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31.

Die goldenen Tage vergingen nur allzuschnell, aber Ols Erik und Helwig nutzten sie aufs beste aus. Soviel wie möglich waren sie beisammen. Sie begleitete ihn jetzt immer, wenn er zu seinen Kranken ging.

Bei dem Beisammensein hatten sie verschiedene Ziele im Auge. Ihr Ziel war, jeden Augenblick so ungestört und so gründlich wie möglich zu genießen. Sein Ziel dagegen war, die Zeit ihrer weichen Fügsamkeit auszunutzen, um sie auf dem beschrittenen Weg weiterzuführen. Er setzte voraus, daß sie ihn schon eingeschlagen habe. Das verrieten ihm hin und wieder ihre suchenden Fragen, und ihr Interesse an den eingehenden geistlichen Gesprächen, die sie noch während ihres Aufenthalts in Skalunga hatten.

Eines Tages kam er mit Helwig zu einem Schwerkranken. Hier konnte er als Arzt nichts tun. Aber der Kranke wünschte das Abendmahl zu nehmen.

Wie immer hatte Ols das Abendmahlsgerät mitgebracht.

Das Stübchen wurde zur Feier zurechtgemacht. Die Mutter räumte allerlei fort, was umherlag, und stellte Stühle im Kreis um des Kranken Bett; denn wenn Ols einem Kranken das Abendmahl reichte, lud er immer die erwachsenen Mitglieder der Familie ein, an der Feier teilzunehmen. Er sagte ihnen, daß das Abendmahl eine Kraftquelle sei, die sie nicht entbehren könnten, wenn sie ein gesundes geistiges Leben führen wollten. Gesunde brauchten es ebensowohl wie Kranke und Sterbende, pflegte er zu sagen.

Als man sich jetzt zur Abendmahlsfeier hinsetzte, hielt Helwig sich zweifelnd zurück. Aber Ols sah sich nach ihr um. Es lag eine milde Frage und Ermunterung in seinem Blick. Da konnte sie nicht widerstehen, sie trat vor und setzte sich zu den anderen. Sie war ja ganz sein während dieser besonderen, köstlichen und nur allzu kurzen Zeit. Sie wollte zwischen seinen einfachen Gemeindemitgliedern knien und das Sakrament mit ihnen aus seiner Hand empfangen.

So dachte sie, als sie sich in den kleinen Kreis setzte. Aber als er die Einsetzungsworte sprach, von der Kraft des Blutes und von der Vergebung der Sünden, ahnte sie die Heiligkeit des Sakramentes und fühlte sich unwürdig.

Die Hand, die ihr das Brot reichte und den Kelch an ihre Lippen hielt, war ihr mehr als das, was sie ihr bot. Sie wußte, daß es nicht so sein sollte. Hätte sie nicht das Aufsehen gefürchtet, und geglaubt, die Andacht der anderen zu stören, dann wäre sie wieder aus dem Kreis getreten und hätte sich fern gehalten. Aber sie blieb sitzen und empfing das Sakrament.

Als sie später das Haus verließen und sich allein im Wald befanden, rief sie aus:

»Warum wolltest du, daß ich das Abendmahl nähme?«

»Bereust du es?«

»Ich tat es nur um deinetwillen, und das war nicht recht!«

»Um meinetwillen?«

»Ja, ich wollte es aus deiner Hand haben, ich wollte unter den Deinen sein. Du warst mir mehr als das ganze Sakrament,« gestand sie beinahe trotzig.

Er schwieg kummervoll. Ein solches Bekenntnis beunruhigte ihn, doch zugleich schien ihm ihre Ehrlichkeit etwas Gutes zu sein. War sie nicht mit Herz und Seele auf dem Weg, den er sie fuhren wollte? Oder war es keine Wiedergeburt, sondern nur Eigennutz? Dann baute er alles, was er in ihr zu errichten suchte, auf falschem Grund.

»Ich sah keinen Grund, warum du dich fernhalten solltest; ich lud dich ein wie die anderen,« sagte er, wie entschuldigend.

»War es Sünde, daß ich mitging, obgleich ich nur an dich dachte?« fragte sie.

»Ich fürchte es,« sagte er ehrlich. »Aber die Vergebung im Abendmahl ist so groß, daß sie gewiß auch für ein geteiltes Herz genügt.«

»Mein Herz ist nicht geteilt, es gehört dir ganz. So ganz, daß, wenn ich Gott erreichen soll, es durch dich geschehen muß.«

»Und doch zögerst du, mir dein Jawort zu geben?«

»Willst du mir damit beweisen, daß mein Herz nicht ganz dein ist? Das ist es aber doch. Und wenn meine Antwort zum Schluß ein Nein wird, so wäre es gerade darum, weil ich dich ganz liebe.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Nein; denn was die Liebe betrifft, bist du ein großes Kind. Du nimmst sie einfach und groß, und hast keine Ahnung von all den Verwicklungen, die sie verursachen kann.«

»Keine Ahnung, meinst du?«

Sie sah ihn verwundert an.

»Oder etwa doch?« fragte sie.

Da erzählte er ihr, wie er um ein Zeichen gebetet habe, um Gottes Willen zu erfahren, und wie er, als ihm kein Zeichen gegeben wurde, seinen Verstand brauchte, und dann zu dem Entschluß kam, sie zu fragen und in ihrer Antwort Gottes Willen zu sehen.

»Da deine Antwort aber unbestimmt war, so tappe ich noch im Dunkeln über das, was Gottes Wille ist.«

»Fragst du denn nur nach dem und nicht nach deinem eigenen?«

»Mein eigener Wille ist, dich zur Frau zu nehmen. Aber ich will nicht danach handeln, wenn es Gottes Willen entgegen ist.«

Noch nie hatte sie so klar gesehen, wie stark seine Liebe zu ihr war. Sie war sogar stärker als er selbst, denn, wie sie jetzt ahnte, hatte er dagegen gekämpft und war überwunden worden. Er hatte sich nicht dabei beruhigt, auf ein Zeichen zu warten, sondern hatte den Verstand zu Rate gezogen, um die Erlaubnis zur Werbung zu erlangen. Diese Findigkeit, die ihm selbst unbewußt war, rührte sie.

Trotz der nüchternen, verstandesmäßigen Art, mit der sie sein Verfahren beurteilte, kam sie zu einem fast abergläubischen Glauben, daß sich ihre Angelegenheit auf übernatürliche Weise entwickeln würde. Hatte er doch sogar in seinem Körper geheimnisvolle Kräfte, zum Beispiel seinen Magnetismus und seine ungewöhnliche Macht über die Menschen, und geistig stand er in Verbindung mit der unsichtbaren Welt. Jetzt erwartete er Gottes Antwort durch sie. Und sie glaubte, daß sie ihm die auch geben würde, vielleicht gegen ihren eigenen Willen, wenn sein Gott nicht wollte, daß sie die Frau seines Dieners würde.


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