August Becker
Die Nonnensusel
August Becker

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Familienrat

Die Zeit der längsten Nächte und der kürzesten Tage war gekommen. Samstagabends, da man schon mit Beginn der Dämmerung die Rädchen weggestellt und nach dortiger Sitte nicht mehr spann, sondern anderen häuslichen Arbeiten oblag, wurde in der »Freundschaft« der Juliane Groß umhergeschickt, man möge doch auf Sonntagnachmittag sich zu einer Tasse Kaffee und einem Glase Wein bei ihr einstellen. Also um einen Familienrat handelte es sich wohl. Aus welchem Anlaß, zu welchem Zweck? Daß es sich um eine wichtige Angelegenheit handelte, verrieten die getroffenen Vorbereitungen. Tassen und Teller, mit Sinnsprüchen und Blumen schön bemalt, standen umher, spitz zugeschnittene Kuchenstücke dufteten auf den Porzellantellern. Und die Tochter des Hauses ging still und bleich ab und zu; sie wußte, um was es sich handelte.

Sie hatte darauf gehofft und gerechnet, daß, wenn der Geliebte von der Unwahrheit seiner falschen Voraussetzungen überzeugt würde, auch sein Herz sich ihr wieder ganz zuwenden würde. Von Tag zu Tag hatte sie nun auf eine geheime Botschaft oder nur auf ein begütigendes Wort, einen Wink gewartet. Doch weder Borich noch sonst jemand hatte bis jetzt gebracht, wonach sie sich sehnte.

Nun – es konnte noch kommen, es mußte ja kommen. Es war ja nicht möglich, daß er eines Mißverständnisses wegen sein Gelöbnis vergaß; und wenn es ihn auch hart getroffen hatte, so hoch stand ihr das Leben nicht im Wert, um es im Notfall für ihre Liebe hinzugeben. Für ihn zu leiden, war ihr selbst keine Qual.

Nun war samstags zum Mittagstisch ganz unerwartet ein ansehnlicher und willkommener Gast im Hause der Frau Juliane eingekehrt, – reiche Leute sind auf dem Lande immer angesehen und willkommen. Er war auf dem Wege nach Weißenburg, hatte dort ein Geschäft, sagte er, – er wolle vielleicht Geld beim Böll anlegen, blieb über Tisch und verhandelte dann eine Viertelstunde lang mit der Mutter, Großmutter und dem Stoffel, deren Interesse in der betreffenden Angelegenheit noch immer innig zusammenging. Es war der Mann der kinderlosen Bas Philippine und hatte sich einer Anfrage um die Tochter des Hauses für seinen Schwager, den Kronenwirt, unterzogen. Frau Juliane, im ganzen geneigt, hatte sich immerhin Bedenkzeit erbeten. Doch der Mann hatte kurz und einleuchtend dargetan, daß da wenig zu bedenken sei, und beim Fortgehen noch erklärt, daß er morgen, Sonntag abends, auf dem Rückweg wieder einzukehren und Bescheid und Antwort abzuholen gedenke.

Das war der Anlaß zu dem auf Sonntag zusammenberufenen Familienrat, der durch die Wucht und Würde seines Ansehens und die Wichtigkeit des Zweckes überwältigend auf das etwa noch widerstrebende Gemüt wirken und alles Sträuben als Torheit erscheinen lassen sollte gegenüber den Vorteilen einer Verbindung, wie sie hier geboten war. Es war ja auch unmöglich, einer Anfrage gegenüber, die durch einen solchen Mittelsmann gestellt wurde, anders als bejahend zu antworten.

So waren denn alle Geladenen schon gleich nach Mittag erschienen, um in die Beratung einzutreten. Man hatte auch bereits den Kaffee getrunken, aß nun Kuchen, trank von dem besten Wein im Keller, hatte erfahren, worum es sich handelte, und, um die Entscheidung zu treffen, mußten die Verhandlungen nun auch zu Ende geführt werden.

