August Becker
Die Nonnensusel
August Becker

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Rüstungen

Man weiß nicht recht, wie man daran ist, dachte Juliane in jener Woche für sich, als sie merkte, daß Susel und Hannes einander viel freundlicher als seither begegneten, als dieser einige Tage später herüberkam, um mit Stoffel zu plaudern. »Und es muß und muß sich doch noch machen! Da setz' ich meinen Kopf gegen eine Nußschale.«

Auf dem Martinimarkt in Bergzabern war noch manches für die acht Tage später fällige eigene Kirwe – die den Beschluß der Kirchweihen im Jahr machte – einzukaufen, und Juliane sagte zu Stoffel, indem sie ihm einige Taler nebst kleinem Geld in die hingehaltene Hand drückte: »Mach' der Liesel eine Freude, kauf' ihr ein Marktstück, – wer weiß! Bemüh' dich ein wenig um sie. Und gib acht auf die da! (Susel war eben hinausgegangen) Kommt der Münsterer und will mit ihr reden, leid's nicht. Sie soll mit dem Hannes gehen und reden; sie scheint jetzt zur Einsicht zu kommen, und der Hannes erst recht – der Hans Dampf da! Was hat ihm nur im Kopf gerappelt, neulich!« –

Auf dem Martinimarkt regnete es, wie gewöhnlich nach Allerheiligen. Jedes für sich mit einem bunten »Parblee« bewehrt, gingen Susel und Liesel, Stoffel und Hannes von Marktstand zu Marktstand, Hannes in besserer Laune als sonst, was ihm gar nicht so übel stand. Sich einer gutmütigen Lustigkeit überlassend, kaufte er den Mädchen Marktstücke, zeigte sich besonders freigiebig gegen Liesel, so daß es selbst Stoffel auffiel, der sein Geld für sich behielt; »Was hab' ich davon!« Ja, Hannes stimmte seine gute Laune auch dann nicht herab, als gegen Abend sich plötzlich Schorsch zu ihnen unter dem Wetterdach einer Marktbude gesellte. Mit finsterer Miene sah dieser Susel mit jenen zusammen; es war ihm das Gerücht von einem »Verspruch« zu Ohren gekommen. Allein Susel sah ihn an und erwiderte seinen heimlichen Händedruck, daß alle seine Befürchtungen schwanden. Doch wollte er es auch von ihren Lippen hören. Indes trat jetzt Stoffel dazwischen.

»Wenn du keinen Händel willst«, sagte er zu Schorsch von der Seite, »so geh' jetzt deine Wege.«

»Ich will keinen Händel«, war die Antwort, »laß' mir aber von dir auch nicht den Weg weisen!«

»Dann gibt's Händel«, bemerkte Stoffel, »und hier am hellen Tag auf offenem Markt – schickt's sich nicht.«

»Ich bitte dich, Schorsch!« sagte Susel sanft, während ihr Bruder fortfuhr: »Wenn du mit meiner Schwester zu reden hast, gut, in acht Tagen ist unsere Kirwe, da kannst du's versuchen, wenn du's Herz hast!«

»Das Herz haben?« fragte Schorsch zurück. »Du kannst dich drauf verlassen, ich komm!«

»Wollen wir sehen. Besser du bleibst weg!«

»Ich komme«, wiederholte Schorsch nachdrücklich, reichte noch den Mädchen flüchtig die Hand und gesellte sich zu einigen Kameraden, um mit diesen ein Wirtshaus zu besuchen.

Während der trüben Jahreszeit wurden große Vorbereitungen und Zurüstungen getroffen in Pleisweiler und bei den reichen Bauern in Oberhofen. In dem stillen Dorf herrschte jetzt in jedem Hause die emsigste Regsamkeit mit Putzen und Scheuern, mit Einmachen und Anrühren des Teigs, mit Kuchenbacken und Braten. Unter dem jungen Geflügel und dem Borstenvieh war ein großes Schlachten. Auch die »Kästenpfanne« wurde wieder hervorgezogen; denn zu dem gärenden Most, dem Federweißen, der zur Oberhofener Kirchweih gerade recht kommt, bilden gebratene Kastanien die schmackhafte Zukost und die beliebteste Gelegenheit zum Knuspern für die erwarteten Gäste, während auch alle Braten mit Kastanien gefüllt werden.

