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17.

Baronin Furuclou hatte, während Helwig das Bildnis Eriks malte, dessen Gesellschaft so sehr genossen, daß sie ihn bat, auch ferner hereinzukommen und bei ihnen zu sitzen, nachdem das Bild fertig war.

Nur zu gern kam er dem Wunsch nach. Er hätte es auch getan, wenn es ein Opfer erfordert hätte; denn allen Leidenden gegenüber hatte er ein offenes Herz, und er fühlte, welch ein Leiden es sein mußte, eine Woche nach der anderen still mit gestrecktem Bein auf dem Rücken zu liegen. Aber ihm war es kein Opfer, seine freien Augenblicke in dem Krankenzimmer zuzubringen. Gerade wie die Baronin und Helwig seine Gesellschaft liebten, so hatte er auch Geschmack an der ihren bekommen. Ihm selbst unbewußt, hatte in ihm ein Bedürfnis geschlummert, das jetzt geweckt worden war, das Bedürfnis nach dem Verkehr mit gebildeten Damen. Ohne darüber nachzudenken, genoß er das Maßvolle in ihren Reden und Gebärden, und die veredelnde Wirkung des Verkehrs mit ihnen. Helwigs künstlerische Schulung und ihre feine Auffassung des Schönen in allen seinen Formen entwickelte seinen Schönheitssinn, der sich wie ein reicher Rohstoff in ihm fand. Er wußte, daß vieles in ihm lag, das erst durch den Umgang mit ihr zu seinem Recht kam. Mit gebildeten Männern war er wohl zusammengekommen, aber sehr wenig mit gebildeten Frauen. Und er glaubte die Beobachtung zumachen, daß die Bildung der Frau, wenn sie gründlich ist, noch vollkommener ist, als die des Mannes; denn der Mann darf sich verschiedenes erlauben, ohne deshalb das Gepräge seiner Bildung zu verlieren, was bei der Frau gar nicht in Frage kommen kann.

Die beiden Damen, die so unvermutet seine Gäste wurden, hatten vom ersten Augenblick an Eingang in sein Herz gefunden, die eine durch den Unglücksfall, der sie betroffen, die andere durch ihre herzliche Sorge um die Mutter. Das geduldig ertragene Leiden der Baronin erregte sein Mitleid immer mehr. Ihr Alter, ihr Stand und ihr feines weibliches Wesen flößten ihm eine Ehrerbietung ein, der er sich willig hingab.

Helwig gegenüber waren seine Gefühle weniger einfach. Seit die Sorge der ersten Tage gewichen war und sie ihr Haupt hatte wieder erheben können, erregte sie sein Herz nicht mehr; denn er hatte bisher nur solche Liebe für andere empfunden, in die sich mehr oder weniger Barmherzigkeit gemischt hatte. Er war in seinem ganzen Wesen so stark, daß er selbst als Kamerad und Freund mehr der Gebende als der Empfangende war. Nur zuallererst beanspruchte sie seine Teilnahme. Bald erhob sie sich wie eine Feder aus Druck und Sorge. Und dann wurde sie stolz gegen ihn. Sie wollte nichts von seinem Mitleid wissen, und noch weniger von seinem Erbarmen. Darum hatte sie z. B. seine Gastfreiheit nicht annehmen, sondern so dafür bezahlen wollen, daß es ihm zum Vorteil wurde. Als er sie so sah, wie sie war, reizte es ihn, den Kampf mit ihr aufzunehmen, und er hatte es auf seine ruhige, unangreifbare Weise getan, die sie immer wieder aufs neue verwirrte, aufregte und fesselte.

Er sah ihre Fehler deutlich. Sie waren ja auch so augenfällig, daß sie leicht von dem, der sich nicht durch ihre Schönheit irre machen ließ, entdeckt wurden. Stolz, verzogen und selbstsüchtig war sie. Vielleicht auch oberflächlich, dessen war er aber nicht ganz sicher. Jedenfalls machte sie den Eindruck, und das beruhte wohl teils auf ihrer Lebhaftigkeit, teils auf dem Stolz, der sie hinderte, den Leuten zu zeigen, was sich tief innerlich in ihr fand. Ihres Stolzes war sie sich augenscheinlich bewußt. Aber er glaubte zu bemerken, daß sie nichts von ihrer Selbstsucht wußte und sich nicht für verzogen hielt. Das schloß er daraus, daß sie ihre Selbstsucht ganz unbefangen verraten konnte, ohne es zu merken. Bezeichnend war die geringfügige Begebenheit, als sie sagte, ihre oder ihrer Mutter Speisen würden kalt, wenn sie gleichzeitig äßen, weil die Mutter nicht ohne ihre Hilfe zurechtkommen könnte. Wäre sie nicht eigensüchtig, so hätte es nie in Frage kommen können, daß der Mutter Essen kalt würde! – Viele solche kleine Zufälligkeiten enthüllten ihre Selbstsucht vor Ols Eriks beobachtendem Blick.

Ihre Fehler wirkten aber durchaus nicht abstoßend auf ihn, sie vermehrten eher seine Teilnahme für sie. Nach seiner Meinung war es wichtig, einem Menschen dadurch zu helfen, daß man ihm innerste Teilnahme zeigte. Helwig war so begabt, schön und einnehmend, daß es ein großes Unrecht gewesen wäre, ihre Fehler ungehindert gedeihen zu lassen.

Er war noch nicht dazu gekommen, über die Fehler, die er an ihr sah, mit ihr zu sprechen, aber durch seine Art arbeitete er ihnen teils absichtlich, teils unwillkürlich entgegen.

Vielleicht war sie oberflächlich; aber ihr Interesse schien ihm rege und weitumfassend zu sein, und gewiß stand ihr Herz auch allem Guten und Schönen offen. Er hatte noch nicht viel Gemüt an ihr entdeckt, setzte aber voraus, daß es da sei. Ein Weib ohne Herz wäre ein Ungeheuer, und seine Einbildungskraft konnte sich so etwas nicht vorstellen.

Aber ihre Lieblosigkeit dem kleinen Mons gegenüber, trotz allem, was er ihr von des Knaben unglücklichem Schicksal erzählt hatte, stimmte ihn doch in dieser Hinsicht nachdenklich. Bei dem täglichen Beisammensein studierte er sie immer eingehender, begierig, das Herz zu entdecken, an das er durchaus glaubte, trotzdem er noch immer vergeblich danach forschte.

Als die Abende in der letzten Hälfte des August dunkler wurden und man die Lampe im Krankenzimmer anzündete, wurde es zur Gewohnheit, daß Ols mit einem Buch hineinkam, um vorzulesen, während die Damen Handarbeiten machten. Wenn seine Mutter gerade keine Arbeit vorhatte, setzte auch sie sich mit ihrem Strickstrumpf dazu.

Diese Abende waren so traulich, daß sich alle darauf freuten. Durch das gemütliche Beisammensein, wobei Vorlesung und Unterhaltung abwechselten, lernte man sich immer mehr kennen und schätzen, und man kam einander durch lebhafte Wortgefechte über das Gelesene innerlich näher.


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