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8. Kapitel.

Ernst Wafer fährt in seiner Erzählung fort.

In der bereits erzählten Gerichtsverhandlung folgte eine Überraschung der anderen und ich war froh, daß String da war und sich des armen Filbert annehmen konnte. Denn ich hatte wichtigeres zu tun und viel zu viel mit Gareth Roystock zu besprechen, um mich um anderes bekümmern zu können. Ich erreichte Roystock gerade noch zur rechten Zeit, bevor der Polizeiinspektor an ihn herantrat.

»Machen Sie keine Aussage,« flüsterte ich ihm zu, »bevor Sie nicht einen Rechtsbeistand befragt haben, oder wenigstens nicht, bevor wir miteinander alles besprochen haben.«

Aber er drehte sich bereits zu dem Polizeiinspektor um. »Wie soll ich mich in der Angelegenheit verhalten?« fragte er diesen, »ich scheine ja nach der Aussage des Mannes schwer belastet zu sein; was soll nun geschehen?«

»Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen,« erwiderte der Inspektor, »wir haben über den Mann bereits Mitteilung von Manchester erhalten; er ist ein notorischer Säufer und benutzt jede Gelegenheit, die sich ihm bietet, um sich in fremde Angelegenheiten zu mischen und ungeheuerliche Aussagen zu machen, die er nicht verantworten kann. Er ist wahrscheinlich nicht ganz richtig im Kopfe.«

»Aber er hat mich doch klipp und klar beschuldigt –«

»Unsinn, Herr Roystock, wir wissen genau, was wir von Ihnen und von jenem zu halten haben. Außerdem sind wir dem wirklichen Verbrecher auf der Spur, nur haben wir noch nicht alles Beweismaterial zusammen und deshalb wurde auch die Verhandlung vertagt. Wir werden natürlich diesen Kerl hinter Schloß und Riegel behalten.«

Ich atmete erleichtert auf.

»Aber,« fuhr der Inspektor fort, »da Ihr Name so nachdrücklich erwähnt wurde, so muß ich Sie bitten, auf jeden Fall der nächsten Verhandlung wieder beizuwohnen.«

»Sie können sich darauf verlassen.«

»Und als reine Formsache muß ich Sie polizeilich beobachten lassen. Hoffentlich ist Ihnen das nicht allzu unangenehm.«

Roystocks Gesicht bewölkte sich, aber ich äußerte rasch, daß das ja die Pflicht des Inspektors wäre, und damit verabschiedeten wir uns und traten auf die Straße.

Wie die Leute alle Roystock anstarrten, als sei es das achte Weltwunder, daß er sich noch auf freiem Fuße befand! Ich war ordentlich froh, als eine leere Droschke vorbeifuhr, in der wir nach Roystocks Wohnung fahren konnten. Den Abend über blieben wir dort beisammen; er wäre am liebsten sofort auf die Polizei gegangen und hätte die ganze Geschichte erzählt, und es machte mir große Mühe, ihn daran zu hindern. Wie die Sachen augenblicklich lagen, schien es das Beste, die weitere Entwicklung der Angelegenheit zunächst abzuwarten.

Wir beschlossen deshalb, jeder für sich eine genaue Schilderung des Falles, soweit wir beide in Betracht kamen, niederzuschreiben. Diese beiden Schriftstücke nahm ich an mich, da wir es für zu gefährlich hielten, dieselben nach allem Vorgefallenen in Roystocks Wohnung zu belassen.

Am folgenden Nachmittag sprach ich in der Wohnung von Strings vor, um nach meinem Freunde Filbert zu sehen und erfuhr zu meinem Erstaunen, daß er ernstlich krank sei und Gehirnentzündung hätte. Roystock, den ich hierauf besuchte, hatte Briefe von Sylvia und deren Vater erhalten, die ihn in seiner düsteren Stimmung etwas aufheiterten und ihn beruhigten.

Dienstag darauf fand die neue Gerichtsverhandlung statt, bei der Roystock und ich wiederum zugegen waren. Die zuerst aufgerufene Zeugin war eine Frau Mullion, eine Nachbarin der Filberts in Manchester, die ebenfalls die Tote als Frau Filbert erkannt hatte.

»Wann haben Sie die Tote zum letzten Male gesehen?« fragte der Vorsitzende.

»Am Mittwoch morgen. Sie kam ganz aufgeregt zu mir und bat mich, auf ihr Haus Obacht zu geben, da ihr Gatte ihr geschrieben hätte, sie solle ihn in Bexcliffe treffen.«

»Erwähnte sie sonst noch etwas Besonderes?«

»Sie sagte, sie wäre froh, wenn sie oder er tot wären und hoffte, die Begegnung in Bexcliffe würde eine Entscheidung in ihrem Eheleben bringen; aber sie führte immer heftige Reden im Munde, deshalb schenkte ich ihren überspannten Worten keine große Aufmerksamkeit.«

Nach einigen weiteren Fragen wurde der Geschäftsreisende Rufus Pagetting aufgerufen.

