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19. Kapitel.

Erzählt von Eduard Boozey.

Ich beabsichtigte, die Pferderennen in Chortley mitzumachen, und da diese erst am Freitag dem 22. März waren, so beschloß ich, da es erst Mittwoch früh war, in Bexcliffe Halt zu machen, um hier, wenn möglich, ein paar Groschen zu verdienen.

Ich war noch nicht lange in meinem Coupé, als ich bemerkte, daß Frau Filbert, die alte Freundin meiner Schwester, meine Reisegefährtin war. Sie hatte mich nicht bemerkt und war mit einem Manne, der das Aussehen eines Seemanns hatte, in ein lebhaftes Gespräch vertieft. Ich hörte genug, um mich für die Angelegenheit zu erwärmen und, da ich nichts Besonderes zu tun hatte, so folgte ich dem merkwürdigen Paare in Bexcliffe bis zu dem Bureau des Agenten Weevil und sah später den Agenten mit der Frau in ein kleines Häuschen hineingehen, das den Namen »Efeuvilla« trägt. Leise schlich ich mich auf den Fußspitzen ihnen nach und sah sie in das Hinterzimmer eintreten und die Tür schließen. Es war bereits 6 Uhr durch und ziemlich dunkel. Ich stand auf der untersten Stufe der Treppe, die nach oben führt, öffnete leise die Tür ein wenig und konnte durch den Spalt alles sehen und hören, was in dem Zimmer vorging.

»Und hier beabsichtigt er zu wohnen, Frau Filbert,« hörte ich den Agenten sagen. »Er hat mir seine Absicht ausgesprochen, ungefähr 1000 Pfund für die innere Einrichtung auszugeben. Es ist zwar nur ein kleines Häuschen, kostet aber dennoch 120 Pfund an jährlicher Miete. Das ist ein hübscher Anfang der Ehe, nicht wahr? Und wenn ich denke, daß dieser Mann Ihr Gatte sein könnte! O, er hat jetzt ein fürstliches Vermögen, aber er wird es sicher nicht für Sie ausgeben, sondern für eine sehr hübsche junge –«

»Halten Sie ein,« entgegnete die Frau, »und sprechen wir nicht mehr darüber. Ich will Ihnen die Beweisstücke, die Sie verlangen, geben und will alles tun, was Sie wollen, nur lassen Sie mich aus diesem Hause heraus.«

»Schön,« sagte Weevil, »ich will Ihnen dann das Verzeichnis vorlesen,« und er holte ein Stück Papier aus der Tasche hervor.

»Die Briefe,« begann er, das Papier vorlesend.

»Hier sind sie,« antwortete sie, indem sie sie ihm hinreichte. Er sah die Briefe flüchtig durch und schob sie dann in die Tasche.

»Danke. Und nun das Zeitungsblatt, auf dem sich Ihr Name quer über dem Datum befindet.«

Sie reichte ihm etwas.

»Und nun den Trauschein über Ihre erste Ehe.«

Dieser wurde gleichfalls eingesteckt.

»Dann wäre noch der Revolver, der Herrn Roystocks Namen trägt.«

Er hatte nun alle Dinge in seinem Besitz und begann so häßlich zu lachen, daß es mich ordentlich durchschauerte.

»Was gibt es denn noch?« fragte Frau Filbert.

»Ich mußte lachen, weil ich an diesen riesigen Dummkopf, diesen Herrn Walterslide, dachte, dem ich 500 Pfund versprach. Glauben Sie nicht, Frau Filbert, daß es völlig genügt, wenn wir beide allein uns in die Summe teilen, die wir von Roystock erlangen können?«

»Das war mein Gedanke von jeher,« antwortete sie. »Zu der Erpressung von Herrn Roystock brauchten Sie doch wahrhaftig meinen ersten Mann überhaupt nicht. Diese Heiratsgeschichte könnte nur unseren ganzen Plan verderben.«

»Ja, ja, das ist alles recht schön, aber Sie müssen an den Mann denken, mit dem wir es zu tun haben. Ich würde nichts aus Herrn Roystock herausholen, wenn ich ihm einfach erzählte, daß seine Frau noch am Leben sei und sich ihr Schweigen bezahlen lassen wolle. Ein Mann wie er würde zunächst nur Erkundigungen einziehen und dann würde er leicht herausfinden, daß Sie später Herrn Filbert geheiratet haben und er Sie infolgedessen los ist. Nein, die Sache muß anders angefangen werden. Ich gehe also zunächst zu Herrn Roystock hin und zeige ihm Ihre Namensunterschrift, die Sie quer über die heutige Zeitung geschrieben haben. Das beweist, daß Sie noch am Leben sind. Dann zeige ich ihm Ihren Trauschein als Beweis, daß er noch an Sie gebunden ist. Dann schlage ich ihm für eine gewisse Summe – sagen wir 2000 Pfund – vor, ihm den Nachweis zu erbringen, daß er von Ihnen befreit ist. Wenn er bezahlt hat, weise ich ihm als Beweis den Trauschein vor, nach dem Sie bereits vor zehn Jahren Herrn Walterslide in Teignmouth geheiratet haben, so daß also die zweite Ehe ungültig ist, und auf Wunsch wird Herr Walterslide vorgeführt, um sich in voller Lebensgröße und Gesundheit vorzustellen.«

