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Ein paar Überbliebene von den Zwölfen.

Wenige Tage war die Stadt überfüllt als ein Heerlager. Menschen, die sich zwei Jahrzehnte lang nicht gesehen hatten, kamen da zusammen. Wigram war im Süden der Stadt auf Brückenwache; Arbold war Militärauditor geworden; selbst O'Brien war einen Tag da, kaufte Waffen und Ausrüstung und hastete weiter; in solcher Eile, daß er kaum bemerkte, er wäre im alten Graz, das er so lange nicht gesehen!

Nur abends hatte er einen ausruhenden Augenblick und war mit Arbold zusammengetroffen, der gänzlich von dem Gedanken erfüllt war, das deutsche Richtschwert in Händen zu haben und es als Herr über Leben und Tod in einem ganzen Korpsbereiche schwingen zu können. Ungemein wuchtig und zornvoll saß er beim alten Freunde, und die Narbe über seinen Augen, die ihm einst ein verzweifelnder Jude geschlagen, glühte. Sehr ernst erwiderte er den Zutrunk O'Briens.

»Hast du von den zwölf Haderlumpen, die wir damals in Graz waren, nicht einige zu Gesicht bekommen?« fragte O'Brien.

»O ja«, sagte Arbold bissig. »Ich habe heute einen davon, einen windischen Haupträdelsführer, dem Militärgerichte einliefern lassen.«

»Semljaritsch!« schrie O'Brien heraus.

»Ja, Semljaritsch.«

Eine ganze Weile war es still. Dann fragte O'Brien langsam: »Was hat er denn getan?«

»Volksverhetzung; Verleitung zur Desertion; serbenfreundliche Reden, als schon das Standrecht verkündet war. Wenn die Zeugen nicht alle schon auf der Eisenbahn zum Kriegsschauplatz wären, so hätte ich ihn heute noch an die Wand stellen und niederknallen lassen.«

»Hat er dich erkannt?«

»Ja, er hat mir einen etymologischen Vortrag halten wollen; ich hab' ihm bloß gesagt, daß ich ihn subjektiv für einen Saukerl ansähe und objektiv sein Richter sei, der sich jedes vertrauliche Wort verbäte. Dann hab' ich ihm alles weggenommen; – sogar eine Geige, an der er besonders zu hängen scheint. Er hat geheult wie ein Bub, wie ich ihm die weggenommen hab'.«

»Vielleicht hat er bei der Kunst den letzten Trost erwartet.«

»Das ist auch so eine weichliche Friedenslüge mit der Kunst und mit dem Trost; geh mir! Siehst du denn nicht, wie die Kunst abgewirtschaftet hat? Kein Hahn kräht mehr nach ihr; sie war nur in den Zeiten des Müßigganges da. Weggeweht ist sie jetzt. Niemand mehr will von ihr etwas wissen. Das macht: sie ist immer nur ein Genußmittel gewesen, kein Nahrungsmittel. Luxus, und ich füge hinzu: schädlicher, verweichlichender Luxus! Beweis, daß niemand sich lauter und vordringlicher zum Staat, zum Krieg, zum Losschlagen bekennt als die Künstler! Kriegslieder, Haßgesänge, gegenseitige Ausschließungen aus allen Vereinigungen hüben und drüben. Ich sage dir, sie selber sind froh, das viele Lügen los zu sein! Jetzt haben sie doch etwas, wofür sie ehrlich leben und sterben können!«

»Du,« sagte O'Brien, »es scheint mir aber, wir hören und erkennen gerade jetzt sehr genau die falschen Künstler. Ach, die Schreier? Nein: Diejenigen, welche jetzt den Mund halten, die müßte man beachten.«

»Für die tut erst recht eine Lehre not. Assentiert sollen sie werden, damit sie endlich einmal den Ernst des Lebens kennen lernen und vor allem die wichtige Erfahrung machen, daß niemand zu gut ist, um dem Vaterlande zu dienen! Da fällt mir ein: Bestell' dir doch im Feld eine gutdeutsche Zeitung. Hm! Ja! – Was ich noch sagen wollte? Also ja: Ich bin froh, daß die Kunst abgewirtschaftet hat!«

»Ja, das hat sie«, sagte O'Brien gedankenvoll. »Wir alle fühlen, daß wir heute nichts weniger brauchen als sie. Es ist zum Verwundern und eigentlich lächerlich, wie klein, wie nichtig sie uns jetzt vorkommt. Ja, ja; die Zeit ist viel größer als sie.«

»Der Tod ist eben nahe; da verblaßt alles Tändlerische«, sagte Arbold.

O'Brien, der noch in dieser Nacht ins Ungewisse hinausfahren sollte, zuckte leicht zusammen und wurde einsilbig.

»Na, denk' nur nicht gleich an dich selber«, rief ihm Arbold begütigend zu. »Ich hab' jetzt an den Semljaritsch gedacht.«

»Wird der hingerichtet?« fragte O'Brien mit Unbehagen.

»Sobald wir die positiven Beweise seiner Verräterei haben, ja.«

»Und das war einst unser Freund«, sagte O'Brien gedankenvoll. »Er hat mit uns gesungen, er hat mit uns das Glück gesucht, er hat mit uns geliebt und gelitten. Er war mit uns Mensch. Nichts, als Mensch … Dann ist er fortgegangen und hat es vorgezogen, Slawe zu werden. Ja. Und du, Deutscher zu werden. Und so ist Krieg über die Welt gekommen.«

»Blutbad, Stahlbad!« sagte Arbold. »Was waren das für Weichlinge, die meisten von jenen Zwölfen! Der Helbig zu schwach zum Leben, den Petelin hat auch der erste rauhe Wind umgeblasen! Was noch lebt, soll mal rangeholt werden, und aufhören lernen, um eine Geige zu winseln.«

»Du,« sagte O'Brien gedankenvoll, »ich reise heute hinaus, und wer weiß, ob wir uns wiedersehen. Ich habe eine letzte Bitte an dich.«

»Na, schieß los. Kann ich, so will ich.«

»Gib dem Semljaritsch seine Geige zurück.« –

Arbold wurde ein wenig verlegen. Dann sagte er:

»Du bist heute merkwürdig weich.«

»Vielleicht wärst auch du es an meiner Stelle«, sagte der Offizier gedankenvoll. »Aber der Semljaritsch bekommt seine Geige wieder?«

»Ja. Ich will sie ihm noch heute, gelegentlich der Nachtinspektion, auf seine Pritsche legen lassen,« sagte Arbold kurz. Dann nahmen beide etwas bewegt Abschied.

»Gott strafe England«, sagte Arbold.

»Das wird er tun, wie es ihm beliebt, fürchte ich,« lächelte O'Brien. »Wenn du einen der zwölf Käuze von damals siehst, so sag' ihm einen Gruß von mir.« Und er ging in die leise herbstelnde Spätsommernacht hinaus.

Arbold rasselte säbelklirrend nach der andern Seite davon. Er wünschte keineswegs, einen jener Menschen wiederzutreffen.


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