Sophie Mereau
Amanda und Eduard
Sophie Mereau

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Erster Theil

Erster Brief

Amanda an Julien

Ich habe den geliebten, vaterländischen Boden wieder betreten, und bin Dir nun wieder um vieles näher, meine Julie! Wer durch mehr als hundert Meilen getrennt war, dem scheint eine Entfernung von zwanzig nur ein unbedeutender Zwischenraum zu seyn, obgleich nicht selten sich hier größere Schwierigkeiten in den Weg stellen, als selbst bei jenen. – Du und Deine Liebe sind mir noch um vieles werther geworden, denn meine nähere Bekanntschaft mit den Menschen hat mich den Werth und die Seltenheit einer Neigung, die sich nicht auf äussere Verhältnisse sondern auf unsere Persönlichkeit gründet, sehr innig fühlen lassen. – Ich freue mich darauf, Dir, da ich hier sehr ruhig leben zu können hoffe, von Zeit zu Zeit manches aus der Geschichte dieser letzten, im Geräusch verlebten, Jahre nachholen zu können. Meine bisherigen flüchtigen Briefe müssen Dir nur einen sehr unvollkommenen Abriß meiner Lage gegeben haben. Alles war mir neu, Gegend, Menschen, Verhältnisse, und ich gestehe Dir, daß ich mich oft mit geheimem Vergnügen, oft auch mit Bangigkeit, daran erinnerte: »ich stehe nun wirklich auf dem Schauplatze der Welt, die ich mir sonst in mancher stillen Jugendphantasie verworren geträumt hatte.« Doch zuweilen schien das Gewühl von Menschen und der glänzende Schein, der mich umgab, meine Eigenthümlichkeit ganz verschlungen zu haben, und es kostete mir beinah Mühe, mich zu überzeugen, daß ich jenes stille, einfach erzogene Mädchen sei, welches die Welt und die Menschen nur aus ihren Büchern kannte. Mein ganzes, voriges Leben wich immer mehr in einen neblichen Hintergrund zurück, und selbst Dein Bild, meine Julie, schien an seiner Lebhaftigkeit verloren zu haben. Aber dann kam ein Brief von Dir, Du warst noch immer die Alte. Ganz und in Allem Deinen vorigen Ideeen getreu, lebtest Du noch ungestört in jenem glücklichen Ländchen, dessen Andenken mir immer mehr zu verschwinden drohte. Mit Dir erschienen die Geister aller vergangenen, freundlichen Jugendscenen, und so waren Deine Briefe das Band, das über Berg und Thal zu mir reichte, und mich an sanften, seidenen Fäden zu einem unversiegbaren Quell von Ruhe und milder Besonnenheit zurückführte. – Ach! ich hatte oft nöthig, aus diesem Quell zu schöpfen, wenn ich nicht unter den wechselnden Eindrücken von Vergnügen und Sorge, Neigung und Wiederwillen, mich selbst und alle innre Uebereinstimmung auf ewig verlieren wollte! – Der erste Eintritt in das Haus meines Mannes, als wir unsre Reise vollendet hatten, überraschte mich auf das angenehmste. Der Glanz, den ich dort allenthalben herrschen sah, war mir neu, und berauschte mich mit Vergnügen. Ich wiegte mich mit Lust auf den seidnen, schwellenden Polstern, ich strich gern vor den Spiegelwänden vorüber, ich horchte mit Aufmerksamkeit auf das melodische Spiel einer Flötenuhr, welches die Stunden angenehm bezeichnete. So geschwind auch die Lebhaftigkeit dieses Eindrucks verlosch – denn das Auge gewöhnt sich bald an die Reize einer prächtigen Umgebung, und Bewunderung ermüdet leicht – so wußte doch Albret durch Neuheit und Abwechselung ihn immer wieder anzufrischen. Er führte mich in eine Welt voll glänzenden Scheins, und munterte mich unaufhörlich auf, hier alle andre zu verdunkeln. Die Art, wie ich mich, auf sein Verlangen, allenthalben zeigen mußte, war mir oft lästig, so sehr sie auch der Eitelkeit schmeichelte. Ueberall, wo ich erschien, zog ich die Blicke der Neugierde auf mich, öfterer folgten selbst Frauen mir nach; besonders gab es Einige, die mich mit einer seltsamen, unangenehmen Theilnahme beobachteten. Einst, als wir aus einem glänzenden Zirkel zurückgekommen waren, wo diese mir, oder meiner Umgebung, geweihte Aufmerksamkeit ihren höchsten Gipfel erreicht zu haben schien, fiel mir Albret mit Innigkeit um den Hals. »Holdes Weib, rief er entzückt, wie sehr hast du mich zu deinem Schuldner gemacht! ich sehe es, ich bin durch dich gerächet!« – Diese Aeusserung freute und betrübte mich. Ich fühlte, daß ich sie nicht mir selbst, sondern einer fremden, mir unbekannten Ursache zuzuschreiben hatte, und doch rührte es mich, ihn endlich einmal herzlich mit mir sprechen zu hören. »Lieber Albret, sagte ich, und lehnte mich an seine Brust, wolltest du mich nur näher kennen lernen, so würdest du, wie ich hoffe, ganz andere Ursachen finden mit mir zufrieden zu seyn, als diese, von denen ich mir nichts zueignen kann.«

