Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Bräutigam.

Verene Magelon wunderte sich ungemein, daß ihre Mama sie eines Tages zu sich bitten ließ, auf eine Unterredung zu dritt. Magelons Bräutigam (es gab einen solchen) war zugezogen, sonst niemand. Er wartete still und ernst, was Mama sagen würde. Er selber hatte nichts zu sagen; glaubten beide Damen.

Er war ein schöner, ernster Junge, der nie eine Miene verzog und sich mit Verene Magelon nur zu regelmäßigen Zeiträumen öffentlich sehen ließ. Wie er gesinnt war, wußte niemand; er schien undurchdringlich. Zu den Koketterien seiner Braut verzog er keine Miene; man sah nicht, ob ihm die Bewerbungen fremder Männer lästig oder gleichgültig waren. Er war arm und Verenes reiche Mama, eine Witwe, hatte ihn, der das schöne Mädchen von jung her zu lieben schien, auf ihre Kosten studieren lassen. Der Klatsch der Stadt sagte, daß er sie dafür zu heiraten und ihr alles zu erlauben habe.

Er aber sah nicht danach aus. Seine Schönheit war männlich, jede Gebärde würdig und charakteristisch verhalten, kaum angedeutet. Er redete fast gar nichts. Darum glaubten Dummköpfe, daß er nichts zu sagen hätte.

Mama setzte sich nervös zurecht. Verene Magelon blieb stehen, Artur ging auf und ab und rauchte eine Zigarette mit großer Ruhe. Mama begann: »Magelon, du wirst dir deinen Ruf verderben!«

»Gott im Himmel«, lachte das Mädchen.

»Du läßt dich mit zu vielen ein und zu offenkundig. Das muß endlich die Leute reizen.«

»Was sagt Artur?« fragte Magelon hinter sich, Kopf und Nase leicht erhoben.

»Ich sage, daß ich weiß, du liebst niemand. Es genügt mir. Die Bemühungen der Herren um dich zeigen mir das übrige; sie strengen sich sehr an; also haben sie nichts erreicht. Wenn du aber vorsichtiger sein wolltest, so wäre es mir, nur um deinetwillen, lieber. Im übrigen weiß ich, daß Magelon überhaupt nicht lieben kann. Man ist ihrer sicher. Und ich, Magelon, ich habe dich sehr lieb; das genügt mir, zusammen mit der Gewißheit, daß du dich nie verlieren kannst. Denn du bist nicht vom Blute, das sich gerne verschenkt. Magelon weiß überdies, daß sie nie im Leben einen Freund finden wird, auf den sie sich besser verlassen kann als auf mich. Bei ihrer großen Klugheit und Kühle genügt das vollständig, um sie mir zu erhalten.«

Magelon drehte sich überrascht nach dem jungen Manne um, der sonst niemals redete. »Sapperment,« sagte sie, »du bist ja geradezu überlegen! Du, du!«

Sie ging auf ihn zu, schloß ihn in die Arme und küßte ihn mit ein wenig mehr als kontraktlicher Innigkeit; es war das erstemal so. Sein Gesicht blieb ruhig und zufrieden.

»Viel Ehre macht es dir nicht,« sagte Mama etwas spitz, »daß Artur weiß, du kannst eigentlich niemand wirklich lieb haben. Und er hat recht. Mich liebst du nur, weil ich dir bequem bin, deine Brüder und Schwestern nur aus Zeitvertreib. Bist Du irgendwo zu Gast, so schreibst du mir nur, wenn es regnet und kein Mensch um dich ist. Sonst ließest du uns jahrelang wie Butter am Feuer liegen, ohne daß es dich kränkte.«

»Aber, Mama,« sagte Magelon, »du wolltest mich doch wegen meines vielen und verschiedenartigen Verkehres heranziehen. Also: Wen wünscht ihr, daß ich ihn euch opfern soll? Meine Spaziergänge mit den vier Nationen sind doch an sich schon ungefährlich. Herr Rabesam ist Mitte der Sechzig. Karminell und Flanetzky könnt ihr sofort um ein Paar hübscher Schuhe haben, die ich sehr brauche. Bleibt Herr Kantilener. Zipfeln wir um ihn?«

Mama begann zu lachen; Artur sah sie mit ruhigem Genusse an. Dann sagte er: »Du weißt, Magelon, daß ich mich nie aufdränge. Aber diese verschiedenen Zirkel sind ein wahrhaft interessantes Studium, und ich muß Menschen studieren, wenn ich dereinst Kranke behandeln soll. Kann ich so dann und wann mit?«

»Aber ja,« sagte Magelon, nahm ihn an den Händen und schwang sie gleichmütig hin und her. »Bei wem willst du denn zuerst dein Hörrohr anlegen?«

»Da gehen die beiden Brüder Rabesam voraus,« sagte er überlegend.

»Siehst du,« rief sie lebhaft, »das sag ich auch immer! Die ganzen jungen Hunde sind bloß komisch; manchmal rührend, nie aufregend. Die beiden Rabesam aber, die sind jeder was Ganzes.« Sie seufzte. »Aber zum Joachim kommen wir keins! Wie gefällt Dir der Kantilener?«

»Über ihn sind wir von der Karminellgeschichte her unterrichtet. Er muß als Junge entzückend gewesen sein. Aber seine Art von Schönheit ist infantil. Er ist geblieben, was er damals war, also unfruchtbar. Das mußt du als Mädel besonders gut fühlen.«

»Wirklich,« sagte Magelon interessiert.

