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Bild: Eugen Hanetzog

Der glückliche Glaukus und seine Freunde.

Reges Leben herrschte in der Via Domitiana in Pompeji. Die Schellen der rasch aneinander vorbeifahrenden Wagen klingelten lustig ins Ohr der zahlreichen Fußgänger.

Einer derselben, ein junger Mann von kleinem Wuchs, schritt über die breite Straße auf einen älteren Bekannten zu, dem er zurief:

»Gruß dir, Diomed! – speisest du heute bei Glaukus zur Nacht?«

»Ich habe keine Einladung erhalten, lieber Klodius,« erwiderte der Angeredete, mit einem leicht verächtlichen Blick die zahlreichen, mit Blumen geschmückten Falten der Tunika des jungen Mannes streifend, welcher zu den Modeherren der Stadt gehörte.

»Das ist sehr bedauerlich,« fuhr der Stutzer fort, »zumal die Nachtessen des Glaukus zu den besten in ganz Pompeji gehören. Er liebt auch die Würfel. Nur schade, daß er im Weingenuß so enthaltsam ist.«

Ein neues verächtliches Lächeln umspielte die Lippen Diomeds. »Hast du mein Weinlager schon gesehen?« fragte er, und nachdem es Klodius verneint, fügte er hinzu: »So will ich es dir zeigen. Speise dieser Tage bei mir zur Nacht.«

»Ich werde der Einladung Folge leisten,« gab Klodius mit einer vornehmen Verneigung zurück. »Für jetzt lebe wohl. Der Tag neigt sich, und ich gehe ins Bad.«

»Das ist freilich ein wichtiges Geschäft,« lächelte Diomed. »Ich muß nur zum Quästor – Staatsgeschäfte halber.« Damit entfernte er sich. Der Stutzer blickte ihm stirnrunzelnd nach, während er vor sich hinmurmelte:

»Ein ungebildeter Mensch, dieser Diomed. Mag sein Weinlager auch noch so bedeutend sein, so bleibt er doch nur der Sohn eines Freigelassenen. Das beste an ihm ist, daß er viel Geld hat und seinen Gästen Gelegenheit gibt, ihm dasselbe im Würfelspiel abzugewinnen. Hahaha, diese reichen Plebejer sind eine prächtige Ernte für uns minder begüterte Vornehme.«

Nach diesen Worten verfolgte er seinen Weg weiter, machte aber alsbald von neuem Halt, indem er seine Blicke einem höchst eleganten Wagen zuwandte, der ihm entgegenkam. Die bronzene Außenseite des Gefährts zeigte Reliefs aus den olympischen Spielen; die beiden Pferde, welche den Wagen zogen, waren von seltenstem parthischen Schlag, und trotzdem sie in vollem Galopp dahergesprengt kamen, blieben sie doch, auf ein leichtes Anziehen des Zügels von seiten des Wagenlenkers, der sich hinter dem jungen Eigentümer des Vehikels befand, wie angewurzelt stehen. Der Besitzer des eleganten Zweigespanns war ein Jüngling von edler Gestalt, dessen griechische Herkunft sich in den leichten Ringellocken und der vollendeten Harmonie seiner Züge kund gab. Seine Tunika glühte in den prächtigen Tinten der tyrischen Farbe, und die Fibulae oder Schnallen, mit denen sie befestigt war, schimmerten von Smaragden; den schlanken Hals schmückte eine goldene Kette, welche sich in der Mitte zu einem Schlangenkopf verflocht, aus dessen Rachen ein wertvoller Siegelring herabhing.

»Mein teurer Glaukus!« rief der inzwischen zum Wagen herangeeilte Klodius. »Welches Glück, dich zu sehen!«

»Glaubtest du etwa,« lachte der Jüngling, »daß ich mich in mein Kubikulum (Schlafgemach) vergraben werde, weil ich dir gestern im Würfelspiel unterlegen bin? Das Glück ist launisch. Wer weiß, ob es mir nicht heute hold sein wird, denn du speisest doch heute bei mir zur Nacht. Oder hast du es vergessen?«

»Wer vergäße je eine Einladung des Glaukus!« rief der Schmeichler.

