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Die Geige des Gefangenen.

Die Stadt Graz hat noch ein paar Tore aus alten Tagen, da Kumanen und Türken bis an ihre Wälle drangen. Eines ist so ernst, so schwarz und tief mit seinen drei Durchgängen, daß es drückender, drohender und gewaltiger aussieht als andere Tore. Die kleinen Fenster über dem mächtigen Aufbau ob den Torbögen sind enge und mittelalterlich grausam vergittert; es ist dort das Militärgefängnis. Und dort saßen jetzt in banger Zeit die verdächtigen Gefangenen; zumeist wendische, serbische Panslawisten, auch wohl Männer, die man nur aus Vorsicht, wegen ihrer Volkszugehörigkeit, in Haft genommen hatte. Mit Scheu traten die Menschen damals, in jenen beklommenen Tagen, da vom polnischen Nordosten nichts als ein vielsagendes Schweigen herniederflutete, aus der unzerstörbaren Sonne jenes Spätsommers in die kühlen Schatten des Tores. Über dem Durchschreitenden brütete der gefangene Verrat, der drohende Tod. Es wurde viel von Standrecht erzählt, geflüstert. Grauenvoll starrten die vergitterten Fenster und die drei Toröffnungen mit den großen, schwarzen Randsteinen aus dem Kaserngelb der Mauer.

Damals waren einige von den Jüngern des Herrn Rabesam mutiger geworden und hatten ihn gebeten, in diesen gepreßten Tagen, da niemand über das Schicksal des alten Österreich ein Wort zu reden wagte, von dem zu sprechen, was ewig ist.

Da sagte er: »Kommet um die Zeit, wenn die große Glocke am Schloßberg den Abend läutet, zum Paulustor. Bleibt in der Wölbung stehen, die gegen die Altstadt hinunterführt.«

Da kam die eine hagere Amerikanerin, es kamen Birgid Halfström und Magelon, und kamen Kantilener, Bohnstock und der junge Karminell. Schlag sieben am Abend trafen sie zusammen, als es dämmerig zu werden begann; denn es war zu Beginn des Septembers. Die große, alte Türkenglocke summte und schwang in tiefen, ruheatmenden Lauten ihren Abschied an den Tag!

Als sie ausgeläutet hatte, blieb es eine Weile still, und alle glaubten erwartend, Herr Rabesam wollte zu ihnen reden. Er aber machte eine abwehrende Gebärde mit der Hand, sie möchten sich gedulden.

Und dann begann jene Geige aus dem vergitterten Fenster, jene Slawengeige des damaligen Graz, die ein Gefangener spielte, von dem kein Mensch, der außerhalb des Amtsgeheimnisses stand, etwas wußte. Sie klagte Einsamkeit, sie sagte Sehnsucht, sie war todesnahe. Sie kam aus dem Kerker.

Und sie spielte ergreifend schön und reintönig, wie edler Schmerz.

Die Amerikanerin begann gleich zu weinen, daß es sie schüttelte. Verene Magelon hätte am liebsten mitgetan; es zwang ihr zwei- oder dreimal die Mundwinkel herab. Die Schwedin sah klar und nachdenklich vor sich hin und war wie versunken. Der junge Karminell schien verlegen und ergriffen, weil ihn, der in Uniform dastand, ein Feind so widerstandslos machte, und Bohnstock war entrückt von der großen, sehnlichen Kunst dieses Eingekerkerten.

Kantilener faltete die Hände, als müsse er beten; beten für alle Menschen, die aneinander Gewalt übten und nur einer Geige erlaubten, zu antworten, um die Zeit, da der Tag über sein Ende nachzudenken begann.

Da sagte Herr Rabesam: »Hier hat ein Politiker ausgespielt. Hier spielt jetzt ein Mensch. Unhold war wohl, was er ehedem sagte. Jetzt verkündigt er die Erlösung und nie war ein Abend so friedereich als dieser hier unter den Steinen des Stockhauses. Merket ihr, daß die Kunst mehr sei als dieses Leben? Wenn alles schweigt, dann sagt sie, was keiner hören wollte; oft ohne Worte, und ihr höret dennoch. Seht ihr, daß schon in diesem Leben Austritte sind ins Land, das unser harrt?

»Alles ist vielleicht vorbei für den, der da oben hinter Gittern auf sein Ende wartet; alles, außer der Sehnsucht und dem Wohllaut.

»Geht jetzt in den Abend hinaus und fasset eure Herzen zusammen. Gute Nacht, ihr Lieben.«

Und er schritt einsam fort. Zum erstenmal erlaubte er auch der Halfström nicht, mit ihm zu gehen. Sie fühlte das und fragte ihn gar nicht erst. Einsam ging auch sie; bloß die Amerikanerin sagte zu Verene Magelon: »Ich kann jetzt nicht allein bleiben. Ich habe solche Angst!«

Und Magelon war ebenso zumute. Die Mädchen faßten sich fest unter den Armen und zogen umschlungen ab.

Bohnstock drückte Kantilener die Hand und ging wortlos in den dämmernden Stadtpark hinaus. Es blieben allein Kantilener und sein Sohn zurück.


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