Sophie Mereau
Amanda und Eduard
Sophie Mereau

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Achter Brief.

Amanda an Julien.

Meine Julie, ich habe neue traurige Stunden verlebt, und fast trage ich Bedenken, Dir davon zu schreiben. Denn soll ich ewig klagen? Muß ich mich nicht schämen, daß ich zum Leben zu ungeschickt bin, und daß meine Verhältnisse mir eher dunkler und schwerer werden, da sie mir leichter und klärer werden sollten? – Doch was Du auch von meinem Verstand denken magst, ich kann, ich will mich nicht gegen Dich verstellen, und finde in der Wahrheit meiner Aeusserungen einen Genuß, der das Bewußtsein, von andern für vorzüglich gehalten zu werden, mir zehnfach aufwiegt. Du kennst die weiche Stimmung worin ich jetzt bin – alle meine Briefe sprechen sie nur all zu deutlich aus. Mein Herz, das in Liebe zerschmilzt, gleicht einer reifen Frucht, die über einen Strom hängt. Bricht sie nicht irgend ein Kühner, wenn auch mit Lebensgefahr, so sinkt sie und begräbt sich in die Fluth; denn brechen muß sie. Höre – und sag selbst, wie ist es möglich, meine Wünsche mit meinen Verhältnissen in Uebereinstimmung zu bringen?

Ich stand heute hinter meinen Jalousien, und bemerkte Albret in einer nahe stehenden Laube, neben ihm den kleinen Wilhelm. Er glaubte sich ungesehn, und ich sah, wie er mit einem ungewöhnlichen Ausdruck seines Gesichts, den Knaben in seinen Armen empor hielt, und ihm bewegt ins Gesicht sah. Daß dieser Kleine in irgend einer Verbindung mit ihm stehen müsse, war mir längst gewiß, und ich beschloß schnell, diesen köstlichen Moment, wo ich sein Herz bewegt, wo ich ihn menschlich, fühlend und leidend zu sehen glaubte, nicht unergriffen vorüber gehen zu lassen. – Ich eilte zu ihm hinab und lehnte mich schmeichelnd an seine Brust. »Liebster,« sagte ich, »was soll diese unselige Verschlossenheit? laß mich von diesem theuren Herzen die grausame Rinde ablösen, worunter es beinah erliegt. – Vergönne mir Theil zu nehmen an Deiner Freude und an Deinem Schmerz, und verheele nicht länger die Empfindungen, die ein treues Weib mit Dir theilen will.« – »Eben weil es ein Weib ist, verheele ich sie,« sagte er, und sah mich mit einem Blick an, als befremde es ihn, daß ich glauben könne, er leide. »Vertändle du dein Leben, Amanda, und kümmere dich nicht um ernste Dinge. Wenn ihr nur spielt, seid ihr wenigstens nicht schädlich, wenn ihr ernsthaft sein wollt, seid ihr es immer. Handle du nach Laune und überlaß es dem Mann nach Vernunft zu handeln.« – Mein Gefühl entbrannte bei diesen Worten. »Warum,« rief ich schmerzhaft aus, »wähltest du ein fühlendes Weib zur Gefährtin deines Lebens, wenn du sie nicht zu würdigen vermagst? warum bereitest du einem schuldlosen Herzen, das dich achtet, und dir Alles sein möchte, die kränkende Ueberzeugung, daß es für dich nichts sein kann? – War es recht, ein dir gleiches Wesen bloß Mittel sein zu lassen, zu Zwecken, welche du ihm nie bekannt zu machen gedachtest?« – »Wer nicht selbst Zwecke haben soll und kann, wird immer nur Mittel sein,« sagte er nun schon ganz gefaßt. »Ich hoffe nicht, daß du dich über mich zu beklagen hast. Verschließt dein Herz Wünsche, so sage sie, und wenn sie nicht unmöglich sind, sollen sie sicher befriedigt werden. Nur wenn du an meiner Denkungsart zu ändern hofst, so – »Er brach hier ab, und gab mir eine beträchtliche Summe Geld, wobei er mich mit vieler Artigkeit bat, bei Gelegenheit einiger bevorstehenden Lustbarkeiten meinen Anzug so glänzend einzurichten, als ich es mit vollem Recht thun könnte. Sein Gesicht hatte sich nun ganz wieder in die feinen, verschloßnen Falten gezogen, die es gewöhnlich hat, und er verlies mich. Ich fühlte, es war vorbei; er sah meine schwimmenden Augen und konnte mich verlassen. Ich fühlte mich in diesem Augenblick ganz einsam; alle Gegenstände schienen weit von mir zurückzuweichen, und ein unermeßlicher Abgrund von Leere sich neben mir zu öfnen. – Ich lies mein Mädchen ausgehen, und meine Thür blieb vor der ganzen Welt, selbst vor dem Knaben, verschlossen. Ein bittrer, unmässiger Gram durchdrang das Innerste der Seele. Ach! auf der ganzen Welt kannte ich kein liebendes Herz, das mich in den trüben Strom gereizter Empfindlichkeit erhalten, und durch freundliche Theilnahme wieder zum Licht der Hoffnung empor gehoben hätte! – Selbst Du, meine Julie, entferntest Dich von mir! ich fühlte nur allzuwohl, was ich Dir sei, obgleich ich Dir Alles bin, was ich Dir sein kann. Du hast Deinen Gatten, Deine Kinder, und Dein Herz zerschmilzt in Liebe für die Gegenwärtigen, während es für die Entfernte nur ein freundliches Andenken hat. – Anders war es, als wir zusammen lebten, und unsre Freuden und Leiden, wie verschlungne Ranken zusammen aufwuchsen. Damals, umgab mich die wahre, herzliche Liebe meines Vaters, gleich einem wohlthätigen Schutzgeist, damals schien es mir, hingen so viele an mir, schlug mir so manches Herz entgegen, und jetzt – Ich ging ans Fenster und kühlte meine brennenden Augen in der milden Abendluft. Es war ein lieblicher Abend, und alles suchte das Freie. Mit welcher Sehnsucht sah ich auf die Vorübergehen den; ach! Alle schienen mir glücklicher als ich. – Die Gärtnertöchter gingen in den schattigen Gängen mit einem jungen Mann. Sie waren dürftig gekleidet, ohne Grazie, ohne Liebenswürdigkeit, aber sie gingen so traulich; ihre Herzen waren leicht wie die Lüfte und übereinstimmend wie die Farben des Abendhimmels – mit welcher quälenden Wehmuth sah ich ihnen nach!