»Wohin gehst du jetzt?«

»Nach den Bädern.«

»Da will ich meinen Wagen wegschicken und mich dir anschließen,« erwiderte Glaukus, indem er aus dem Vehikel stieg und dem Wagenlenker ein Zeichen zum Fortfahren gab. In leichter Unterhaltung über tausenderlei Dinge schlenderten die beiden jungen Männer durch die Straßen, mit voller Jugendlust sich an dem bunten Durcheinander werdend, das dem lustigen Pompeji eigen war. Das strahlende Innere der reich ausgestatteten Kaufläden; die perlenden Springbrunnen, welche fast an jeder Straßenecke ihren anmutigen Silberschaum in die sommerliche Luft emporwirbelten; die zahlreichen Säuleneingänge mit den Gruppen lieblicher Landmädchen, welche daselbst in ihren Körben Blumen und Früchte feilboten; die luftigen Weinschenken, vor deren Eingängen sich gepolsterte Sitze befanden, die durch aufgespannte, purpurne Decken gegen die Sonne geschützt wurden, – alles dies gewährte einen so fröhlichen Anblick, daß die heitere Laune des Glaukus nur noch mehr zunahm.

»Es ist hier in Pompeji doch viel schöner, als in Rom,« äußerte er zu seinem Begleiter. »Glanz und Prunk mag in jenen mächtigen Mauern großartiger sein, aber die Anmut fehlt und das Behagen, mit dem man sich hier in Pompeji dem Vergnügen überläßt.«

»Deshalb wähltest du auch die letztere Stadt zu deinem Sommeraufenthalt,« versetzte Klodius.

»Allerdings,« pflichtete Glaukus bei, »ich ziehe den Ort sogar Bajä Bajä war ein blühender Badeort in Kampanien, lag südwestlich von Neapolis, Puteoli gegenüber, und war durch die Schönheit seiner Umgebung, seine heilkräftigen Quellen und die genußreiche Badesaison in der ganzen römischen Welt hoch berühmt. vor; gern gebe ich die Reize des letztern zu, aber ich kann die Pedanten nicht leiden, die dort ihren Sammelplatz haben, und die ihre Freuden nach Quentchen abzuwägen scheinen.«

»Doch liebst auch du die Gelehrten, und was die Poesie anlangt, so sprechen ja selbst die Wände in deinem Hause von Äschylos und Homer, von Epos und Drama.«

»Es läßt sich beides miteinander Vereinen,« gab Glaukus zurück, »und ich finde den schönsten Lebensgenuß in der Abwechslung von Vergnügen und ernster Arbeit. Ich bin zwar kein Gelehrter –«

»Hast aber doch den philosophischen Geist deiner Landsleute geerbt,« fiel Klodius rasch ein. »Du wetteiferst mit den Gelehrten Pompejis, und ich bin überzeugt, daß du den nächsten Preis gewinnst, den die philosophische Schule ausgesetzt hat.«

»O, sprächst du wahr!« rief Glaukus seufzend und doch mit einem seligen Lächeln. »Ich würde gern Tausende von Sesterzien an dich verlieren.«

»Und Lepidus, der Sohn Diomeds, gern das Doppelte mir zahlen,« schaltete der Stutzer ein, »wenn ich machen könnte, daß du im geistigen Wettkampf unterlägst.«

»Lepidus ist ein kleinlicher Mensch,« erwiderte der Grieche. Nach einigem Nachsinnen fügte er hinzu: »Glaubst du, daß auch sein Vater mir die Früchte meiner Studien neidet?«

Klodius verneinte. »Er kümmert sich wenig um die Wissenschaft,« äußerte er, »und sähe es lieber, wenn sein Sohn sich praktischeren Dingen zuwendete. Dagegen hast du an seiner Tochter, der schönen Julia, eine nicht zu unterschätzende Feindin.«

Glaukus blickte den Sprecher verwundert an, welcher fortfuhr:

»Es mag wohl kaum eine Schwester je gegeben haben, die ihren Bruder zärtlicher liebte, als Julia den Lepidus. In ihren Augen ist er der bedeutendste Mensch von ganz Pompeji, und sie wacht eifersüchtig darüber, daß ihr schöner Wahn nicht zerstört wird. Daß du ihr daher als ein Störer ihres Friedens erscheinst, ist ebenso natürlich, als daß sie alles aufbieten wird, dir den Sieg und ausgesetzten Preis streitig zu machen.«

»Kleinliche Menschen!« versetzte Glaukus lächelnd, das eine Ende der Toga, welches er bisher in der Hand gehalten, über seine linke Schulter werfend.