»Nun sagte Goethe einmal so:

Jeden Schwärmer schlagt mir ans Kreuz im dreißigsten Jahre!
Kennt er erst einmal die Welt, wird der Betrogne zum Schelm.

Das ist ein Naturgesetz des Lebens. Wird nun kein Schelm daraus, dann ist er zum Leben unbrauchbar. Kantilener muß entweder ein ewig schönes Buch schreiben, oder er muß eine Religion stiften, oder er muß ertrinken, indem er ein Kind rettet, oder sonst etwas tun, was seine Unbrauchbarkeit verwendbar macht. Liebe ohne Anwendung bleibt Dusel und Gesäusel.«

»Herrgott,« sagte Magelon in Verwunderung, »bist du gescheit!«

Artur zündete sich eine frische Zigarette an, und eine ganze Stunde sprachen nur mehr Magelon und Mama. Es ist anzunehmen, daß er die nächsten vierzehn Tage überhaupt gar nichts mehr redete. So war er.

Nach vierzehn Tagen aber gingen Verene Magelon, ihr Bräutigam und der alte Herr Rabesam über die evangelisch stille Ries. Es war damals gerade Alpenfahrt; da fehlten alle Automobile, und der Berg der Seligkeiten war aufatmend, wie um jene alte Zeit, als die zwölf Gutestundenfänger noch ihr drolliges Handwerk dort oben trieben.

Und seltsam. Heute war der verschlossene junge Mensch wie ein Kind. Er begann ganz von selber zu Herrn Rabesam zu reden.

»Sagen Sie mir, Herr Rabesam, was denken Sie von Magelon?«

»Sie ist das Bild dieser Zeit,« sagte der alte Herr freundlich. »Es geht ihr zu gut, darum kann sie keine guten Eigenschaften zeigen. In ihr ist es schon, aber es ist nicht in ihrer Zeit. Auch das weiß ich, daß sie mich und meine arme Hoffnungslehre nur zur Abwechslung genießt. Dennoch darf ich sie ihr nicht versagen. Denn einmal, lieber Herr Doktor, einmal wird sie vielleicht arm sein vor allen Menschen und reich vor Gott; dann wird sie nach meiner Erinnerung greifen wie ein fiebernder, reicher Schwelger nach Wasser, davon er sonst nie trinken mochte. Wie soll sie auch jetzt nach innen vollkommen sein, da sie den Fluch äußerer Schönheit und des Glückes hat? ›Das schnellste Tier, das euch trägt zur Vollkommenheit, das ist Leiden‹, sagt Meister Eckhart. Wenn ich ihr Leiden wünsche, so wird sie das Näschen kraus ziehen. Stellen wir es Gott anheim.«

»Gott?« sagte der junge Mediziner gedankenvoll.

»Ja, – ›Gott.‹ Sie sehen, soviel Sie die Natur auch des ewigen, stupiden Verbrechens am Leben bezichtigen mögen, doch eines: Daß alles, unfehlbar, nach Friede, Ordnung und Harmonie hingeht. Da, hinter dem steckt Gott. Mein lieber Herr Doktor: Das einzige Vergehen des lieben Gottes ist bloß, daß er so viel Zeit hat und wir so wenig.

»Und nun, was Ihre Braut angeht, studieren Sie sie nur: Immer ist das wahre Weib der Kompaß des Lebens. Todsicher kehrt es sich nur nach dem, liebt es nur das, was lebensfähig ist. Daß sie dennoch gewissermaßen an mir hängt? Meine Gedanken gehen auf das, was Ihr das Sterben nennt. Ich glaube also, daß sie sich für mich nur deshalb erwärmt, weil sie sich einmal auch damit wird befassen müssen.«

Verene Magelon wurde rot. Wirklich; aus Neugierde vor allem, sonst aber aus Todesangst hing sie an Herrn Rabesam. Und auch der ahnte, in all seiner Freundlichkeit, daß sie nur an sich selber dächte; daß sie nicht zu lieben vermochte. Daß ihr das Opfer, mit dem er seine Bergpredigt geschlossen hatte, nie am Herzen gelegen hatte.

»Und Sie?« fragte der alte Herr den jungen Mann freundlich. »Wollen Sie mich nicht weiter fragen? Sie müssen ja als Mediziner mein Widerpart sein.«

»Das Wichtigste haben Sie mir eben gesagt«, erwiderte Artur. »Und im übrigen, Sie sehen es ja selbst, – ich halte mich nur an das Tatsächliche. Was ich in die Hand nehmen kann, werde ich bezwingen. Was zu luftig ist, durch das gehe ich eben hindurch. Ich bin ein Geschöpf des Tages und der Zeit. Damit werde ich rechnen und fertig werden. Kann ich Gutes tun, kann ich Gutes vernehmen, ich bin bereit. Das andere, was ich zu erledigen habe, ist Arbeit. Ich habe mir mein Leben nicht gewünscht. Ich bringe es hin, wie es gegeben wurde. An einem fallweisen Jüngsten Gericht würde ich Gott zur Rede zu stellen haben und nicht er mich.«

»Ich werde Sie noch,« sagte Herr Rabesam freundlich, »ich werde Sie wirklich noch mit meinem Bruder Joachim bekannt machen müssen. Er ist genau so trotzig wie Sie.«

Verene Magelon schrie vor Freude leise auf.


 << zurück weiter >>