Sieh! so strebe ich, während die hier immer mehr anwachsende Menschenmenge sich munter um mich her treibt, und alles dem Vergnügen sich ergiebt, mit grausamer Erfindsamkeit mich selbst zu quälen und wie ein eigensinniges Kind alles Glück, das sich mir anbietet, zu verschmähen, weil mir das Einzige, nach dem ich mich sehne: geliebt zu werden, so wie ich mir es träume, versagt ist. Doch fühle ich, daß mir während dem Schreiben unvermerkt wieder leichter geworden ist, und daß der Quell der Hoffnung und Lebenslust, wie in jeder Menschenseele, unversiegbar auch in mir lebt. – Aber was soll ich thun? ich fühle was ich einem andern sein könnte, und darum ist es mir so schmerzlich, Nichts für den zu sein, dem ich viel sein möchte. Warum kann ich den Weg zu seinem Vertrauen nicht finden, und stehe ewig fremd und unverstanden vor ihm? – Als ich Albret kennen lernte, glaubte ich an ihm einen furchtbaren Gleichmuth, eine kalte Erhabenheit über Leidenschaften und Wünsche wahrzunehmen, die ihn in meiner Phantasie zu einem höhern Wesen erhoben und meine Ehrfurcht erregten. Aber in der Folge bemerkte ich, daß diese Stille von aussen, nur destomehr innre Stürme verbarg, Stürme, deren Natur mir nur Wiederwillen erregte – und da sah ich es gern, daß unsre Lebensart uns von einander entfernt hielt. Doch jetzt, da ich überzeugt zu sein glaubte, daß er menschlich empfindet, daß er leidet, daß er vielleicht mehr unglücklich als hart ist, jetzt, meine Julie, fing ich an, ihn zu lieben! – Noch einmal den Versuch zu machen, mich in seine Geheimnisse einzudringen, halte ich für unwürdig, aber der Knabe ist mir nun noch lieber geworden. Es ist unverkennbar, daß hier ein, ihm nahe liegendes Geheimniß verborgen ist, und, wie es auch sei, dies Kind soll mir als das Pfand einer vergangenen, wahrscheinlich für ihn glücklichen Zeit vorzüglich werth sein. – Gute Nacht, meine Julie, mein Herz schlägt ruhiger nach diesem Brief.


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