August Becker
Die Nonnensusel
August Becker

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Ein Hochzeitsmaien

Die Braut auf der steinernen Türschwelle ihres elterlichen Hauses war von einer ähnlichen Vorspiegelung wie der frühere Geliebte berückt worden. Während der Geistliche den Wagen bestieg, hatte Susel einen verlorenen Blick über den ihr so vertrauten Raum hingeworfen, den sie zum letztenmal betreten sollte. Da sie nun Schorsch gewahrte, der eben ruhig vom Scheunentor her über den Hof geschritten kam, vergaß sie für einen Augenblick alle Kümmernis des Tages. Es war ihr zumute, ihm sei sie heute angetraut worden, ihn habe sie geheiratet, er sei der Mann und der Herr im Hause, das sie nimmermehr zu verlassen habe, und in dem sie, durch seine Liebe beglückt, auch fürder wohnen dürfe – bis an ihres Lebens Ende.

Dieses Gefühl bemächtigte sich ihres Herzens in so beglückender Weise, daß ihre Augen leuchteten und ihre Wangen flammten. Aber nur für einen Augenblick. Denn als der Kronenwirt herantrat, sie bei der Hand nahm, um sie zu dem Wagen hinzugeleiten, damit sie dem Herrn Pfarrer zum Abschied noch dankend die Hand drücke, da war der schöne Traum vorüber, sie wieder zur nüchternen Wirklichkeit erwacht. Mit frostigem Ernst nahm sie das freundliche tröstende und mahnende Segenswort des ehrwürdigen Mannes entgegen. Nun rollte der Wagen zum Tor hinaus – dasselbe schloß sich wieder – und auch ihr Herz vor jeder weiteren Täuschung über ihre eigentliche Lage. Mit Bitterkeit und Scham empfand sie, daß sie sich noch immer trügerischer Hoffnung hingegeben, daß solche Vorstellung – wenn auch nur vorübergehend – ihren verblendeten Sinn bestricken konnte, nachdem hinter ihr alle Brücken abgebrochen waren und das Tor, das sie von ihren Jugendhoffnungen trennte, unverrückbar in seinen Fugen stand, zwiefach verschlossen und verriegelt, durch ihren Willen nicht wieder zu öffnen.

Dieses Bewußtsein verließ sie auch den ganzen Abend nicht. Und mit aller Entschiedenheit faßte sie den Entschluß, keinen trügerischen Anwandlungen mehr Raum zu geben, keinem süßen Wahn, keiner schmeichelnden Vorstellung und an weiteres jetzt nicht mehr zu denken.

Inzwischen war es dunkel geworden. Man versammelte sich zum Abendschmaus, bei dem nun alle jene Bräuche und Scherze, ohne die eine rechte Bauernhochzeit nicht verläuft, zu ihrem Recht kommen sollten. Auch den Burschen draußen mußte man nach altem Herkommen gerecht werden. Eine Braut, die ihre Heimstätte in einem andern Dorf erhielt, war durch den auswärtigen Bräutigam den Ledigen im Orte förmlich abzukaufen und durch eine bestimmte Summe aus dem heimatlichen Verband zu lösen, wenn man einer Katzenmusik vor dem Haus entgehen wollte. Mit dem Glücksgefühl, das den Kronenwirt heute zu beseelen schien, war er dieser Verpflichtung nachgekommen und hatte mit den heimischen Burschen dabei freundschaftlich verkehrt. Daß er sich als eifriger Freiheitsmann gab, mit auf die »Freiheit« anstieß und sogar in das »Freiheit in unserm Land!« mit einstimmte, hatte ihm die Herzen vollends gewonnen. Und als er nun noch in etwas geheimnisvoller Weise einen großen Hochzeitsstrauß zu Ehren seiner Braut bestellte, nickte man ihm verständnisvoll und die Hand schüttelnd zu, während im Hause der Hochzeitsjubel seinen Fortgang nahm. Um alter Sitte zu genügen, mußte selbst die Köchin mit verbundener Hand erscheinen, welcher Mahnung sich niemand entzog. Ein Teller ging herum für die Trinkgelder, die von Zeit zu Zeit von der Köchin eingesteckt wurden, indem sie dabei zu sagen pflegte: »Nur das Kleine behalt' ich, das Große geb' ich weiter.«

Mittlerweile war auch der Braut der Schuh geraubt worden, um in althergebrachter Weise und mit hundertmal gehörten und dennoch immer wieder belachten Witzen an den Meistbietenden versteigert zu werden. Dabei überboten sich gegenseitig besonders der scheele Hannes, der mit seiner Liesel der Hochzeit beiwohnte, dann der reiche Schwager des Kronenwirts und der lange Jung von Kapellen, dem zuletzt auch die Ehre des Zahlens blieb.