»Und wenn Herr Walterslide das getan hat, erhält er dann die ihm versprochenen 500 Pfund?«

»Dann erhält er von mir seine bezahlte Hotelrechnung sowie seine Rückfahrkarte für die Heimreise auf der Eisenbahn.«

»Er müßte auch besonderes Glück haben, um aus einem Manne wie Sie mehr herauszuschlagen,« entgegnete die Frau verächtlich, »aber was erhalte ich dann?«

»Ich habe Ihnen 10 Prozent von allem, was ich selbst erhalte, versprochen und behalte –«

»Das Geld. Ich verstehe Sie schon, aber lassen Sie sich das gleich gesagt sein – ich mag auch nicht einen Heller von dem ergaunerten Gelde anrühren. Ich gehöre nicht zu jenen Personen, die sich ihre Gefühle mit Geld bezahlen lassen und weiß wahrhaftig nicht, weshalb ich Sie bisher unterstützt habe. Vielleicht geschieht es, weil ich in Ihrer Gewalt bin, aber jedenfalls ist mir schon der Gedanke allein verhaßt, daß Gareth – ich wollte sagen Herr Roystock – eine andere Frau zu heiraten beabsichtigt. So viel weiß ich wenigstens, daß alles Bisherige nicht des Geldes wegen geschah, und deshalb will ich auch keinen Pfennig von dem Sündengelde anrühren.«

»Sehr schön, Frau Filbert, ich will gern Ihre Gefühle in jeder Weise schonen. Aber kann ich Ihnen nicht sonst einen kleinen Gefallen –«

»Jawohl. Zunächst erledigen Sie die Sache so schnell als möglich und dann sorgen Sie dafür, daß Walterslide, jener gräßliche Mensch, mir nicht mehr vor die Augen kommt. Ich weiß, ich habe ihn schlecht behandelt, aber ich hasse ihn – und ich habe immer die entsetzliche Furcht, daß er eines schönen Tages zu mir kommen und meine Rückkehr in sein Haus erzwingen könnte.«

»Darüber lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen. Ich glaube, ich habe auf ihn einigen Einfluß und kann Sie vor ihm beschützen. Aber nun will ich ungesäumt ans Werk gehen – ich habe doch alle Beweisstücke zusammen? Die Briefe und die Trauscheine habe ich in der Tasche, die Zeitung in der Hand und den Revolver ebenso.«

»Gehen Sie nicht so unvorsichtig mit ihm um, Herr Weevil, halten Sie ihn nicht immer auf mich gerichtet!«

»Meines Wissens ist er doch nicht geladen –«

Krach!

Ich fuhr entsetzt zusammen – ein Aufschrei und ein Fall!

»Herr im Himmel,« schrie Herr Weevil, »ich habe sie getötet! Wie konnte ich auch wissen, daß der Revolver geladen sei? Was soll nun werden? Das Beste ist, ich rette mich so rasch als möglich.«

Mit diesen Worten stürzte er, ohne mich zu sehen, an mir vorbei und stürmte durch den Garten. Ich hörte ein leises Geräusch, wie von zerrissenem Papier, bückte mich und hob ein Zeitungsblatt auf; es war der »Bote von Manchester.«

Ohne an die Gefahr zu denken, die mir selbst drohte, ging ich in das Zimmer und untersuchte die Frau. Aber da war nichts mehr zu machen, sie war bereits tot. Es war nun fast ganz dunkel geworden und ich besaß keine Streichhölzer, dennoch blieb ich noch, bis es völlig dunkel geworden war und überlegte, was ich nun beginnen sollte. Mit einem Male hörte ich Fußtritte. Ein Mann war ins Haus eingetreten. Ich wartete einen günstigen Augenblick ab und schlich hinter seinem Rücken aus dem Zimmer. Eine Tür fiel hinter mir zu, es muß wohl die Tür des unheimlichen Zimmers gewesen sein, und ich flüchtete mich, so rasch ich konnte, aus dem Hause.

Als ich wieder auf der Straße war, fühlte ich keine Unruhe mehr, blieb aber in der Nähe, um das Weitere abzuwarten. Während ich da noch so stand, kam ein Herr auf mich zu, der sich, wie ich bei dem Schein der Straßenlaterne erkennen konnte, in den Finger geschnitten hatte und das Blut mit dem Taschentuch abwischte.

»Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich nach dem Curtis Road gelange?« fragte er mich.