»Und da wir einmal so weit sind«, fing Vetter Jokeb an, indem er sein geblümtes Brusttuch über seinen Bauch zog und den Kopf aufrichtete, »müssen wir es auch zu End' führen. Wie steht es denn, Susel? Wir sind hier zusammengekommen, um das Ansehen der Familie zu wahren und zu fördern. Was sagt denn nun die Susel dazu? Setz' dich einmal hierher, auf den Stuhl da, und gib Bescheid. Was sagst denn du zu dem schönen Antrag?«

»Nichts, Vetter.«

»Das ist recht wenig oder recht viel, je nachdem«, bemerkte der gewichtige Mann nach einer Pause. »Du meinst, du habest nichts einzuwenden gegen den schönen Antrag?«

»Alles!« sagte Susel bestimmt.

»Wie? Du willst nichts davon wissen?«

»So ist's, Vetter.«

Eine Pause trat ein. Lippen wurden verzogen, Blicke umhergeschickt, Hände erhoben, als wisse man nicht, was man dazu sagen sollte. Endlich wurde das Schweigen durch ein altes Männchen mit hirschledernen Kniehosen, aufgedunsenem Gesicht, lächelnder Miene und wackelndem Kopf unterbrochen. »Da wären wir ebbe schon am End'«, sagte das Männchen, hob mit zitternder Hand sein volles Glas, daß man meinte, es verschütte dessen ganzen Inhalt; und doch vergoß er keinen Tropfen, sondern brachte langsam den Rand zu seinen Lippen und goß den Wein behaglich in die Kehle.

»So schnell wirft man den Dreschflegel nicht ins Stroh«, ließ sich die Großmutter vernehmen. »Wenn eine Gans den Weg in ihren Stall nicht finden will, hilft man ihrer Dummheit mit einer Gerte nach.«

»Dann hätte man schon manchmal hinter dir ebbe mit der Peitsche her sein müssen, Evekäth«, sagte der weinselige Vetter.

»Schweig', Ebbe«, versetzte die alte Frau boshaft, »bei dir spukt's schon wieder.«

»Meinst ebbe, ich geh' um bei lebendigem Leib, wie ebbe du?«

Die Großmutter fuhr auf wie eine Viper. Aber, rasch besonnen, wandte sie verächtlich den Kopf ab: »Alter Saufaus!« Es war ihr die Erwägung gekommen, daß bei einem Streit um Nebendinge nichts herauskomme, und bei diesem Bescheid Susels durfte man es doch nicht bewenden lassen. Wenn sich die Jäger streiten, kommt das Reh davon.

»Aber«, fing Vetter Jokeb wieder an, »was soll es denn nun werden? Was will denn die Susel eigentlich? Es wäre doch endlich Zeit, uns klaren Wein darüber einzuschenken.«

»Frag« sie selber«, sagte Frau Juliane mit rotem Kopf. »So ist sie schon seit Barthelmä.«

»Was also, Susel, hast du denn eigentlich vor?« wandte sich das anerkannte Haupt der Verwandtschaft an das junge Mädchen. »Du wirst doch nicht mehr an den Münsterer denken! Die Torheit solltest du dir doch schon aus dem Kopf geschlagen haben, Susel. Ein so großes und so verständiges gescheites Mädel.«

»Sie ist darin rein einfältig«, sagte Juliane.