Susel ließ alles über sich ergehen, ohne besondere Teilnahme zu bezeugen. Sie sprach wenig, aß und trank wenig; sie lachte nicht, wenn alle lachten. Sie war die stillste auf ihrer eigenen Hochzeit, wie das ohnehin einer sittsamen Braut gebührt. Während Schorsch sich einige Mühe gab, an der allgemeinen Heiterkeit teilzunehmen, saß Stoffel, vor sich hinbrütend, am Ende der Tafel, wenn er nicht in den Keller ging, um frischen Wein zu holen. Als aber der Jubel über die Brautschuhversteigerung endlich verschollen war, stand er plötzlich auf und rief über die Tafel hin: »Es sei ein wertvolles Taschenmesser abhanden gekommen und ob der, der es im Besitz habe, es behalten, oder ebenfalls zur Versteigerung bringen wolle? Denn einer, der mit am Tisch sitzt, hat es, das ist gewiß.«

Während man, über diese seltsame Unterbrechung erstaunt, Stoffel fragend ansah, stand Schorsch auf und sagte: »Einer hat es, das ist gewiß. Ebenso gewiß ist, daß er es nicht gefunden, sondern genommen hat, mit Gewalt hat nehmen müssen, weil sonst leicht Unfug damit verübt worden wäre. Hier, Frau Groß, ist das Messer – nehmen Sie es in Verwahr, damit heute kein Schaden mehr damit geschieht. Soll es versteigert werden, setz' ich als erstes Gebot einen halben Gulden darauf.«

Juliane hatte das Taschenmesser ihres Sohnes sofort erkannt, aber auch, gleich der Braut, den Sinn von Schorschs Andeutung verstanden, und sie verfehlte nicht, ihr Hausrecht sofort geltend zu machen. Mit einem sehr strengen Blick auf ihren Sohn, erhob sie ihre Stimme: »Hat's noch keine Ende? Mußt du Störung in den schönen Tag bringen? Wer heute unser Gast ist, soll als werter Gast gehalten, geehrt und geschätzt sein. Das mußt du dir ein für allemal merken!«

»Er hat mich am Kragen gepackt!« fuhr Stoffel heraus.

»Still, sage ich«, entgegnete die Mutter mit flammendem Blick. »Mußt gerade du Zwietracht in die schöne Eintracht bringen! Kein Wort will ich mehr von dir hören darüber.«

Schorsch sagte gelassen, er wolle nicht die Schuld haben, daß jemand von der Familie die Freude des Tages nicht ganz teile, und werde, da es ohnehin Nacht geworden sei, sich dankbar für die genossene Gastfreundschaft nun auf den Heimweg machen.

»Nein!« rief der Kronenwirt. »Schorsch, tu' mir das nicht an. Du bleibst, solange wir auch bleiben, fährst mit uns bis Münster, und auch dem lieben Schwager Stoffel wird es einleuchten. Hab' ich recht oder nicht?«

»Meinethalben«, versicherte der liebe Schwager Stoffel. »Was hab' ich davon, wenn er geht!«

Man wäre wohl nicht so schnell über diesen Zwischenfall hinweggekommen, wenn sich nicht im selben Augenblick auch ein Streit oder doch ein heftiger Wortwechsel auf der Gasse draußen erhoben hätte.

