August Becker
Die Nonnensusel
August Becker

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Heimsuchungen

Der Kronenwirt lag indes daheim in seinem Bett, von bösen Erinnerungen, von traumhaften Beklemmungen, vom Alp und ähnlichen Quälgeistern heimgesucht.

Was man anderwärts den Alp, die Mahre, die Trude nennt, – oder wie in Friesland, an die altnordischen Schwanjungfrauen, die reitenden Walküren anklingend, als Walriderske bezeichnet, die wohl auch zu Roß daherstürmen oder geflügelt sich in der Luft erheben, um ihr Unwesen etwa in fremden Weinkellern zu treiben und Menschen oder Tiere nächtlicherweile zu plagen – das heißt in dem Landstrich zwischen Queich und Lauter das Letzbetzl, in Weißenburg das Letzkäppel und bis zum Hagenauer Forst hinan nur das Letzl. Das Wort »letz« bedeutet soviel als verkehrt, also ein gespenstiges Wesen, das die Nebelkappe oder »Betze« verkehrt aufhat, so wie nach dem Volksglauben die Hexen während der Christmette, wenn der katholische Priester das Allerheiligste in der Monstranz zeigt, das Antlitz rückwärts kehren, wie man auf einem Schemel von neunerlei Holz oder durch das Astloch der Kirchentür beobachten kann.

Oft kommt das Letzbetzl, teils aus Lust zur Quälerei, teils durch inneren Drang unfreiwillig genötigt, in Gestalt einer Flaumfeder, eines Strohhalms, oft in der eines Wiesels, Marders, einer weißen Maus oder in Menschengestalt, in der Erscheinung der Geliebten und naher Verwandten; auch wampenartig, ungeheuerlich, von unten her, um dem Gequälten Brust und Kehle zu drücken, daß er luftbeengt nicht mehr schreien kann – wenn er sich nicht dagegen vorgesehen hat. Und dazu hatte sich der Kronenwirt in seiner Hochzeitsnacht nicht Zeit genommen. Er war zwar rücklings ins Bett gestiegen, wie es seine Gewohnheit war, hatte jedoch weder das Schlüsselloch verstopft, noch seine Stiefel oder zwei Strohhalme kreuzweise vors Bett gelegt und dabei den Bannspruch gehalten. Kurz, er hatte fast keine Maßregeln getroffen, wie sie der Volksaberglaube für diese Zwecke vorschreibt.

Kein Wunder, daß es ihn nun abwechselnd kalt und heiß überlief, geisterhaft, lähmend ihn anhauchte, endlich an ihm emporkroch, sich ihm auf die Brust setzte, wie ein »Kuhwampen«, klumpfüßig, mit den kurzen, dicken Armen ihm den Hals zuschnürte, und, während er weder Luft bekam, noch atmen konnte, ihm heiser zuraunte:

»Kronenwirt, rühr' dich nicht, sonst drück' ich dich tot! Schon lang' bist du in meiner Gewalt und ich hab' dich zappeln lassen, damit du sie kriegst. Jetzt hast du sie, und nicht länger will ich zusehen. Willst du mir geben mein Geld, Kapital und Zinsen und alles, was du mir schuldest auf Handschrift und Hypothek, Kronenwirt, oder soll ich dir nehmen dein Haus, deine Äcker und Wingerte, deine Wiesen, deine Gärten und was du mir hast vertrieben, oder soll ich dir saugen dein Blut aus den Brustwarzen, soll ich dir nehmen deine Ehre und dein Leben?«

Der Gepeinigte ächzte und stöhnte unter dem halszuschnürenden Druck des gespenstigen Unholds, dessen Antlitz sich jetzt eben über ihn beugte. Es änderten sich seine Züge, die Hände und die Füße wurden lang und spinnenartig, umschlangen wie Stricke seinen Hals, würgend und drosselnd, schlimmer als die kurzen »Pratschen« vorhin; die plumpe Ungestalt wurde zu einem knochigen dürren Scheusal, die Lippen gespalten, wie die des Vampirs.

