Sophie Mereau
Amanda und Eduard
Sophie Mereau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Brief.

Amanda an Julien.

Dein Brief hat mich angenehm gerührt. Du schilderst mir Deine Lage so gefühlvoll, Du bist so harmonisch mit Dir und Deiner Welt, Deine folgsame Phantasie führt Dich nicht über Deinen Kreis hinaus, und haucht nur ein blühenderes Kolorit über die Bilder des gewöhnlichen Lebens. Wie glücklich bist Du, meine Julie! – komm zu mir und lehre mich in meiner Lage zu sein, was Du in der Deinigen bist. Dein Anblick wird die stillen Bilder unserer frühen Jugend an Blumenketten der Erinnerung vor meine Seele führen, und meine gespannte Stimmung wohlthätig mildern. – Wenn wir uns allein fühlen, mag sich dann der lieblichste Sonnenschein in goldnen Wellen über die Gegend ergießen; ein gleichgültiger Tag nach dem andern vergeht, und die Freude wird Wehmuth für den, der sie nicht theilen kann. Und ich bin allein! allein in der lebendigsten Natur, über deren fröhlichste Bilder dies Gefühl einen schwermüthigen Schleier zieht. Diese duftenden Lauben wollen ein liebendes Gespräch, diese reizenden Irrgänge wollen eine Bedeutung. – Ach! vielleicht trennt nur ein blühendes Gebüsch, ein leichter Pfad den Gegenstand von mir, der es würdig wäre, meine Gefühle zu theilen! vielleicht wandelt auch er allein, mit dem schönen, unbefriedigten Herzen, erstaunt, die todte Natur so lebendig, und die lebendige Welt so todt zu finden! Er weiß es nicht, daß die, welche einzig ihn verstehen kann, so nahe bei ihm ist; er flieht das Glück, das er sucht – ein schadenfroher Dämon führt ihn ewig bei mir vorbei!