Das Gespräch der beiden jungen Männer erhielt jetzt seinen Abschluß, da sie im Weiterschreiten durch eine dichte Menschenmenge gehindert wurden, die sich auf einem offenen Platz an der Zusammenmündung dreier Straßen gesammelt hatte. In dem Schatten einer Säulenhalle stand ein dreizehnjähriges Mädchen, in der Rechten einen Blumenkorb, in der Linken ein dreiseitiges Instrument haltend, zu dessen sanften Tönen sie ein ungeregeltes, halb barbarisches Lied sang. Bei jeder Pause in der Musik bot sie das Körbchen anmutig umher und lud die Zuhörer zum Kauf ein, und mancher Sesterz fiel in den Korb, entweder als Erwiderung auf das Lied oder aus Mitleid für die Sängerin – denn sie war blind.

»Es ist meine arme Thessalierin,« äußerte Glaukus zu seinem Begleiter, »ich habe sie seit meiner Rückkehr nach Pompeji nicht gesehen.« Mit diesen Worten bahnte er sich einen Weg durch die Menge und, in der Nähe der Sängerin angelangt, rief er: »Ich muß diesen Veilchenstrauß haben, kleine Nydia, deine Stimme ist bezaubernder als je!« Während er dies sprach, warf er eine Handvoll kleiner Münzen in den Korb des blinden Mädchens.

Dasselbe fuhr bei dem Klange seiner Stimme freudig empor. »Glaukus!« tönte es von ihren Lippen, »du bist von deinen Reisen wieder zurück?«

»Ja, Kind,« antwortete der Athener freundlich. »Aber erst seit wenigen Tagen. Mein Garten harrt deiner pflegenden Hand. Besuche mich bald.«

Nydia lächelte freudig und trat zurück, um der harrenden Menge ein neues Lied zum besten zu geben.

»Wer ist das Kind?« fragte Klodius.

»Eine arme Sklavin, deren hübsche Stimme für mich etwas Rührendes hat,« antwortete Glaukus, »dazu kommt noch, daß sie aus dem Land des Götterberges stammt – der Olympus blickte auf ihre Wiege – sie ist aus Thessalien.«

Während dieses kurzen Zwiegesprächs hatten sich beide aus dem Kreise der Zuhörermenge entfernt und wollten ihren Weg weiter verfolgen, als Klodius plötzlich sich tief vor einer verschleierten Dame verneigte, welche in Begleitung zweier Sklavinnen an ihnen vorüberkam.

»Edle Julia, wir grüßen dich!« redete sie der Stutzer an.

Die Tochter Diomeds lüftete den Schleier so weit als nötig, um mit ein wenig Koketterie ein kühnes, römisches Profil, ein tiefdunkles, strahlendes Auge und eine Wange sehen zu lassen, über deren natürliche Olivenfarbe die Kunst einen schöneren und sanfteren Rosenton ausgegossen.

»Sieh da, Glaukus,« bemerkte sie gegen den jungen Athener mit einem nicht eben wohlwollenden Blicke, »schon von den Reisen zurück?«

»Er wünscht den Tag des geistigen Wettkampfes nicht zu versäumen,« versetzte Klodius mit innerer Schadenfreude, »der Pompeji wieder einmal zu der Beobachtung Gelegenheit geben wird, daß die Athener uns doch an Weisheit überlegen sind.«

Julia biß sich auf die Lippe, während aus ihren schönen Augen ein Blitz des Hasses auf Glaukus schoß.

»Vergib dem kühnen Redner,« ergriff jetzt der Athener das Wort, »der beim Lobe seiner Freunde gern den Prahler spielt.«

Julia zwang sich, ihre Leidenschaft zu dämmen und sagte im Tone erkünstelter Ruhe:

»Ich hoffe, Euch bald auf der Villa meines Vaters begrüßen zu können.« Nachdem sie den Schleier wieder über das Gesicht gezogen, setzte sie den Weg in Begleitung ihrer Sklavinnen fort.

»Du hättest auch besser getan, deine Zunge im Zaum zu halten,« tadelte Glaukus den Freund, welcher jedoch als Antwort nur ein übermütiges Lachen hatte. »Es ist nicht weise, sich mutwillig einen Feind zu machen.«

»Fürchtet sich der Weise vor einem Weibe?« neckte Klodius. »Vergib mir, mein Lieber, allein es freut mich stets, wenn ich der hochnäsigen Familie Diomed etwas versetzen kann.«

Die Freunde schritten weiter und langten alsbald in einer engen Straße an, deren Ende die Aussicht auf das malerische Meer bot.