»Ich gedulde mich nicht länger, Kronenwirt, ich schnüre dir mit Lust den Hals zu, Kronenwirt, daß du die falsche Zunge herausstreckst. Mein Geld her, lös' deine Verschreibung ein oder ich sauge dich vollends aus und werf' dich – einen toten Mann – auf die Gasse!«

Der Kronenwirt schnappte nach Luft. Er wollte um Aufschub flehen, und konnte kein Wort hervorbringen. Er wußte wohl: wenn man solchen nächtlichen Unhold bei seinem wirklichen Personennamen zu rufen vermag, oder ihn umfaßt, so ist der Bann gelöst. Dazu aber hatte er nicht die Kraft. »Herr Christ!« keuchte er. »Geduld! Laßt ab, kommt morgen!«

Und langsam krochen die Spinnenbeine und Arme zurück, und der Kronenwirt fühlte sich für einen Augenblick frei. Aber, andere kamen an ihm heraufgekrabbelt, kleines mißgestaltetes Gewürm, das sich auf seine Brust setzte, an den Warzen saugte, bis er den einzelnen Namen rief und wieder Luft gewann, so daß die Quälgeister nacheinander langsam von ihm hinwegschlichen, als verließen sie ungern den warmen Platz auf seiner Brust und an seiner Kehle.

Laut stöhnte er auf, als er das gespenstige Gesindel los war. Jedoch es war eine böse Nacht für ihn; er war immer wieder nachfolgenden Quälgeistern bloßgegeben, sooft er ihrer losgeworden zu sein glaubte. Die Bettgardine wurde von einer bleichen Hand zurückgehoben, und leichenhaft schlich es ihn jetzt an – in Weibesgestalt mit entstellten Zügen und geisterhafter Stimme: »Konrad, wie ist dir's in deiner zweiten Hochzeitsnacht? Ist das deine Liebe, deine Treue bis ins Grab? Kaum ein Jahr ruh' ich in der Erde Schoß – und schon hast du ein anderes Weib geholt!«

»Der Kinder wegen, Helene!« keuchte er.

»Eine Stiefmutter. Ich komme wieder!« flüsterte sie langsam entschwindend, jedoch nur, um einer andern Platz zu machen, die ihre Stellung einnahm mit fleischigem Antlitz, grauen, blitzenden, stechenden Augen, schrecklicher, quälender, als alle vorhergehenden Erscheinungen, da sie ihn mit den runden Fingern bei der Gurgel faßte: Kronenwirt, Schuldenbuckel! Hast dich in mein Vertrauen geschlichen, mich belogen, betrogen um mein Kind und mein Geld! Meinst du, ich laß' es hingehen? Nein! Eher drücke ich dir die Gurgel zu. Geschieden wirst du, mit Schimpf und Schande jage ich dich heim, du Bettelmann! Pfui der Schmach! Nichts ist mehr dein! Am besten, der nichtsnutzige Kerl ginge gleich hin!«

»Gott!« ächzte der Gequälte. »Laßt ab, laßt mich leben, um meiner Kinder willen, Schwiegermutter! Morgen, morgen will ich Euch beichten.«

Und sie schwand dahin, die Zürnende, mit dem leidenschaftlich roten Gesicht. Aber gräulich, widrig krabbelte es an ihm empor wie ein Käfer mit scharfen, schneidenden Beinen und Fühlhörnern; es kroch ihm über den Leib herauf bis zur Brust. Und eine lange dürre, stechende Nase, ein zahnlos welker Mund drückten sich ihm an die Kehle. »Kronenwirt, Lump elender! Hab' alles dran gesetzt, dir mein stolzes Enkelkind ins Haus zu liefern! Und du Tropf, du jämmerlicher, bist nicht Mann's genug sie zu halten. Dein schlechtes Froschblut tu ich dir auszuckeln, du Jammerkerl!«

Und sie setzte die welken Lippen mit dem vorstehenden Zahn an seine Halsader, daß er verzweifelt aufschrie: »Hexe, verdammte, in drei Teufels Namen pack' dich und komm' morgen, wenn du etwas von mir willst. Ich halte sie ja fest, ich halte sie fest!« rief er, alle seine Kraft zusammennehmend, um, während die Alte wich, ihr Enkelkind zu umfassen. Aber schwer lag es ihm auf der Brust; er glaubte zu ersticken, als eine wohlbekannte, klagende Stimme ihm ins Ohr klang. »Du hast mich getäuscht, falscher Mann, mich gewissenlos zu dir in den Abgrund gezogen, hast mich unglücklich gemacht, mein Leben lang. Gott rechne dafür mit dir ab, – ich geh'!«

