Sophie Mereau
Amanda und Eduard
Sophie Mereau

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Elfter Brief.

Eduard an Barton.

Ich beklagte mich in meinem letzten Brief über Dein Schweigen, und nun gebe ich Dir Ursache über das Meinige zu klagen. Aber sind wir uns gleich? – Du kannst meine Briefe entbehren, Du liesest sie vielleicht nur um meinetwillen; mir sind die Deinigen unentbehrlich, ja sie machen einen Theil meines Lebens aus.

Ich habe seit ich Dir zuletzt schrieb, Nanettens Freundin, die sie mir in ihrem Brief schilderte, kennen lernen, und in ihr jene Unbekannte wieder gefunden, die ich in den ersten Tagen meines Hierseins, neben dem ältlichen Mann im Wagen schlummern sah, und deren unbefangene Schönheit ich Dir schilderte. Eine nähere Bekanntschaft hat mich nur noch mehr zu ihr hingezogen, und ich überlasse mich willig den Eindrücken die sie auf mich macht, – unbekümmert, ob sie meine flüchtige Neigung wird fesseln können, oder nicht. Du selbst riethest mir oft, mich dem verfeinerten Theil der Weiber, der gleichsam ein andres Geschlecht ausmacht, zu nähern, und ich hätte es gern gethan, wenn mich nicht meine natürliche Ungeschicklichkeit immer davon zurückgehalten hätte. Doch jetzt fühle ich lebhafter als je den Wunsch, von diesem wunderbaren Wesen mehr zu erfahren, und ihre mächtige Einwirkung auf unsere Bildung und Zufriedenheit an mir selbst zu empfinden. Glaube jedoch nicht, daß mich der weibliche Umgang ausschließend beschäftigen und von allem andern, was mir bis jetzt wichtig war, abziehen werde, denn noch gedenke ich lebhaft der Stunde, wo Du mir einst sagtest: Nichts hindert die Bildung besserer Menschen mehr als Liebeleien. Leidenschaften können zerrütten und erheben; die Seele, die sich ganz der Liebe hingeben kann, ist zu jeder Größe fähig, aber sie werden nur selten empfunden, und kleinlich ist es, ihren Schein zu erkünsteln.

Auch müßte ich wol sehr eitel sein, wenn ich glauben wollte, auf Amandens Herz einen bedeutend tiefen Eindruck machen zu können; denn sie ist reizend, sehr reizend, ein jeder fühlt das, der sie sieht, und ein wunderbarer Zauber, von tiefem, lebhaften Gefühl, der sie umgiebt, zieht Männer und Weiber mit Liebe zu ihr hin. Und doch, Barton! – ich möchte gegen Dich, um alles in der Welt nicht Heuchler sein – wenn ich alles bedenke, so, – wie mich auch ihre Phantasie ihr vielleicht darstellt – wie ich auch auf sie gewirkt haben mag – genug! ich muß es glauben, dieses Weib, dem Alles huldigt, das ich anbeten muß – sie liebt mich!

Höre was ich Dir zu sagen habe, und urtheile selbst. Nanette hat sich in der Nähe ein Gut gekauft, weil ihr das hiesige Leben so sehr gefällt, daß sie jährlich einige Zeit in dieser Gegend zubringen will. Sie lud uns ein, mit ihr dahin zu fahren, Amanda, mich und noch einige Bekannte, die ich Dir ein andermal schildern will. Ich sage Dir nichts von der Reise, obgleich Witz und Vergnügen sie zu der angenehmsten erheben, und obgleich schon da ein unsichtbares, unnennbares Band sich zwischen mir und Amanda webte. Als wir ankamen war es bereits Nacht. Nanette, von der Hitze des Tages und ihrer eigenen Lebhaftigkeit ermüdet, sehnte sich nach Ruhe, und da Amanda, die, unveränderlich wie eine Göttin, noch wie am Morgen voll Geist und Leben war, sich gleichwol nicht von ihrer Freundin trennen wollte, so ließen wir übrigen sie allein und gingen in der heitersten Laune und mit der angenehmen Aussicht auf ein paar glückliche Tage in die uns angewiesene Zimmer. Ich erwachte früh am andern Morgen; im Hause war noch alles still, und ich eilte hinaus in die Landschaft, auf welche eben die ersten Strahlen des Morgens fielen. – Die Schönheit der Gegend überraschte mich, denn die glückliche Stellung der Gebirge, die sich um das schöne Thal ziehen, bildete sehr romantische Parthien und einen reizenden Grund, wovon ich am Abend nicht das Mindeste geahnet hatte.

