August Becker
Die Nonnensusel
August Becker

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11

Im Spätjahr

Mit Beginn der Ernte hieß es wieder: Hafer in die Krippe! Die Gäule müssen an die Arbeit! Und auch die Menschen mußten es. Man hatte keine Zeit auf anderes zu achten, dachte nur daran, Heu zu mähen, Korn heimzuführen, Spelz, Grannenweizen, Gerste, Hafer zu schneiden, Äcker zu »stürzen« und zu bestellen, Raps zu säen, Kartoffeln zu häufeln, Rüben und Runkeln zu behacken und zu blätteln. Sobald jedoch die größte Arbeit im Felde getan war, wurde man auch daheim manche Veränderungen inne, deren Beginn und Entwicklung man übersehen hatte.

So war Nettls Benehmen, das eine Weile besonders schüchtern und befangen gewesen war, etwas dreister geworden, besonders gegen Stoffel, der sie einst beiläufig fragte, ob sie sich damals bei dem Platzregen nicht erkältet habe. Sie gab ihm eine scharfe, abweisende Antwort. Darauf gebot ihr Stoffel in befehlendem Ton, sie solle den Kuhstall reinigen.

»Mein Vetter hat mir gesagt, ich soll Butter stoßen«, entgegnete sie.

»Und ich sage dir, du sollst ausmisten!«

»Du hast mir nichts zu sagen!«

»Höllensapperment, ich werde dir's zeigen!«

»Du nicht. Der Vetter ist mein Herr, nicht du!«

Stoffel lachte häßlich auf. Als aber sein Stiefvater zufällig vom Garten her durch die Scheuer kam, zog er sich dennoch, ohne ein Wort zu verlieren, zurück.

Juliane, die nicht versäumte, zuweilen die Schwieger im Nebenbau zu besuchen, ging in jenen Tagen mit etwas zusammengekniffenen Lippen umher und schien mit den Blicken wie mit Degenspitzen alles durchdringen zu wollen, Wände und Mienen. Als ihre Augen dabei gelegentlich denen der tauben Aplone begegneten und dann flüchtig die Gestalt der Magd streiften, sagte die Alte mit abgewandtem, betrübtem Gesicht und kleiner Handbewegung ein Wort, das sich Juliane ein für allemal gesagt sein ließ. Das Wort lautete: »Weg! Es ist Zeit!«

»So!« sagte Juliane für sich. Und ihr Herz krampfte sich zusammen. »So!« sagte sie, und für diesmal weiter nichts.

Als es sich jedoch traf, daß sie in die Wohnstube zurückkehrte, wo ihr Mann eben an seinem Schreibpult saß, Susel strickte und Nettl Kartoffeln schälte, sagte sie ohne weitere Einleitung und laut genug, daß es alle verstehen konnten: »Du kannst dich auf Weihnachten anderswohin verdingen, Nettl!«

Susel erschrak darüber so sehr, daß sie sich verfärbte. Auch Nettl zuckte auf und sank dann in sich zusammen, wurde abwechselnd blutrot und leichenfahl, während der Vater ruhig an seinem Pult verharrte und über den Rechnungen und Notizen scheinbar gar nicht beachtete, was vorging. Stoffel dagegen, der unterdes mit Abräumen und Reinigen der Kelter für den Weinherbst beschäftigt war, sah, hereinkommend, mit unverhohlenem Hohn von einem zu andern, als ob er genau wisse, worum es sich handle, ohne erst sich erkundigen zu müssen.

Nicht Nettl fragte jetzt: »Aber warum, Bas?« sondern das Töchterchen des Hauses erkundigte sich betroffen nach dem Grund dieser unerwarteten Maßregel.

»Es hat schon seinen Grund!« sagte die Mutter, indem sie den Blick von einem zum andern gleiten ließ.

Da raffte Nettl die Kartoffelschüssel auf und ging mit glühendem Kopf trotzig hinaus.

»Tut die Nettl ihre Arbeit nicht ordentlich, Mutter, oder habt Ihr sonst Ursache, mit ihr unzufrieden zu sein?« fragte Susel bewegt.

»Frag' nichts« antwortete die Mutter unwirsch. »Dir werd' ich's gleich auf die Nase binden! Siehst du, dein Vater braucht nicht zu fragen, und weiß es doch! Gewöhne dir die Ruhe an, mit der er es hinnimmt!«

Der saß da und wiederholte gleichsam mechanisch, oder auch ganz versunken, als ob er der Welt entrückt sei, halblaut vor sich hin: »Zwölf und hundertfünfzehn ist – – zwölf und hundertfünfzehn ist – hundertsiebenundzwanzig.« Als Susel ihn dann nach der Ursache der Aufkündigung fragte, zuckte er schweigend die Achseln, wich ihren Blicken aus, um sie dann, wenn es unbeachtet geschehen konnte, unendlich traurig anzusehen.