»Wann sahen Sie zuletzt Herrn Filbert und wo?«

»Am Donnerstag morgen, beim Frühstück im ›Goldenen Bären.‹«

»Und haben Sie ihn auch am Mittwoch getroffen?«

»Ja, ich arbeitete in Pangwich und traf ihn dort, und wir fuhren mit demselben Zug ab, der hier um fünf Uhr eintrifft.«

»Stellte er irgendwelche Fragen an Sie?«

»Er fragte mich nach einem billigen Hotel in Bexcliffe, da er hier die Nacht bleiben müßte, und ich empfahl ihm den ›Bären‹ und fragte ihn, bei welchen Firmen er hier vorsprechen wolle.«

»Und was antwortete er?«

»Er meinte, er hätte hier Privatangelegenheiten zu erledigen und bisher noch niemals in der Stadt Geschäfte gemacht. Später erkundigte er sich nach den hiesigen Firmen und erwähnte, er käme am Freitag nochmals durch Bexcliffe durch und wolle dann hier auch einmal sein Glück versuchen.«

»Haben Sie ihn am Mittwoch abend gesehen?«

»Ja, wir tranken im Hotel zusammen Tee und dann ging er aus. Ich hatte noch eine Besorgung in der Umgegend und traf ihn zufälligerweise zwischen sechs und sieben Uhr im Cranstone Park. Aber er schien mir ausweichen zu wollen, denn er ging auf die andere Seite der Straße hinüber und bog in einen Nebenweg ein.«

»Sahen Sie ihn dann später am Abend nochmals?«

»Ja.«

»Unter welchen Umständen?«

»Ich traf ihn, wie er längs des Flusses auf und ab spazierte und schloß mich ihm an. Ich bemerkte, daß sein Taschentuch aus der Rocktasche heraushing und machte ihn darauf aufmerksam. Er zog es heraus und ich sah zu meiner Verwunderung und meinem Schrecken, daß es voller Blutflecken war. Das konnte ich zufälligerweise sehen, da wir uns gerade in der Nähe einer Laterne befanden. Er lachte – wie mir schien etwas gezwungen – und sagte: ›Ich glaube, das Taschentuch kann man doch nicht mehr benutzen‹ und warf es dabei in den Fluß.«

»Was taten Sie darauf?«

»Ich ging mit ihm ins Hotel zurück. Er war recht niedergeschlagen, klagte, daß die Geschäfte schlecht gingen und meinte, es sei schwer, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.«

»Was geschah dann später?«

»Am nächsten Morgen, als Filbert bereits mit dem ersten Zuge abgefahren war, las ich beim Frühstück den Zeitungsbericht über den Mord in der Efeuvilla und mußte dabei immer an das blutige Taschentuch denken. Da ich keine Ruhe fand, so ging ich schließlich auf die Polizei und machte meine Aussage. Man forschte nach und fand das Taschentuch noch am Flußufer an einer Baumwurzel eingeklemmt liegen.«

»Würden Sie es als Filbert gehörig wieder, erkennen?«

»Ich glaube kaum, denn ich sah es nur bei Lampenlicht und weiß auch nur, daß es rote Flecke hatte.«

Jetzt wurde Schutzmann Bowler aufgerufen, und er schilderte die Auffindung des Taschentuches und daß dieses zwar mit Blut befleckt, aber die Flecken durch das fließende Wasser bereits ziemlich ausgewaschen gewesen wären. Schließlich wurde das Taschentuch herumgezeigt; es trug den Namen Wilhelm Filbert.

Dann wurden andere Zeugen aufgerufen, die aber nur wenig von Belang auszusagen vermochten. Zu meiner Verwunderung wurde aber der Trunkenbold, der sich Revel genannt und in der früheren Sitzung eine so schwerwiegende Aussage gemacht hatte, nicht aufgerufen, sondern nur ein ärztliches Attest verlesen, wonach er geistig nicht zurechnungsfähig genug wäre, um klare Aussagen machen zu können. Das war für mich und Roystock äußerst angenehm, aber nach allem schien jetzt Filbert in einer solchen Patsche zu sitzen, daß wir wohl oder übel in irgendwelcher Form würden eingreifen müssen.

Die zusammenfassende Rede des Vorsitzenden war nur kurz und die Jury gab das allseits erwartete Urteil ab: »Mord, begangen von einer oder mehreren unbekannten Personen.«

Am Abend saßen Roystock und ich mehrere Stunden zusammen und beratschlagten, was wir tun sollten. Wir kamen jedoch schließlich darin überein, daß wir für die ganzen Vorfälle nicht verantwortlich wären und daß man am Ende von unschuldigen Leuten nicht verlangen könnte, sich selbst zu beschuldigen.



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