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4. Kapitel.

Erzählt von Sylvia Veerland.

Ich war selig, als Gareth um meine Hand anhielt, denn ich wartete schon seit Monaten darauf und mein Herz hatte schon lange ein freudiges »Ja« gesprochen. Wie sollte man auch Gareth nicht lieben können! Und dann hatte ich auch noch einen anderen Grund, über seine Werbung froh zu sein. Ernst Wafer kam fortwährend zu uns und ich fühlte mit dem den Frauen eigenen Instinkt heraus, daß er nur meinetwegen so oft zu uns kam, und fürchtete jeden Tag, er könne mir eine Liebeserklärung machen. Ich weiß nicht warum – aber ich fühlte es, ich würde ihn nie lieben können, und es ist doch immer schrecklich für eine Frau, einem wirklich guten und ehrenwerten Manne, der sein ganzes Selbst darin einsetzt, eine Frau zu erringen, einen Korb geben zu müssen. Dieser Unannehmlichkeit war ich nun enthoben, und Gareth kannte kein Zögern, sondern sprach gleich mit meinem guten alten Vater, der freudig seine Zustimmung gab, denn er kennt nur den einen Wunsch, mich glücklich zu sehen. Tante schien nicht sehr erbaut darüber, aber was sollte sie machen!

Nach diesen denkwürdigen Ereignissen begleitete ich Gareth nach dem Bahnhof, und der Stationsvorsteher, Herr Pitcher, schien nicht schlecht erstaunt, als ich mich mit einem Kusse von meinem Bräutigam verabschiedete. Ich fühlte, wie ich über und über rot wurde, als mich Herr Pitcher begrüßte und mir einen guten Abend wünschte, und werde lange nicht vergessen, wie er mir lächelnd nachschaute, als ich den Bahnhof verließ.

Am nächsten Morgen bekam ich keinen kleinen Schreck, als ich die Zeitung las. Gareth hatte mir nämlich auf dem Wege zum Bahnhof von einer entzückenden kleinen Villa erzählt, die wir später, wenn es mir recht sei, bewohnen sollten und die, am Cranstone Park gelegen, die »Efeuvilla« hieß. Nun las ich in der Zeitung, daß am Abend vorher in ebendieser Villa ein gräßlicher Mord verübt wäre. Das kam mir wie eine böse Vorbedeutung vor und zerstörte natürlich unsere Hoffnung, dort später zu wohnen.

Gareth kam, wie verabredet, am Nachmittag zu uns heraus, und ich war ihm bis in die Nähe des Bahnhofes entgegengegangen. Während wir lebhaft plaudernd unserem Hause zuschritten, sah ich einen verkommen aussehenden Mann uns folgen, aber ich machte mir keine weiteren Gedanken darüber, denn ich dachte, er ginge nach dem Dorfe.

Was war das für ein entzückender Nachmittag in unserem Garten, mit Gareth allein, und mir entschwanden die Stunden wie im Traume. Einige Male machte Gareth zwar ein bekümmertes Gesicht und schien eine geheime quälende Sorge zu haben, aber das ging stets rasch vorüber und er war so zärtlich zu mir wie vorher. Um neun Uhr verabschiedete sich Gareth von uns und ich wollte ihn noch bis zur Gartentür begleiten, Tante meinte jedoch, das schicke sich nicht, und so mußte ich ihm an der Haustüre Gute Nacht sagen. Aber ich wollte Tante einen Streich spielen, deshalb ging ich durch das Wohnzimmer, wo sie noch saß, nach dem Gewächshaus und während sie mich unter den Pflanzen wähnte, entschlüpfte ich durch die kleine Türe des Gewächshauses, die nach dem Garten führt, und lief quer durch den Garten nach der hinteren Gartenpforte, an der, wie ich wußte, Gareth auf seinem Wege nach dem Bahnhofe vorbeikommen mußte. Dort verbarg ich mich ganz in der Nähe der Landstraße unter den Büschen und hörte auch bald seine sich nähernden Schritte. Jetzt war er ganz in meiner Nähe und schon wollte ich seinen Namen rufen, als ich einen Mann erblickte, der ihm folgte und ihn jetzt gerade ansprach. Wenige Schritte vor mir blieben die beiden stehen.

»Herr Roystock, nicht wahr?« fragte der Fremde.

