Ernst Barlach
Fragmente aus früherer Zeit
Ernst Barlach

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Eilzug

Das reißt einen über die Erde, so ein Eilzug! Das hat einen wie in Mantelfalten des leibhaftigen, erdumsausenden Sturms geschlagen und rummelt durch die Wälder und stürmt über die Felder! Da rauschen risch-rasch die Stimmungen ganzer Länder durch die Seelen, und wer so wie Kule nach einigen Tagen Besinnens wagemutig auf die Zukunft losgeht, dem weckt solch donnernder Sturmlauf die Einbildung eines Heldenhaften auf, dann summt er mit das dumpfe Marschlied des dampftollen, ferntrunkenen Rennwurms und träumt sich im selben Takte übers Ortsziel hinaus auf alle andern eindringen, er glaubt, solch Draufgehen und solch blitzschnelles Siegen sei ein gleich leichtes Fortfahren.

Aber zu Zeiten, wenn das Blaugrau der hellen Mittsommernacht verlöscht und der helle Streifen überm nördlichen Horizont hinter Waldbäumen verschwindet, dann ist das ewig taktgleiche Lied keine Sturmweise, dann klingt es in der schmalen Schlucht der düstern Tannenbäume wie angstvolles Selbstgespräch im Busen Flüchtiger und Gejagter, dann schießt der Zug das Tal entlang wie ein Gehetzter, läuft um Heil und Leben, und verzweifelte Entschlüsse ringen mit der tödlichen Angst vor der lauernden Gefahr rechts und links und überall. Himmel und die Welt! Himmel und die Welt!

Dann laufen auch über Kules Herzen allerlei dunkle Schatten und schauern über leicht hüpfende Sorgen und Ahnungen. Wie die Luft hinter uns, durch die wir gestürmt sind, brüllend zusammenschlägt, das ist wie das heiße Keuchen der Gefahr an unsern Fersen! Schneller muß es gehen, schneller, schneller! Auf jeder Schwelle erpeitscht es sich Kräfte zu rasenderem Lauf mit solchem Wort. Und der Wald über uns neigt sich und verflicht seine gegenüberstehenden Kronen ineinander, schon blinkt kein Stern, und der Hoffnungshimmel ist schwarz und düster, schon engt sich der Paß, und das Netzwerk der Tannenstämme über uns senkt sich festgeknotet tiefer und tiefer, noch ein Sträuben und kurzes Ringen, und das Riesentier ist gefangen, und der Fänger preßt ihm Leben und Atem aus der dampfkeuchenden Eisenbrust.

Wie die beengte Luft um uns heult und gellt und der gespenstische Dampf tanzt und sich ballt! Alle Dämonen der Ahnung stürmen auf Kule herein, und er sieht Lebenspfad und Zukunft verdüstert und auch von Netzen überhangen.

Schneller, schneller, schneller mit Ach und Krach! Es gelang! Der Wald war eine Kulisse, und zauberschnell ist er versunken.

Der Fliehende, Federzeichnung
Aus: Almanach des Verlages R. Piper & Co, München 1914, S.71

Graue Dämmerung über allen Feldern, das Licht der unter dem Horizont nach ihrem Aufgangsosten wandernden Sonne schon matt über den Feldern, Dörfer, tief ins Schlummergrau vermummt, in der Ferne, und die ersten zwei oder drei Feldlerchen über ihren heimischen Revieren. Ja, Kule, ja, die schlummernde Erde redet und erzählt dir ihre Träume, und die schönsten gegen Morgen und nun gar in Lerchenversen!

Hurra, die Welt, hurra, das Leben, hurra, der Kampf, hurra, die Jugend, die Freuden und Leiden, hurra, die Welt! So übersetzt Kule nun den Marschgesang seines Reittiers ins Familiendeutsch und lugt aus dem Fenster mit übernächtigen Augen und streckte das bleiche Gesicht dem frischen Morgenwind entgegen.

Woher der kommt, dahin gehts; das ist schon ein Berliner!

Auf allen Wiesen nasser Tau, und leichtes Frösteln befällt Kule nach seinem Lugblick in der Richtung seines Ziels.


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