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36.

Die Sonne stieg höher am Himmel, und die Tage fingen an länger zu werden. Wenn die Sonne schien, tropfte der Schnee von den Bäumen, aber nachts fror er wieder fest. An trüben Tagen wurde es ziemlich früh dunkel, besonders im Wald unter den Bäumen.

An einem solchen Abend ging Ols auf dem Heimweg längs der Skalungaaue an dem Abhang entlang, der sich auf der dem Pastorat entgegengesetzten Seite hinzog.

Er war in tiefen Gedanken. Sein Herz war bei Helwig, und er dachte daran, wie schwer es dem Menschen wird, sich im Zaum zu halten und Gott gehorsam zu sein. Gott hatte ihm durch Helwig die erbetene Antwort gegeben. Aber weil die Antwort anders ausfiel, als er wollte, kostete es viel Kampf, bis er sich fügen konnte. Sein Wille brach sich an Gottes Willen, nicht im Trotz, sondern in ungeheurer, natürlicher Kraft. Er hätte nie geglaubt, daß sein Wille so stark und so schwer zu beugen gewesen wäre. Trotz des Friedens, den er empfangen hatte, ging der Kampf um innere Befreiung weiter.

Heute abend hatte er noch anderes zu bedenken, während er vorwärtsschritt. Der Vater des Mons war aus dem Gefängnis entlassen worden, und man behauptete, man habe ihn hier in der Gegend von Skalunga gesehen. Was hatte er hier zu tun? Die Leute erinnerten sich seiner Drohung, sich an dem Pastor zu rächen, und Ols war gewarnt worden. Er nahm es leicht. Wenn man ein Übermaß an Körperkraft in sich fühlt, fürchtet man sich nicht leicht vor der Möglichkeit eines Überfalls. Es ist wahr, daß Körperkraft nichts gegen eine Schußwaffe in der Hand eines Frevlers vermag; aber Ols glaubte nicht, daß der Kerl eine derartige Rache wagen würde, dabei würde er nur sein eigenes Leben gefährden. Er fürchtete dagegen, daß der Mensch sich durch Mons rächen würde. Als Vater des Jungen konnte er Anspruch auf diesen erheben und dadurch den Pflegevater des Kleinen ganz anders treffen als durch Messer und Kugel.

Es war ein dunkler, stürmischer Abend, und es rauschte gewaltig durch den Wald. Darum achtete Ols nicht auf das Geräusch knackender Zweige, während er auf einem fast unsichtbaren Fußsteig dahinschritt, und er hörte die Tritte nicht, die ihm schon lange folgten. Mitunter hatten sie ihn beinahe erreicht, hatten aber dann wie in Zweifel oder Furcht gezögert. Jetzt kamen sie entschlossen näher. Hier war der Wald dicht und der Pfad öde und holprig, keine Gefahr, daß ein Unberufener hier vorbeikam und die Verübung eines Verbrechens störte!

Erst als die Schritte dicht hinter ihm waren, wurde Ols aufmerksam und wandte sich um, aber im selben Augenblick traf ihn ein so harter Schlag auf den Kopf, daß er die Besinnung verlor.

Furchtbare Schmerzen brachten ihn wieder zu sich.

Zwei starke Kerle hatten ihn gefaßt, und gegen ihre vereinte Kraft konnte er nichts ausrichten. Sie konnten mit ihm machen, was sie wollten. Und es geschah etwas Unerhörtes.

Die eine Hand wurde ihm an einen Kiefernstamm festgenagelt, die andere an einen der Äste des Baumes. Seine Hände wurden so hoch oben befestigt, daß er schief in der Luft hing und nur mit der äußersten Spitze des einen Fußes den Boden berührte.

Rohe Stimmen drangen an sein Ohr, aber er faßte nicht viel von dem, was sie sagten, da er zuerst vom Schlag betäubt und dann vor Schmerzen wie wahnsinnig war. Auch konnte er die Gestalten und Gesichtszüge seiner Plagegeister nur undeutlich erkennen. Er sah nur, daß der eine brennend rotes Haar hatte.

Da wußte er, wer das war. Das war die verheißene Rache!

Der Rächer verhöhnte sein Opfer roh und schadenfroh und sagte, jetzt könne er da hängen und über alles nachdenken.

»Wenn ihn nun aber niemand findet?« wandte der andere Bösewicht ein.

»Dann mag er da hängen, bis er verreckt.«

»Wäre es nicht besser, ihm den Garaus zu machen?«

»Dann kriegen wir ja einen Mord auf das Gewissen,« sagte der erste mit einer Stimme, die erkennen ließ, daß er dieselben Absichten hegte wie sein Genosse.

»Du versprachst mir, daß wir nicht töten, nur strafen wollten. Das wird aber doch ein Mord, wenn wir ihn hier hängen lassen und niemand vorbeikommt.«

Darauf bekam er keine Antwort, denn der Rote, der augenscheinlich der Anführer war, fuhr auf, stieß eine Menge grober Flüche aus und stürzte hinter etwas her, das er im Dunkeln gesehen haben mußte. Er kehrte bald zurück. Hinter einem Stein hatte er etwas Rotes hervorschimmern und verschwinden sehen. Als er sich darauf stürzen wollte, war etwas fortgelaufen und im Dunkeln verschwunden. Es war wohl ein Tier gewesen, vielleicht ein Fuchs! War es ein Mensch, so mußte es ein Kind gewesen sein, so klein war die Gestalt, die fortlief. Und was hätte das für ein Kind sein können, allein hier im Wald an dem trüben stürmischen Abend? Der Schurke beruhigte sich.

Wieder verhöhnte er sein Opfer, das schwer und schmerzhaft stöhnte.

»Das gefällt mir nicht,« sagte der andere Schurke.

»Zier dich nicht! Du brauchst wahrhaftig nicht blöde zu sein!«

»Wenn ich mit dabei gewesen bin, hat's immer was eingebracht; aber was ist hier zu gewinnen?«

»Muß es denn immer um Geld gehen? Du besitzt gar kein höheres Streben,« höhnte der erste Schurke frech. »Ich ernte hier einen edlen Gewinn. Rache! Und du kannst dich freuen, daß du mit dabei warst, Gerechtigkeit auszuüben.«

»Es wäre barmherziger, ihn gleich zu Brei zu schlagen.«

»War er vielleicht barmherzig gegen mich? Nein, keine Spur! Komm jetzt! Reue lohnt sich nicht für dich. Ich rate dir, verdirb es nicht mit mir, denn ich weiß zu viel von dir. Komm jetzt, ehe er zur Klarheit kommt.«

Sie gingen fort, nachdem der Brandrote noch eine Flut von Flüchen ausgeschüttet hatte.

Ols hing an seinen festgenagelten Händen, lang gestreckt, gequält und angsterfüllt.

Er stöhnte und rief.

Das Brausen des Sturmes nahm sein Rufen auf, trug es fort und übertönte es.


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