»Es ist noch zu früh zum Bad,« äußerte Glaukus, als sein Begleiter an dem breiten Eingang eines massiven Hauses stehen blieb, »laß uns noch ein wenig dem Gedränge der Stadt entfliehen und die See betrachten, solange der Spätnachmittag auf ihren Wellen lacht.«

»Von Herzen gern,« erwiderte der gefällige Freund, dem Athener nach der nahen Meeresbucht folgend. Daselbst drängten sich Kauffahrer neben vergoldeten Lustjachten der reichen Einwohner. Fischerboote glitten rasch ab und zu, und in weiterer Ferne erblickte man die hohen Masten der unter dem Befehl des älteren Plinius stehenden Flotte.

Glaukus lenkte seine Schritte von dem belebten Teil des Strandes einem einsamen Teil des Gestades zu, dort angelangt, ließen sich die Freunde auf einem kleinen Felsblock nieder, die würzigen Düfte der über das Meer streichenden Luft einatmend. Vielleicht lag etwas in der Szene vor ihnen, was die beiden zum Schweigen und Sinnen einlud. Klodius schirmte die Augen gegen die brennenden Sonnenstrahlen durch die vorgehaltene Hand und berechnete den Spielgewinn der letzten Woche; der Grieche lehnte sich auf seinen Arm, ohne Scheu vor der Sonne, der Schutzgottheit seines Volkes. Er schaute hinaus auf die breite Fläche und beneidete vielleicht einen jeden Wind, der seine Schwingen den Küsten von Hellas zuwandte.

»Worüber sinnst du?« unterbrach Klodius nach längerer Pause das Stillschweigen.

Der Gefragte zeigte ein wehmütiges Lächeln. »Mein Geist verweilt bei meiner letzten Reise,« erwiderte er endlich, »und führte mir eine Begegnung vor, die aus meiner Erinnerung nie wieder Weichen wird.«

»Du machst mich neugierig,« versetzte Klodius. »Ich hoffe, daß du gegen mich mitteilsam sein wirst.«

»Warum nicht? Du nennst dich ja meinen Freund? Vernimm also? Vor einigen Monaten hielt ich mich in Neapolis aus. Eines Tages trat ich in den Tempel der Minerva, um mein Gebet darzubringen. Das Haus war menschenleer und öde. Versunken in den Ernst meiner Andacht ließ ich mein Gebet vom Herzen nach den Lippen strömen. Mitten im Beten ward ich jedoch von einem tiefen Seufzer aufgeschreckt; schnell wandte ich mich um, und hart hinter mir kniete ein Mädchen. Sie hatte im Gebet den Schleier zurückgeschlagen, Tränen rollten über ihre Wangen. Augenblicklich erkannte ich, daß auch sie athenischer Abkunft war, und daß während meines Gebets für Athen ihr Herz dem meinigen geantwortet hatte. Mit schwankender Stimme redete ich sie an. ›Bist du nicht auch eine Athenerin, schöne Jungfrau?‹ fragte ich. Sie errötete bei dem Klange meiner Stimme und zog den Schleier halb über das Gesicht. ›Die Asche meiner Väter,‹ antwortete sie, ›ruht an den Wassern des Ilyssus; mein Geburtsort ist Neapolis, aber mein Herz, wie meine Abkunft ist athenisch.‹ ›So laß uns,‹ erwiderte ich, ›unser Opfer miteinander bringen.‹ Und als bald nachher der Priester erschien, standen wir Seite an Seite und sprachen ihm das übliche Gebet nach, zusammen berührten wir die Knie der Göttin – zusammen legten wir unsere Kränze aus den Altar. Fremde aus einem fernen, gesunkenen Land, standen wir in diesem Tempel unserer heimischen Gottheit beisammen und allein; war es nicht natürlich, daß sich mein Herz zu meiner Landsmännin, wie ich sie wohl nennen durfte, hinneigte? Schweigend verließen wir den Tempel, und eben wollte ich fragen, wo sie wohne, und ob ich sie besuchen dürfe, als ein auf den Stufen des Heiligtums stehender Jüngling, dessen Züge einige Familienähnlichkeit mit den ihrigen hatten, sie bei der Hand nahm. Sie wandte sich und bot mir Lebewohl. Die Menge trennte sich; ich sah sie nicht wieder. In meiner Wohnung angelangt, fand ich Briefe vor, die mich zur Abreise nach Athen nötigten, denn meine Verwandten bedrohten mich mit einem Prozeß wegen meines anererbten Vermögens. Nachdem dieses Geschäft glücklich beigelegt war, kehrte ich nach Neapolis zurück; ich stellte Forschungen in der ganzen Stadt an, vermochte aber keine Spur meiner verlorenen Landsmännin zu entdecken. Es hatte zwar in meinem Plan gelegen, meine Reise weiter auszudehnen, aber ich kehrte nach Pompeji zurück, um mich von neuem meinen philosophischen Studien zu widmen und in ihnen jene liebliche Erscheinung zu vergessen, die sich meiner Seele so tief eingeprägt.«