Er sah mich einige Augenblicke lang mit zweifelhaftem Ausdruck an, und schien bewegt. Aber bald war es, als schämte er sich seiner Empfindung, er verließ mich, und blieb so verschlossen, wie vorher. Ach! Julie, wenn ich diesen sonderbaren Mann zuweilen Sätze aufstellen hörte, die meiner heitern Ansicht von Welt und Menschen gänzlich Hohn sprachen, wenn ich sein peinliches Mißtrauen in Alle und auch in mich vergebens zu mildern versuchte, und vor diesem verschloßnen Herzen ewig unerhört stand, dann wurden mir meine Tage oft unerträglich, und die Erinnerung an das Gute, das ich ihm verdankte, sank wie eine erdrückende Last auf mein Herz! – Freilich habe ich dies alles auch oft genug vergessen. Meine Wünsche waren nicht eigensinnig an einen einzigen Gegenstand gebunden, meine Sinne standen jedem Eindruck offen, und so konnte es mir in meiner Lage nicht an Veranlassungen fehlen, meinen Kummer zu vergessen. Nur das Verlangen nach einer vertrauten Seele, nach dem Genuß einer gegenseitigen Mittheilung, eines arglosen, innigen Umgangs, ließ sich nie ganz unterdrücken.

Und wo hätte ich dies Glück eher suchen sollen, als bei Albret? – Aber ach! meine Julie, an welches unerklärliche, furchtbare Wesen hat mich das Schicksal gebunden! – Du scheinst hievon weniger überzeugt zu seyn, und Deine schon oft geäusserte Meinung, daß meine Klagen über unsere wenige Uebereinstimmung wol überspannt sein möchten, bewegt mich, Dir ein Geheimniß zu entdecken, das vielleicht bei mir auf ewig vergraben bleiben sollte. Du bist das einzige Wesen auf der Welt, dem ich es anvertraue, das einzige, in dessen Herzen ich alle meine Sorgen niederlege.

Wenn ich nicht irre, so habe ich Dir schon längst in einem meiner Briefe von dem Markese ** geschrieben, der meine nähere Bekanntschaft sehr eifrig zu suchen schien. Bei dem zerstreuten, geselligen Leben, welches wir führten, ward es ihm nicht schwer, Zutritt in unserm Hause zu finden; er sah mich fast täglich, und bald hörte ich das Geständniß seiner Liebe von ihm. Ich hörte es ohne Entrüstung – und ohne Vergnügen an. Ich schätzte den Markese; seine Unterhaltung war mir von großem Werth; doch Liebe fühlte ich nicht. Natürlich daß ich ihm dies sagte, er aber schien es nur halb zu glauben. »O! Sie werden, Sie müssen mich lieben, rief er feurig aus, meine Beharrlichkeit soll sie dazu zwingen. Die Natur will mein Leben; ohne Liebe sterbe ich, und ich kann Niemand lieben, als Sie.« Was ich auch gegen diese Behauptung einwandte, so konnte es ihn doch für den Augenblick nicht überzeugen, und nur die Folge bewies zu seinem Schmerz, mit welchem Recht ich widersprochen hatte. Doch gestehe ich Dir, daß ich mich selbst oft im Stillen über die eigensinnige Unempfindlichkeit meines Herzens gegen diesen liebenswürdigen Mann wundern mußte. Das allgemeine Urtheil nannte ihn schön, ich selbst erkannte gern so viele Vorzüge in ihm an, und gleichwol fehlte meiner Empfindung für ihn jener geheimnißvolle, harmonische Zug, ohne welchen mir nun einmal jede Liebe gemein erschien. Unser Umgang, den Jedermann für ein Liebesverständniß hielt, dauerte auf diese Weise fort, ohne daß unser gegenseitiges Glück sehr dabei gewonnen hätte. Die Offenherzigkeit, mit der ich meinem Freunde den Zustand meines Herzens mittheilte, schien ihn nur fester an mich zu binden. Er zerriß, zu seinem Nachtheil, manches andere Verhältniß, und fuhr fort, mir mit einer hartnäckigen Anhänglichkeit ergeben zu seyn. Albret schien auf alles dies nicht zu merken, er beschränkte unsern Umgang nicht, und legte durchaus keine Spur seines Mißfallens an den Tag.