Am Sonntag geht man, wenn man sich zur besseren Gesellschaft rechnet, nicht gern auf fremde Kirchweihen. Aber Montagabends, nach dem Nachtessen, ließ es den Schorsch in Münster nicht mehr ruhen. Nachdem sein vom Schlag gerührter Vater sich im Ledersessel zurückgelegt und die Mutter sich die Brille aufgesetzt hatte, um eine Näharbeit vorzunehmen, hörte Schorsch noch eine Weile am Eckfenster dem Gesang der in der trüben Nacht draußen auf der Rathausbrücke stehenden Burschen zu. Und als sie aufhörten, horchte er so lange dem Gurgeln des Bachwassers zu, das unter der Brücke wegschoß, und dem Plätschern und Rauschen des großen Rathausbrunnens, bis es ihn förmlich fortzog. Als flüstere jemand: »Kommst du bald, oder kommst du nicht so bald?«

Schorsch hatte den Tag über tüchtig als Weinküfer gearbeitet, hatte bei der »Aiche«, die draußen von der Gemeinde neben dem Rathausbrunnen aufgestellt war, fleißig mitgeholfen und schon vor dem Abendessen die Arbeitskleider ausgezogen. Jetzt nahm er seine Seelöwenkappe von der Wand, suchte sich so leise und unauffällig wie möglich einen der Stöcke im Uhrenkasten aus, indem er einen hanbuchenen, sogenannten »Eingebändelten« mit derben Knoten auswählte, um sich möglichst unbeachtet aus der Stube zu stehlen.

»Willst du noch über Feld, Schorsch?« fragte die alte Frau, ohne aufzusehen.

»Nicht weit, Mutter! Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Schorsch! Komm' nur bald wieder heim!«

Er eilte auf die Gassen hinaus, die sich im Mittelpunkt des Fleckens, am Eingang zum »Stift« beim Brunnen und an der Brücke erweitern und kreuzen. Es war eine der finsteren Nächte, wie sie im November über dem Lande brüten. Das schwache Licht der Öllaterne, die an einem von Dach zu Dach gezogenen Eisendraht über der Brücke hing, schien eher da zu sein, um die Dunkelheit zu zeigen, als zu erhellen. Doch deutete der Schimmer wenigstens die Stelle der Brücke an, was um so nötiger war, als der den Ort durchströmende Bach vom Regen etwas angeschwollen war.

Jetzt regnete es gerade nicht, es rieselte nur. Trotz der unfreundlichen Nacht standen auch an diesem wie an jedem Abend die jungen Burschen plaudernd und singend auf der Rathausbrücke.

Schorsch ging zu den Burschen hin und musterte flüchtig die größere und dann daneben die kleinere Gruppe, um hierauf mit gebräuchlichem »tut's gut so?« zwischen beiden hindurch seinen Weg in die Steingasse zu nehmen, wo er einen verlässigen Kameraden abholen wollte – als eine stämmige Gestalt aus der kleinen Gruppe auf ihn zutrat. »Schorsch!«

»Ah, da bist du ja. Eben will ich dich abholen, Franz.«

»Steht dein Sinn wirklich hinüber?«

»Wie anders? Du gehst doch mit, Franz?«

»Gern nicht. Denn daß es Hiebe, Mordshiebe absetzt, liegt auf der Hand.«

»Hiebe, ja. Es kommt darauf an, wer sie kriegt«, erwiderte Schorsch flüsternd, wie überhaupt das Gespräch in gedämpftem Ton geführt wurde. »Ich denke, wir teilen sie aus.«

»Es ist ein gefährlicher Gang«, warf Franz nochmals ein.

»Ja, wenn du dich fürchtest!«

»Ich mich fürchten? Wo du hingehst, bleibe ich nicht zurück. Für mich selber möcht' ich den Gang nicht machen, aber für dich, Schorsch. Das Mädel ist's ja wert, daß du was um sie wagst. Gehen wir!«

Und sie gingen von der Brücke weg in der Richtung des Oberdorfs. Schorsch bemerkte, daß Franz ebenfalls seine Sonntagskleider anhatte und mit einem ähnlichen Stock wie er bewehrt war, sich also auf jeden Fall schon von vornherein, trotz seiner Bedenklichkeiten, auf den Gang gefaßt gemacht hatte.

»Wir müssen zu dreien sein«, fing unterdes Schorsch wieder an. »Wen nehmen wir noch mit? Wäre keiner von denen da auf der Brücke – – –«

Franz schüttelte den Kopf.

»Vielleicht geht der Michel mit, wenn er daheim ist. Fragen wir einmal beim Knecht im Stall an.«

Sie gingen unbemerkt durch die unterm Haus wegführende hohle Einfahrt in den weiten, umschlossenen Hof dem Pferdestall zu, stießen aber vorher auf den alten Brenner, der, mit einer Bütte auf dem Rücken aus dem Brennhaus kam und ihnen sagte, daß Michel nachmittags über Feld sei.

»Wer ist im Stall bei den Gäulen?« fragte Schorsch.

»Der Stumpe; er muß jetzt mit dem Füttern fertig sein.«

Die beiden gingen weiter, nach dem Stalle.

»Wie wär's mit dem Stumpen? He?«

»Der Stumpe wär' ja gut«, sagte Franz. »So klein er ist, fürchtet er sich vor dem Teufel nicht, wenn er nur das Trinken frei hat.«

»Soll er haben, so viel er will. Es kommt mir heute nicht darauf an!«

Der eigentümliche Pferdegeruch und der Schall aufstampfender Hufe drang ihnen entgegen, als sie unter die Stalltür traten.