Ich verlor mich seitwärts in den Wald, der sich sanft den einen Berg hinaufzog; die frischen Waldgerüche durchdrangen und stärkten mich, und die Vögel wirbelten mit ihrer wilden, frohen Musik, mich zu neuer, rascher Lebenslust empor. Unvermerkt hatte ich die Höhe erreicht, und trat nun aus dem Dunkel des Waldes heraus. Ein wildes Klippengemisch sank unter mir ins Thal herab. Ringsumher waren alle Berge mit Wald bedeckt, der bald scharfe, dunkle Umrisse zog, bald gefällig wie mit grünen Wellen herabsank. Die Morgensonne glänzte mit heiligen Strahlen über die Berge, und meine Seele erklang wie Memnons Bildsäule, beim Wiedersehen der Mutter. Lange, lange stand ich da, das schöne Bild mit Wollust in mich aufzunehmen, und meine Gedanken hiengen an dem freudigen Wehen der Bäume, und an dem Leben, das aus ihren Zweigen in heiterer Ungebundenheit rauschte. Ueberall sah' ich eine unaussprechliche Freiheit und Liebe verbreitet. Wie in einem glücklichen, wohl organisirten Staat gedieh' hier alles, hinderte sich nichts, wuchs alles nach Kräften empor. – Mitten in diesen Bildern fühlte ich mein Herz von einer seltsamen Wehmuth durchschnitten. Hier, wo alles sich zu kennen, sich zu fassen schien, und fröhlich in Eins zerschmolz, schien ich mir ganz unzusammenhängend, ganz allein, dazustehen, und erschrack fast vor meiner eigenen Gestalt. – Ich breitete meine Arme aus, und fühlte mich so innig mit der Natur verwandt, hätte ein Mitglied dieser Bäumerepublik werden mögen! Ach, das ängstliche Klopfen meines Herzens störte keinen in seiner Ruhe, und eine Thräne preßte sich mir ins Auge, indem ich die unübersteigliche Scheidewand fühlte, die mich von den Wesen, welche mich umgaben, trennte. – In diesem Augenblick sah ich nicht weit von mir, unter Felsen und wildem Gesträuch, eine weibliche Figur sitzen, die ich im ersten Augenblick für Amanda erkannte. Sie sah zu mir herauf, sie blickte mich seelenvoll an, und mir ward wohl, jugendlich wohl. – O! Leben, rief ich – und sprang über die Felsen zu ihr hinab, welch ein liebes, freundliches Geschenk bist du! – Mit innigen Vergnügen hörte ich, wie sie mir zurief, nicht diesen Weg, der allzugefährlich sei, zu kommen. Ich sah sie schöner, himmlischer als je, eine überirdische Glut loderte in ihren Blicken, und jeder Zug ihres Gesichts, jede Bewegung, war Anmuth und Seele. – Meine Amanda! dachte ich – und merkte erst an ihrem überraschten Blick, daß ich es auch gesagt hatte. Aber wer hätte bei dieser Umgebung, in solcher Stimmung, und bei ihr, wol an Verhältnisse, oder nur an etwas Entferntes denken können? – Die Gegenwart war so allbeseligend, und eine fröhliche Begeisterung, gab allen Gegenständen um uns her eine neue, schönre Bedeutung. Ich schlang meinen Arm dicht um den ihrigen; mein Blick durchirrte die Gegend nicht mehr, und so oft auch sie mich anblickte, mit ihrem Auge voll Geist und Liebe, flog ein heiliger, nie gefühlter Schauer durch meine Seele.

Nach diesem Morgen war alles ganz anders, zwischen ihr und mir. Ueberall schienen wir uns zusammen zu gehören, und ein geheimes Verständniß leitete uns, ohne daß davon zwischen uns die Rede gewesen wäre. Wir blieben einige Tage auf dem Lande. Am letzten war Amanda trübe, aber diese Schwermuth war reizender als alle Freude der Welt. Wir alle hatten den schönen Abend in der Laube des Gartens zugebracht. Die andern giengen weg; sie verspätete sich einen Augenblick: O! daß ich sie zu erheitern vermöchte! sagte ich, daß ich ihnen nur etwas sein könnte! – Eduard, sagte sie, sie können mir Viel sein! Und in diesem Augenblick fühlte ich einen leisen Druck ihrer Hand, der meine ganze Seele erschütterte.

Was wirst Du mir schreiben, Barton? ich erwarte Deinen Brief mit der höchsten Ungeduld. Wie? wenn ich vor Dir da stände, wie einer jener Gecken, die ich immer so bitter gehaßt habe, die jedes freundliche Wort eines Weibes, jeden leichten, vorübergehenden Scherz für Liebe halten! – Tage sind vergangen, ich habe sie nicht gesehen, und jene seltsame, freudige Gewißheit, ist nicht mehr in meiner Brust; ja fast schäme ich mich, daß einige Blicke, halbe Worte, und ein Händedruck, mir sie erregen konnten. Und doch!– O! sag' Du mir Deine Meinung, aber bald! ich bin entschlossen, sie nicht wieder zu sehen; denn, wenn die Gewalt eines Weibes so groß ist, daß sie uns mit uns selbst entzweit, so ist sie mir furchtbar.


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