Einst an einem schönen Abend war ich mit dem Markese im Garten, der unser Haus umgab. Das laue, schmeichelnde Wehen der Lüfte, und die balsamischen Gerüche, die aus tausend Blumen und Pflanzen stiegen, bewegten mein Herz auf ungewohnte Weise. Was ich empfand, war nicht Erinnerung des Vergangenen; nicht Genuß des Gegenwärtigen; es war eine Ahnung, ein Sehnen nach etwas Fernem, Unnenbarem. Es schien mir, als müßte ich die ganze Welt mit Innigkeit, mit Liebe umfassen; nur das Nahe, Gegenwärtige war mir fremd. Auch der Markese war ungewöhnlich bewegt, jedoch von ganz andern Empfindungen, als ich. Wir gingen schweigend neben einander durch die duftenden, halberhellten Alleeen. »Wenn Sie nur liebten, rief er endlich, mit schmerzlichem Ausdruck, wenn auch nicht mich! – Aber Sie lieben nicht, und werden ewig nicht glücklich seyn! – O! der nagende Schmerz, diese Blume, die schönste, welche je die Natur hervorbrachte, traurig verblichen, an dem kalten Herzen eines Mannes vergehen zu sehen, der keinen Sinn für ihre Vortrefflichkeit hat! – und o! fuhr er fort, indem er mir schmerzlich die Hand drückte, daß eine Zeit kommen wird, wo Sie dies alles lebhafter, aber vergebens, mit ewiger Reue empfinden werden!« – –

Mich schauderte, indem er dies sprach. Ich fühlte, daß eine Wahrheit in seinen Worten lag, die ach! nur zu sehr mit meinen eignen Empfindungen zusammen traf. Meine Gedanken flogen weit hinweg; überall fanden sie eine trostlose Leere, und kehrten quälender zurück. So, ohne Gegenstand, verworren träumend, wußte ich es kaum, daß wir uns in einer Laube niedergesetzt hatten, und daß der Markese mir zu Füßen gesunken war, und mich mit einem Arm umschlungen hielt.

In diesem Augenblick trat Albret vor uns. – Er fuhr betroffen zurück, doch war er bald gefaßt. »Gut, sagte er mit kaltem aber schneidendem Ton, ich habe es erwartet.« Und hierauf, als wäre nichts geschehen, verschwand er in einen Seitengang. Der Markese sprang auf, er drückte mich mit Heftigkeit an sich, dann trennten wir uns stumm und beängstigt. Ich suchte Albret auf seinem Zimmer; ich wünschte so sehnlich, ihm den wahren Zusammenhang dieser Scene entdecken zu können. Er war nicht da, und als ich ihn am andern Morgen wieder sah, blickte er mich so kalt und entfernend an, daß es unmöglich war, diese Scheidewand hinwegzuschieben. Er war noch bei mir, als man uns die Nachricht brachte, der Markese sei am vorigen Abend, nicht weit von unserm Garten, ermordet gefunden worden. Todesschauer überfiel mich bei dieser Nachricht und ein gräßlicher Argwohn zuckte mir wie ein Dolchstich durch die Seele. O! Albret! rief ich mit leichenblassem Gesicht, und bebender Stimme. Mein Mann heftete lange einen festen Blick auf mich, und schien den schrecklichen Gedanken ohne große Befremdung in meinem Auge zu lesen. Es lag etwas furchtbares in seinem Blick, aber zugleich eine gewisse Hoheit, der ich nicht widerstehen konnte. Unsre Abreise erfolgte bald darauf, und ich blieb in dieser schauderhaften Ungewißheit, deren Quaalen nur durch die Veränderung der Gegenstände, und durch den gänzlichen Mangel einer, jenen Verdacht bestärkenden, Bestätigung, gemildert worden sind.

Doch, frage Dich selbst, ob mir nicht, wenn ich darüber nachdenke, immer noch Gründe genug zu ängstlichen, entfernenden Zweifeln gegen Albrets Carakter übrig bleiben? – Was soll, was kann ich von diesem geheimnißvollen Wesen denken? und ist nicht vielleicht diese erhabene, in allen Fällen sich gleichbleibende, Fassung selbst ein Beweis, daß gewisse schreckliche Grundsätze ihm ganz zur Natur geworden sind?

Ich verlasse Dich, um mich zu zerstreuen, und diese Gedanken so viel als möglich aus meiner Seele zu verbannen. Wollte ich ihnen nachhängen, so müßte ja aller Frieden und aller Glauben an Menschlichkeit auf ewig daraus scheiden.


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