»Ja«, sagte Susel, »so einfältig bin ich, daß ich mich nicht willenlos verhandeln lassen will. Ohne Neigung nehm' ich keinen! Ich laß mich nicht zwingen!«

»Dir wird wohl ein Würstel gebraten«, nahm jetzt ihre Halbschwester Eve das Wort, die still und etwas vergrämt dagesessen war, während mehrere ihrer Kinder lärmend aus- und einliefen. »Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Mir ist's auch nicht besser gegangen; ich hab' nehmen müssen, wen man mir gegeben hat.«

Susel sah darüber die Schwester an: »Und bist du glücklich?«

»Glücklich? Wie du daher redest«, war Eves Antwort. »Lieber Gott! Man kommt doch nicht auf die Welt, um glücklich zu werden. Hör einer! Was das anbelangt, es fehlt mir ja soweit nichts, als das bißchen auf der Brust« – sie hustete wieder. »Man hat sein notdürftiges Auskommen, hat seine Familie. Ich hab' meine Kinder gern, meine Plag damit und Arbeit genug. Die Zeit vergeht und keine unnützen Gedanken kommen einem. Man wird älter, plagt sich, sorgt sich, hat aber auch wenigstens so viel zum leben, daß man nicht gerad' zu hungern braucht, in den schlechten Zeiten. Und bringt man nichts vorwärts, so geht doch nicht alles zugrund. Wer allfort mit den Schollen zu tun hat, kann einen nicht wie Safran anfassen. Und wenn's zuweilen zu arg kommt, na, du lieber Gott, schlimmer als einem Stück Vieh, das unter's Messer kommt, kann's einem auch nicht gehen. Man stirbt doch wenigstens in seinem Bett – den Trost hat unsereins!«

Susel hatte das Glück ihrer Zukunft auf dem Satze aufgebaut: »Die Liebe überwindet alles.« Jetzt wäre Gelegenheit gegeben gewesen, aus der Befangenheit, welche die Gewohnheit schafft, herauszutreten und mit den Paulinischen Worten von der Liebe zu sagen, daß sie alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, alles duldet. Allein sie wußte, daß sie ausgelacht worden wäre. Solche Dinge verträgt der Bauer nur von der Kanzel, in der Kirche, wo Salbung und Pathos ihm zur Weihe des Gottesdienstes nötig erscheint.

»Und was das betrifft«, nahm wieder die Großmutter das Wort, während sie ein Stück Zimmtkuchen in ihr Weinglas tunkte, »was das betrifft, so gibt es ja Exempel von Beispielen genug, wie es geht, wenn junge Leute nach ihrem Willen, sich in den Ehestand begeben und diejenigen, so es hindern sollten, zu schwach sind und durch die Finger sehen tun. Auch Wagmüllers Dorothee und ihr Mann leben nicht gut miteinander, hört man.«

»Die haben doch ebbe nichts voneinander wissen wollen!« warf der alte Vetter ein, der wieder an seinem Glase schlürfte.

»Ah, was, Ebbe, jahrelang sind sie einander nachgelaufen, und leben jetzt wie Hund und Katz.«

»Vernunft muß bei einer Heirat sein und erfahrener Leute Rat!« ergriff jetzt wieder Vetter Jokeb das Wort. »Denn nur die wissen, was auf die Dauer zusammenpaßt. Gleich und gleich gesellt sich gern. Gesetzt den Fall, es kommen zwei Maltersäcke zusammen, der eine voll Kronentalern, der andere voll Pfennigstücken, Sous oder Kupferkreuzern, mischt man sie untereinander, so gibt das nur ein Durcheinander, nie die gute Mischung, wie etwa dann, wenn man zwei Säcke voll Kronentalern mischt. Die kann man rütteln und schütteln, ausschütten und wieder in den Sack tun, – es merkt's keiner, was zu dem, was zu jenem Sack gehört hat. Es ist ein großer Sack. Auf den läßt sich Eheglück sicher bauen, das ist fester Grund.«

»Da hat der Vetter Jokeb recht«, fiel Jerg, Evens Mann, ein. »Eine arme kann einem grad' so ärgern wie eine reiche.«

Susel aber meinte, an das Wort des Apostels von dem tönenden Erz und der klingenden Schelle erinnern zu müssen, und daß ein Maltersack voll Kronentalern ohne Liebe doch ein Marterbrett sein könne. »So manche«, setzte sie hinzu, »hat schon bereut, daß sie nicht am Altar noch zurückgetreten ist. Darum fragt der Pfarrer, ob man will. Wer nicht will, sagt's. Einmal Nein vorher ist besser als tausend Nein nachher.«