»Der bin ich,« entgegnete Gareth, »was soll es?«

»Ich bitte um ein paar Minuten Gehör.«

»Ich muß mich beeilen, um meinen Zug zu erreichen.«

»Dann werden Sie ihn, glaube ich, verfehlen!«

»Was wollen Sie denn und wer sind Sie eigentlich?«

»Mein Name tut nichts zur Sache. Ich komme von Louise Revel, oder, wenn Ihnen das lieber ist, von Louise Roystock.«

Gareth antwortete nicht und es entstand eine peinliche Pause. Was hatte das zu bedeuten? Ich fühlte, wie mir das Herz vor Aufregung klopfte.

»Die ist doch seit langem tot,« sagte Gareth schließlich.

Der Mann lachte so höhnisch, daß es mich eiskalt durchfuhr.

»Dann müßte sie heute gestorben sein, denn als ich sie gestern in Manchester verließ, befand sie sich noch bei bester Gesundheit.«

Es entstand wieder ein fürchterliches Schweigen, und als Gareth endlich zu sprechen begann, klangen seine Worte in einem wahren Grabeston.

»Wer sind Sie eigentlich und was wollen Sie von mir?«

»Ich habe Ihnen eine Botschaft von Ihrer Frau auszurichten, die ich gestern wohl und gesund in Manchester verließ.«

Ich wurde bei diesen schrecklichen Worten fast ohnmächtig und wartete fieberhaft, was mein Bräutigam darauf antworten würde.

»Ich habe keine Frau!«

»Das verfängt bei mir nicht, lieber Herr, denn ich war selbst bei Ihrer Hochzeit zugegen, als Sie vor sieben Jahren Louise Revel heirateten.«

»Louise ist jedoch bereits im vorigen November in New York gestorben.«

»O nein, Herr Roystock, sie ist wohl und munter, wie ich Ihnen gleich beweisen will, wenn Sie einen Augenblick lang ein Streichholz anstecken wollen.«

Gareth riß ein Streichholz an und bei seinem Scheine erkannte ich den verkommen aussehenden Menschen, der uns am Nachmittag von dem Bahnhofe aus gefolgt war. Die beiden Männer blickten jetzt ein Stück Papier an.

»Erkennen Sie diese Unterschrift?«

»Gewiß,« entgegnete Gareth, während das Streichholz erlosch, »das hat Louise geschrieben, aber das beweist noch nichts, denn diese Unterschrift kann bereits viele Monate alt sein.«

»Dann brauchen Sie nur ein neues Streichholz anzuzünden, um sich zu überzeugen, daß der Name quer über die Ecke einer Zeitung geschrieben ist, des »Boten von Manchester« vom gestrigen Tage.«

»Barmherziger Gott!« rief Gareth, der sich inzwischen überzeugt hatte, entsetzt aus, während auch das zweite Streichholz erlosch. Nach einer weiteren qualvollen Pause begann mein Bräutigam mit bebender Stimme von neuem:

»Und was wollen Sie nun von mir?«

»Geld,« lautete die Antwort. »Ich will es gerne zugestehen, daß ich mir diesen kleinen Plan ausgedacht habe und Lieschen ist mit ihm völlig einverstanden.«

»Wie können Sie es wagen, von meiner angetrauten Frau so vertraulich zu sprechen? Trotz all ihrer Schlechtigkeit und meinem nur zu begründeten Abscheu vor ihr muß ich mir das doch ernstlich verbitten.«

»Nichts für ungut, lieber Herr, ich bin ihr Bruder und somit,« fügte er boshaft lachend hinzu, »Ihr Schwager! – Aber ich bin nicht hierhergekommen, um mich Ihnen nur vorzustellen, sondern verlange Geld. Ich hörte davon, daß Sie sich mit der Tochter von Herrn Veerland verlobt hätten, und da Lieschen selber nichts mehr mit Ihnen zu schaffen haben mochte, so bin ich Ihnen heute hierher gefolgt und habe mich mit eigenen Augen überzeugt, wie die Dinge standen. Bitte werden Sie nicht heftig – ich habe keine Indiskretion begangen, denn ich gehöre ja eigentlich zur Familie. Wir haben uns alles genau überlegt und wollen nicht unbescheiden sein; sie zahlen uns jeden Monat 50 Pfund und Lieschen und ich sind damit einverstanden, daß Sie Ihre kleine, süße Braut heiraten.«

Wie zitterte ich bei diesen Worten, und welche Antwort hoffte ich aus seinem Munde zu hören?