»Nein, nein, Susel! Du allein bleib'!« stöhnte er. »Wenn ich dich getäuscht habe, ist es meiner unschuldigen Kinder wegen. Sei du ihre Mutter, und alles geht gut, wenn du mich nicht verläßt. Arbeiten will ich neben dir Tag und Nacht; ich bin kein verlorener Mann, wenn du mir bleibst. Glaub' und vergib! Ich laß' dich nicht, und du darfst mich nicht verlassen. Versprich mir, versprich!«

Und diesmal umschlang er mit verzweifelter Anstrengung den Alp, der ihm auf der Brust lag, daß er, gefangen, sich nicht wegzuwenden vermochte. Er umfaßte ihn fest und fester, preßte ihn, überwältigt von seinem Kummer, an die gequälte Brust – und erwachte.

Es war ein grauer, frischer Märzmorgen, schon heller Tag. Die Glieder schmerzten ihn, wie durch Zug erkältet. Allein der Alp, der ihn zuletzt drückte, preßte noch immer auf seine Brust, daß er, schwer atmend, nach Luft schnappte. Denn auf dem Rücken liegend, drückte er mit fast erstickender Wucht die schwere Bettdecke auf seine Brust und Kehle, wie er jetzt, völlig erwacht, nachgerade inne wurde. Er lag allein im Bett. Erkennend, daß er all das Schreckliche für diesmal glücklicherweise nur geträumt hatte, richtete er den Kopf auf, schob die Gardine zurück und sah sich etwas verstört im Zimmer um.

Ach, wann sollten diese Nächte, diese quälenden Träume endigen? Wird die Qual überhaupt ein Ende nehmen? Seine Gläubiger drängten, ließen ihm heimlich keine Ruhe mehr, wollten nur noch sich bis nach der bevorstehenden Hochzeit gedulden. Und dann, o Himmel, wie sollte er vor Susel und deren Mutter bestehen? Glücklich hatte er bis jetzt seine wahre Lage zu verbergen gewußt. Wie lange noch gelang die Verheimlichung?

Er fühlte sich unwohl, mit schwerem Kopf, erkältet, Schmerz in der Brust; er litt an Atemnot, keuchte kurz und röchelnd. Und dabei fiel ihm die ungewöhnliche Ausstattung des Schlafzimmers auf. Nun kehrten ihm allmählich die Besinnung und Erinnerung zurück. Hatte denn nicht gestern die Hochzeit bereits stattgefunden? Oder war all das Erlebte nur ein Traum – die Trauung vor dem Bürgermeister und vor dem Altar, der Hochzeitsschmaus, der Freiheitsbaum, die Heimfahrt mit der Angetrauten? Nein, es war ihm wirklich widerfahren, er war bereits wieder verheiratet, Susel sein angetrautes Weib, die zweite Mutter seiner Kinder; und alles konnte noch gut werden, wenn sie den Glauben an ihn nicht verlor, ihm vertraute.

Aber wo war sein junges Weib? Schon aufgestanden, bereits im Hause wirkend, so durfte er annehmen. Er wollte sich deshalb ebenfalls erheben, um die junge Herrin seines Hauswesens zu begrüßen. Da pochte es leise an die Tür der Brautkammer. »Was gibt's?« fragte der Kronenwirt.

»Ausgeschlafen?« erkundigte sich die Base vor der Tür freundlich. »Nun schönen guten Morgen der jungen Frau in der neuen Heimat. Soll ich den Kaffee ins Zimmer bringen, oder wollt ihr ihn drüben in der Wirtsstube trinken?«

Es fiel ihm jetzt besonders auf, daß ihn die Base, die Schwester seiner verstorbenen Mutter, mit »Ihr« anredete.

»Ist es denn schon so spät? Sind die Kinder schon auf?« erkundigte er sich.

»Ei, ei, ei«, sagte die alte Frau draußen, »die Kinder habt ihr doch in Oberhofen bei der Großmutter gelassen.«

»Meine Hochzeit ist also wirklich gewesen?« erkundigte er sich in ernsterem Ton. »Wo ist denn Susel?«

»Ei, ei, ei«, sagte die Base wieder vor der Türe. »Wo wird sie sein?«

»Hat sie Euch schon guten Morgen gesagt?« fragte der Kronenwirt. »Sie ist an's frühe Aufstehen gewöhnt.«

Die Base draußen schüttelte hinter der Türe den alten Kopf. »Gott behüt', Konrad! Mit keinem Auge habe ich sie heute schon gesehen.«