Klodius wollte eben antworten, als er hinter sich Tritte vernahm. Die Freunde blickten auf und gewahrten einen Mann von hohem Wuchs und kräftigem Körperbau, der ungefähr vierzig Jahre zählen mochte. Seine dunkle, bronzierte Haut deutete östliche Abkunft an; die Züge hatten in ihrem Umriß etwas Griechisches. Die großen und schwarzen Augen leuchteten unheimlich, und eine tiefe, gedankenvolle, halb schwermütige Ruhe schien an dem durchdringenden Blick zu hasten. Eine gewisse Majestät lag in dem Schritte und der Haltung des Fremden, dessen ausländische Kleidung den eigentümlichen Eindruck seiner Persönlichkeit noch erhöhte.

Als die beiden Freunde den Ankömmling begrüßten, verfehlten sie nicht, sich eines geheimen Zeichens zum Schutze zu bedienen, denn Arbaces, der Ägypter, stand in dem Rufe, die gefährliche Zauberkraft des »bösen Blickes« zu besitzen.

Er trat jetzt näher herzu und begann:

»Das Landschaftsbild, welches den lebenslustigen Klodius und den vielbewunderten Glaukus mehr anzieht als die Straßen Pompejis mit ihrem reichen Verkehr, muß in der Tat ganz besondere Reize bieten.«

»Ich bin ein Freund der Abwechslung,« erwiderte der Grieche. »In den Zerstreuungen lernen wir Genuß für die Einsamkeit und in der Einsamkeit für die Zerstreuungen.«

»Ihr habt recht,« nickte langsam der Ägypter, »daß ihr die Stunde genießt, solange sie noch für euch lächelt; die Rosen der Jugend verwelken bald, und dem Alten bleibt nichts als die Erinnerung, – oder auch die Sehnsucht,« fügte er sinnend hinzu, »wenn man, wie du und ich, fremd in einem Lande ist, weit ab von jenen Stätten, welche die Asche der Väter bergen.«

Die Augen des Atheners füllten sich mit Tränen, und er rief tief bewegt: »O, Arbaces, erwähne unserer Väter nicht! Laß uns vielmehr vergessen, daß es noch ein anderes freies Volk gab, als das der Römer!«

»Dein Herz schilt dich, während du sprichst,« entgegnete der Ägypter, sich fester in seinen weiten Mantel hüllend und langsam vorwärts schreitend.

Die Freunde blickten ihm lange nach, und erst, nachdem er ihrem Gesichtskreis entschwunden, äußerte Glaukus:

»Ein seltsamer, unheimlicher Mensch!«

»Sein Charakter kümmert mich wenig,« erwiderte der lebenslustige Klodius, »dagegen erregt sein ungeheurer Reichtum mein Interesse. Bei Fortuna, es verlohnt sich der Mühe, ihn in unseren Kreis zu ziehen, um ihm die Reize des Würfelspiels beizubringen!«

»Glücklicher Klodius!« lachte der junge Grieche, »der du die Menschen nach deinen Liebhabereien formen möchtest. Doch siehe,« unterbrach er sich, auf die sinkende Sonne deutend, »wir haben zu lange geträumt, und es ist nun zum Bad zu spät geworden. Laß uns nach meinem Hause eilen, damit die geladenen Freunde nicht früher im Triclinium erscheinen als der Wirt selbst.«

Das Paar verließ den Felsblock und befand sich alsbald inmitten des Straßengewühls.

