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Die Wolke schreitet heran.

Arbaces saß in einem Zimmer, das sich auf eine Art Balkon oder Portikus nach dem Garten zu öffnete. Seine Wange erschien bleich und durch die ausgestandenen Schmerzen abgemagert; aber bereits hatte sich sein eiserner Körper von den gefährlichen Folgen des Unfalls erholt.

Der Wiedergenesende beschäftigte sich mit keinem andern Gedanken als dem der Rache. Er hatte geschworen, Glaukus zu vernichten und nicht eher zu ruhen, als bis er seine beiden Mündel wieder in seine Gewalt bekommen habe. Auch heute war sein Sinnen einzig und allein darauf gerichtet. Unruhig wechselte er seine Stellung, ersann Plan auf Plan und verwarf jeden wieder, sobald er ihn gefaßt hatte. Wahrend er so brütete, trat ein Sklave schüchtern ein und meldete:

»Eine Dame von Rang wartet unten und sucht Gehör bei Arbaces.«

Der Ägypter, an dessen überirdische Macht gar viele in Pompeji glaubten, empfing zum öftern Besuche der höchsten Stände, welche bei ihm, dem Magier, Rat und Hilfe suchten. Er verpflichtete sich gern die Menschen, und so erhielt denn auch jene vom Sklaven gemeldete Dame bei ihm Zutritt.

»Verzeih mir, ich kann nur langsam aufstehen,« entschuldigte sich Arbaces, als die Unbekannte im Gemach erschien. »Was führt dich zu mir?«

»Verzeih einem Mädchen,« versetzte Julia, »das Hilfe bei deiner Weisheit sucht.«

»Tritt näher, schöne Fremde, und sprich ohne Scheu und Rückhalt.«

Julia ließ sich auf einem Stuhl neben dem Ägypter nieder und sah sich verwundert in einem Zimmer um, dessen ausgesuchter, kostbarer Luxus selbst den reichen Schmuck im Hause ihres Vaters übertraf. Nicht ohne Scheu betrachtete sie die Hieroglyphen an den Wänden und die Gesichter der geheimnisvollen Wesen, die sie aus jedem Winkel anstarrten. Vor allem aber das ernste, merkwürdige Antlitz des Arbaces selbst. Die jetzige Blässe seines Gesichts hob die markierten Züge desselben noch mehr, und die schwarzen, durchbohrenden Augen schienen den Schleier Juliens zu durchdringen. Sie lüftete ihn unwillkürlich und leistete der wiederholten Aufforderung des Ägypters, ihm ihre Wünsche vorzutragen, Folge, indem sie begann:

»Ich besitze einen Bruder, Weiser Arbaces, den ich mehr liebe als mich selbst. Seine Ehre ist die meinige, und der Wunsch, ihn mit Ruhm bedeckt zu sehen, erfüllt meine ganze Seele. Es bietet sich ihm nun eine Gelegenheit dazu dar, indem er sich an dem Wettkampf der philosophischen Schule beteiligt und den ausgesetzten Preis erringen möchte. Er fürchtet keinen Rivalen, mit Ausnahme eines einzigen, und dieser ist es, der unsere Herzen mit Gram und Sorge erfüllt, der den Schlaf von unseren Lidern scheucht, und der –«

»Wenn ich dich recht verstehe, Jungfrau,« unterbrach Arbaces den Redestrom Julias, während um seine Lippen ein ironisches Lächeln spielte, »so soll ich deinem Bruder zu der Weisheit verhelfen, die ihm mangelt –«

»Oder mir einen Trank geben,« fiel Julia leidenschaftlich ein, »der den Geist des gefürchteten Gegners umnachtet.«

»Sieh da, welch zartes Schwesterherz,« versetzte der Ägypter, »das aus Liebe zu dem Bruder vor keiner schlimmen Tat zurückscheut. Aber, schöne Unbekannte,« fügte er verächtlich hinzu, »Tränke, wie du sie wünschest, gehören nicht zu den Geheimnissen, die zu erlangen ich die Nächte durchwacht habe.«

»Wirklich?« rief Julia im Tone schmerzlicher Enttäuschung, »dann verzeih mir, großer Arbaces, daß ich dich gestört. So wird also Glaukus wieder Sieger werden. Lebe wohl.«

Die Nennung dieses Namens wirkte wie elektrisierend auf den Ägypter. Er schnellte trotz seiner Mattigkeit von seinem Sitz empor und rief der sich entfernenden Julia nach:

»Halt, Jungfrau, nicht so schnell. Vielleicht vermag ich dir doch zu helfen.«

Freudig wandte sich Diomeds Tochter um.