Du lächelst über meine Schwärmereien, Julie, aber laß mir sie, die allein mir Bürge sind, daß ich noch glücklich sein kann. Glücklich ist der Mensch nur in seinem Gefühl. Er kann zufrieden sein, mit sich, mit der Welt, durch Vernunft, durch reine Würdigung der Dinge – aber jene göttlichen Momente, wo der schöne Eindruck nur Bilder und keine Begriffe in uns erweckt, jene Augenblicke voll Unendlichkeit die wir undeutlich nennen, weil die Sprache für sie zu arm ist – diese liegen nur in unserm Gefühl. Zu lange, o! zu lange hat mein Sinn an den Reizen einer zufälligen Umgebung gehangen, zu lange habe ich unter den Freuden des Lebens mit kalter Ueberlegung gewählt, ich möchte nicht mehr wählen, ich möchte hingerissen sein. Die Seligkeit, die in dem Tausch der Seelen, in dem Gedanken liegt, die Welt in einem fremden Herzen schöner zu genießen, diese süße Trunkenheit der Gefühle, warum versagt sie mir das Schicksal, nur mir allein? – In früher Jugend stand das Bild eines solchen Glücks lebhaft vor meiner Seele; Jahre lang schien es verschwunden zu sein, aber jetzt stellen Einsamkeit und Phantasie es mir mit neuen Reizen dar. Soll ich sterben, ohne je geliebt zu haben? und habe ich dies Glück nicht durch eigene Schuld verscherzt? – Wenn dies so ist, Julie, so werde ich ewig über mein Geschick trauern müssen, ohne deshalb unzufrieden mit mir selbst sein zu können, denn die Gründe meiner Handlungen konnten irrig sein, aber unrecht waren sie nicht. – Damals als ich mit Albret bekannt wurde, warst Du nicht bei mir, und ich glaube daß ich jene Tage mit Recht für den Zeitpunkt halten kann, wo Du in Deinem ganzen Leben den wenigsten Antheil an mir genommen hast. Es war unsre erste Trennung. Du reis'test mit Deinem jungen, kaum zum Gatten gewordnen, Liebhaber nach Deinem neuen Wohnorte, und natürlich daß Dir da im ersten süßen Rausch einer ganz aus Liebe geschloßnen Verbindung, wohl wenig Zeit, an Deine Freundin zu denken, übrig blieb. Es hat mir, die gerade in diesen Momenten fester an Dir hing, als je, manche Thräne gekostet; desto erfreulicher ist mir jetzt der Gedanke, daß eine Zuneigung, welche dieser Klippe, der gefährlichsten, die weiblicher Freundschaft drohet, zu trotzen wußte, auf der ganzen Reise des Lebens keinen Schiffbruch mehr zu besorgen hat. Ich blieb allein, und bemerkte zum erstenmal, nicht ohne Befremdung, daß unsre Denkungsart nichts weniger als gleichförmig sei. Ich dachte mir Dich als unaussprechlich glücklich, und grämte mich recht sehr, daß ich es auf Deinem Wege nicht sein und nie werden zu können glaubte. Ich hielt Dich für besser, weil Du glücklicher warest, und glaubte fast, ich verdiene von Dir vergessen zu sein. Unser gemeinschaftlicher Freund, der redliche Brenda, besuchte mich oft, und suchte mir Deine Abwesenheit vergessen zu machen, aber es wollte ihm nie recht gelingen. Er schien sich immer fester an mich zu ketten, und auch ich glaubte Neigung für ihn zu fühlen, – vielleicht nur, weil Du mir gesagt hattest, daß Du es wünschtest. Aber diese Neigung erfüllte mein Herz nicht so sehr, daß darinnen nicht tausend Phantasieen noch Raum gefunden hätten. Es war mir süß, wenn ich an die Zukunft dachte, wie Kinder bei halbgeschloßnen Augen, eine Menge rosiger, goldner, verworrner Gestalten vor mir hinschweben zu sehen. Ich konnte mir das Leben unmöglich wie einen geraden, offnen Weg denken, wo man schon beim Eintritt das Ende übersehen kann; vielmehr liebte ich mir einen verschlungenen seltsamen Pfad voll romantischer Stellen und wechselnden Lichts zu träumen. Unser Freund, das wußte ich, war für diese Ideen nicht gestimmt, sie betrübten ihn sogar und verursachten manches Mißverständniß zwischen uns; demohngeachtet blieb er der einzige Gegenstand meiner jugendlichen Anhänglichkeit. – Jetzt kam Albret in unsre Stadt. Sein erster Anblick machte einen tiefen aber unangenehmen Eindruck auf mich. Zwar konnte er, obgleich nicht mehr jung, mit allem Recht auf den Namen eines schönen Mannes Anspruch machen, aber in seinen Zügen war etwas so zerstörtes, gewaltsames, willkührliches, das allen den sanften fröhlichen Bildern, die ich mir von Liebe und Lebensgenuß gezeichnet hatte, grausam Hohn zu sprechen schien. Mein Vater hatte viel Geschäfte für ihn zu besorgen, er sagte mir, daß er ihn schon ehedem, auf Reisen an verschiednen Orten kennen gelernt hätte, und hegte von seinem Charakter eine eben so hohe Meinung, wie von seinen Reichthümern. Ich sah ihn oft, und lernte ihn nie kennen; denn er hatte in seinem Wesen etwas so entfernendes, willkührliches und planmäßiges, daß es mir nicht möglich war, etwas anders, als daß er unergründlich sei, von ihm zu wissen. Indessen übte die Reife seiner Urtheile, und die Sicherheit, der Gleichmuth seines Betragens über meinen Verstand eine stille Gewalt aus, ohne daß die Kluft, welche die Verschiedenheit unserer Gefühle zwischen uns legte, dadurch ausgefüllt worden wäre. – In jener Zeit sah ich meinen Vater von einer, mir unbekannten Unruhe gequält; sein Betragen gegen mich ward weicher und zärtlicher als je, und wenn er mich betrachtete, traten ihm oft die Thränen in die Augen. Einst kam er zu mir – ich sehe es noch, wie er vor mir stand – die ganze ehrwürdige, alternde Gestalt, Ausdruck des Kummers, und der schöne Zug reiner Güte in seinem Gesicht, mit Rührung und Unruhe vermischt. – »Mein Kind, sagte er, Unglücksfälle haben unser kleines Glück vernichtet; mein Vermögen ist verlohren, und auch selbst dies kleine Eigenthum, worinnen wir bis jetzt frei und zufrieden lebten, müssen wir verlassen. Ich zittre nicht für die wenigen Tage, die ich noch zu durchleben habe, aber dein Schicksal bricht mir das Herz. Die Umstände vergönnten mir nicht, dir eine Erziehung zu geben, welche die, in dir vielleicht schlummernden Talente hätte gehörig entwickeln können, damit du jetzt in ihrer Ausbildung Mittel zu einem leichten und anständigen Unterhalt finden möchtest. Aber du lebtest bis jetzt in freien, sorgenlosen Verhältnissen, und dein eignes Wesen ist mehr für Freiheit als Dienstschaft gemacht; du giebst lieber als du empfängst, und du kannst nur glücklich sein, wenn es in deiner Macht steht, glücklich zu machen. Was sollen dir diese Eigenschaften, die dein Schmuck sein würden, wenn du reich wärest, in deiner nunmehrigen Lage? wie wirst du, armes Kind, nun die Dienstbarkeit, das Eingeschränkte, Kümmerliche ertragen können?« – Ich war betroffen, denn ich hatte, leichtgesinnt wie eine freie, unverkümmerte Jugend immer ist, nie an die Quellen meines sorgenfreien Lebens und also auch nie an ihre Versiechung gedacht, und fühlte jetzt mit Erröthen, daß ich wirklich sogleich kein Mittel wußte, die Sorge für meine Erhaltung selbst zu übernehmen. Indessen kam mir das alles nicht so grausend vor, wie meinem Vater, und tröstend sagte ich ihm: Nein! bester Vater, wir werden nicht ganz unglücklich sein! es werden mir Mittel einfallen, ich werde Aussichten finden – – Es hat sich eine gefunden, sprach er wieder, und wenn es dir möglich ist, dieser zu folgen, so bittet dich dein Vater, thue es! Albret verlangt deine Hand; er wird dir ein heitres, genußvolles Leben, deinem Vater ein sichres, sorgenfreies Auskommen verschaffen. Du wirst von Einem Menschen abhängen, aber in übrigen frei sein. Bedenke, wie selten Liebe allein eine ehliche Verbindung schließt, wie selten vorzüglich ein Weib in ihrer abhängigen Lage darauf Anspruch machen kann! bedenke, daß du Bedürfnisse und Wünsche hast, welche ein freies, nicht von ängstlichen Sorgen bekümmertes Leben verlangen, und daß jene Freiheit, welche uns in den Stand setzt, den äussern Verhältnissen, mehr und mehr eine selbstbeliebige Form zu geben, am leichtesten durch Reichthum erreicht wird. Ich verlasse dich jetzt; aber Albret verlangt schnelle und entscheidende Antwort; bedenke daß die Ruhe deines Vaters davon abhängt.