»Nein«, tadelte die Mutter, »du bist und bleibst eine Trine!«

»Ein verzogenes und verwöhntes Ding ist sie!« schalt Stoffel vom Ofen her, »die meint, es müsse alles gehen, wie sie's haben will! Glück?! Dir wird's wohl auf einem Tellerchen gebracht, dir, weil du's bist. Aber wart', man wird dir's schon zeigen, dir!«

»Sei nur du still!«, sagte Susel.

»Aber so kommen wir nicht weiter«, meinte der stattliche Vetter. »Was hoffst du, was soll's mit dir werden, Susel? Die Leute fangen an, sich darüber aufzuhalten. Die meisten in deinem Alter sind schon verheiratet, jetzt auch die Liesel, und du bleibst ledig. Müßt denn gerade ihr den Leuten immer was zu reden geben? Wie du dir's denkst, geht's nicht. Daraus kann nun einmal nichts werden. Das mußt du doch einsehen, daß du den Schorsch nicht nehmen darfst!«

»Ah, er will sie nicht einmal!« rief Stoffel. »Nein, nichts, gar nichts macht er sich aus ihr, und sie ist so einfältig, sich ihm an den Hals zu werfen. Schämt man sich denn nicht, wenn man hören muß, daß unsere so dumm ist, am Andreasabend unbeschrien in die Kuckuckshütte und auf den Hexenplatz hinaufzulaufen, um zu erkennen, ob er ihr blüht!«

Susel wechselte die Farbe, wurde dann immer bleicher. Ihre Blicke hefteten sich an den Boden, während die anderen sich gegenseitig kopfschüttelnd ansahen.

»Aus lacht er sie«, fuhr Stoffel fort, um die hervorgebrachte Wirkung noch zu verstärken. »Lustig macht er sich, wenn er davon hört, daß sie nicht Scheu und Scham hat, alles daransetzt, den guten Namen und die Ehr der Familie und alle Reputation. Was hat er gesagt: ›Ach, von der will ich doch nichts mehr wissen, die ist mir zu einfältig!‹«

»Das ist nicht wahr!« rief Susel, von ihrem Stuhl aufspringend.

»Doch ist's wahr. Was hab' ich davon, dir was vorzulügen! Himmel Donner! Wahr ist alles, was ich gesagt hab. Bist du nicht in der Kuckuckshütte gewesen? Nicht auf dem Hexenplatz? Leugne es, wenn du's Herz hast!«

Susel stand bleichen Gesichts mit niedergeschlagenen Augen, die Hände auf der Brust. Sie konnte das nicht in Abrede stellen. Indes fuhr der Bruder fort, sich in den Zorn immer tiefer hineinzureden. »Ein Schimpf und eine Schande ist's, was man jetzt alles zu hören kriegt, noch vom Purzelmarkt her. Aber ich treib dir's aus. Tot schlag' ich dich eher, als –«

»Ja«, rief Susel, »das ist dein Handwerk. Niemand als du und noch eine, die ich nicht nennen will, ist statt meiner in den Garten geschlichen. Niemand als du – vorm Gericht will ich's bezeugen, hat den Mordstreich geführt am Hollerbusch.«

»Um Gottes willen«, rief die Mutter, »sie weiß nicht mehr was sie redet.«

»Nur noch ein bissel ärger kreischen«, fiel die Großmutter ein. »Drei Häuser weit tut man's hören. Die Leut' bleiben stehen.«

»Sie gesteht's ja ein«, triumphierte Stoffel, »sie gesteht's, daß sie ihn an den Hollerstock bestellt hat.«

»Susel«, prüfte der Vetter Jokeb »ist das wahr?«

Stoffel war nun einmal im Eifer des Redens: »Und so läuft sie dem Menschen nach, der nicht viel mehr hat, als sein bissel Maul und seinen Küferschlägel, und mit einer ganz anderen geht.«

»Es ist nicht wahr!«, entgegnete Susel.