Der Kronenwirt griff sich an die Stirn, als ob ihn schwindle. Dort auf dem Stuhl lag denn auch ihr dunkles Hochzeitskleid. Er zitterte so, daß er kaum in seine Kleider zu schlüpfen vermochte. »Kommt einmal herein, Base!«

»Es ist von innen verriegelt.«

Er schob den Riegel zurück und stand bleich vor der erblassenden alten Frau, die sich vergeblich im Zimmer nach der jungen Frau umsah. »Wo ist sie denn?«

Der Kronenwirt wankte, daß er sich an der Kommode halten mußte, um nicht umzusinken. Das nur halb zugezogene Fenster das der Wind weiter zurückgetrieben hatte und durch das die Morgenluft kühl hereinwehte, fiel zunächst in die Augen. Während der Kronenwirt sich über das Gesims hinausbeugte, fiel die Base mit gerungenen Händen auf den Stuhl nieder.

Da die Tür von innen verriegelt war, konnte die Vermißte sich nicht ins Haus entfernt haben.

Dennoch suchte man in allen möglichen Winkeln, Ecken und Verstecken. Allein die Fußspuren im umgegrabenen Grund unteren Fenster, die Abdrücke von Frauenschuhen längs des Zauns, die der durchs Fenster springende Kronenwirt mit der Hast eines Spürhundes bis zur Plankentür und hinaus verfolgte, ließen keinen Zweifel übrig: Susel war in der Nacht durch den Garten auf und davon – wohl ins elterliche Haus zurück.

»Wo ist der Knecht?« fragte der Kronenwirt wie vergeistert.

»Er ackert im Vogelsang«, sagte ein Stalljunge.

»Welcher Gaul ist daheim?«

»Der Rapp'.«

»Her damit! Zäum' ihn, leg' ihm Reitzeug an. Tapfer, Himmelsapperm– – !«

Er nahm sich nur so viel Zeit, ein anderes Wams anzuziehen, bestieg das Pferd und sprengte wie der fahle Teufel davon, die Feldhöhen hinauf, durch die Hohlwege in der geradesten Richtung nach Oberhofen hinüber, während die alte Base daheim vergrämt und verzweifelt noch immer in allen Ecken und Winkeln des Hauses nachsuchte.

Die Wirklichkeit, zu welcher der Kronenwirt erwacht war, übertraf an Schrecken noch all die wüsten Träume, die ihn in seiner Hochzeitsnacht gequält hatten. Was er erlebte, war so ungeheuerlich, daß er noch immer an eine weniger peinliche Lösung des unheimlichen Rätsels glauben wollte. Seine Lage war ja ohnehin unerhört.

Wie seine unerwartete Ankunft und unglaubliche Kunde im Hause der Juliane aufgenommen worden, ist schon gemeldet, ebenso über den Ritt nach Münster und über die Unterredung mit Schorsch berichtet. Die Scham über eine kleine Unzulässigkeit hatte dabei den Argwohn gegen Schorschs Benehmen erregt.

Dieser hatte allerdings an dem abgeschliffenen Feldstein unten bei den Rohrwiesen sein Küfermesser in der Nacht gewetzt und dann mit dem Häckchen auf der Schulter den breiten Weg durchs Pfaffenkastanienstück auf den Kühnberg eingeschlagen, um am Galgenacker vorüber in der überwachsenen, unheimlichen Schlucht der Bubenstube unterzutauchen. Junge Birken standen dorten, deren Wachstum er schon vor Jahren verfolgt hatte, auf fremdem und, wie er sich einbildete, herrenlosem Boden. Ihre Loden gaben prächtige Reifstäbe, und er hatte jetzt Verwendung für solche Faßreifen. Nachdem er die jungen Birken abgeschnitten hatte, kroch er wieder zum Hochrand der Schlucht herauf und wäre nahezu jetzt einer abergläubischen Anwandlung verfallen, da er eine schattenhaft dunkle Gestalt des Weges zu einer Stunde kommen sah, wo nicht wohl ein Weib allein an der Bubenstube vorüberging. In der Überraschung ließ er einen Teil seiner Beute fallen, worauf die nächtliche Pilgerin aufschreiend entfloh und schon nach wenigen Sekunden seinen Blicken entschwunden war, obwohl er aus Neugierde bis an den jenseitigen Hang der Höhe folgte.