So manches Auge blickte neidisch dem Athener nach, der mit Recht ein Schoßkind des Glücks genannt werden konnte, da er alles besaß, was der Mensch hier auf Erden sich nur zu wünschen vermag: Schönheit, Gesundheit, Vermögen, Genie, glänzende Abkunft, ein feuriges Herz, den Sinn für edle Wissenschaft und ein dichterisches Gemüt. Schon früh in den Genuß eines bedeutenden Erbes gelangt, war er seinem Hange, die Welt zu durchreisen, gefolgt, bis er schließlich in Pompeji, wenigstens für den Sommer, fein Heim aufgeschlagen. Wissenschaft und Poesie bildeten gewissermaßen seine Steckenpferde; dieselben gaben sich in der prächtigen Ausstattung seiner Villa allenthalben kund, und die reiche Zahl seiner Freunde verweilte vorzugsweise gern in den behaglichen Räumen.

Der heutige Abend versammelte die Vertrauteren im Triclinium, wie der Speisesaal der Römer genannt wurde. Um den spiegelglatten, aufs feinste mit Silberarabesken ausgelegten Tisch von Zitronenholz standen die drei Sofas, die in Pompeji noch immer gewöhnlicher waren als die neuerlich in Rom Mode gewordenen, halbkreisförmigen Lagerstätten; auf diesen bronzenen Sofas, deren Nägel und Bänder aus noch reicheren Metallen bestanden, lagen dicke, mit kunstfertigen Stickereien überdeckte Polster.

In behaglicher Erwartung blickten die daraus ruhenden Gäste den jetzt in der Vorhalle erscheinenden Sklaven entgegen, die ein Speisebrett mit zahlreichen, das Mahl einleitenden Gerichten trugen. Zwischen köstlichen Feigen, frischen mit Schnee bestreuten Kräutern, Sardellen und Eiern standen kleine Becher verdünnten, spärlich mit Honig vermischten Weines. Sobald dies auf den Tisch gesetzt war, überreichten junge Sklaven jedem der fünf Gäste das silberne Becken mit parfümiertem Wasser und ein mit Purpurfransen besetztes Handtuch.

Nachdem dies geschehen, erhob sich Glaukus mit den Worten: »Sei günstig, o Bacchus!« Damit verneigte er sich vor dem künstlerisch geformten Bilde des Gottes, das inmitten des Tisches stand, während die Hausgötter, die Laren, nebst dem üblichen Salzfäßchen einen Winkel einnahmen. Die Gäste sprachen das Gebet nach und vollzogen sofort die gewöhnliche Libation, indem sie von dem Wein über die Tafeln aussprengten.

»Nie soll wieder ein Becher an meine Lippen kommen,« rief der junge Sallust, als der bedienende Sklave ihm einen bis zum Rand gefüllten Cyathus (Becher) überreichte, »wenn dies nicht der beste Wein ist, den ich in Pompeji getrunken habe«

»Wie herrlich ihn der Schnee abgekühlt hat,« stimmte der Ädil Pansa bei. »Seit dem letzten Tiergefechte habe ich wahrhaftig keinen erquickenderen Trunk getan.«

»Sage uns lieber,« unterbrach ihn Klodius, »wann das nächste Tiergefecht stattfindet.«

»Es ist auf die Idus des August (dreizehnte) festgesetzt,« erwiderte der Ädil. »Wir haben einen artigen, jungen Löwen für die Gelegenheit.«

»Wen wird er zum Futter bekommen?« fragte Klodius weiter. »Wie ich höre, soll an Verbrechern Mangel sein, und somit bleibt dir wohl nichts anderes übrig, Pansa, als einen Unschuldigen zum Kampf mit dem Löwen zu verdammen.«

»Schlimm genug, daß das Gesetz uns verbietet, unsere Sklaven dem Kampfspiel zum Opfer zu bringen,« seufzte der Ädil.

»So was kam in den guten, alten Tagen der Republik nicht vor,« bemerkte Sallust, zu dem Cyathus seine Zuflucht nehmend.

»In der Tat,« äußerte Klodius, »man sollte den Wünschen des Volkes mehr Rechnung tragen, das jetzt wegen des dummen Gesetzes, welches aus Mitleid für die Sklaven entstanden ist, um sein Vergnügen kommt.«

»Falls uns nicht die Götter bald einen tüchtigen Verbrecher senden,« fiel Sallust ein.

Das Gespräch wurde hier durch einen Flötentusch unterbrochen, und zwei Sklaven traten mit einer Schüssel ein.

»Ach, welchen Leckerbissen hältst du hier für uns in Bereitschaft, mein Glaukus?« rief der vierundzwanzigjährige Sallust mit funkelnden Augen.

