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6.

»Gibt es kein Klavier hier? Ich sehne mich so nach Musik,« sagte die Baronin zu Helwig, die mit ihrer Stickerei am Fenster saß.

»Es steht eine Orgel hier draußen im Saal, wie ich gesehen habe,« antwortete Helwig. »Ich bin allerdings nicht sehr geübt auf der Orgel, und vermutlich gibt es keine anderen Noten als Psalmen und Choräle.«

»Sing mir einen Choral. Gerade das würde mir vielleicht gut tun.«

Helwig ging hinaus, setzte sich an die Orgel und probierte sie. Das Klavier war ihr Instrument, aber sie war auch nicht ganz unbewandert auf der Orgel, Dann wählte sie einen Choral, dessen Worte sie auswendig konnte, um nicht dadurch gestört zu werden, daß sie nach dem Text sehen mußte.

»Ein feste Burg ist unser Gott.«

Sie hatte eine entzückende Stimme, klar und rein und gut geschult.

Plötzlich hörte sie, daß jemand hereinkam, während sie sang, und eine Ahnung sagte ihr, wer es sei. Aber sie ließ sich nichts merken und sang das Lied zu Ende.

Die ernsten Heldenworte nahmen sich in ihrem Munde aus wie die Rüstung eines Mannes an einem Kinde.

Als Helwig geschlossen hatte, wandte sie sich um, und da stand der Pastor mitten im Zimmer hinter ihr. Der Schein der Abendsonne fiel auf ihn, und gerade in der Beleuchtung schien ihr sein Gesicht wie ein Studienkopf von Tizian. Sie wußte genau, schon ehe sie sich umsah, wo er stand, so fühlbar war seine Anziehungskraft. Schon früher hatte sie diese Empfindung gehabt, sogar bei ihrem ersten Zusammentreffen mit ihm.

Eine neue Art Interesse in seinen Augen entging ihr nicht.

»Ich hatte keine Ahnung, was für einen Singvogel ich in mein Haus bekommen habe,« sagte er.

Sie weidete sich an seiner Überraschung. Endlich war es ihr geglückt, seine ruhige Überlegenheit, die sie gleichzeitig ansprach und reizte, zu erschüttern.

»Ich singe gern,« sagte sie. »Eine Zeitlang war es mein Traum, mich ganz dem Gesang zu widmen.«

»Warum nur ein Traum?«

»Was hätte ich werden sollen? Konzertsängerin? Das befriedigte mich nicht. Von der Oper wollte meine Mutter nichts wissen. Und ich hatte auch keine rechte Lust zu dieser Laufbahn. Da schlug ich mir die Musik als Lebensberuf aus dem Sinn.«

»Singen aber doch.«

Das ausdrucksvolle Lächeln, das nicht in den Muskeln lag, sondern eher einer Erleuchtung von innen heraus glich, beseelte seine Züge. Ihr Blick hing an ihm, und es verlangte sie, zu hören, was er weiter sagen würde.

»Als ich Sie das Lied singen hörte, mußte ich an David in Sauls Rüstung denken,« sagte er.

»Soll ich das als Lob oder als Tadel verstehen?«

»Tadel ist es nicht, und Ihr Gesang steht hoch über meinem Lob.«

»David paßte nicht in Sauls Rüstung, also paßt meine Stimme nicht zu dem Lied. Wollten Sie das damit sagen?«

»David blieb nichtsdestoweniger Sieger, als er in seinen eigenen Kleidern ging,« sagte Ols.

»Aber warum paßt denn das Lied nicht für meine Stimme?« beharrte sie.

»Wieviel haben Sie von dem Kampf zwischen Gott und dem Teufel erfahren?«

In seinem Blick lag das Wohlwollen des erfahrenen Menschen gegen einen unerfahrenen, der, ohne es selbst zu wissen, Schutz und Leitung braucht.

»Was haben Sie selbst von einem solchen Streit erfahren?« fragte sie zurück.

»So sehr viel, daß mir das Lied mitunter wie ein Ruf von mir selber war.«

Sie wandte sich wieder der Orgel zu und blätterte in dem Notenbuch.

»Gibt es hier kein Klavier?« fragte sie endlich.

»Der Kantor hat eins.«

»Wohnt er weit von hier?«

»Man kann sein Haus dort sehen,« sagte Ols, ging an das Fenster und zeigte ihr das Küsterhaus.

»Ich möchte wissen, ob ich mitunter dort hinuntergehen und spielen könnte? Meine Finger werden ohne Übung ganz steif,« sagte sie und bewegte die Finger, so daß deren Geschmeidigkeit und Anmut zu voller Geltung kamen.

»Vielleicht hätte der Küster nichts dagegen, wenn sein Klavier hierher gebracht würde. Seine Tochter pflegte darauf zu spielen, aber die ist jetzt nicht zu Hause.«

»Wenn ich es mieten könnte! Würden Sie sich vielleicht danach erkundigen?«

Er versprach es zu tun.

»Dann will ich meine Noten kommen lassen,« sagte sie voller Freude.


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