»Deine Bitte hat mich gerührt,« fuhr Arbaces, seinen Besuch von neuem zum Sitzen einladend, fort. »Ich selbst habe mich zu diesen geringen Künsten nicht herabgelassen; aber ich kenne jemand, der darin erfahren ist. Am Fuße des Vesuvs, kaum eine Meile von der Stadt entfernt, wohnt eine mächtige Hexe; im wuchernden Tau des Neumonds sucht sie die Kräuter, welche die Kraft besitzen, den menschlichen Geist zu umnachten. Suche sie auf und nenne ihr den Namen des Arbaces; sie fürchtet denselben und wird dir von dem wirksamen Tranke geben.«

»Ich kenne den Weg zum Hause derjenigen, von welcher du sprichst, nicht,« erwiderte Julia, »auch ist er, bei aller Kürze, lang für ein Mädchen, welches die Wohnung ihres Vaters heimlich verläßt. Die Gegend ist durch wilde Reben verwachsen und gefährlich durch abschüssige Höhlen, und einem ganz Unbekannten mag ich mich nicht zur Führung anvertrauen.«

»Wäre ich nur drei Tage weiter in meiner Gesundheit,« entgegnen der Ägypter, indem er aufstand und, wie um seine Kraft zu erproben, mit schwachen, ungleichen Schritten durchs Zimmer ging, »so wollte ich dich selbst begleiten. Wie aber kannst du dem Griechen den Trank, wenn er einmal in deinem Besitz ist, beibringen?«

»Mein Vater hat ihn auf übermorgen zu Tisch geladen, wo ich dann leicht Gelegenheit haben werde, ihm den Trank zukommen zu lassen.«

»Sei es so,« versetzte der Ägypter, und in seinen Augen blitzte eine so wilde Freude, daß Julia ihren Blick zitternd zu Boden senkte.

»Halte denn morgen abend deine Sänfte bereit. Laß dich in derselben nach dem Vergnügungsort, eine halbe Stunde vor der Stadt, bringen, den die reichen Pompejaner wegen seiner prächtigen Bäder und reizenden Gärten so häufig besuchen. Dort will ich bei der Statue des Silen deiner warten und dich sodann selbst zu der Hexe führen. Gehe heim und sei unbesorgt. Beim Hades schwört Arbaces, der Zauberer aus Ägypten, daß Glaukus im geistigen Kampfe gegen deinen Bruder nicht siegen soll.«

»Habe Dank, weiser Arbaces,« rief Julia, sich zu einer tiefen Verbeugung herablassend, mit welcher sie das Gemach verließ.

Frohlockend blickte der Ägypter ihr nach. »Ich habe dir zu danken,« murmelten seine Lippen; »denn du allein hast mir die Möglichkeit an die Hand gegeben, meine Rache an Glaukus zu kühlen. Ich selbst freilich durfte dir das Gift nicht geben; die Spur von dem Tod des Atheners hätte in diesem Fall bis in mein Haus verfolgt werden können; – aber die Hexe – ja, sie ist die geeignetste, natürlichste Vollstreckerin meiner Pläne!«

Er rief einen seiner Sklaven, hieß ihn Julien eiligst nachfolgen und sich unter der Hand nach ihrem Namen und Stand erkundigen. Hierauf trat er auf den Portikus hinaus. Die Luft war heiter und klar; er jedoch, tief erfahren in den Zeichen ihres Wechsels, sah an einer einzigen, fern am Gesichtskreis schwebenden Wolke, die der Wind langsam zu bewegen anfing, daß ein Sturm im Hintergründe brüte.

»Wie meine Rache,« sprach er im Hinblicken; »der Himmel ist klar, aber die Wolke schreitet heran.«

*


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