»Gehen Sie die erste Seitenstraße rechts entlang und biegen Sie dann die zweite Straße links ein,« antwortete ich ohne Besinnen, indem ich als völlig Fremder in dieser Stadtgegend die erste beste Lüge aussprach, die mir gerade einfiel.

Ich wechselte noch eine Menge Worte mit dem Fremden, die ich inzwischen vergessen habe und endlich ging er. Ich wollte aber noch abwarten, was sich weiter zutragen würde, und meine Geduld wurde schließlich auch belohnt. Ich sah zwei Herren aus der Efeuvilla heraustreten, von denen der eine einen Blutfleck auf dem Überzieher hatte. Ich folgte den beiden, bis sie in ein Haus der Belling Avenue traten, wartete hier eine lange Zeit und folgte dann dem einen, der das Haus wieder verlassen hatte und scheinbar hier nicht wohnte, bis zu seiner Wohnung. Am nächsten Morgen gelang es mir dann, durch Nachforschungen herauszubekommen, daß der eine Herr der Maler Roystock, und der andere der Direktor der Tabaksfabrik Ernst Wafer war. Da ich mir inzwischen so mancherlei zusammengereimt hatte, so behielt ich Herrn Roystock im Auge und folgte ihm am selben Nachmittag nach einem kleinen Vorort, um die Gelegenheit abzuwarten, ihm ein wenig näher auf den Zahn zu fühlen. Er traf sich jedoch dort mit einem sehr hübschen jungen Mädchen, und so blieb mir nichts anderes übrig, als die beiden in ihrem Liebesglück zu beobachten.

Inzwischen hatte sich mein Gehirn unablässig in die Familiengeschichte hineingearbeitet, und war ich zunächst nur ein entfernter Vetter der Verstorbenen, so war ich, als ich endlich mit Herrn Roystock sprechen konnte, schon lange der Bruder von Frau Filbert geworden. Endlich erreichte ich meinen Zweck, und das Gespräch brachte mir einen Stockhieb quer über das Gesicht ein, so daß ich alle Engel im Himmel singen hörte.

Auf der Rückfahrt traf ich Sleeve, oder »die Manschette,« wie wir ihn nennen, der einmal anständig zu mir war und mir ein oder auch zwei Gläser eines guten Stoffes zum besten gab. Es können wohl nicht viel mehr gewesen sein, denn wir waren nur kurze Zeit zusammen.

Am nächsten Morgen hatte ich einen furchtbaren Kopfschmerz und sah alle möglichen Dinge. Zunächst drehte sich alles um mich herum, aber das ging vorbei, und mir war schon wieder ganz wohl, als plötzlich ein schwarzer Teufel in das Zimmer hereinstürmte, der ein Riesenschild auf der Brust trug. Ich stieß einen Angstschrei aus und wäre fast ohnmächtig geworden, aber da war der Teufel aus dem Zimmer schon wieder heraus, und ich konnte auf seinem Rücken nur noch die Worte lesen: »Ich bitte um einen Fußtritt!« Das erschütterte mich tief und ich schwor dem Alkohol ein für allemal ab und habe seit der Zeit keinen Tropfen mehr getrunken.

Zur Gerichtsverhandlung wollten sie mich erst nicht zulassen, aber ich versicherte dem Polizisten, daß die Efeuvilla meiner Tante gehöre und daß der Vorsitzende mein Schwager sei. Er sah zwar recht ungläubig aus, aber ließ mich schließlich doch eintreten.

Zuerst hatte ich keinerlei Absicht, mich in die Verhandlung einzumischen, aber allmählich wurde ich warm, und ehe ich es selber recht wußte, machte ich in bestimmtester Weise meine Aussagen. Am merkwürdigsten erschien es mir, daß gerade der Mann, dem ich die falsche Auskunft am Abend vorher gegeben hatte, nun ausgerechnet Herr Filbert sein sollte.

Dann ging es mir wie gewöhnlich, die Polizei hatte über mich Erkundigungen eingezogen und gab auf meine ganzen Aussagen überhaupt nichts. Vergeblich beteuerte ich, daß ich Professor der Theologie an der Universität Oxford sei und dabei ein Großneffe des Herzogs von Argyle. Selbst meine Bemerkung, daß ich einer der Chefredakteure der »Times« sei, wurde ausgelacht. Ich konnte aussagen, was ich wollte, man beachtete mich nicht mehr, und das war schade, denn ich war gerade im Begriff, feierlich zu beschwören, daß die ganze Geschichte nichts weiter als eine geschickt ins Werk gesetzte Reklame für »Wafers Tabak« sei.

Wenn ich mir die ganze Sache heute überlege, so haben sie schließlich doch wohl recht gehabt, denn seitdem ich dem Alkohol abgeschworen habe, sehe ich alle Dinge in einem ganz anderen Lichte, und es scheint mir doch, als ob mir meine etwas zu lebhafte Einbildungskraft früher manchen Streich gespielt hat.



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