»Nur zu wahr. Schon auf dem Bergzaberer Markt hat er mit ihr getanzt. Und auch zu dem Schäfer Abraham hat er gesagt, er wolle nichts mehr wissen von einer, die – einen solchen Vater gehabt hat«, fügte Stoffel mit gedämpfter Stimme hinzu.

»Es ist ja nicht wahr!« schrie Susel auf. »Wie kann er so von meinem Vater reden?«

Stoffel ging statt einer Antwort an das Fenster, das in den Hof ging, und öffnet es hastig. Draußen stand plaudernd ein Mann in langem Zwilligmutz und breitrandigem Schäferhut bei Hanjerg. »Abraham! Kommt einmal herein!« Stoffel warf das Fenster wieder in die Fugen, daß die Scheiben dröhnten, und fügte hinzu: »Es wird sich gleich zeigen.«

»Guten Tag beisammen«, sagte der Schäfer.

»Setzt Euch! Trinkt eins, Abraham!« meinte Stoffel leutselig, indes er ihm einschenkte.

»Gesundheit allerseits.«

»So«, begann dann Stoffel sein Examen. »Nun sagt frei heraus: Wann ist unsere Susel bei Euch gewesen?«

»Unsere Susanne? Das wird so am Andreasabend gewesen sein, wenn Gott will, gewissermaßen.«

»Was hat sie von Euch gewollt?«

»Das werden wohl die Quesen im Hirn gewesen sein, gleichsam.«

»Die Mutter hat mich geschickt wegen der kranken Schafe«, schaltete sich Susel ein.

»Ja, ja, das wird schon so sein«, bestätigte auch Juliane.

»Und sonst hat sie nichts begehrt?« fuhr Stoffel fort. »Ihr dürft ehrlich und offen herausreden, Abraham.«

»Sie hat ihren Schatz zitieren lassen wollen, insofern.«

»Und damit, Abraham, gibst du dich ebbe ab?« fragte der Vetter unmutig.

»Mitunter.«

»Und er ist gekommen?« forschte Stoffel.

»Gestern mittag ist er gleichsam draußen am Heerweg an mir vorüber, wie ich wegen des trockenen Wetters wieder einmal die Herde ausgetrieben, sozusagen.«

»Habt Ihr mit ihm gesprochen?«

»Weiter nichts, insofern, als daß er mir abgewunken und zugerufen hat: Ich will nichts von ihr wissen, schon wegen ihres Vaters, gewissermaßen.«

Susel rang die Hände und sah von einem zum anderen, während man den Schäfer wieder entließ.

»Ach Gott, er verachtet das Andenken meines Vaters!« rief sie in halber Verzweiflung. »Warum denn?«

»Warum?« gab Stoffel zurück. »So, du fragst noch? Meinst du denn, ich, als dein Bruder, hab's nicht wie oft hart genug fühlen müssen, daß die Leute von uns reden dürfen?«

»Aber was denn? Was können sie denn wissen, wenn ich nichts weiß. Du lügst, ja, du lügst! Wenn man etwas zu reden hat, so ist es über dich, meinen sauberen Bruder. Meinst du denn, ich hab's vergessen, daß sich einmal ein braves Mädchen mit dem Heuhacken hat wehren müssen? He, auf solchen Bruder darf ich stolz sein!«

Stoffel stieß fluchend beide Hände in die Taschen, wandte den Kopf ab, kehrte sich gegen ein Fenster, und dann in äußerster Wut, flüchtig, hastig wieder gegen die Schwester.