»Beim Pollux!« rief Pausa, »es ist ein ambracisches Zicklein.«

»Ich hatte gehofft,« sagte Glaukus in schwermütigem Ton, »euch einige Austern aus Britannien verschaffen zu können, aber die Winde, die gegen Cäsar so grausam waren, haben uns dieses Gericht abgeschnitten.«

»Ich wollte, sie sendeten uns einen Gladiator,« entgegnete der Ädil, dessen fürsorgliches Gemüt noch immer über die Bedürfnisse des Amphitheaters brütete.

»Das Zicklein ist vortrefflich,« kritisierte der gourmandische Sallust.

»Wie alles, was der Koch unseres gastlichen Freundes vorbereitet,« bemerkte Klodius. »Wir wollen um ihn würfeln, Glaukus. Laß uns zwischen die Gänge hinein eine Partie machen.«

»Ein solcher Zeitvertreib ist allerdings besser als ein Kampf mit wilden Tieren,« entgegnete der Hausherr mit einem tadelnden Blick auf den Ädil. »Aber ich kann meinen sizilianischen Koch nicht aufs Spiel setzen.«

»Um von etwas anderm zu sprechen,« begann jetzt Sallust, der inzwischen mit seiner Portion fertig geworden war. »Habt ihr die neue, unserer ägyptischen Isis gewidmete Bildsäule schon gesehen? Sie ist prachtvoll – die wahre Begeisterung der Religion.«

»Isis scheint eine Lieblingsgottheit in Pompeji geworden zu sein,« versetzte Glaukus.

»Allerdings,« bestätigte Pansa, »gerade in diesem Augenblick erfreut sie sich eines ausnehmenden Rufs; ihre Bildsäule hat die merkwürdigsten Orakel ausgesprochen. Ich bin nicht abergläubisch, aber sich muß gestehen, daß sie mich in meiner Amtsverwaltung mehr als einmal aufs wesentlichste unterstützt hat. Dabei sind ihre Priester so fromm! Keine lustigen, stolzen Diener des Jupiter und der Fortuna! Sie gehen barfuß, essen kein Fleisch und bringen den größten Teil der Nacht in einsamen Gebeten zu.«

»Man sagt,« äußerte Sallust, »daß Arbaces, der Ägypter, den Isispriestern einige höchst bedeutende Mysterien mitgeteilt habe. Derselbe rühmt sich der Abkunft von Ramases und behauptet, im Besitze von Geheimnissen zu sein, die sich, seit Jahrhunderten in seiner Familie fortgeerbt.«

»Wäre Arbaces nicht so reich,« meinte der Ädil, so wollte ich meine Autorität dazu benutzen, um zu untersuchen, ob er in Wahrheit ein Sterndeuter und Zauberer ist, wie ihn das Gerücht bezeichnet.«

»Jedenfalls ist er ein treuer Diener seiner Religion,« bemerkte Sallust, »was man von unseren Jupiterpriestern leider nicht behaupten kann.«

»Eine Reform täte da allerdings not,« äußerte Klodius, der ein paar Würfel hervorgeholt hatte, mit denen er spielte.

»An religiösen Reformen ist in unserm Reich wahrhaftig kein Mangel,« meinte Pansa. »Was haltet ihr von der neuen Sekte, die, wie ich höre, selbst in Pompeji einige Anhänger haben soll? – Ich meine die Verehrer des hebräischen Gottes – Christus.«

»Hm,« bemerkte Klodius verächtlich, »nichts als Träumer. Sie zählen keinen einzigen Mann von Stand unter sich; ihre Profelyten setzen sich nur aus armem, unwissendem Volk zusammen.«

»Die gleichwohl für ihre Ruchlosigkeit ans Kreuz geschlagen werden sollten,« rief Pansa mit Heftigkeit. »Sie leugnen Venus und Jupiter. Nazarener ist nur ein anderer Name für Gottesleugner. Laßt mich nur einmal einen von ihnen bekommen!«

Da der erste Gang des Mahles vorüber war, so lehnten sich die Gäste mit großer Behaglichkeit auf die Polster ihrer Sofas zurück, den Tönen der Tafelmusik lauschend, bis der Beginn des zweiten Ganges sie zu neuer Tätigkeit aufforderte. Es wurden jetzt Früchte, Pistazien, Süßigkeiten, Torten und Backwerk in hunderterlei fantastischen Gestalten auf den Tisch gestellt, wohin die Aufwärter nunmehr auch den Wein, den sie bisher den Gästen zugereicht hatten, in großen gläsernen Flaschen setzten, deren jede aus einem Zettel Alter und Sorte des Inhalts trug.

