Georg Bötticher
Alfanzereien
Georg Bötticher

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Stachliches.

Der Dippel.

                  Von allen deutschen Gelehrten
Der Altertumswissenschaft
Galt eh'mals Professor Dippel
Als erste bedeutendste Kraft.

Und wo ein Antiken-Museum
Ein Stück zu erwerben gedacht',
Da ward der Dippel berufen,
Daß der's auf die Echtheit betracht'.

Der hat's dann gar forschend beschnüffelt,
Beschaut und befingert alsbald,
Und war's so recht gründlich verschimmelt,
Unkenntlich und mißgestalt,

Kurz, hat er's aus allerlei Gründen
Für uralt und echt erkannt:
Dann sind ihm vor Rührung und Freude
Die Thränen vom Auge gerannt.

Es ward zum untrüglichen Zeichen
Allmählich mit Fug und Recht:
Wenn Dippel weinen mußte –
So war die Antike echt.

Es haben viel alte Stücke
Den Dippel zum Weinen gebracht,
Worüber unwissende Künstler
Nur unverständig gelacht.

Und einstmals, vor langen Jahren –
An achtzig sind es bereits –
Da hieß es, man habe gefunden
Ein Bild von seltenem Reiz,

Ein marmornes Frauenbildnis.
Das schaffte man nach Paris,
Wo jeder, der es sahe,
Das herrliche Kunstwerk pries.

Auch Dippel mit seinem Freund Hippel
Hat sich auf die Reise gemacht:
Die Frage, ob es auch echt sei,
Benahm ihm die Ruhe bei Nacht.

Lang stand er vor dem Bildnis
Mit forschendem Gesicht:
Es war so gar nicht verwittert,
Auch unverständlich war's nicht,

Es war wie neu, es fehlte
Nur an den Armen ein Stück – –
Und thränenlos fuhr Dippel
Mit seinem Freund Hippel zurück. –

Herr Doppel ist längst verstorben – –
Doch heutigen Tags noch gilt
Die göttliche Frau von Melos
Als schönstes antikes Bild.

Nur einer, Professor Hippel,
Der schüttelt den Kopf und meint:
»Wir wissen noch gar nichts Gewisses –
Der Dippel hat nicht geweint!«


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