

»Nach Herkulanum.«

»Gesegnet seien die Götter! So ist denn unser Weg bis zum Tor der gleiche. Warum rettest du dich nicht in meine Villa? Du kennst die lange Reihe unterirdischer Keller im Fundament; welcher Regen kann durch dieses Obdach dringen?«

»Du hast recht,« entgegnete Klodius nachdenklich, »und wenn wir den Keller mit Lebensmitteln versehen, können wir dort sogar mehrere Tage aushalten, falls diese greulichen Stürme so lang dauern sollten.«

»Hochgepriesen sei der Erfinder der Stadttore!« rief Diomed. Siehe, sie haben eine Leuchte unter jenen Bogen gestellt. Die soll unsere Schritte leiten.«

Die Luft war jetzt für einige Minuten ruhig; die Lampe unter dem Tor strömte ihr Licht weit und hell aus; die Flüchtlinge eilten vorwärts; sie erreichten das Tor; sie kamen an der römischen Schildwache vorbei; die Blitze zuckten über das bleiche Gesicht und den blanken Helm des Mannes hin, aber seine ernsten Züge waren selbst im Schrecken gefaßt! Aufrecht und bewegungslos blieb er auf seinem Posten. Selbst diese Stunde hatte die Maschine der unerbittlichen Majestät Roms nicht zu einem aus eigenem Antrieb handelnden Menschen umgeschaffen! Da stand er mitten im Kampf der Elemente; er hatte nicht die Erlaubnis erhalten, seinen Standort zu verlassen und zu fliehen.

Diomed und sein Gefährte eilten rastlos vorwärts, bis endlich das Heim des reichen Kaufmanns erreicht war. Sie jauchzten laut, als sie über die Schwelle traten, denn jetzt hielten sie die Gefahr für beseitigt.

Diomed befahl seinen Sklaven, eine hinreichende Menge Nahrungsmittel und Öl für den Bedarf der Lampen in das unterirdische Geschoß zu schaffen. Dort suchten jetzt Julia, Klodius und der größere Teil der Sklaven, einige angstvolle Freunde und Klienten aus der Nachbarschaft ein schützendes Obdach.

*


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