»Na, was gibt's denn jetzt wieder da?« sagte der Kronenwirt, der eine der streitenden Stimmen zu erkennen glaubte. Indem er das Fenster öffnete, gewahrte er zu seinem Erstaunen das Blitzen eines Gewehres und Bajonetts und den roten Kragen eines Gendarmen. Das brachte einige Unruhe unter die Gäste. Indes verhielt sich die Sache folgendermaßen:

Der Knecht des Kronenwirts hatte sich in der Stadt einen neuen Peitschenstock gekauft, dann beim Eisenhändler den Striegel und Pferdekamm geben lassen, dabei einen Gruß von seinem Herrn und dem langen Jung von Kapellen ausgerichtet, und – er wisse schon. Hierauf hatte ihm der Eisenhändler ein Paket Zeitungen und Flugschriften in die Ledertasche gesteckt, womit sich der Stumpe denn auch wohlgemut auf den Rückweg machte. Dabei bemerkte er, daß er die Aufmerksamkeit eines Gendarmen erregt hatte, der ihm von ferne noch bei Nacht folgte – durch das Weidfeld über den Kirchberg, über die Wiesen und bis ins Dorf. Hier ließ sich der Stumpe, der für alle Fälle seinen Peitschenstock am dünnen Teil gefaßt hatte, gerade vor dem Hochzeitshaus noch erwischen.

»Was hast du in der Tasche?« fragte ihn der Bewaffnete.

»Geht dich nix an!« sagte der Stumpe gelassen.

»Ich will dir's zeigen! Und mich duzen?«

»Wie mir, so dir!« erwiderte der Knecht ruhig.

»So tu' Er heraus, was Er in seiner Tasche hat, sag' ich.«

»Nichts Verzollbares!« entgegnete der Stumpe.

»Her mit der Tasche!« schrie der Gendarm.

»Nit ums Verrecken!« sagte er. Und wenn der Stumpe einmal diese Versicherung ausgesprochen, so ließ er sich eher in Stücke hauen, als daß er seinen Vorsatz aufgab. »Himmel Sakrament!« fügte er hinzu. »Wenn Er mir nehmen will, was meinem Herrn gehört, treib' ich Ihm doch vorher den Tschako bis an die Kniekehle ein. Läßt Er jetzt los oder nit?« schrie der Stumpe, worüber der Kronenwirt das Fenster öffnete.

»Was hat denn der Gendarm da mit meinem Knecht?« fragte er laut, und auch Vetter Jokeb, ein gewichtiger Mann in der Gemeinde, rief nach dem Büttel, der sich in der Nähe befand.

»Darf denn das sein?« fing er an. »Nicht einmal am Hochzeitstag ist man sicher vor den Übergriffen dieser Leute. Ruf einmal den Bürgermeister herbei, damit er uns Ruhe verschafft vor dem Gendarmen da!«

Dem Polizeisoldat war Vetter Jokeb als einer der großen Eigentümer und einflußreichsten Leute in der Gemeinde nicht unbekannt, und er befürchtete, daß er in seinem Eifer zu weit gegangen war. Er hatte den stämmigen Blaukittel, den er aus der Eisenhandlung hatte kommen sehen, für einen der gewerbsmäßigen Vertreiber revolutionären Zeitungen und Schriften gehalten, und wollte sie ihm abjagen, wie ihm geboten war. Wohl bemerkte er, daß hier, wie überall, die öffentliche Meinung sich gegen ihn wandte. Zu seinem Glück waren die ledigen Burschen für den Augenblick nicht in der Nähe, sonst wäre es ihm leicht übel ergangen.

Wie sich erwies, hatte der Gendarm nicht einmal so unrecht gehabt. Unter dem Striegel- und Pferdekamm in der ledernen Tasche fand sich in der Tat ein Paket, das nicht bloß die verbotene »Tribüne«, sondern auch die »Menschenrechte« von 1792 und andere aufreizende Schriften enthielt. Die Männer stellten sich zusammen, der Schulmeister las die schärfsten Sätze vor, und – man war nichts weniger als empört über die schneidigen Ausführungen. Der Geist des Aufruhrs ging damals im Lande durch alle Klassen. Die Enttäuschung der Nation und die Mißachtung der gerechten Forderungen des Volkes von seiten der Regierenden waren zu grell vor Augen getreten, als daß sich nicht jeder gesunde Sinn dagegen hätte auflehnen müssen. Dieselbe Nacht sollte noch zeigen, wessen die Gemüter bereits fähig waren, wenn auch nur in einem kleinen Vorspiel des Dramas, das sich sieben Wochen später von der Süd- bis zur Nordgrenze des Landes, in allen Weinorten längs des Gebirges in einer schönen Mainacht abspielte.