»Was für ein schöner Kelch!« rief Klodius, nach einem Gefäß von durchsichtigem Kristall greifend, dessen Handhaben mit Edelsteinen besetzt und in der Gestalt von Schlangen, der Lieblingsform in Pompeji, verschlungen waren.

»Dieser Ring,« antwortete Glaukus, indem er ein kostbares Juwel vom Finger nahm und an die Handhabe des Bechers hing, »gibt ihm ein reicheres Aussehen und macht ihn deiner Annahme minder unwürdig, mein Klodius; mögen die Götter dir Kraft und Glück schenken, um ihn oft bis zum Rand zu krönen. Deine Gesundheit, mein Freund!«

»Zu viel Großmut, mein Glaukus,« erwiderte der Spieler, »deine Liebe erhöht den Wert des kostbaren Geschenkes. Doch laß mich nicht zuerst aus dem herrlichen Kelche auf meine Gesundheit trinken, sondern, da seine Form jonisch ist, ihn auf das Wohl der schönen Ione erheben.«

»Ione?« wiederholte Glaukus, durch den griechischen Namen angenehm berührt. »Mit Freuden komme ich deiner Aufforderung nach. Doch wer ist Ione?«

»Eine junge Dame von seltener Schönheit und Stimme,« bemerkte Pansa.

»Sie muß sich notwendigerweise nur von Nachtigallenzungen nähren,« ergänzte Klodius.

»Nachtigallenzungen, – o, wer sie hätte,« seufzte der Wohlschmecker Sallust.

»Bitte, belehrt mich näher,« rief Glaukus.

»So wisse denn,« erwiderte Klodius, »daß Ione eine Fremde ist, die erst vor kurzem in Begleitung einer älteren Verwandten in Pompeji anlangte. Sie singt und dichtet wie Sappho und ist reich wie Krösus. Ihr Haus ist das gastlichste in ganz Pompeji und sie selbst das tugendhafteste Mädchen der Welt. Nur schade, daß sie sich nicht vermählen will.«

»Können wir sie nicht zu Gesicht bekommen?« rief Glaukus.

»Warum nicht?« erwiderte Klodius. »Noch ist die Zeit nicht so weit vorgeschritten, daß sie uns einen Besuch im Hause der edeln Griechin untersagt, zumal, wenn meine Schwester Virginie uns hinbegleitet. Diese Zeremonie sind wir der jungen Wirtin und ihrer älteren Verwandten schuldig.«

»Klodius hat recht,« pflichtete Sallust bei. »Auch ich bin nur durch meine Schwester im Hause Iones eingeführt worden. Trotzdem die Gespräche über Kunst und Wissenschaft, die dort geführt werden, mich nicht sonderlich interessieren, so muß ich doch gestehen, daß es kaum je einen vornehmeren Kreis in Pompeji gegeben hat als jenen, den Ione allabendlich um sich versammelt.«

»Ihr erregt in Wahrheit meine Neugierde,« rief Glaukus. »Wenn es euch genehm ist, so laßt uns aufbrechen.«

Man trank demgemäß auf die Gesundheit des Glaukus und des Kaisers, vollzog die letzte Libation und begab sich, mit Ausnahme Pansas, nach dem belebten Stadtteile, in welchem die vielbesprochene Ione wohnte.

Der in das Innere des Hauses führende Eingang schimmerte von Lampenreihen; Vorhänge von gesticktem Purpur hingen an beiden Öffnungen des Tablinums, während die Wände und der Mosaikboden desselben in den reichsten Farben der Kunst prangten. Unter der Säulenhalle, die das duftende Viridarium umgab, fanden sie Ione, bereits umringt von Gästen.

»Sagtet ihr nicht, sie sei eine Athenerin?« flüsterte Glaukus, ehe er in das Peristyl trat.

»Nein, sie stammt aus Neapolis.«

»Neapolis?« wiederholte Glaukus, und im gleichen Moment brachte die zu beiden Seiten auseinanderweichende Gruppe jene edle Fremde vor seine Augen, welche er im Tempel der Minerva zuerst gesehen, und die seitdem nicht mehr aus seinem Gedächtnis gewichen war.

*


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