Und so, Julie – denn mein Herz wiederstand dem bittenden Vater nicht, und ich hielt es für verdienstlich das dunkle, traurige Gesicht zu überwinden, welches mich von dieser Verbindung zurückzuziehen schien – ward ich in wenig Tagen Albrets Gattin, denn er verlangte die schnelle Vollziehung unsrer Verbindung mit einem Eifer, den ich für wahre herzliche Liebe zu mir nahm. – Ach! dies war es nicht! ganz andre Wünsche, andre Zwecke fesselten ihn an ferne, mir unbekannte Gegenstände und zogen ihn in andre Gegenden, und unsre Verheirathung ward nur darum so beschleunigt, damit er sogleich nach seinen, bei Florenz gelegnen Gütern reisen konnte, wohin ihn ein heftiges Verlangen trieb. Die allen meinen Wünschen zuvorkommende Artigkeit meines Gatten, tröstete mich anfangs über den Mangel an Vertrauen und Herzlichkeit, welchen ich nur allzubald fühlte, und ich schmeichelte mir mit der Hoffnung, ihm durch mein Betragen sein Zutrauen abzugewinnen und selbst an seinem Wesen, vielleicht manches umändern zu können – und erst dann, als ich wahrgenommen, daß er mich zu wenig achtete, um mir seine Geheimnisse mitzutheilen, ja, daß er mich oft als Mittel zu mir unbekannter Absichten brauchte, ist diese Hofnung gänzlich von mir gewichen. Bald nach unsrer Trauung ward mein Vater gefährlich krank, und ich bemerkte mit tiefem Schmerz, daß Albrets Bekümmerniß, mehr dem Verdruß, unsre Reise verzögert zu sehn, als dem Antheil an dem geliebten Alten zuzuschreiben war.

Er starb, der zärtlichste der Väter, dem in der liebenden Brust seines Kindes, ein stilles aber unvergängliches Denkmal seiner Herzensgüte und seiner Liebe zurückgeblieben ist. – Mit aller Mühe konnte ich Albrets Einwilligung zu einer Reise zu Dir nicht erlangen, und nur daß er selbst sich gezwungen sah, noch einige nothwendige Geschäfte abzuthun, bestimmten ihn endlich dazu. Da kam ich zu Dir, meine Julie, mit allen meinen Leiden, meinen Sorgen, meinem Wahn und meinen Hoffnungen. Unsre Herzen fanden sich bald wieder; Deine heitre Stimmung theilte sich mir unvermerkt wieder mit, und Deine ruhige Vorstellungsweise half mir an meiner Lage manche neue, angenehme Seite entdecken. Doch gestehe ich Dir auch, Julie, daß ich Dich oft beneidete, wenn ich Dich traulich an der Seite eines Mannes sah, mit dem Dich nur Neigung verbunden hatte. Eure Thorheiten kamen mir zuweilen belachenswerth vor, ich schalt Dich damals oft, wegen Deiner gänzlichen Hingebung, der sorglosen Nachlässigkeit Deines Betragens, aber ich fand Dich glücklich. In euren kleinen Zänkereien selbst, die oft entstanden, weil ihr euch einander ganz ohne allen Schein, alle Verstellung zeigtet, lag etwas, das mit gefiel. Die Erinnerung an eure Liebe vereinigte euch bald von neuem, und die stille Harmonie eurer Herzen hielt das Band fest, das Leichtsinn und Laune umsonst zu zerreissen drohten. Vielleicht verschönerte sich Dein Glück in meiner Phantasie, aber ich gestehe dies, so oft ich daran dachte, ward ich traurig, und fühlte es mit schmerzlicher Lebhaftigkeit, daß Harmonie sich nicht erkünsteln läßt.