»Stumpe!«

»Ja, was gibt's?« fragte eine Stimme aus dem dunklen Hintergrunde.

»Gehst du mit auf die Oberhofener Kirwe?«

»Donnerkeil, da könnt's was absetzen« hallte es als Selbstgespräch aus dem dunklen Stall. Erst dann erschien unter der Tür einer der Knechte, so breit wie hoch, dachsfüßig, in Holzschuhen.

»Gibt's Händel?«

»Davon unterwegs.«

»Aber – in eurer Gesellschaft muß ich doch –«

»Kittel über, Stiefel an, deine Lämmerkappe auf und einen Stock in die Faust – mehr braucht's nicht, wenn deine Gäule versorgt sind.«

»Alles versorgt. Regnet's?«

»Es rieselt.«

»Na, und wenn's Spieße regnet und Mühlsteine hagelt – ich bin dabei.«

»So mach' voran.«

»Gleich«, sagte der Stumpe, verschwand nochmals in dem schwach erleuchteten Stall, wo er die Laterne ausblies und kurz darauf wieder erschien, die Stalltür gut verschloß und ohne noch ein Wort zu verlieren, den beiden andern durch die Einfahrt auf die Gasse folgte, zum Oberdorf hinaus über die Kreuzstraße und die nach Mittag hin liegenden Feldhöhen. Das Wetter hatte sich nicht geändert. Es war noch dieselbe trübe, kühle nebelrieselnde Novembernacht. Aber die Augen hatten sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnt, und der Weg war jedem einzelnen des auf Abenteuer ausziehenden Kleeblatts wohlbekannt. Rüstig schritt man fürbaß, indes Schorsch den Kriegsplan entwickelte.

»Ohne Händel geht's nicht ab«, sagte er. »Drum nur beisammen bleiben, einer beim andern, Mann bei Mann. Und sobald es losgeht – denn gefallen lassen wir uns nichts von den Spiegelguckern – den Stand gleich in der Wandecke hinterm Schanktisch genommen, wo die Gläser, Buddellen – auch oben auf der Wandbank – stehen, verstanden?«

»Natürlich bei den Gläsern!« stimmte Franz zu. »Denn erstens kann dann niemand nach ihnen greifen, um nach uns zu werfen, und zweitens haben wir sie nahe bei der Hand.«

»Versteh' schon, versteh'!« sagte der Stumpe. »Und dann?«

»Dann«, fuhr Schorsch fort, »wenn's not tut, gleich auf und über den Tisch mit den Stöcken drein.«

»Versteh'!« sagte der Stumpe; er war damit völlig einverstanden.

»Und nicht nachlassen; denn wir sind in der Minderzahl, als fort mit den Gläsern und Buddellen und Stöcken drauf, bis alles zum Tempel hinaus ist!«

»Und dann?« fragte der Stumpe.

»Dann tanzen wir mit den Mädchen, die noch da sind, und du, Stumpe, kannst dich über einen Kalbs- oder Schweinebraten hermachen.«

»Sauere Nieren und Selleriesalat«, sagte der Stumpe.

»Alles eins!«

»Und wenn's schief geht?«

»Schief? Warum schief?« meinte Schorsch ärgerlich. »Bürgermeisters Fritz tät am Ende allein fertig werden, und sein Vater hat selbigesmal bei der großen Schlägerei in Oberhofen nur's Kuntzefriedele bei sich gehabt. Freilich, ein Kinderspiel war's nicht. Und schier hätten alle beide durch die Fenster springen müssen; denn die Stiege war voll Spiegelguckern, kein Ausweg mehr. Was tat mein Kuntzefriedele? Schlupfte einem baumlangen Kerl zwischen den Beinen durch in die Küche, hob den siedenden Wurstkessel aus und warf ihn mitten unter den Klumpen von Spiegelguckern hinein. Da hat's Luft gegeben.«

»Ha, ha, hi!« lachte der Stumpe. Solche »alten Mären von Helden lobebären« gefielen auch ihm. »Will mir's merken: mich gleich an den Wurstkessel halten.«

»Hoffen wir, es wird nicht nötig sein«, fuhr Schorsch fort. »Wir wollen ohne Wurstkessel fertig werden. Wenn nur die Stöcke aushalten. Weis', laß mich einmal deinen sehen. – Himmelsakrament, mit dem Stecken da willst du auf die Oberhofener Kirwe zu den Spiegelguckern? Der ist beim ersten Streich entzwei – dann stehst du da!« sagte Schorsch ärgerlich. »Was willst du dann anfangen?«

»'s gibt Stuhlfüß'«, sagte der Stumpe gleichmütig.

»Was gibt's?«

»Stuhlfüß'.«


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