Ernst Barlach
Fragmente aus früherer Zeit
Ernst Barlach

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Die Dämmerungshexe

Bei uns und in unsern Stuben hockt die Dämmerung gern, die lichtscheue, abendgraue, altmodische Hexe Behaglichkeit. In unsern Ecken und häuslichen Winkeln umspinnt sie mit grauen Fäden den Tagesunruhgeist und fängt ihn mit Schlummergedanken in leise gewobenen, unmerklich überall hingehängten Fallen und Schlingen.

In diesen schlimmen Zeitläuften ist die Dämmerung immer noch herzlich und traulich, denn wißt ihr, die immer verlästerten Hexen sind allesamt ohne Falsch in Haß und Lieben und zäh bei Freund- und Feindsein, nicht wie die flüchtigen Lobhudler und das wankelmütige, unser schnell übersatte Glück. Denn sie wissen vom schönen Schein des Lebens die kleidsame Tracht der bunten Tage und die lachende Maske der Feststimmung, all den bunten Trödel, hinwegzulüften, und ihnen deucht allein die tiefe Herzlichkeit und die Innerlichkeit und Heimelichkeit fern vom protzigen und Prahlwesen zur Geselligkeit umgangswürdig.

Darum sitzt die alte Hexe Dämmerung nach Sonnenuntergang bei uns zu Haus bei Mutter und mir. Jeder von uns liegt langleibig ruhbedürftig auf einem Sofa an der Wand, zwischen uns die ganze Tisch- und Stuhllandschaft von zwei Zimmern, und um jeden webt die Dämmerung immer dichter ihre Fäden und scheucht alle Außengedanken von ihm weg, daß er ganz allein ist mit seinen allereigensten Freuden- und Sorgengedichten: Mutter ihre reimen sich aus den fernsten Erdteilen zusammen, denn zwei ihrer Söhne sind ihre eigenen Gegenfüßler, und meistens dichtet sie und murmelt in ihrem Innersten lange Sorgengedichte von Hans und Klaus, denn das sind zwei Präriebrecher und Steppenbereiser, zwei Hitzebraune mit schweren Sonnenstrahlenbündeln auf dem Rücken, zwei Schneesturmumtobte mit Winterkälten in den Knochen, und des einen Tag ist des andern Nacht.

Und was ich reime und sinne auf meinem Lager, in Dämmerfäden vereinsamt, sind auch keine Freudenverse, aber wie in Mutters Gedichten Hoffnungen und Glückwünsche weben, so west in meinen der Enttäuschungsärger, ein häßlicher Rundreim ohne Klingklang und Wohllaut.

Aber wenn ich so halbschlafend meine Galle hin und her wälze, springt von unten, wo draußen der Laternenmann vorbeiwandert und an den Gashähnen klappert, ein sanfter, rötlicher Schein von der Straße zu mir ins Zimmer, sitzt oben an der Decke und winkt mir lieblich zu und hat mit seiner Plauderlaune meinen griesgrämlichen Augen allerlei Sanftes und Heiteres zu erzählen. Er hat sich bescheiden in Rosa aufgeputzt, aber was er leise redet und sanft eindringlich, daß es die Dämmerung gar nicht stört, mir zu seiner Lichterzeichensprache deutet, das geht mir doch ganz ernstlich wie wortwörtliche Ermahnung tief hinein; ja im Grabe dereinst gibt es keine traute Dämmerung, und keine heiteren Lichter kommen hereingesprungen, wie Nachbarskinder ihren vergnügten, unschuldigen Schnickschnack zu machen und mit ihrer lieblichen Harmlosigkeit ein Tagesende zu verschönern.

Und es kommen noch andre, wie ich liege und sinne und schaue: jammervolle und abgeleierte Melodien aus den pfeifenden Lungen einer elenden Drehorgel. Aber bei Dämmerlaune nach Tagestoben sind sie mir lieb und nicht leid; oft sind ihre Walzen mit muntern Zapfen besetzt, aber alle ihre Vorträge sind immer leidig und voll Klagens, sie tanzen einen wirbelnden Takt, aber dennoch weinen sie, und man hört nur durch wehmütiges Schluchzen die Lust am sprühenden Leben des Tages heraustönen; mir sind es willkommene Gesellen, diese Orgeltöne, und ich denke, wie sie jammern, nicht an die verhunzte Kunst und, wie sie vom Handgriff getrieben und gerädert ihren Singsang leiern, nicht an Musik-Barbarei. Als ob der Leierkastenmann, der gichtkrumme, elende Geselle, ihre wohleindressierten Kunststücke mit Elendsstimmen getränkt hätte, so schwillt die Luft der ganzen Straße trotz der äußerlichen Munterkeit von Jammerfreude und Tränenseligkeit.

Aber es kommen noch andre zu mir herauf, das sind die Schleiftritte im Tanztakte der kleinen Mädchen, die fassen sich und springen zur Musik auf der Straße, hören kein Schluchzen zwischen den Tönen, und der Klagegesang der Drehorgel ist ihre Ballmusik.


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