Ernst Barlach
Fragmente aus früherer Zeit
Ernst Barlach

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Nicht »Ich«

Ich gehe oft am Strom, nicht um da das »bunte Leben« zu sehen, sondern das einfache. Einfach, öde ist es auch auf der Heide, aber hier ist es ganz anders. Auch immer dasselbe, aber immer dasselbe Walten derselben Kraft. Ich fühle die Kraft des Leibhaftigen, Lebendigen im Strom, sehe, daß es vorwärts geht, nicht ziellos, sondern aufs Ziel los, nicht bloß vernichtend, sondern auf die Vernichtung los; ich spüre so was wie den Pendel der Weltuhr, keinen Schlag, behüte Gott, daß ich so ehrgeizig wäre, aber sein Bebern, sein Glühen des Innersten, seinen Drang, seinen Zorn. Da sehe ich dies und das, Vernichtung, Leben, Auf und Ab; ich stehe voll Staunen und sehe Himmel von oben und Hölle von unten sich dräuend anschaun, sehe Kleines und Majestätisches verfließen. Ich sehe den Raum und wähne in muntern Momenten, ich erblicke die leibhaftige Zeit, die Haushälterin Gottes, am Himmel stehen.

So sah ich vor nicht langem die Eisblöcke. Erst den Eisgang, die Wüste, die Spuren, das Rauschen, das Kommen und Gehen, die Möwen, die Krähen. Dann, bei einer blanken Sonne, einem blauen Himmel, hatte sichs im Ganzen verzogen und einzelne Blöcke abgesetzt. Die sahen so aus: unten spitz, oben breit, wie ein Tischchen-deck-dich für Krähen und Möwen. Stehn oder sind schon gefallen.

Ich denke mir, wie ich die Stücke so anschau, ihre Geschichte, ich sehe ihr Schicksal. Wie sie schwimmen und am Ufer stranden, die Elbe sie sitzen läßt; unten Warmwasser, oben kalte Luft, so, am Fuß am längsten von Wärme umflossen, werden sie ganz von selbst, wie sie sind. Hier nun sehe ich in Wirklichkeit die Zeit verkörpert. Eine kleine Spanne an kleiner Stelle, aber es ist ihr Fingerdruck, mit feinsten, frischesten Poren, da kann man hinschauen, die Reliquie dieser Heiligen ist echt.

Und so, wenn man den ganzen Lebensstrom, an seinem Teil, betrachtet, dann begegnet man Ruinen, denen mans ansieht, wie es gekommen ist, Reliquien der Zeit, die mit Ehrfurcht betrachtet sein sollen. Und mit Andacht. Denn so wie diesen geht es allen einst, andererart, schneller oder langsamer, aber sicher.

Da ist Beckwoldt. Er sieht so aus, ist so alt, hat dies und das getan, hat so gelebt und lebt jetzt so, hat die Kinder und den Enkel. Seine Zähne hat ihm die Zeit eingerissen, aber gebissen hat er gut und schlecht, saftige und trockene Bissen. Jung sah er aus wie sein Enkel, und wenn man sein Auge mit Zeitbrille besetzt, so kann man sich den Jungen schon alt denken.

Der Einsame, Eichenholz, 1911
87 X 40 X 32 cm
Kunsthalle Hamburg

Er reitet noch wie der Deubel, vielmehr wie ein Gerippe; sein Handpferd mit dem hohlen Rücken läßt seine Beine bald an die Erde rühren. Besonders im Zylinder und schwarzen Rock; sie sind mit ihm geworden, krumm und ruiniert. Er begräbt immer munter mit, der reine Gevatter Tod; immer die jungen Leute bleiben, er klappert immer wieder heran.

Wie er vom Felde kam, eben vorm Schauer, und aus seinem zahnlosen Munde lachte, – als stäke in jedem Wurzelloch ein Hohn und grinste heraus, so zufrieden sah er aus.

Aber nur kurz, daß die Ruinen der Zeit trotzen. Als hätte sie sie vergessen, so läßt sie sie abseit liegen; manchmal nimmt sie aber auch der Strom auf, und man denkt, sie sind dahin; aber die Ebbe treibt sie wieder her, nur mit neuen Schrammen versehen.

Beckwoldt war auch eines Tages daran: Meineid, Zuchthaus auf seine alten Tage; aber wie mit einem Kainszeichen war er wieder da, Sommer und Winter trotzend!

Diesem Überrest eines tüchtigen Stückes Original sieht man an, daß es weit gereist, viel gedreht und gewaltig geschüttelt ist; sozusagen durch die Rippen schaut man bis aufs Festeste. Der ist nun hart, Weiches ist ihm abgeschmolzen, er ist ein Abriß seines Innersten, ohne Schmuck. Ein Stück Leben, verkörpert! Die Schale der Zeit, kristallisiert!

Und dann, wenn die Blöcke soweit sind, brechen sie auf einmal zusammen.

Er wurde wieder weich, er zersetzte sich bei lebendigem Leibe, sein Wesens-Ich zerfloß. Die Zeit nahm sich selbst zurück, er wurde wieder bloß Gemüt ohne der Zeit Walten dazu.

Er war nicht immer alt. Hatte ein Weib und mehr. Und Söhne, deren liebster nicht sein ehelicher. Trank, sang und sprang, verschwendete und verdarb sein Leben und anderer. Aber er war zäh und seine Nachbarn nicht, er kam immer vom Kirchhof wieder, wenn sie blieben. Gedanken hatte er keine über die Dinge, als was man so im Wirtshaus redet. Aber er stellte sich doch zu ihnen durch Tun und Lassen. Gott war ein guter Mann, er ein besserer.


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