»Ah, Geschwätz! Kreuzheilig Donnernochmal! Muß ich mir's denn gefallen lassen? Du – ja, guck mich nur an! Du hast freilich noch einen Bruder, der dir vielleicht lieber ist, schon weil er betteln geht! – So, jetzt ist's heraus.«

Susel war zurückgefahren, wie vom Blitz getroffen. Totenbleich war sie geworden, und auch alle Anwesenden durchrieselte ein Schauer und ein Grauen. Nur die Großmutter, deren Blicke ihren Enkel aufgemuntert hatten und ihm auch jetzt beizustimmen schienen: »Das war recht! sag's ihr nur!« blieb unerschüttert. Indes hatte Susel sich nicht länger aufrecht zu halten vermocht und war auf den Stuhl zurückgesunken. Ihre Augen gingen angstvoll umher, als sie mit schwacher Stimme fragte: »Was hat er gesagt, es ist doch nicht wahr? Mutter, Mutter!« bat sie flehentlich, »was meint er? Gelt Mutter, es ist nicht wahr?«

Doch auch die Mutter konnte nicht leugnen, wenn sie auch sichtlich aufgebracht und, vom Zorn übermannt, sich gegen den Sohn wandte, der mit den Händen in den Taschen, ihr den Rücken herkehrend, unempfindlich gegen der Mutter leisen Tadel am Fenster verharrte.

»Mußt du, alter Lawu«, begann sie mit einem in jener Gegend für einen tölpischen, unzurechnungsfähigen Menschen gebräuchlichen Ausdruck, »jetzt mit der Tür ins Haus fallen! Still sag' ich!« rief sie, da der Gescholtene frech antworten wollte.

»Ja, natürlich, da soll die Wahrheit nicht an den Tag kommen«, fing jetzt die Großmutter an. »Über meinen Adam kann man sagen, was man will: aber über den Henrich, o Gott, nein! Und das Susele darf nichts hören, 's könnt dem lieben Kinde weh tun.«

»Es ist heraus, gut!« meinte Jerg. »Einmal muß dergleichen doch gesagt werden. Über mich redet auch, wer will und ich muß es mir gefallen lassen. Also!«

Indes waren in Susels Augen alle Tränen erloschen. Niemand im Zimmer hatte einen Zug im Gesicht, der eine Hoffnung übrig ließ, daß Stoffels Aussage eine Lüge war. Im Gegenteil, jede Miene, jede Gebärde, jede Äußerung bestätigte, was sie gehört und wovon Wort für Wort mit verzehnfachter Wucht gleich Hammerschlag auf sie gefallen war. Was ihr das Heiligste war, das Andenken ihres Vaters, war damit getrübt und befleckt. Es war dies das Härteste für sie, härter noch als die Untreue, die Absage. Nun war ihr klar, er hatte einen Grund, von ihr zu lassen, sie nicht mehr zu wollen. Dieser Schlag hatte all ihren Mut gebeugt, ihre Kraft zum Widerstand gebrochen, ihren Mädchenstolz niedergeworfen. Betäubt von dieser letzten Erfahrung saß sie da, ein Bild trostloser Verzweiflung.

Jetzt erst stand Bas Margaret, die während der ganzen Verhandlungen geschwiegen und mit keinem Wort sich in den Streit gemischt hatte, auf und trat zu Susel hin. »O du armes Kind! Fasse dich, nimm dich zusammen! Das Leben gewöhnt an vieles und überwindet auch das bitterste Herzeleid.«

»Bas, Bas!« jammerte Susel, warf sich der stillen guten Frau in die Arme und hielt sie fest umschlungen.

Tante und Nichte hatten sich gefunden in diesem Augenblick. Ein längst beruhigtes, still gewordenes Herz, und ein junges, im herbsten Schmerz verzweifelndes schlugen da zusammen. Dann gingen sie hinaus.