Tief in die Nacht hinein hatte man im Hochzeitshause gegessen und getrunken, als ob man den Tag über noch keinen Bissen über die Lippen gebracht habe. Allmählich jedoch war man des Verzehrens müde. Der lange Jung fing schon an, vom Heimfahren zu sprechen, weil er heim müsse, und man möge es ihm nicht übelnehmen, worüber sein Freund sich bückend und auf der Ferse drehend jedesmal in ein ungeheures Gelächter ausbrach. Männer und Frauen begannen sich gruppenweise zu unterhalten; jene über Politik und kirchliche Angelegenheiten, diese über Haushaltungsgegenstände, als plötzlich einige der jungen Mädchen, die bei Tisch aufgewartet hatten, die Tür aufrissen und in großer Aufregung schrien: »Sie kommen! Sie bringen ihn!«

»Wer kommt?« rief Bas Philippine erschrocken.

.Wen bringen sie?« fragte Juliane.

In demselben Augenblick erscholl auch schon rauschende Musik, worüber Susel um so mehr erstaunt war, als sie sich zu ihrem Hochzeitstag Tanz und Musik, obwohl man solche im Ort selbst besaß, ausdrücklich verbeten hatte.

Gleichzeitig drang heller Jubel und Gesang durch die Fenster herein:

»Freiheit in unserm Land,
Freiheit im ganzen Land!«

Im Nu waren die Fenster geöffnet, ebenso rasch besetzt, während die jüngeren Männer hinauseilten, um an dem aufregenden Vorgang Anteil zu nehmen.

Eben kamen Hanjergs Rappen zum Vorschein. An dem leichten Handwagen, der den Herrn Pfarrer heimgebracht hatte, hing der Stamm einer Tanne in Ketten, deren Astteile von singenden Burschen in Seilen und Tragbändern geschleppt wurden und schon einen reichen Schmuck von bunten Bändern trugen, welche die in langen Reihen nachfolgenden Mädchen beider Orte bereits an die grünen Zweige geheftet hatten.

»Hierher, hierher!« rief eine Stimme draußen im Getümmel.

Im Nu schlugen, unmittelbar vor dem Hochzeitshause, Pickel und Hacken in den Boden, um rasch ein tiefes Loch zu graben.

»Heraus, wer Bänder hat, den Baum der Freiheit zu schmücken!« rief dieselbe Stimme wieder. Es war ein Mann in hellem Gewande.

Und jetzt drängten die Brautjungfern mit der Braut hinaus, die alle ihre bunten Hochzeitsbänder zur Zier des Freiheitsbaumes willig hingaben. Selbst die sonst so ruhige Liesel eilte heim, um ihre Bänder herbeizuschleppen, während ihr Mann, der scheele Hannes, und andere mit Stoffel auf den Speicher des Hochzeitshauses eilten, um den Baum, sobald der Ruf ertönte, mit Seilen aufzurichten und am Giebel zu befestigen.

»Setzt ihn ein!« rief draußen die Stimme wieder durch das Getümmel.

»Es ist geschehen, Herr Doktor!« erwiderte ein anderer. »Man soll nur oben ziehen!«

»So richtet ihn auf! Höher, höher! So. Oben fester! Stampft unten herum Erde! So. Nun gut!« Der Mann im lichten Gewande schwang den Hut. »Es lebe die Freiheit!«

Ein Hoch ertönte unter Flintenknall in der Gasse und zu allen Fenstern heraus, indes die Burschen ihre Gewehre aufs neue luden.

»Und nun«, fuhr der Mann im hellen Rock fort, »habe ich noch eines zu sagen. Die harmlosen Zeiten, wo bei Frühlingsbeginn unsere Altvordern Maien setzten, sind für uns vorüber. Den Freiheitsbaum pflanzen wir als Beginn des Völkerlenzes. Diese junge Tanne, mit Brautbändern geschmückt, steht aber auch zur Ehre und zum Gedenken derjenigen, die uns heute an ihrem Hochzeitstage verlassen wird. Möge sie in der neuen Heimat auch unserer in der alten Heimat gern gedenken! Braut Susanne lebe hoch!«

In den Jubelruf krachten Flinten und Pistolen, die nun immer wieder aufs neue geladen wurden, um in die frische Märznacht hinein zu knallen.