Diese bei Dir verlebte Zeit hatte mir jedoch dazu verholfen, daß ich die Reise nach Florenz nun mit neuem Muth und neuer Lebenslust antreten konnte. Der Schmerz über den Verlust meines Vaters war gemildert; vorige Träume und Wünsche kehrten zurück, und die Phantasie stellte meinem neu auflebenden, ahnungsvollen Herzen in die Ferne manches reizende Gemälde hin. Mit Vergnügen erinnere ich mich noch jetzt der ersten Tage unsrer Reise. Der volle Farbenschimmer des Herbstes war über die Gegend verbreitet, kleine Büsche wallten goldnen Locken ähnlich, die Hügel hinab; weisse Gewebe flogen über den Boden, und der Himmel war in zarte silberne Dünste gehüllt. Nie bin ich heitrer gewesen, als da, habe nie freier, jugendlicher gefühlt, nie der Tage, die mich erwarteten, mit froherer Zuversicht entgegen gesehn. An den Gedanken, die Welt zu sehen, knüpfte sich alles, was Phantasie, Hang zum Vergnügen und Verlangen nach reiferen Begriffen sich nur wunderbares, liebliches und belehrendes zu denken vermögen. Doch so blieb es nicht lange. Ich dachte oft an Dich, meine gute Julie, und nie hab' ich Dich schmerzlicher vermißt, nie hat mir ein theilnehmendes Herz so sehr gefehlt, als wenn wir durch neue bezaubernde Gegenden kamen – Gegenden, bei denen ich, obgleich an die liebliche Hoheit meiner vaterländischen Ansichten gewöhnt, in ein tiefes, wonnevolles Staunen gerieth – und Albret bei allem ganz kalt blieb, und meine Entzückungen beinah verächtlich belächelte. Immer schien sein Sinn mit Ungeduld in die Zukunft zu streben; die meiste Zeit war er still und in sich gekehrt, und nie gieng ihm die Reise schnell genug. Ich suchte alles hervor, was mich über sein Betragen trösten konnte, und gewiß habe ich viele frohe, sehr frohe Momente gehabt. Viel jugendliche Träume, viel Wünsche sind mir erfüllt worden, ich war oft glücklich, nur mein Herz war nie hingerissen, nie befriedigt! Und Julie! sollte ich vielleicht diesen Träumen nicht einmal nachhängen? – aber warum erinnert mich denn Alles daran, daß Liebe das höchste Glück des Lebens ist, warum muß ich allenthalben sehn, wie sie die niedrigste Lage veredeln, und der Dürftigkeit und Abgeschiedenheit selbst ein zauberisches, beneidenswerthes Ansehen leiht? – Meine Fenster gehen auf der einen Seite in einen benachbarten Garten, den ein Gärtner mit ein paar jungen Töchtern bewohnt. Die Welt wird wohl nie ihren Namen nennen, niemand als die nächsten Nachbarn kennen sie, ihr Anzug, ihre Beschäftigungen verrathen ihren Mangel an allen Gütern des Glücks, aber die Liebe hat sich ihrer angenommen. Bei frühem Morgen, wenn noch alles schläft, schleicht die eine von ihnen an die Planke, und öfnet leise die Thüre. Unruhig erwartend geht sie auf und ab, und fährt bei jedem Geräusch zusammen, das der Morgenwind an der halbofnen Thüre macht. Bald erscheint ein junger wohlgebildeter Mann, sie hüpft ihm entgegen – sie sind so jugendlich, so froh, und sie genießt in diesen Augenblicken die reichste Entschädigung für alles, was ihr die Laune des Glücks versagte! ich gestehe Dir, daß ich ihre frohen Unterhaltungen schon öfter mit dem höchsten Interesse belauscht habe – doch hinter der Jalousie, damit mein Anblick ihre Freude nicht störte.


 << zurück weiter >>