Seitdem bestand eine merkliche Spannung zwischen den Eltern, die sie jedoch nach außen sorgfältig zu verbergen trachteten. Der Friede des Hauses, die Ruhe der Gemüter schien gewahrt vor Fremden. Doch sprachen die Eheleute nur noch selten miteinander, und wo es sein mußte beschränkten sie sich auf das Notwendigste. Susel nahm das mit großer Beklemmung wahr. Ein trüber, unheilverkündender Geist ging jetzt durch das Haus. Kein Wunder, wenn der Vater anfing, mit dem Stöckchen in der Rechten über Feld zu gehen oder am Abend im Wirtshaus zu sitzen.

Nur zwei Hausgenossen schienen mit dem Gang der Dinge zufrieden: Stoffel und die Großmutter. Deren Mienen nahmen damals immer mehr einen siegesfrohen Ausdruck an, während die Mutter wie ein Pulverfaß umherging, dem kein Funken nahen durfte.

Nettl tat nach wie vor ihre Arbeit, nur still, einsilbig, verdrossen, zuweilen etwas trotzig und mürrisch; ja, sie benahm sich, wie Stoffel meinte, feindselig und frech. Auch Juliane erhielt davon eine Probe, als sie eines Tages nach dem Stall hinsteuerte, aus dem das Gebrüll der Kühe immer lauter ertönte. Entweder verlangten sie nach Futter, oder wollten, von der Milch geplagt, gemolken sein.

»Nettl!« rief Juliane, nach der Magd sich umschauend. »Nettl!« Keine Antwort. »Nettl! – Wo steckt denn das Weibsbild?« Und rasch trat sie in die Scheuer, erkletterte sogar den Heustall und stieg von da durch die Spreukammer auf den Kornspeicher, wo sie ihren Mann traf, der dort Getreide wendete. »Wo ist sie denn?«

»Ich weiß nicht«, sagte er kurz.

»So, du weißt nicht?« erwiderte Juliane kalt. Dann stürmte sie weiter, über die Treppe hinunter noch einmal in den Hof und gegen die Scheuer hin, aus der ihr Nettl entgegenkam. Wo hast du denn gesteckt?«

»Wo werd' ich gesteckt haben?« entgegnete Nettl, etwas mehr als schnippisch. »Im Garten bin ich gewesen.«

»Was hast du denn im Garten zu tun?«

»Die übriggebliebenen gelben Rüben hab' ich geholt für das Vieh.«

»Und warum melkst du nicht? Hast du die Kühe nicht brüllen hören?«

»Ich kann doch nur eine Arbeit tun.«

»Aber warum nicht das Nötigste?«

»Nötigste? Es ist jetzt alles nötig. Man soll überall sein! Aber hexen kann ich nicht.«

»So, hexen kannst du nicht! Ich habe gerade gemeint, du könntest hexen.«

Nettl wurde unter dem Blick der Hausfrau blaß und rot. »Ich weiß selber, was sich gehört. Vor einer Stunde habe ich melken wollen, und nichts in den Eimer gekriegt.«

»Hast du denn kreuzweise gemolken?« fragte Juliane.

»Ach, was, kreuzweise! Das sind Albernheiten, sagte der Vetter.«

»So, das sagt der Vetter?« wiederholte Juliane. »Der Vetter hat aber hier nichts zu sagen, verstehst du. Zur Milchkammer habe ich den Schlüssel, wie er zum Weinkeller. Was die Melkkühe betrifft, hast du dich, solange du noch bei mir bist, nach mir zu richten!«

»Der Vetter ist doch Herr im Hause!« warf die Magd ein.

»Der kahle Teufel ist er!« rief Frau Juliane, die Geduld verlierend. »Er soll aus dem Kuhstall bleiben, er hat da nichts zu tun. Und du, bist du denn ganz umgewechselt? Du bist wohl auf das Dorftier gestoßen oder vom Letzbetzl geplagt worden?« fragte Juliane, an die den Dorfbewohnern altbekannten spukhaften Erscheinungen erinnernd. Denn das«Dorftier« oder der«Bollhammel« ist dort überall der dem Wasserlauf folgende Genius loci, das »Letzbetzl« jedoch dasselbe Wesen, daß man anderwärts die Trude, die Nachtmahr, den Alp nennt. Doch Nettl war jetzt nicht aufgelegt zu solchen sagenhaften Vorstellungen und murrte anzüglich: »Nein, von einem Drachen bin ich geplagt.«

Auf des hin holte Juliane aus und gab der Kecken eine so klatschende Ohrfeige, daß die Magd heulend aufbegehrte, sie lasse sich nicht schlagen und werde es dem Vetter sagen.

»So, ei, da hör doch einer!« sagte Juliane, als ihr Mann ebenfalls hinzutrat und unmutig sagte: »Donnerwetter auch, albernes Ding! Tu, was dir befohlen wird!«

»Sie hat mich geschlagen!« erwiderte Nettl anklagend.