»Wir müssen's fertigkriegen«, sagte die Großmutter. »Jeden Augenblick kann er zurückkommen, der Vetter, und was sagen, wenn man nichts Gewisses weiß. Da, da führt sie sie auch noch fort!«

»Laßt sie, laßt sie!« meinte Vetter Jokeb beschwichtigend.

Während nun die beiden leise Worte und heiße Tränen in Susels Kämmerlein tauschten, ging unter den Zurückgebliebenen der Meinungsaustausch über das Vorgegangene vor sich. Stoffel mußte einige böse Bemerkungen von Vetter Ebbe hören, machte sich jedoch nichts daraus, sondern zuckte mit den Schultern, während die Großmutter seine Verteidigung übernahm, so daß es zu einem heftigen Wortwechsel kam.

Eine Viertelstunde war verflossen, und man fing in der Umgebung der Juliane wieder an, unruhig zu werden und besorgte Blicke nach der Tür zu werfen, durch die jeden Augenblick der für den Kronenwirt freiende Vetter eintreten konnte, als Bas Margaret mit Susel zurückkam; jene mit geröteten Augen, diese bleich und, wie man zu sagen pflegt, auf den Tod gefaßt.

»Nun, Susel«, fragte teilnahmsvoll der stattliche Vetter, »hast du deiner Mutter nichts zu sagen?«

Flüchtig sah sie ihn an, dann trat sie mit niedergeschlagenen Augen näher. »Mutter«, sagte sie leise, »ich hab' mich drein ergeben.«

Der Vetter Ebbe hustete und räusperte sich und fuhr sich dabei mit den Fingern über die Augen, während Stoffel bemerkte: »Sie ist mürb.«

»Verdammter Lümmel!« knirschte Vetter Jokeb, und auch Schwester Eve hatte nur Blicke der Verachtung für ihn. Nur die Großmutter nickte geheimnisvoll lächelnd in ihrer gewöhnlichen Haltung – mit den Händen unter der Schürze.

Frau Juliane war von ihrem Stuhl aufgefahren. »Du willst also« Susel? Ich darf dem Kronenwirt das Jawort geben?«

»Ich nehme, wen Ihr wollt, Mutter.«

»Aha!«

Juliane fuhr herum und schrie ihren Sohn an: »Schweig, du Moloch!« Dann eilte sie mit einem Anflug wahrer Rührung auf die Tochter zu, nahm deren Kopf in ihre Hände und druckte ihn an sich. »Du bist ja doch ein gutes Kind und eine folgsame Tochter!« sagte sie und war jetzt die Güte und die Liebe selbst, von überfließender Zärtlichkeit. »Ach ja, so ist doch noch alles gut gegangen und hat ein glückliches Ende genommen. Du bist ein verständiges Kind, mein Susele!«

»Mutter, Mutter!« jammerte Susel kaum vernehmlich. Doch die Mutter verstand die Tochter nicht und sagte: »Weine, wein' dich aus, mein Kind! Jede weint, das gehört sich nicht anders. Weine nur, Susele!«

Als der Schwager des Kronenwirts auf dem Rückwege von Weißenburg wieder in Oberhofen einsprach, empfing er die Zusage, daß die Bewerbung angenommen sei. Freudig nahm er sie entgegen.

»Es soll ein Wort sein!« sagte er, in die Hand einschlagend und, ohne sich noch länger aufzuhalten, eilte er weiter, um die Glücksbotschaft noch am nämlichen Abend ins Haus seines erwartungsvollen Schwagers zu bringen. Vetter Ebbe aber schlürfte und trippelte in der Dämmerung über die gefrorene Straße nach seinem Häuschen am Dorfeingang von Pleisweiler.

»Auf die Hochzeit freu' ich mich«, sagte er immer wieder zu sich selbst, »wenn sie ebbe zustande kommt. Das wird ebbe eine lustige Hochzeit! darauf freu' ich mich!«

Und damit wischte er sich einmal über das andere Mal die roten verquollenen Äuglein.


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