»Herr Doktor Flax«, sagte der Kronenwirt, »ich bin Ihr Freund, seien Sie auch der meinige! Nicht wahr?« Und dann umarmte er ihn und leerte auf die neue Freundschaft einen ganzen Schoppen.

»Und nun, Susanne?« fragte Dr. Flax die Braut, als er ins Haus zurückgekehrt war, »wird Ihnen der große Hochzeitsmaien, den wir Ihnen gepflanzt haben, wirklich eine Mahnung sein, unserer in Freundschaft auch im neuen Heim zu gedenken?«

Sie reichte ihm die Hand und sagte bloß: »Es wäre auch ohnedies geschehen, lieber Herr Doktor!«

Im nächsten Augenblick rauschte schon die Musik durch die Stube, aus der man Tisch und Stühle geräumt, und im Nu begann das Tanzen, obwohl es sich Susel verbeten hatte. Jetzt, wo selbst ihre Mutter noch einen Schleifer mit dem Schwager des Kronenwirts walzte, konnte es auch die Braut, von älteren Männern aufgefordert, nicht mehr verweigern. Susel tanzte einige Male mit den Verheirateten, auch mit dem Vetter Jokeb, worauf sie von dessen Frau, der guten, sanften Bas Margaret schweigend ans Herz gedrückt und geküßt wurde. Susel tanzte dann auch einmal mit ihrem Bräutigam, mit dem Hannes, aber mit keinem Ledigen – auch nicht mit Schorsch.

»Nein! Das ist jetzt vorüber, ich tanze nur noch, mit wem ich muß«, sagte sie, als Schorsch um einen Tanz bat.

»Du willst nicht mit mir tanzen, Susel?«

»Nein, nicht mehr!«

Verletzt zog er sich zurück, mit dem bestimmten Vorsatz, sich nicht länger aufhalten zu lassen. Er war hier überflüssig. Niemand vermißte ihn, wenn er ging. Es war ja auch schon spät genug – elf Uhr nachts, draußen auf der Straße jedoch noch viel Leben um den Freiheitsbaum. Denn auch aus Pleisweiler waren die jungen Leute herbeigeströmt, um dem Freiheitsbaum zuzujauchzen und nach dem Takt der Musik vor ihm selber zu hüpfen und zu tanzen oder die damals auftauchenden Freiheitslieder zu singen.

Susel tanzte nicht mehr. Ihr Bräutigam hatte sie beiseite gezogen und ihr zugeflüstert: »Es ist Zeit!«

Nun stand sie draußen im Flur, nur von den Vertrauten des Hauses umgeben, tief in ein Halstuch gewickelt und in einen Kapuzenmantel gehüllt, den ihr noch die Mutter gebracht hatte. Sie fröstelte. Kein Wort sagte sie zu den geflüsterten Scherzreden.

Unterdes war Schorsch unbeachtet, und selbst auf nichts mehr achtend, hinausgegangen. Im Hof stand zur Abfahrt ein leichter, mit Füchsen bespannter Landwagen bereit, dessen Sitz mit Teppichen und Kissen reich belegt war; derselbe Wagen, in dem der Kronenwirt seine junge Frau heimbringen wollte, während seine Kinder, unter Obhut der alten Aplone bereits in einem entlegenen Zimmer schlafend, einige Tage bei der »neuen Großmutter« zubringen sollten.

Schorsch wollte sich unbemerkt vorüberdrücken, als ihm der Stumpe, sein Vorhaben durchschauend, zurief: »Nur noch ein bißchen warten. Wir fahren gleich!«

Doch einigermaßen froh, dem Trubel entronnen zu sein, schlüpfte Schorsch durch die Eingangspforte, an Gruppen froher Menschen auf der Gasse vorüber, zum Dorf hinaus, ohne noch einen Blick nach dem Freiheitsbaum zurückzuwerfen, und ohne den Wunsch nach weiterer Begegnung. Doch waren für ihn die Erlebnisse dieser Nacht noch nicht zu Ende.


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