Gestalt und Stimme hatten ihn wohl an Susel erinnert. Doch schlug er sich die Vorstellung als eine völlig ungereimte wieder aus dem Sinn. Hatte er sie doch mit ihrem Angetrauten vor einer Stunde heimfahren sehen, und dachte somit an nichts weiter, als seine Beute in Sicherheit zu bringen. Daß es aber Susel gewesen war, müsse er nunmehr als gewiß annehmen, erklärte er sich. Sie habe die Richtung nach Oberhofen eingehalten und sei auch aller Wahrscheinlichkeit dort zu finden, wenn nicht im Hause ihrer Mutter, doch in jenem ihrer Schwester, ihrer Freundin Liesel oder in dem des Vetters Ebbe.

Das erschien auch dem Kronenwirt um so einleuchtender, weil er es wünschte. Er wendete, ohne auch nur einen Tropfen Wein zu verlangen, sein Pferd auf den Rückweg und ließ Schorsch und den Ochsenwirt in gerechtem Erstaunen über den Hochzeiter zurück, der das Land durchritt, um seine junge Frau zu suchen.

Dieser aber trieb seinen Rappen wieder die Kreuzstraße hinan. Da, wo über dem Heideland und dem Kastanienhain des Heißbühls der nähere Fußweg führt, sah er den Vetter Jokeb kommen, und er rief ihm zu: »Nicht in Münster, aber sie ist gesehen worden in der Nacht an der Bubenstub', auf dem Weg nach Oberhofen.«

»Also doch eine Spur!« bemerkte der Vetter, dem es bei dem Gang heiß geworden war. »Wir wollen sehen.«

Nach Oberhofen zurückgelangt, stellte man vorsichtig Erkundigungen da an, wo man Susel vermuten konnte – vergeblich.

Und im Hause der Juliane zog wieder leidenschaftlicher Jammer ein. Verwirrung, Entsetzen packte alle Gemüter. »Mir zuleid hat sie's getan, mir zuleid, ihrer Mutter«, rief Juliane. »Aber ich will sie schon wieder kriegen. Gleich schick' ich aufs Gericht in der Stadt, laß' selber anspannen, und an den Haaren schlepp' ich sie in dein Haus zurück, Kronenwirt!«

»Mutter, keine Gewalt«, bat dieser völlig niedergedrückt. »Wohin sie auch die Ängste getrieben haben, nur durch Güte, Mutter, soll sie zurück. Ich hab' nicht gewußt«, fügte der Arme hinzu, »daß sie mich so gar nicht mag. Ich hab's ja nicht gewußt. Und, ach, auf den Händen hätte ich sie getragen!«

Der Unglückselige dachte im Augenblick in der Tat nur an das bemitleidenswerte Schicksal seiner entflohenen jungen Frau. Der Abgrund, an dessen Rand er schwindelnd stand, lag allerdings stets im Hintergrund seiner Erwägungen.

Nachmittags setzte der Kronenwirt sich wieder aufs Pferd, um auf dem Heerweg weiter ins Oberland, bis über die Grenze ins Elsaß vorzudringen, um irgendwelche Nachricht aufzutreiben, während Hanjerg über Kapellen gegen den Bruch hinsprengte, um überall vorsichtige Erkundigungen einzuziehen, und selbst Stoffel über Bergzabern nach Weißenburg vordringen sollte. Doch kam der liebenswürdige Bruder bald von seinem Ritt zurück mit der Botschaft: Niemand wisse etwas von der Durchgebrannten. »Wer weiß, wo sie steckt!«

Völlig erfolglos war auch der weitere Ritt des Kronenwirts gewesen, der auf dem Heerweg über den Haftelhof nach Weißenburg und dem Gaisberg vorgedrungen war, selbst hinter demselben bei den Verwandten in Steinsels und Rott unter der Scherrhohl Nachfrage gehalten hatte.

Alle Welt sprach jetzt von der entlaufenen Braut. Man lachte und scherzte, ohne an den Eindruck und die Wirkung des Vorganges auf die Angehörigen zu denken. Man höhnte den Kronenwirt, der schon sein Schäfchen im trockenen zu haben glaubte, und lachte über seine Verlegenheit. Nur seine Gläubiger machten ernste Gesichter. Es rückte die Zeit heran, wo er die schwierigen Umstände seiner Lage nicht lange mehr vor seiner Schwiegermutter zu verheimlichen hoffen durfte.


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