»Scheren Sie sich zum Henker,« antwortete Gareth, »ich mag Ihr Schweigen nicht erkaufen und werde ganz im Gegenteil jetzt, wo ich weiß, daß meine Frau noch lebt, sofort zu meiner – zu Fräulein Veerland zurückkehren, um ihr die volle Wahrheit zu sagen.«

Ach Gareth! Ich liebte ihn diesen Augenblick mehr als je und fühlte, wie mir die hellen Tränen an den Wangen herunterliefen.

»Noch einen Augenblick, mein Herr,« fuhr der Fremde fort; »wir haben auch noch einen anderen Punkt zu besprechen. Was hatten Sie gestern Abend in der Efeuvilla zu schaffen?«

Gareth antwortete nicht.

»Und warum hat ein gewisser feingekleideter Herr einen großen blutroten Fleck unten an seinem hellen Überzieher?«

Wieder kam keine Antwort. Was hatte das zu bedeuten?

»Fünfzig Pfund im Monat ist nicht sehr viel, aber ich habe nun einmal diese Forderung aufgestellt und deshalb mag es auch dabei bleiben. Natürlich können Sie sich den Handel ein paar Tage lang überlegen, aber an jedem Tag, den ich noch warten muß, steigert sich der Preis und ich denke, für einen reichen Mann wie Sie wäre das Mädel allein soviel wert. Ein Mann muß doch ein Narr sein, der nicht fünfzig Pfund für die hübsche Sylvia Veerl–«

Krach! Ich konnte nicht sehen, was sich zutrug, aber augenscheinlich hatte Gareth dem Manne mit seinem Stock einen Hieb ins Gesicht versetzt, und jetzt hörte ich, wie er ihn wütend anbrüllte:

»Scheren Sie sich sofort zum Teufel und wenn Sie nicht in drei Sekunden verschwunden sind, dann stehe ich für nichts mehr ein.«

Der Mann murmelte etwas zwischen den Zähnen und schlich sich davon, während Gareth wie zu Stein erstarrt stehen blieb. Ich wartete angstvoll und lauschte, aber als er jetzt einen herzzerreißenden Seufzer ausstieß, konnte ich es nicht länger ertragen, sondern trat aus meinem Versteck hervor.

»Gareth,« rief ich aus, »laß es Dir nicht zu sehr zu Herzen gehen, denn Du hast ja noch mich

Aber er wich zurück.

»Nein, nein,« rief er, »Du weißt nicht alles – komm mir nicht zu nahe – der Traum ist zu Ende!«

»Ich habe alles gehört, Gareth!«

»Sylvia!«

»Ja, alles,« wiederholte ich.

»Dann bist Du Dir über die Bedeutung der Tatsachen noch nicht klar geworden.«

Jetzt fühlte ich erst, daß er recht hatte und daß ich ihm auch nicht zu helfen vermochte. Bisher war alles nur wie ein Traum gewesen, aber nun wußte ich – es war alles aus. Ich hatte bisher nur mit einem eifersüchtigen Gefühl an seine Frau gedacht und war bei dem Gedanken glücklich gewesen, daß seine Liebe noch mir gehörte, aber jetzt wußte ich, daß er für mich verloren war. Und dann fielen mir die letzten Worte des schrecklichen Mannes über die Efeuvilla und den roten Fleck an seinem Rocke wieder ein und eine fürchterliche Angst überkam mich.

»Gareth, was meinte der Mann mit seiner letzten Drohung?« fragte ich deshalb bebend.

»Er hat mich aus dem Hause, in dem die Frau ermordet wurde, herauskommen sehen.«

»Und – und – hatte Dein Rock einen Blutfleck?«

»Das weiß ich nicht, aber es könnte schon sein,« entgegnete er ruhig.

Ich versuchte zu sprechen, aber ich vermochte es nicht. Wir standen uns stumm und regungslos auf der Landstraße gegenüber.

»Sprich doch,« flüsterte ich schließlich.

»Sylvia, ich bin unschuldig!«

Dem Himmel sei Dank für diese Worte, ich konnte mich nicht mehr halten, sondern flog in seine Arme, bedeckte sein Gesicht mit Küssen und brach in Tränen aus.

»Sylvia,« sagte er schließlich, »wir müssen einander Lebewohl sagen, denn wir müssen für immer scheiden!«

Ich vermochte nichts zu erwidern, er aber beugte sich zu mir herab, drückte einen langen zärtlichen Kuß auf meine Stirn, entwand sich meinen Armen und verschwand im Dunkel der Nacht.



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