»In drei Teufels Namen, dafür ist die Bas' die Frau im Hause!« versetzte er streng, »und du hast ihr, solange du noch da bist, Folge zu leisten! Verstanden?«

Nettl begab sich, völlig verblüfft und ohne weiteren Widerspruch in den Stall, um schweigend ihrer Pflicht nachzukommen. Sie gab selbst auf Susels Fragen nur kurze Antworten: Ja! sie wisse nicht! Es könne wohl sein! In mitteilsamerer Laune aber berichtete sie einmal: Sie habe sich nach Klingen verdungen zu guten Leuten; sie habe noch manchen anderen Platz erhalten können, es fehle daran nicht und so weiter. Juliane dagegen wollte diese Nettl kaum mehr in der Stube leiden. Sie saß in ihr wie ein Pulverfaß, als Stoffel eintrat und ihr sagte, sie solle einmal zur Großmutter kommen.

»So! Was will sie?«

Er wisse das nicht.

Juliane ging hinüber und weilte eine ganze Stunde am Bett der alten Schwieger. Was da drüben gesprochen wurde oder vorging, hat man nie erfahren. Juliane kam mit gespannter Miene zurück. Doch erfolgte an jenem Tage, da die Kastanien aus den Hüllen getreten und abends die Nüsse gekernt werden sollten, nichts Ungewöhnliches, nur daß Vetter Jokeb aus seinem Hause herüberkam, um in Heinrichs Abwesenheit mit Juliane allein zu sprechen. Der stattliche Mann hatte eine sehr einfache und doch wuchtige Art, sich auszudrücken.

»Gleich?« fragte er zurück. »Gleich willst du sie fortschicken? Überleg' dir's zweimal. Reiß den Leuten die Mäuler nicht auf! Sei einmal vernünftig, Juliane, drück' ein Auge zu und mach' keinen Lärm. Dein Haus hat nur zu oft schon zu reden gegeben. Wieso? Nun, du weißt ja. Wundern darf man sich nicht, wenn eine schon ältere Frau einen jungen Mann hat. Fahr' nur auf mit rotem Kopf! So hast du's von je gemacht, nicht danach gefragt, was sich gehört, was sich schickt, – nur deinem heißen Kopf gefolgt, gleichviel ob's Vorteil bringt oder nicht!«

»Hab' ich nicht selbiges Mal von dem Michel in Münster gelassen, der jetzt ein großes Tier ist?« warf Frau Juliane finster drein.

»Ah, das machst du dir selber weis«, fuhr Vetter Jokeb fort. »Er hat dich gar nicht gewollt, sondern meine Margret. Und da hast du den Adam genommen, seines Geldes wegen, aber nicht« – fügte er mit spöttischem Nachdruck hinzu – »aus Liebe.«

»Wo hätte sie herkommen sollen?«

»Ganz recht, der Henrich hat dann dich genommen, die vermögliche Witfrau, du ihn aus Neigung! Hättest du wieder nach Geld geheiratet und nicht aus Neigung, du säßest jetzt nicht da in Feuer und Flammen! Meine Margret hat mich nicht aus Liebe genommen, und sitzt gut. Also red' nicht weiter davon. Weißt du, wenn du gescheit bist, hast du jetzt einen Vorteil über ihn; nütz' ihn aus, halt ihn kurz! Wer sich aber die Nase abschneidet, verschändet sein Gesicht. Und wie man sich bettet, so liegt man. Überleg' dir zweimal, was du tust. Das größte Leid tut man sich selbst an! Mit einer Handvoll Kronentaler deckt man jeden Makel zu. Denk an deine Familie, deine Kinder. Da ist deine Eve mit ihren Kleinen, die ihrem Manne schon zu viel werden. Sie tät' auch besser, nicht gleich so zu schreien, wenn sie etwas mit ihrem Jerg hat, daß man's drei Häuser weit hört. Da ist der Stoffel, wird auch bald heiraten wollen...«

»Gib ihm deine Gretel!« fügte Frau Juliane rasch ein.

»Ist nichts für ihn! Er ist einer von den Heimlichen!« erwiderte der stattliche Mann kurz, indem er das Zeichen des Trinkens machte.

»Aber, nicht wahr, für mich war der heimliche Petzer gut genug!«

»Das ist etwas ganz anderes. Und was deine Susel betrifft, da, der Hannes wartet auf sie, das ist ja ausgemacht. Und für andere, die sich daran stoßen könnten, nun, wie gesagt, eine Handvoll Taler deckt viel zu, und nach etlichen Jahren fragt kein Mensch mehr danach. Also nimm deinen Vorteil in acht und denk' daran, was ich gesagt habe: Das größte Leid tut man sich selbst an!«


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